Feldtagebuch-aus-Kakuma
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Baadaye Kakuma - see you later!

Veröffentlicht: 12.04.2023


Hallo - zurück aus Deutschland!

Abenddämmerung auf der A1 in Kakuma

Hier ist es die letzten Wochen ziemlich still geworden. Das liegt unter anderem daran, dass die Zeit so gerast ist und ich neben Arbeit, Forschung und Radeln kaum eine freie Sekunde hatte. Außerdem wusste ich nicht, ob und wie ich über meine Erfahrung in der Organisation schreiben darf, wegen einiger Policies. Auch Fotografieren im Camp ist eine schwierige Angelegenheit. Aber besser spät als nie. Ich bin wieder gut in Freiburg angekommen und hier kommt ein kurzer Rückblick auf meine Zeit von Januar bis Mitte März in Kakuma und Nairobi.

Das Bild ist ein bisschen random hier, aber ich vermisse Mangos jetzt schon.

Grob kann ich sagen, dass der Fokus meiner Arbeit in den letzten 2 Monaten auf dem SDG 4 (sustainable development goal) - inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten lag. Die SDGs sind die 17 Ziele der Vereinten Nationen bis 2030 für nachhaltige Entwicklung. In den letzten Jahren habe ich mich in Freiburg mit dem Verein Weitblick e.V., der sich mit Projekten für Bildungsgerechtigkeit weltweit und vor Ort einsetzt, schon sehr diesem SDG verschrieben. Nach meinen intensiven Eindrücken der letzten Wochen erscheint es mir umso wichtiger, dass alle Menschen Zugang zu Bildung bekommen können. Und nicht nur Zugang, sondern auch qualitativ hochwertige Bildung in einem lerngerechten Setting. Gerade für Menschen, die alles aufgeben mussten und an einem anderen Ort von vorne beginnen müssen.

Camp-Impressionen
Die gelben 20l-Kanister zum Wasserholen und Aufbewahren sieht man überall. Manche Fahrrader tragen so 200 Liter oder mehr.
Die Hauptsraße in Kakuma Camp 1
Warten auf das Wasser an einer Auffüllstation
Hinter den Wellblechzäunen befinden sich die Wohnhäuser, gruppiert zu Blocks.
Die Straßen sind fast nur mit Geländewagen oder Motorrädern befahrbar - wenn der Regen kommt schneidet es oft den Zugang zu Teilen des Camps ab
Beim Lieblingsäthiopier im Camp Injera essen
Injera

Für meine Zeit in Kakuma im Januar und Februar bin ich auf den Compound der Organisation gezogen, mit der ich gearbeitet habe. Sie ist Implementierungspartnerin von UNHCR und deckt bestimmte Themenbereiche im Camp ab.
Während ich im letzten Jahr vor allem außerhalb vom Geflüchtetencamp war, hat sich das nun auf Arbeit mit und für Geflüchtete verschoben. Ich war in der HR-Abteilung und hätte niemals gedacht, dass mir ein Bürojob so viel Spaß machen kann. Allerdings hatte ich wirklich sehr viel Menschenkontakt. In 6 Wochen habe ich Tausende Telefonate geführt und so viele Gesichter gesehen. Manche Anrufer haben mich morgens um 5 geweckt, andere am Samstag Abend um 11 noch etwas wissen wollen. Es war ein Rund-um-die-Uhr-Job.

3 mal am Tag warmes Essen  - Chapati
Frühstück - süße Pfannkuchen mit Linsen und Schwarztee mit viel Milch und noch mehr Zucker
Fast alle lieben Ziegendarm/magen - nur ich nicht
Alle 3 Minuten die Druckerpatrone schütteln, damit es weiterdruckt

Ich war auch viel im Feld unterwegs und besonders spannend war die Durchführung einer Bedarfsanalyse.  Dabei haben wir mit vielen verschiedenen Menschen, für die Programme gemacht werden, Interviews geführt, um zu verstehen, wo Herausforderungen und Lücken sind und welche Lösungsideen und Bedürfnisse sie haben. Das hat unfassbar viel Spaß gemacht und ich habe sehr viele spannende, traurige und schöne Einblicke bekommen in das Leben im Geflüchtetencamp. Es ist noch ein weiter Weg, bis sie mit gleichen Chancen und Rechten leben und lernen können.

