Published: 16.10.2018
‚Hilfe anzunehmen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Zeichen von Stärke.‘
Dienstag, 16.10.2018
Johanna und ich starten den Tag wie immer mit einem Rundgang über die Stationen und den Kreißsaal, um einen Überblick zu erhalten.
Manche Schwestern machen eine richtige Übergabe, heute hatten sie dazu keine Lust und unterhielten sich nur auf Swahili über private Dinge.
Zwei Frauen befanden sich im Kreißsaal.
Die eine stand am Beginn der Geburt, die andere scheinbar am Ende.
Sie hatte schon Pressdrang. Ich schaute in die Papiere und las, dass die Frau am Abend zuvor in den Kreißsaal gekommen war und der Arzt einen Eintrag machte, über ‚fetal distress‘ und als Plan einen Kaiserschnitt anordnete. Dieser Plan war 11h vorher erstellt worden, seitdem keine Dokumentation mehr.
Hatte sich nachts niemand um die Frau gekümmert?
Ich hörte sofort nach den Herztönen und glücklich, dass diese waren völlig normal. Die Frau bewegte sich im Bett instinktiv gut und schon 10 Minuten später wurde der Kopf sichtbar.
Kurz bevor der Kopf geboren wurde, kam der Arzt rein und schrie mich an, weshalb sie entbindet, sie soll doch einen Kaiserschnitt erhalten. Ich gab ihm zu verstehen, dass es dafür nun wirklich zu spät ist und das Kind gleich auf natürlichem Weg geboren wird.
So war es auch. Ein zartes Mädchen erblickte kurz darauf das Licht der Welt, sie schrie, hatte eine schöne Hautfarbe und alles war in Ordnung.
Im Nachhinein bin ich so froh darüber, dass wir sie vor dem unnötigen Kaiserschnitt bewahren konnten.
Danach kümmerten wir uns um die andere Frau.
Ein geplanter Kaiserschnitt wurde am Mittag noch durchgeführt, wir waren allerdings nicht mit im Op. Kurze Zeit später kommt die Schwester in den Kreißsaal gerannt, schreit und hält das Kind im Arm, welches blau ist, nicht atmet und keine Reflexe oder einen Tonus hat. Schock.
Wir halfen mir, zogen Medikamente auf, Stimulierten den kleinen Körper und starteten zu beatmen. Nach wenigen Minuten schrie er einmal zaghaft. Für die Schwester war das wieder ausreichend, um das Bett zu verlassen.
Johanna und ich beobachteten das Kind. Das Atmen fiel ihm noch sehr schwer und wir gaben ihm etwas Sauerstoff.
Nach 2 Minuten kam die Schwester zurück und schrie mich an, ich solle die Sauerstoffbrille entfernen.
Ich erklärte ihr ruhig, dass das Kind erst seit 1 Minute ankommt auf der Welt und noch die Hilfe benötigt in meinen Augen.
Sie lies nicht locker, war der Meinung auch der Arzt meinte, das Kind ist jetzt fit.
Ich erläuterte ihr, dass der Arzt sich das Kind nicht angeschaut hat und ich sehe, dass es ohne Sauerstoff Atemprobleme hat.
Erneutes Anschreien.
Ich erklärte ihr dann, dass ich es nicht abmachen werde, wenn ich doch weiß, dass es ihm gerade hilft und sie es sonst selbst tun soll, wenn sie der Meinung ist. Ich übernehme keine Verantwortung dafür.
Sie stürmte an mir vorbei, schubste mich weg, zog dem Kind die Sauerstoffbrille wütend raus.
Ich zog meine Handschuhe aus und verließ den Kreißsaal.
Ich habe nicht die Kraft dazu jedes Mal meine Hilfe anzubieten oder mit meinem Fachwissen lediglich ein bisschen zu unterstützen, wenn es dann so abgeblockt wird.
Ich will ihnen doch wirklich nichts Böses, aber es wird wahrscheinlich völlig Fehlverstanden.
Es zehrt an mir und gerade bin ich ganz froh, dass ich in drei Tagen mein Projekt hier offiziell beende und der Urlaubsteil zum wieder Kraft tanken beginnt.