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Mein erster Tag in Indien - oder: Klimaschock statt Kulturschock

Veröffentlicht: 04.04.2017

Als der Pilot heute morgen im Landeanflug auf Chennai was von 30 Grad und 90% Luftfeuchtigkeit sagte (um 8 Uhr morgens wohlgemerkt), da wäre ich am liebsten gar nicht ausgestiegen. Dann Ewigkeiten anstehen bei der Immigration - schließlich haben sie auch MICH in ihr Land gelassen. Auf dem Weg zum Kofferband dann meine ersten 3000 Rupien vom ATM geholt (45 €) - sollte für die ersten Tage REICHEN...dann kam ich schließlich zum Kofferband, wo mein Rucksack bereits von 5 uniformierten Männern bewacht, auf dem Boden lag. Nun stand das Verlassen des Flughafensicherheitsbereichs und damit der Ansturm von Taxifahrern und Schleppern unmittelbar bevor. Ich entschied mich, noch bevor ich unter freien Himmel trat, einen Polizisten nach dem Weg zur Metro zu fragen, um bloß nicht suchend umherirren zu müssen und SO zu einem besonders interessanten Opfer zu werden. Der Polizist hatte aber offensichtlich keine Ahnung, wo es zur Metro ging - das verriet er mir aber nicht. Er erzählte mir statt dessen einen vom Pferd - und so tun es angeblich ALLE Inder, wenn sie etwas nicht wissen, weil sie ihr Gesicht nicht verlieren wollen. Zum Glück war ich auf soetwas vorbereitet und merkte schnell, dass das nicht der richtige Weg zur Metro war, und versuchte dann wenigstens zielstrebig auszusehen und nicht suchend. Das gelang mir auch, und bald ließen die Schlepper von mir ab. Inzwischen zeigten auch die 30 Grad und 90% Luftfeuchte ihre Wirkung - mein T-Shirt war klatschnass, so als wäre ich durch einen See geschwommen, und meine lange Jeanshose war auf dem besten Wege dorthin. Dazu hatte ich auf dem Flug kaum geschlafen und der Rucksack fühlte sich irgendwie viel schwerer an als 16kg...schließlich gelangte ich zur Metro-Station, wo mir ein netter junger Inder beim Ticketkauf half und mir den Weg zur richtigen Bahn erklärte, und wo ich umsteigen müsse, um zum Busbahnhof Koyambedu zu gelangen. Am Busbahnhof angekommen war dann meine Mission, den Bus nach Vellore zu finden und zu nehmen (Entfernung 150 km oder 2,5 h). Beim Überqueren des Busbahnhof-Vorplatzes bekam ich dann den ersten Vorgeschmack auf Indien, was Gerüche und Armut angeht. Aber ich war ja darauf vorbereitet, und es war gewiss nur ein kleiner Vorgeschmack. Um nicht anhalten zu müssen fragte ich einen Polizisten nach dem Bus nach Vellore. Der Polizist sagte, es sei der hinterste Terminal. Ich machte mich auf den Weg. Es waren bestimmt über hundert Busse, die in alle Richtungen fuhren - unmöglich sich da als Alien ohne fremde Hilfe zurechtzufinden. Ein Gewusel, Gestank, Lärm, Chaos...plötzlich war der Polizist wieder hinter mir - er war mir hinterhergeeilt und sagte mir nun, dass ich ihm folgen solle, da der Bus nach Vellore heute woanders abführe...er brachte mich zum richtigen Bus und ich stieg ein. Der Bus war noch fast leer. Mein Rucksack passte nicht in die Gepäckfächer und so stellte ich ihn neben mich auf dem Sitz. Der Busfahrer draußen rief ununterbrochen "Vellore" gesprochen "Wellurr"...also "Wellurr! Wellurr! Wellurr!" während sich der Bus langsam füllte in der sengenden Sonne. Nach einer gefühlten halben Stunde waren fast alle Plätze besetzt und der Bus setzte sich mit großem Hallooo und viel Gehupe in Bewegung. Und ich hatte noch gar kein Ticket. Als der Bus eine Weile fuhr, kam der streng und mürrisch wirkende Bus-Schaffner zu mir und forderte mich auf, meinen Rucksack auf den Boden mitten in den Gang zu stellen. Ich tat es, obwohl ich es unsinnig fand, denn nun versperrte er den Gang, und der Sitzplatz und auch einzelne andere Sitzplätze blieben frei. Schließlich ging der Schaffner durch den Bus und kassierte. 105 Rupien (1,5 €) für 150 km Busfahrt. Ich gab ihm meinen kleinsten Schein, 500 Rupien (7,20 €), DEN konnte er aber nicht wechseln. Er gab mir 400 zurück und sagte, den Rest gäbe er mir später. Ein paar Minuten später gab er mir nochmal 95 Rupien zurück. Eine Zeit lang versuchte ich mich damit wachzuhalten, Gerüche wahrzunehmen und zu differenzieren. Alle Fenster waren offen und der wohl 35 Grad schwül-warme Fahrtwind blies durch den Bus. Entziehen konnte man sich den Gerüchen sowieso nicht, denn dafür waren sie einfach zu intensiv in der feuchten Luft...also: Ich rieche was, was Du nicht riechst...was haben wir denn da? Feuer...Müll...Fäkalien...Schweiß...irgendwas leckeres zu essen...Yasmin von dem Yasminblütenkranz der Frau vor mir...verbrannter Müll...Verwesung...Tiergerüche...wieder was Leckeres...und immer so im Wechsel...begleitet und untermalt von handverlesener Bollywood-Musik und von einem sehr engagierten Hupkonzert des Busfahrers und der Verkehrsgegner. Dann dachte ich wieder an das Ticket...ich hatte dem Schaffner 500 gegeben. Er gab mir erst 400 zurück und dann noch mal 95. Demnach hätte das Ticket 5 Rupien gekostet (7 Cent). Das konnte nicht sein. Ich kramte das Ticket heraus, und es sollte 105 Rupien kosten. Ich dachte mir, es ist schon unverschämt genug, sich für Eineurofünfzig stundenlang durch die Gegend kutschieren zu lassen - aber für quasi umsonst?! Das geht GAR nicht. Ich gab dem Schaffner einen Hunderter zurück und dieser kam aus dem Freuen nicht mehr heraus...bedankte sich bei mir, klopfte mir auf die Schulter...das Ganze wiederholte sich noch ein paar Mal, bis wir endlich in Vellore-Downtown ankamen und er sich dann noch persönlich und sehr überschwänglich von mir verabschiedete. Ein junger mitreisender Inder versuchte mir netterweise eine Motor-Rikscha zu vermitteln. Der Preis von 150 Rupien erschien mir aber als Wucher und ich sagte, dass ich mit den Bussen der Linie 1 und 2 für nur 5 Rupien bis zu meiner Unterkunft kommen würde (etwa 7 km nach Süden). Dem konnte der Rikschafahrer nichts entgegensetzen und verlor sogleich das Interesse an mir. Ich latschte wenige hundert Meter durch die staubigen Straßen und Lehmpisten und fragte mich zur Bushaltestelle der Linie 1/2 durch. Ich fühlte mich von allen Seiten beäugt und beobachtet. Dann war ich an der richtigen Haltestellte. Wieder wurde ich von den Mitwartenden beobachtet. Der Bus kam...und ich dachte:"Nein, niemals steigst du da jetzt ein! Schon gar nicht mit dem riesen Rucksack!" Was da anhiehlt, sah aus, wie ein von Menschen überquellender Karnevalswagen. Zum Glück stiegen einige aus, und ich gab mir einen Ruck und stieg ein in dieses bunte Gefährt voller Inder. Ich fragte den Schaffner nach