"Nur weil wir Geflüchtete sind, heißt das nicht, dass wir nicht intelligent sind. Wir haben nur nicht die gleichen Möglichkeiten!"

Zwei besondere Tage waren eine Graduierungsfeier von Geflüchteten, die über ein online-Programm ihren Bachelor an einer amerikanischen Universität machen konnten. Die Freude der Familien und der Acsolvent*innen war so immens, die Tänze und Jubelschreie unvergesslich. Die traurige Sache ist wohl aber, dass sie im Camp nicht sehr leicht einen Job finden können, der ihrem Abschluss gerecht wird. Der Status, ein Geflüchteter zu sein, ist eine sehr große Hürde im kenianischen Leben, auch wenn es von Seiten der Regierung immer wieder Reformen gibt, um Geflüchteten beispielsweise den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern.

 
Ein anderer besonderer Tag mit vielen VIPs war die Einweihung eines Mädcheninternats für Geflüchtete und Turkana von der Big Heart Foundation. Dafür kam der Scheich Sultan bin Ahmed Al Qasimi aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, es gab eine Führung durch die Schule und das Internat, Tänze und Gesänge und Gedichte von Schülerinnen. Ganz schön viel Wirbel und Aufregung für die Mädchen der Schule. EIn paar Tage zuvor hatten zwei NGOs gemeinsam mit den Schülerinnen noch 270 Bäumsetzlinge gepflanzt. Da hatten wir eine Menge Spaß und die Atmosphäre war sehr viel lockerer. Und ein paar Mädchen haben mich gefragt, wann ich wiederkomme um sie und die Bäume wiederzusehen. Sie haben gesagt, dass sie gut auf die Bäumchen aufpassen werden, damit sie ganz groß sind, bis ich wiederkomme.

Der Scheich hält ne kurze Rede, aber die Bühne heute gehört den Schülerinnen
Trommler umrahmen den Besuch des Scheichs musikalisch
Baumpflanzaktion

Meine Tage und auch oft die Wochenenden  waren so gefüllt mit Arbeit, denn auch beim Abendessen und danach erledigt man doch noch Aufgaben mit seinen Kolleg*innen, die gleichzeitig auch Mitbewohnis sind. Ich fand das Leben so sehr schön, man teilt viel miteinander und hat die Menschen um sich herum im Blick. (Das einzige Negative war, dass mich Exceltabellen auch nachts in meinen Träumen verfolgt haben. :D)  Ich habe selten Menschen gesehen, die sich mit so viel Leidenschaft und Hingabe für andere Menschen, hier vor allem für Geflüchtete, einsetzen und es hat mich zutiefst beeindruckt und angespornt. (Falls ihr Geld übrig habt und damit Projekte unterstützen möchtet, die direkt bei den Geflüchteten in Kakuma ankommen, um ihnen mehr Teilhabe zu ermöglichen, dann meldet euch gerne bei mir.)

Die Autobahn hat nicht nur neue solarbetriebene Straßenlichter, sondern auch Schilder bekommen
Durch die Straßenbeleuchtung kann auch nach Dämmerung der Verkauf entlang der Autobahn weitergehen
Kakuma Town mit der orthodoxen Kirche
Kaum Schleichwerbung
Ein Friedhof im Camp
Wellblech-Kirche

Als ich Freiburg verlassen hab, habe ich neben den Menschen mein Fahrrad (und nicht überkochte Spaghetti) am meisten vermisst. Eines Morgens saß ich um 5 im Fitnessstudio auf dem Compound, komplett verschlafen auf einem Fahrrad und auch wenn es sich nicht vorwärts bewegt hat, war das schon ganz cool, endlich mal wieder in die Pedale zu treten. Jemand hat gesehen,wie ich mich da abgerackert habe und meinte, er hat ein zweites Rad und eine Radlgruppe. So konnte ich in den letzten Wochen in jeder freien Minute Kakuma auf eine ganz andere Art entdecken. Mein Bewegungsradius zu Fuß war sehr eingeschränkt, weil ich wegen der Hitze nicht so lang in der Gegend rumlaufen konnte. Mein erster Ausflug mit der Radcrew waren 40 km durchs komplette Camp in Kakuma bis nach Kalobeyei, dem Alternativcamp. Ich habe so viele neue Orte gesehen und bin so vielen Menschen begegnet. Meine Rad-freund*innen arbeiten alle bei verschiedenen internationalen Organisationen, dem WFP und UNHCR und so habe ich auch spannende Einblicke in ihre Arbeit bekommen. Unter der Woche, wenn es die Arbeit zugelassen hat, haben wir tolle Sonnenuntergangstouren in alle Richtungen von Kakuma gemacht, Venus und Jupiter immer über uns leuchtend. Vorher dachte ich, Kakuma sei recht klein und zieht sich nur entlang der Autobahn in die Länge, doch da habe ich mich gewaltig getäuscht. Beim Radfahren haben die Kinder in den Straßen regelmäßig versucht, mich und das Fahrrad einzufangen und zu berühren und sind oft minutenlang neben und hinter mir hergerannt.

