Don Curry on Tour 2
Don Curry on Tour 2
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Don Curry träumt von Zwiebeltürmen

Veröffentlicht: 07.07.2019

Don Curry hätte fast die Überschrift gewählt "Don Curry ist verliebt". Doch schien ihm diese emotionale Extravaganz etwas überspitzt. Wobei der heutige Tag schon unglaublich vielfältige positive Gefühle hervorgerufen hat.

Das Frühstück gehörte nur bedingt dazu. Inzwischen hatte sich Don Curry fast daran gewöhnt, dass ihm Hotels ein Frühstück aufzwingen oder wenigstens zum Frühstücken nötigen, denn etwas schon Bezahltes will er ja auch nicht unbedingt verkommen lassen. Also begab sich Don Curry schicksalsergeben in den Frühstückssaal des Hotel "Tamula" und nahm zumindest etwas Rührei, Brot und frische Gurken zu sich, anschließend noch ein Stück Käsekuchen.

So konnte er gestärkt zu seiner nächsten Grenzerfahrung aufbrechen. Diese begann überraschend bereits in Voru, da die für ihn wichtige Ausfallstraße auf 2 km zur rudimentären Buckelpiste geworden war. Holprig ging es weiter, als auch ein großer Teil der kürzesten Zufahrtstrecke zum Grenzübergang sich völlig asphaltfrei zeigte.

Doch dann lag die Grenze vor ihm. Don Curry zögerte etwas, weil das Verkehrsschild an der Straße zur Grenze eindeutig bedeutete "Zufahrt verboten". Don Curry fuhr trotzdem! Nach kurzem Warten winkte ihn die estnische Zöllnerin heran, ließ ihn aussteigen und fragte, ob er den Wartebereich nicht gesehen habe? Häh? Wartebereich? Er solle umkehren, sich im Wartebereich registrieren lassen, und erst zur Grenze fahren, wenn sein Autokennzeichen an einem großen Bildschirm angezeigt wird, machte ihm die Grenzwächterin in etwas holprigen Englisch deutlich. Jede Grenze brachte jeweils ihre eigenen Schwierigkeiten mit sich. 

Don Curry wendete, entdeckte den Wartebereich, ließ sich registrieren, musste dafür 4,50 € zahlen, und sah direkt danach sein Autokennzeichen auf dem großen Bildschirm aufleuchten. Es war also ein Wartebereich ohne jedes Warten. Aber egal: Don Curry fuhr wieder zu der schon bekannten Zöllnerin. Diesmal war sie zufrieden mit ihm, kontrollierte das Auto, fragte, warum er nach Russland wolle und wünschte ihm schließlich "Have a nice trip!"

Das war Estland - nun kam Russland! Don Curry kannte ja bereits das mehrstufige Prozedere von seiner Kaliningrader Erfahrung. Er wusste, der erste Posten kommt zum Auto und verteilt einfach den Plastikstreifen. Doch hier kam der Posten nicht aus seinem gemütlichen Häuschen; Don Curry musste aussteigen, und bevor er den kostbaren Plastikstreifen erhielt, wollte der Posten zunächst ein langes Telefonat mit irgendwem führen. Ob es dabei um Don Curry ging? Keine Ahnung! Vielleicht sollte die Verzögerung auch einfach eine Machtdemonstration sein.

Bei der zweiten Station gab es diesmal keinerlei Wartezeit. Erfreut dachte Don Curry, dass er wohl richtig schnell über die Grenze komme. Aber die Abläufe hier waren zwar ähnlich wie vor Kaliningrad, aber doch etwas anders. Don Curry merkte das sofort, als er die Einreisekarte diesmal selbst ausfüllen sollte - doppelt natürlich. "Schreib! Zweimal!" hätte die gestrenge Margareta dazu gesagt. Doch hier sprach niemand deutsch. Don Curry hatte selbst zu wissen, was er zu tun habe. Nach dem Ausfüllen der Einreisekarten wurden mühsam sämtliche Daten in den Computer eingetippt, sämtliche Dokumente kopiert, und am Ende eine Einreisekarte an Don Curry zurückgegeben. Er solle weiterfahren, erlaubte die Herrin der zweiten Station.

