Im Kojteich
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Hiroshima - Tag 1

Veröffentlicht: 01.04.2023

You got the sparkle

Heute geht es nach Hiroshima. Wir treffen uns alle in der Lobby, es ist noch Zeit. Ich quatsche ein wenig mit Leaf "Sparkle". Warum "Sparkle"? Die US-Amerikanerin mit indischen Wurzeln hat etwas an sich, was nur wenige Menschen in sich tragen. Es ist eine Art von gute Laune, die rein ist, eine gewisse kindliche Unschuld mit sich trägt ohne naiiv zu wirken. Eine Art von Ausstrahlung der je nach Blickwinkel immer glitzert. Es ist schwer zu beschreiben. Eine gewisse Magie. Ich sage es ihr auch genau so. Ich habe mir schon länger angewöhnt solche Dinge einfach mal auszusprechen. Nicht für einen persönlichen Gewinn.
"Wenn ich etwas nettes sagen, bekomme ich bestimmt etwas nettes zurück." Ne, ist es auch einfach schön Dinge auszusprechen. Und was dann passiert, passiert.
Sie ist positiv überrascht und sagt mir, dass ich nicht der einzige sei, der das gesagte habe. Ein paar Freunde haben so etwas auch schon fallen lassen. Sie ist erfreut. Und gibt mir aus heiterem Himmel zurück, dass ich auch so etwas an mir habe. Ich versuche dankende Worte zu finden. Wir gehen zurück zur Lobby, ich bekomme wieder diesen Techno-Song und den Tanz nicht aus dem Kopf und Körper.

Hiroshima

Nach zwei Fahrten mit dem Shinkansen erreichen wir Hiroshima. Wir checken ein, gehen in die Stadt. Es sind 22°C und die Sonne scheint. Endlich Zeit für kurze Hosen und Flip-Flops. Hat auch lang genug gedauert.
Hier ist es friedlich, es herrscht eine eigene Atmosphäre. Eine Leichtigkeit, trotz der 140.000 aus dem Leben gerissenen Seelen. Kein Schmerz, keine Trauer. Etwas reines.
Wir gehen zur Ruine in der unmittelbaren Nähe des Hypozentrums. Der Rest der Stadt war nach der A-Bombe, wie sieh hier tituliert wird, nicht mehr vorhanden. Die Bewohner haben dieses Gebäude als Mahnmal stehen gelassen und geben es Generation für Generation weiter. Aus der Nähe betrachtet erscheint es mir nur wie eine baufällige Ruine. Als ich später die Ruine im Kontext sehe, ändert sich das Bild. Es kommt wohl immer auf den Kontext an. Nun ist es für mich ein Mahnmal.

Anschließend gehen wir in das Museum, welches 1955 entstand. Der Eintritt kostet 200 Yen, ca. 1,40 €. Ich gehe mit zwei Bewusstheiten an diesen Besuch.

  • Ich schieße nur maximal drei Fotos.
  • Ich gehe mit bewusster Langsamkeit durch die Anlage.

Letzteres erinnert mich an mein Possibility Lab. Als Festessen-Manager haben mir viele tolle Menschen zur Seite gestanden, um allen ein letztes schönes Abendessen zu zaubern. Ich habe mitgeholfen zu Servieren. Als ich bei der Leiterin ankomme, flüstert sie mir zu: "Gehe mit der Geschwindigkeit der Liebe. Du bist zu schnell."
Ich habe daraufhin zwei Gänge Geschwindigkeit raus- und dafür einen Gang Andacht reingenommen. Und sofort habe ich verstanden, was sie mir damit sagen wollte. Du spürst so richtig, wenn du bewusst Geschwindigkeit rausnimmst, dem Moment Raum und Bewusstheit schenkst. Es nicht abarbeitest wie eine Einkaufsliste, sondern es wirken lässt. Umso fallen mir wieder die Leute auf, die durch die Anlage hetzen, von jedem Objekt ein Foto schießen und in den nächsten Raum hetzen.
Ich schaue mir vieles an, länger. Etwas fängt sofort meinen Blick ein.

Ein Torii, der die Vernichtung scheinbar wie unbeschadet überstand. Ich könnte eine Menge da hineninterpretieren und -philosopieren, lasse es aber stattdessen auf mich wirken.
Ich ziehe weiter, in die nächsten Räume. Es werden nun Gegenstände und Bilder ausgestellt. Ich merke, wie es auf mich wirkt. Nicht auf eine kopfliche Ebene, ich gucke mir die meisten nicht mal an. Es wirkt einfach so.
Ich sehe ein Dreirad, mir läuft es kalt den Rücken runter.