Links das neue Internat, rechts Häuser von Geflüchteten
Sonnenuntergänge jagen bei unseren Radtouren durch Turkana West -die Brücke ist Treffpunkt der Jugendlichen zum Chillen und  für Fotoshootings
Kalobeyei 20 km später, und dann wieder zurück
Bibliothek in Kalobeyei Settlement
Zwischen den Camps
Prosopis juliflora - die Dornen sind nicht nur für Radfahrende ein sehr großer Feind. Auch den Hirten macht es sehr zu schaffen, da sich ihre Ziegenherden damit verletzen können. Ich hatte mindestens 15 Flicken auf meinem Reifen am Ende und in meinem Fuß hat es meine Haut quasi verätzt, wirklich ziemlich schmerzhaft.
Mein Lieblings-Straßenverkehrsschild

Der wohl sportlichste Erfolg meines Lebens ist, dass ich den Rekord für einen Streckenabschnitt halte und bis heute alle glauben,dass ich heimlich Motorrad und nicht Fahrrad gefahren bin.  Queen of the Mountain! Seitdem versuchen meine Radlfreunde mich zu schlagen. Sie haben mir sogar eine Art Wander-Medaille aus Perlen angefertigt, die ich zurückschicken muss, sobald sie es geschafft haben!

Das Highlight unserer gemeinsamen Radzeit war eine 100km-Radtour nach Lokichoggio. Es liegt nah an der Grenze zum Südsudan und war während des Kriegs bis 2005 einziges Krankenhaus für den heutigen Südsudan und humanitäre Basis für Hilfsgüterlieferungen usw. Außerdem war in Loki auch das Aufnahmecenter für Geflüchtete, die dann nach dem Registrierugnsprozess nach Kakuma gekommen sind. Aufgrund zunehmender Sicherheitsbedenken und Unruhen in dem Gebiet, wurden alle Operationen dort eingestellt und teilweise nach Kakuma verlegt. Heute ist Loki fast eine Geisterstadt mit viel Infrastruktur, die nicht mehr genutzt wird.

Start morgens um 5.30. damit wie möglichst wenig Sonne abbekommen
Wir hatten sogar ein Support-Auto mit Bananen, kaltem Wasser und guter Laune auf der Strecke dabei
Angekommen am Airport in Lokichoggio - in der praller Sonne und mit gutem Sonnenbrand
Auf dem Rückweg wurden 5-6 Fahrräder übereinander gestapelt aufs Dach gestellt. Unsere Abfahrt hat sich verzögert, weil wir noch tanken mussten, aber es an der Tankstelle und in der ganzen Stadt Stromausfall gab. Ohne ohne Strom keine funktionierende Zapfsäule! Wir habens trotzdem noch am gleichen Tag zurück nach Kakuma geschafft.
Kleine Shops in Kakuma bei Sonnenuntergang
Das ist Venus (oder evtl. Jupiter) - die beiden Planeten konnte man jeden Abend sehen

Nur wenige Kilometer von der Autobahn entfernt, gibt es kleinere Siedlungen
Das neue Hotel etwas außerhalb von Kakuma mit einem Swimmingpool war ein schönes Ziel für eine Radtour mit einer schnellen Abkühlung zwischendurch

Nach einem sehr schwierigen Abschied in Kakuma hatte ich noch 10 Tage in Nairobi, um Abstand vom Feld zu gewinnen und mich auf den kalten Frühling in Deutschland vorzubereiten. Wenn jemand verabschiedet wird, ist es üblich, dass jede*r vor dem versammelten Team nette Worte und gute Wünsche ausspricht. Ich habe insgesamt 4 Verabschiedungen gefeiert und wurde jedes Mal mit so vielen warmen Worten überschüttet. Das ist ein schönes Ritual - aber es macht den Abschied nicht wirklich leichter.