Die dritte Station war die eigentliche Zollkontrolle. Hier lagen bereits die notwendigen Formulare zur Selbstbedienung aus, es gab sogar ein englisches "Muster" für die Nicht-Kyrillen. Don Curry hatte ausgiebig das Formular-Schreiben bei Margareta gelernt, hier konnte er sein erworbenes Wissen zielführend anwenden. Gerade war er dabei, das doppelte Exemplar auszufüllen, als eine ebenfalls strenge Zöllnerin ihn aufforderte, von der EU-Seite der Grenzabfertigung zur russischen Seite zu wechseln. Ob das etwas zu bedeuten hat? Don Curry fragte sich das nicht, er tat es einfach. Hier begann nun die klassische Kontrolle: Don Curry musste nach und nach alle Türen öffnen, die Taschenlampe kam zum Einsatz, sogar ein Spürhund war diesmal dabei; erstmals musste Don Curry sogar kurz die Reisetasche öffnen. 

Die Zöllnerin war zunächst zufrieden, verlangte dann aber die ausgefüllten Formulare. Er konnte erst eines vorweisen, weil sie ihn beim Ausfüllen des zweiten so rüde unterbrochen hatte. "Zweimal" forderte sie unmissverständlich - allerdings auf russisch. Fast wehmütig dachte Don Curry an seine schmunzel-strenge Margareta. Schließlich brachte ihm die hiesige Zöllnerin noch ein weiteres Formular, das Don Curry gar nicht kannte: es war ausschließlich in kyrillisch/russisch. Die zweite Zollerklärung hatte er bald ausgefüllt, doch mit dem kyrillischen Formular kam er nicht zurecht. Die strenge Zöllnerin rief einen jungen Mann, der gut englisch sprach. Er erklärte Don Curry, was er in jede Zeile einzutragen hatte. Und er reichte Don Curry ein weiteres Formular, das die selben Fragen noch einmal auf englisch aufwies. Natürlich reichte nicht das neue Formular, Don Curry solle gefälligst beide ausfüllen, meinte die Chef-Zöllnerin. Schließlich reicht Don Curry alle ausgefüllten Formulare an die Chefin, die sie an eine ältere Dame am Computer weiterreichte. Don Curry hatte nun Pause. Interessiert konnte er beobachten, wie die ältere Dame, der junge Mann und die Chefin intensiv seine Formulare und vor allem seinen Fahrzeugschein begutachteten. Die ältere Dame griff immer wieder zur Lupe, um die dortigen Angaben in ihren Computer übertragen zu können. Mindestens 30 Minuten stand Don Curry wartend und amüsiert beobachtend vor dem Schalter. Margareta hatte es verstanden, die Arbeit stets an ihn abzuwälzen, hier war gleich das gesamte Personal der Zollstation gebunden, um Don Currys Daten zu erfassen. Ringsum ging nichts mehr.

Endlich stempelte die ältere Dame am Computer die Formulare ab, reichte Don Curry eine Zollerklärung zurück, und die Schranke vor ihm hob sich. Bei der vierten Station gab er nur schnell den Plastikstreifen ab, wobei ihm der junge Mann dort "Gute Reise!" wünschte - in klarem Deutsch. Dann fuhr er frohgemut los und stand vor der fünften Station. Die gab es bisher noch nie! Don Curry wartete erst einmal ab, ob sich die Schranke vielleicht gleich öffnet. Doch nichts geschah. Dann war ein weiterer Wagen abgewickelt und näherte sich seiner Station. Der Fahrer stieg aus und ging um das Häuschen herum. Neugierig folgte Don Curry. Und tatsächlich: auf der entgegengesetzten Seite befand sich ein Schalter, allerdings so niedrig, dass sich Don Curry hinknien musste, um die Frau dahinter ansehen zu können. Hier war die Straßenbenutzungsgebühr für ganz Russland zu entrichten. "Carta", verlangte die Frau, und Don Curry reichte bereitwillig seine Kreditkarte, da er keine Ahnung hatte, wie viel er für die Benutzung sämtlicher russischen Straßen zu bezahlen habe. Wenn Dobrindt oder Scheuer oder ein anderer Möchtegern-Politiker der CSU das festgelegt hätten, würde das vermutlich teuer werden: denn Don Curry war hier Ausländer, und die sollen gefälligst zahlen, fordert der bayrische Stammtisch. Als Don Curry schließlich die abgebuchte Summe sah, zuckte er unwillkürlich zusammen: 150 Rubel! Das sind umgerechnet 2 €, und die ließen von der Qualität der russischen Straßen nicht allzu viel erwarten.