Bagayam-Bus-Stop, und dieser strahlte mich mit einem offenenen und herzlichen Lächeln an:"Yes! You are right!"...und räumte mir seinen Stehplatz...schon stand ich wieder im Mittelpunkt und wurde von allen Seiten sehr neugierig beäugt, teils waren es aber auch anerkennende Blicke und freundliches Zunicken. Ein Mann verabschiedete sich sogar bei mir bevor er ausstieg.

Mit meiner Handy-App "Locus Pro" und der installierten Indien-Karte konnte ich gut verfolgen, wann der Bus nah genug an meiner Unterkunft war, um auszusteigen und die letzten Meter zu laufen. Um Punkt 15 Uhr kam ich schließlich am "Amoya Homestay" an, wo ich schon von der lieben Gastgeberin Susheela und ihrer Familie erwartet wurde. Dann kam nur noch duschen...auf's Bett legen...Eindrücke verarbeiten...auf die Dachterrasse setzten...Eindrücke verarbeiten...wieder auf's Bett...Eindrücke verarbeiten...schreiben...verarbeiten...schreiben...schreiben...

...etwas viel geworden heute, an meinem ersten Tag in Indien, aber es ist vielleicht ja auch der WICHTIGSTE Tag meiner Reise.

Ich hoffe, niemanden allzusehr gelangweilt zu haben. Namaste und gute Nacht! ;-)

P.S.: Ich habe kaum Fotos gemacht, weil es mir in vielen Situationen entweder unpassend erschien oder ich mit anderem ausgelastet war. 

Antworten (5)

Namaste

Daniela
Hi Burkhard, ich liiieebe Abenteuerurlaube. Und wenn ich nicht mit Django (meinem VW Multivan) verreise, sondern fliege, dann buche ich immer nur den Flug und mache alles andere spontan vor Ort... Da ich selbst momentan leider keine Zeit zum Reisen habe, freue ich mich schon jetzt darauf, dir hier in den nächsten Wochen literarisch folgen zu können... GN8

Arnulf
Ich finde deine Schilderungen hochinteressant und gut geschrieben und freue mich täglich über mehr 👍

Siegbert
Weiter so, mein Bruder

G.
good stuff! 👍🏼