Abschiedsparty in Kakuma - mit der Schwarzwälder Kirschtorte musste ich alle meine Gäste füttern und fast jeder hat mir eine Gabel in den Mund geschoben - dann war mein Kuchenhunger gestillt
*.*
Ich wurde von meinen Kollegen mit Kleidung der Turkana beschenkt
Ein Freund hat den Jumpsuit für mich von seiner Schwstern schneidern lassen  - sie hat ihre Schneiderei im Camp
Abschied von LOKADO
Das Flugzeug bringt mich in etwa einer Stunde von Kakuma nach Nairobi - die Landebahn von Kakuma ist nicht einmal geteert. "Es könnte ein bisschen ruckeln", sagt der Pilot lachend.

Es war sehr schön, noch Zeit mit meinen Freunden aus Nairobi zu verbringen. Aber ich brauchte die ersten paar Tage, um mich von Kakuma zu lösen. Da wurde mir erst richtig klar, was es bedeutet, in einer sogenannten Hardship-Area zu leben und zu arbeiten. Kakuma hat mich so sehr eingenommen und erfüllt und ausgefüllt, dass ich erst nach meiner Abreise merkte, wie fordernd und anstrengend die Zeit auch war.

Nairobi ist eine so lebenswerte, pulsierende Stadt, wie ich finde. Einige große Straßen grenzen direkt an den Nairobi-Nationalpark und dort sah ich im Vorbeifahren aus dem Uber-Fenster Giraffen, Zebras, Antilopen und Co.
Nairobi ist schon etwa 10-15 Grad kälter als Kakuma und vor allem am Abend habe ich gefroren, aber immer noch 25 Grad wärmer als mein erster Morgen in Deutschland bei angenehmen - 1°C


Blick von Nairobi Street Kitchen aus
Eine Wand aus alten Türen in Nairobi Street Kitchen
Abschiedsdinner in Nairobi
Maggie ist wirklich der Premium-Super-Host in Nairobi
Kurz vorm Abflug noch ein paar Moskitostiche eingesammelt
Nairobi von oben
Fahrradtour durch den Karuna-Forest inmitten Nairobi - die Oase in der Großstadt
Und Wasserfälle gibts dort auch

Die nächsten Wochen und Monate werde ich viele Stimmen aus Kakuma in meinem Ohr haben, wenn ich die Interviews transkribiere und meine Bachelorarbeit über das Camp und die Auswirkungen der Klimakrise schreibe. Ich freu mich darauf, dann zumindest in meinem Kopf noch in Kakuma sein zu dürfen und noch einmal anders in all das Erlebte eintauchen zu können. Die Klimakrise ist jetzt schon längst in Kakuma und die Menschen erleben und erfahren das mit ihrem ganzen Körper und ihrer Psyche. Die Hitze und Trockenheit, die Wasserknappheit, und die Trostlosigkeit konnten auch ich immer wieder mit meinem ganzen Körper spüren. Sie hat mich erschöpft und ausgelaugt. Aber ich war in Kakuma in einer so priviligierten Position, mit so vielen Resourcen und Unterstützungssystemen. Und mit der Möglichkeit, jederzeit gehen zu können.

Ich bin unendlich dankbar für all die Menschen, denen ich in den letzten Monaten begegnen durfte. Und auch für euch alle in Deutschland, die mich aus der Ferne begleitet haben. Danke!

See you soon

Akolong (der Turkananame wurde mir gegeben - es bedeutet sonnig)

Über Istanbul - hab fast den Anschlussflug verpasst, weil ich dank 1 Stunde Verspätung in 20 Minuten durch den halben Flughafen und Sicherheitskontrollen sprinten musste
Endlich wieder Nudeln - ich bin im Himmel (literally)
Und Stuttgart zeigt sich von seiner willkommenheißesten Seite


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