In dieser Erwartung sollte Don Curry nicht enttäuscht werden. Das Befahren des russischen Straßennetzes erfordert stets ein extrem aufmerksames Schlagloch-Radar und eine hohe Empathie für russische Verkehrsteilnehmer - andere gibt es hier auch nicht.

Weit fahren musste Don Curry allerdings zunächst nicht. Sein erstes Ziel lag bereits inmitten des Grenzortes Pechory. Hier steht ein uraltes Höhlenkloster, das seit Jahrhunderten von russisch-orthodoxen Mönchen belebt wird. Ihre sterblichen Überreste landen dann in ausgedehnten Höhlengängen unterhalb der Klosterkirche. Diese Begräbnishöhlen stellen die eigentliche Attraktion des Klosters dar, sie sind aber nur im Rahmen von frühzeitig angemeldeten Führungen betretbar. Dazu hatte Don Curry keine Gelegenheit gehabt, er wollte einfach den Rest des Klosters sehen; und er sollte nicht enttäuscht werden. 

"Willkommen in Russland" - Tor zum Kloster

Nur rund 2,5 km von der estnischen Grenze entfernt liegt ein Ort, der als absolut russisches Wunderland beschrieben werden kann. Urtümlich-typischer geht es wohl kaum. Hinter den mächtigen weißen Klostermauern erheben sich Kirchen und andere Gebäude von unglaublicher Pracht und vor allem Mut zu grellen Farben jenseits jeder Kitschgrenze. Das Ganze wirkt derart übertrieben, dass es schon wieder künstlerisch wertvoll wird. Und wenn dazu noch alle Besucherinnen - auch alle jungen Frauen - mit bodenlangen Röcken und vielfarbigen Kopftüchern herumlaufen, bekommt die Szenerie noch mehr Außer-Irdisches, Welt-Fernes, Abgehobenes. Religion wird hier zur Kunst, die die Grenze des Alltäglichen bewusst und nachhaltig sprengen will. Entweder man lässt sich darauf ein oder man flüchtet. Einen Mittelweg kann Don Curry nicht erkennen.

Im Kloster

Er selbst kann sich gut darauf einlassen. Ihm gefallen die knalligen Farben im direkten Nebeneinander, die sternbesetzten, nachtblauen Zwiebeltürme, die unruhigen Verehrungsgesten innerhalb der Kirchen, das Widersprüchliche von großen drängenden Pilgergruppen und individueller Religiosität. Ohne jeden Übergang, ohne sanfte Pufferzone war er mitten in Russland gelandet, in seiner Spiritualität, seiner Mystik, seinem Herzen.

Welch ein Kontrast: zwischen der strengen Formalität der Grenzabfertigung und der überbordenden, lebendigen Religiosität lagen nicht einmal 30 Minuten. Doch Don Curry spürte: das eigentliche Russland war hier. Nicht der verwaltende, alles kontrollieren wollende Staat, sondern die Kirche, die die Sehnsüchte und Wünsche der Gläubigen in farbenfroher Seligkeit vorauszauberte.

Traumhafter Zwiebelturm

Verzaubert verließ auch Don Curry diesen Ort. Dieser erste Blick in das wahre Russland hatte ihm gut getan. Es war menschlicher, aber auch ein ganzes Stück fremder, als er es bisher gedacht hatte. Dem wollte er nachspüren.

Die alte Festung

Sein nächstes Ziel wirkte dagegen sehr mitteleuropäisch: eine klassische Burganlage, eine der ältesten in Russland. Sie liegt in Stary Izborsk und sollte ursprünglich den eigenständigen Staat Pskow Richtung Westen schützen. Fast spektakulärer als die mittelalterliche Festung wirkten die pastellfarbenen Holzhäuser im Zentrum des kleinen Ortes. Hier wurde russische Lebenskultur sichtbar. Die Festung selbst mit ihren mächtigen Mauern, trutzigen Türmen und wuchtigen Wällen unterschied sich höchstens durch die orthodoxe Kirche innerhalb der Burgmauern von deutschen oder französischen Burgen. Bei den Russen schien sie allerdings sehr beliebt zu sein, was den massiven Ansturm an diesem Sonntagnachmittag erklärte.