Im nächste Raum lese ich einen Brief, eine Nachricht eines Menschen an einen anderen geliebten Menschen. Meine Kehle schürt sich zu.
Daneben hängt ein Abschiedsbrief. Ich merke, wie meine Augen feucht werden.
Als letztes in der Reihe sind Ausschnitte eines Tagebuchs eines Überleben zu lesen. Es sind Nachrichten aus einem Zeitraum von über 6 Monaten. Es schaudert mich, es schüttelt mich, mir wird flau im Magen. Ich verlasse diesen Raum. Vom Schreibstil her hätte es mein Tagebuch sein können.

Nach einer Weile verlasse ich das Museum. Endlich. Die Stimmung un Energie ist unten. Langsam trudeln die anderen ein. Leaf zuerst. Sie fragt mich, wie es für mich war. Ich berichte von meinen Erfahrungen. Sie stimmt zu. Auch für sie war es "heavy". Sie berichtet. Auch anderen von uns geht es so. Wir ziehen weiter.

Die ganze Truppe geht später ins Restaurant. Die ganze Truppe? Nein! Ein von tiefer Zuneigung bevölkertes Pärchen hört nicht auf, der Gruppenzugehörigkeit Widerstand zu leisten.

Björn und Olivia sind zwei angenehme Zeitgenossen. Ein junges Paar wie Schuhe und Schnürsenkel, weiter als 30 cm können die beiden sich nicht voneinander entfernen. Ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern in der letzten Woche einen der beiden jemals alleine begegnet zu sein. Wenn ich denen überhaupt mal begegnet bin. Ich habe bisher noch nicht nachgefragt, wie lange die beiden bisher ein Paar sind. Gab ja auch nicht viele Gelegenheiten. 😅
Schade auch, wir Männer hätte auch mal gerne was mit Björn gestartet. Dann hätte er noch mehr zu erzählen, wenn sie wieder zusammenkommen. Aber gut, who am I to judge?


Das Futter auf dem heißen Blechplatz


Jeder kennt es. Du siehst etwas zum ersten Mal, bis sofort davon weggeblasen und willst es auch haben, machen oder miterleben. Du erfreust dich an dem Anblick, doch dann kommt etwas dazwischen. In manchen Kreisen wird es "der Alltag" genannt. Du nimmst dir keine Zeit dafür. Es ist nie eine Frage der Zeit, jeder Tag hat 24 Stunden. Es sind immer die Prioritäten. Und irgendwann verschwindet es wieder vom Schirm und du siehst etwas anderes zum ersten Mal.

Auch ich habe solche Sachen. Als ich das Restaurant betrete, rechne ich nicht mit dem, was als nächstes kommt. Wir gehen in den zweiten Stock, biegen nach links ab und mich trifft fast der Schlag der Freude. Wir werden direkt vor der Kochfläche sitzen. Ich freue mich wie ein kleines Kind. Zurecht. Ich denke, es wird gut. Ich werde später feststellen, dass ich mich geirrt habe. Denn es war nicht gut, es war fantastisch.

Den Japanern schwebt bei ihren Tätigkeiten viel Fokus und Achtsamkeit mit. Es wird sich auf nur eine Sache konzentriert, aber diese wird richtig gemacht. Ich unterhalte mich nur nebenbei, denn die richtige Unterhaltung habe ich direkt vor meiner Nase. Es ist die Vorführung eines chinesischen Volkszirkus. Nur mit Essen. Auf 10m². Auf japanisch.
Die beiden Köche bereiten das Essen mit gekonnten Handgriffen zu. Jeder davon sitzt und es ist ein Spaß dem Geschehen einfach nur zuzuschauen. Ich hätte der Köchin nach 30 Minuten zugucken können, wie sie mit ihrer rechten Hand ein Ei nach dem anderen auf die Tischplatte schlägt, über die Kochfläche hält und mit nur einer Hand das Ei so sauber knackt und den Inhalt verteilt, wie ich es nicht mal mit zwei Händen schaffe.

Es ist mal wieder ein gelungener Tag. Fordernd durch die Trauer, ja. Aber Trauer ist wie der Pizzarand des Lebens. Ich kann gerne auf den Rand verzichten, bei einem begrenzten Magen nehme ich lieber die fruchtige Tomatensoße und den Belag in der Mitte, statt den traurigen Rand. Aber eine Pizza gibt es nicht ohne Rand. Es hat seinen Platz. Und mit Käse ist's weitaus angenehmer. 😅😁

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