Festungskirche

Anschließend spürte Don Curry ein wenig Leere in sich. Der sich des estnischen Frühstücks längst entledigt habende Magen sehnte sich auch nach neuen kulinarischen Abenteuern. So zog es Don Curry in die einzige Dorfgaststätte, in der er noch einen schönen Platz auf der Veranda ergatterte. Wie befürchtet gab es hier keine englische Speisekarte, aber zumindest eine englisch sprechende Kellnerin. Aus den vielen kyrillischen Buchstaben hatte er zumindest zwei Klassiker identfiziert: Borschtsch, die russische Rote-Beete-Suppe, und Kwas, das aus Schwarzbrot fermentierte Getränk ostslawischer Länder. Beides war einfach, gut und lecker, und Don Curry zahlte anschließend umgerechnet 4 € für sein Mittagsmahl.

Im Dorf

Nun ging es dem eigentlichen Ziel des heutigen Tages entgegen, der alten Stadt Pskow, die als ehemalige Hanse- und Fürstenstadt lange Zeit ein eigenes Staatsgebilde regierte. Von diesem Stolz und ihrer Blütezeit im Mittelalter zeugen noch heute unzählige Kirchen und Klöster. Eines von ihnen, das Miroschsky-Kloster bildete aufgrund seiner Lage am Stadtrand das Hors d'œuvre, die Ouvertüre des Pskowsker Kulturschatzes. Idyllisch am Ufer der mächtigen Welikaja gelegen, war es nur durch ein enges, niedriges Tor in der weißen Klostermauer zu betreten. Dahinter lag eine wohl gepflegte Garten- und Parkanlage, aus der dominierend zwei Kirchen herausragten. 

Das Miroschskij-Kloster

Die ältere Verklärungskathedrale stammt aus dem 12. Jhdt. und zeigt sich entsprechend mit recht archaischen Formen und einem recht massiven Zwiebelturm. 

Verklärungskathedrale

Ihre eigentliche Bedeutung aber eröffnet sich erst im Inneren, wo fast sämtliche Originalfresken der Erbauungszeit in unvergleichlicher Farbenpracht erhalten sind. Don Curry stockte fast der Atem, als er diese orthodoxe Sixtina betrat. Chorraum und Kuppel waren zwar wegen Restaurierungsarbeiten abgesperrt und teils verhüllt, doch der Rest der Kirche strotze nur so vor prächtigen biblischen Szenen auf blauem Grund. Erstmals bedauerte Don Curry wirklich seinen mangelnden Russischkenntnisse, weil in der Kirche gerade eine detaillierte Führung lief, die anschließend von den Teilnehmenden heftig beklatscht und gelobt wurde. Don Curry konnte nur auf seine Augen vertrauen und war dennoch höchst beglückt. 

Komplett ausgemalt

Die eigentliche Klosterkirche wirkte äußerlich zwar auch alt, bot sich im Inneren aber als reine Gebrauchskirche dar, mit den üblichen standardisierten Ikonen und reichlich Kerzenständern.

Vom Uferrand des Klosters hatte Don Curry bereits einen ersten Blick auf den Kreml von Pskow mit all seinen metallisch glänzenden Zwiebeltürmen werfen können. Schon jetzt war ihm klar: hier wartete der eigentliche Höhepunkt auf ihn. Das von ihm gebuchte Hotel "Golden Embankment" lag nicht zufällig direkt gegenüber des Kremls, und Don Curry hatte sich sogar ein Zimmer mit Kremlblick gegönnt, das 5 € mehr die Nacht kostete. 

Hotel "Golden Embankment"

Da er bereits am frühen Nachmittag im Hotel angekommen war, nutzte er die Zeit für einen ausgiebigen Rundgang durch Pskow. Vorbei an einem Dutzend mittelalterlicher Kirchen mit mindestens einem Zwiebelturm, meist auch mehreren, strebte er den Pogankin-Palast an, ein herrschaftlich-trutziger Palast, der Teil des Historischen Museums von Pskow ist. Leider steht im und am Palast gerade eine Generalrestaurierung an, so dass Don Curry direkt ins benachbarte Museum verwiesen war. 

Energisch schritt Don Curry zur Museumskasse und orderte in klarem Russisch "eine Eintrittskarte". Die ältere Kassiererin wiederholte seinen Wunsch, stellte ununterbrochen russische Fragen und begann schließlich leise zu jammern ob dieses schwierigen Besuchers. Don Curry ahnte das Problem, denn an der Kasse war eine Liste zahlreicher Eintrittskartenmöglichkeiten angegeben, je nachdem, was der Besucher sehen wollte. In ihrer wachsenden Verzweiflung rief die Kassiererin schließlich eine junge Gardrobierenfrau - natürlich hat ein russisches Museum eine Gardrobiere! -, die sofort heraneilte und Don Curry auf Englisch aufklärte, was unter den verschiedenen Eintrittskartenvarianten zu verstehen sei. Doch da es Don Curry vor allem auf die alten Pskowsker Ikonen abgesehen hatte, war das richtige Ticket schnell bestimmt. Don Curry bedankte sich bei der Dolmetscherin und reichte der Kassiererin einen 500-Rubelschein, um damit die 350 Rubel Eintrittsgeld für ausländische Museumsbesucher, die alte russische Ikonen bestaunen wollen, zu entrichten. Wieder begann die alte Kassiererin leise vor sich hin zu jammern. Zwischendurch hoffte sie kurz, dass Don Curry wie durch ein Wunder plötzlich russisch verstehen könnte, doch dann schrieb sie ergeben auf einen Zettel: "50". Don Curry verstand die Botschaft und die Kleingeldknappheit der Kassiererin, suchte 50 Rubel zusammen und erntete ein zwischen Dankbarkeit und jammervoller Unsicherheit changierendes Lächeln. 

Im Ikonen-Museum

Endlich hatte er sein Ticket in Händen, schritt 5 m weiter zur Kontrolleurin, die ihn auf eine Tür in 2 m Entfernung hinwies. Hinter der Tür wartete eine andere Dame auf ihn, die ihm zeigte, dass er blaue Plastiktüten über seine Schuhe ziehen müsse. So schlurfte Don Curry mit zahlreichen anderen Besuchern durch eine wirklich sehenswerte Ikonensammlung. Allerdings war nach dem 2. Raum auch bereits Schluss, in dem eigentlichen Pogankin-Palst wäre sicherlich deutlich mehr zu sehen gewesen. Don Curry musste also wiederkommen. Mit diesem guten Gefühl eilte er zum Ausgang, wo die jammervolle Kassiererin plötzlich auf ihn zustürmte und ihm mit einem vorsichtigem Lächeln zwei Faltblätter überreichte. "This is in english", rief aus der Gardrobiere die junge Gardrobierenfrau - und Don Curry bedankte sich bei beiden mit einer tiefen dankbaren Verbeugung. 

Inzwischen war draußen strahlender Sonnenschein. Don Curry freute sich an dieser unerwartet fotogenen Stadt, die ihm immer wieder überraschende, vor allem typisch russische Motive bot: Von der großen Lenin-Statue im Gegenlicht bis zu den vielen alten Kirchen mit ihren prächtigen Zwiebelturmspitzen. 

Eine von vielen - Mittelalterliche Kirche in Pskow

Schließlich eilte er zur großen Welikaja-Brücke direkt am Kreml. Hier mussten sich jetzt fantastische Fotografiermöglichkeiten eröffnen. Tatsächlich: der im sanften Abendlicht strahlende Kreml vor der dunklen Wolkenwand des Hintergrunds stellte ein grandioses Bilderbuch-Motiv dar. Doch bereits nach dem ersten Foto gab die Batterie der Kamera auf, und die in Don Currys Hosentasche befindliche Ersatzbatterie erwies sich als genauso leer. Also schnell zum Hotel geeilt, eine frische Batterie in den Apparat gesteckt und zurück zur Brücke. Doch diese 20 Minuten waren entscheidend gewesen. Die dunkle Wolkenwand hatte sich inzwischen vor die Sonne geschoben, das Bilderbuch-Motiv war unwiederbringlich dahin.

Der perfekte Augenblick

Leicht gefrustet kehrte Don Curry zum Hotel zurück, um sich im Hotelrestaurant "Rusakow" mit einem Abendessen zu trösten. Als er das ziemlich plüschig eingerichtete Restaurant betrat erschrak er etwas: er war der einzige Gast. Doch die nette, unkomplizierte Art der jungen Kellnerin nahm ihm bald jeglichen Vorbehalt. "Neue russische Küche" versprach die englische Übersetzung der Speisekarte, die die aufmerksame Kellnerin gleich mitgebracht hatte. Tatsächlich las sich interessant, was das Restaurant zu bieten vorgab. 

Das Bestellen erwies sich als etwas schwierig: zum einen weil die Kellnerin zwar etwas Englisch sprach, aber mit den Gerichten, die Don Curry in der englischen Karte zeigte, nichts anfangen konnte. Also identifizierte Don Curry anhand des Preises die Gerichte in der russischen Karte und erhielt bereits bei der Vorspeise die insgeheim befürchtete Auskunft: "Haben wir nicht!" Don Curry kannte diese ehemaligen Vorzeigerestaurants aus sozialistischen Zeiten mit ihren ambitionierten Speisekarten und der damit höchst inkongruenten Realität. Genau das befürchtete er hier auch. Aber er wurde unerwartet enttäuscht. Bei seiner zweiten Vorspeisenwahl gab die Kellnerin das typisch russische Zustimmungssummen von sich, und auch das Hauptgericht ging glatt durch. Als Getränke bestellte Don Curry ein russisches Doktor Faust-Bier aus einer Sankt Petersburger Kleinbrauerei mit stolzen 7,5% Alkoholgehalt und einer wunderbar würzigen Süße, begleitend ein Wasser "mit Gas", das extrem salzig schmeckte. 

Dann kam die Vorspeise. Don Curry hatte sich für auf Eschenholz geräucherten Murmansk-Kabeljau mit diversen Salaten und Wachteleiern unter einer Honig-Dill-Sauce entschieden. Das Gericht kam nicht nur optisch reizvoll präsentiert bei ihm an, es entfaltete auch ein überzeugendes Geschmacks-Bouquet. Don Curry begann zu schwelgen. Als die junge Kellnerin nach seiner Zufriedenheit fragte, konnte er nur ein kräftiges Lob aussprechen. Strahlend ging sie davon, um kurz danach den Hauptgang zu servieren: gebratenen Zander auf Zucchini-Pappardelle mit Sesam-Sahne und Karottenmarmelade, wieder ein optisches und mehr noch ein kulinarisches Kunstwerk; Aromen zum Dahinschmelzen! Das sagte er auch - in einfacherem Englisch - seiner ambitionierten Kellnerin, als sie wieder nachfragte.  


Leckerer Zander

Eigentlich hält Don Curry nichts von Desserts: zu süß, zu fett, zu überflüssig. Doch nach diesen beiden Gerichten hielt er das Restaurant für absolut desserttauglich. Seine Wahl fiel auf ein Weidenröschen - Panna Cotta mit salzigem Baiser, im Weidenkörbchen serviert und absolut "erste Sahne"! Bevor die aufmerksame Kellnerin wieder fragen konnte, gab Don Curry diesmal das uneingeschränkte Lob sofort an sie weiter. Ein unerwartet beglückender Abschluss eines beglückenden Tages. (Und die Kosten dieses genialen dreigängigen Mahles beliefen sich samt Getränken auf 20,50 €).

Da es noch recht früh am Abend war, zog es Don Curry ans Ufer der Pskowa direkt vor seinem Hotelrestaurant, mit atemberaubenden Blick auf den Kreml am Ufer gegenüber. An der Stelle, wo die Pskowa in die Welikaja einfließt liegen nicht nur beidseitig eindrucksvolle Befestigungsanlagen, hier befindet sich auch das urige Braugasthaus "903". Noch überlegte Don Curry, ob er vielleicht hier einkehren solle, als ein gewaltiger Regenschauer begann. Die einzige Fluchtmöglichkeit stellte die Außenterrasse der Bierkneipe dar, wo Don Curry einen leeren Tisch mit kyrillischer Speise- und Getränkekarte fand - und einem Druckknopf auf dem Tisch, um die Bedienung herbei zu zitieren. Die kam auch sofort, um Don Curry auf russisch, aber zugleich unmissverständlich klar zu machen, dass sie bei diesem Wetter draußen nicht bedienen würde. Er müsse also rein gehen.

Also ging er rein ins "903", bestellte ein hausgebrautes "Great Porter" und dazu einen Pskowskaya Wodka. Danach hatte sich der Regen fast gelegt, Don Curry kehrte in sein wunderbares Hotel mit Kremlblick zurück, war ein bisschen in das so ungemein positiv eindrucksvolle Russland verliebt und träumte von Zwiebeltürmen...

Lenin und Zwiebelturm


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