Published: 08.04.2018
Nach einer viel zu kurzen Nacht geht es wieder raus aus den Federn. Eine Stadttour durch Haifa ist geplant und wir wollen noch schnell frühstücken gehen. Bei Abou Chacker (ob die was mit dem berüchtigten Clan zu tun haben bleibt unbekannt) gibt es erneut Humus mit Brot. Dieser ist nicht ganz so gut wie die letzten Tage, schmeckt aber trotzdem echt gut.
Unser Guide empfängt uns sehr munter, wobei er uns etwas mit seiner überschwänglichen guten Laune überrumpelt. Auffallend ist an seiner Erscheinung hauptsächlich ein leuchtend gelber Hut, der in der Krempe sechs Löcher hat, in die bei exzessiven Feiern Bierbecher Platz finden. Unsere Gruppe wird nun ebenfalls direkt mit „lustigen“ Hüten ausgestattet und gebeten sich zum Gruppenfoto aufzustellen. Unser Guide merkt zum Glück schnell, dass wir nicht so wirklich überzeugt von der Aktion sind. Auch ein überschwängliches „You’re in Israel now, forget about being shy!“ kann uns nicht umstimmen, woraufhin er anbietet die Hüte doch wieder einzusammeln.
Ohne nervige Kopfbedeckungen geht es nun mit dem Bus auf den Berg in der Mitte von Haifa, den Berg Karmel. Wir kommen an einer Straße an die übersetzt so viel wie „nice view“ bedeutet, was nicht gelogen ist. Uns wird ein atemberaubender Blick über die ganze Stadt und die angrenzende Bucht geboten. Hier erzählt uns der Guide die Geschichte seiner Eltern: Diese stammten aus der Nähe von St. Petersburg. Obwohl sein Vater unglaublich begabt in Mathe war und mehrere Wettbewerbe gewann, wurde er aufgrund seines jüdischen Glaubens an allen Universitäten des Landes abgelehnt. Er fasste den Entschluss nach Israel auszuwandern. Seiner damaligen Freundin machte er einen Hochzeitsantrag, der aber an die Bedingung geknüpft war, dass sie mit ihm nach Israel kommen müsse. Sie willigte ein. Der Antrag bei den Behröden das Land verlassen zu dürfen, wurde erst nach acht langen Jahren bewilligt. In dieser Zeit hatten seine Eltern keine Ahnung wie Israel wirklich aussieht, ihr einziges Fenster zu diesem Land war ein Bild mit dem Ausblick auf eine große Stadt. Täglich schauten sie morgens und abends auf das Bild und träumten davon endlich da zu sein.
Als der Antrag bewilligt wurde und sie endlich nach Israel auswandern durften, machten sie als erstes eine Tour für Neuankömmlinge. Diese Tour führte sie auch nach Haifa und an den Ort an dem wir in diesem Moment standen. Sie konnten ihren Augen kaum glauben. Das Bild, dass sie jahrelang begleitet hatte zeigte genau diesen Ausblick.
Welch eine rührende Geschichte.
Mit ein wenig Pipi in den Augen gingen wir weiter in Richtung „Bahai Gärten“. Die Religion der Bahai formierte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts und war von Anfang an eine der progressivsten Glaubensrichtungen überhaupt. Nach den Grundsätzen diesen Glaubens sind alle Menschen gleich, egal welche Herkunft, Hautfarbe oder Geschlecht sie haben. Gerade die Gleichberechtigung von Männern und Frauen war damals nicht sonderlich weit verbreitet und somit ein großer Schritt. Trotzdem hat auch diese Religion große Nachteile. Homosexualität, Transgender oder ähnliches existiert für sie nicht und wird wie eine Krankheit behandelt. Darüber hinaus verbieten sie jeglichen Drogenkonsum und lehnen Gewalt kategorisch ab, egal in welcher Situation.
Der große Garten, den sie hier errichtet haben, ist die Grabstätte des Bab und somit des Religionsstifters der Bahai. Es ist das zweitwichtigste Pilgerziel dieser Religion. Wichtiger ist nur das Grab eines weiteren Religionstifters auf der anderen Seite der Bucht in.
Die Gärten in Haifa sind atemberaubend schön, auf 19 Terrassen blühen unzählige Blumen, alles ist auf den Millimeter genau getrimmt. Jede Terasse hat dabei ihre eigene Farbe und eine ist schöner als die andere. Die ganze Anlage ist komplett symmetrisch angelegt. An den Seiten der Treppen, die durch den Garten führen, sind kleine Wasserläufe installiert. Symmetrie und Wasserplätschern sollen beruhigend auf den Besucher wirken. Ein wahrlich zauberhafter Ort, der uns alle in großes Staunen versetzt.
Diese Gärten betreten zu dürfen ist wohl nicht ganz selbstverständlich, doch unser Guide hat hier wohl mal gearbeitet, weshalb er hier problemlos Zugang hat.
Am Fuße des Gartens schlagen wir ein kleines Lager auf und unser Gruppenleiter, der sich mittlerweile auch mal seines eigenen Hutes entledigt hat, erklärt uns ein wenig über die israelische Geschichte. Vieles kennen wir bereits, doch es ist interessant seine Meinung und damit die eines Israelis zu hören.
Er persönlich findet die öfters mal stattfindenden Raketenwarnungen nicht so sonderlich schlimm. „Das meisten fängt das Militär mittlerweile sowieso ab und dann geht man halt mal für ein bis zwei Stunden in seinen „special room““. Gemeint ist der „Safe Room“, der seit der zweiten Intifada in jedem Neubau Pflicht ist. Verstärkte Türen, Wände und Fenster lassen diese Räume zu kleinen Bunkern im eigenen Haus werden und haben schon vielen Leuten das Leben gerettet.
Unser Guide ist der Meinung dass Israel deutlich sicherer als viele andere Länder ist. Die Frage „Was kann alles passieren?“ ist stets präsent und es werden alle Maßnahmen getroffen um mögliche Antworten auf diese Fragen erwidern zu können. Darüber hinaus stellt er dar, wie Israel seine Waren über das Mittelmeer bekommt und verschifft. Israel sei darüber hinaus Weltmeister im Recycling von Wasser (jeder Tropfen wird drei mal verwendet). Und er erzählt uns wie die Plattentektonik für das Entstehen des toten Meeres verantwortlich ist.
Wir ziehen weiter in das nahe liegende Templer-Viertel. Deutsche Christen kamen hier Anfang des 20. Jahrhunderts her und wollten das Land auf die baldige Ankunft des Messias vorbereiten. Frühe Israelis schafften es jedoch sie nach Australien zu vertreiben, wo sogar heute noch ein paar von ihnen zu finden sind.
Die Tour geht weiter auf einen arabischen Markt. Haifa ist bekannt als die Stadt der Koexistenz, weshalb sich hier auch immer wieder sehr viel arabische Kultur finden lässt. In einer schmalen Gasse ist ein kleiner nicht sonderlich einladend aussehender Laden in dem arabischer Kaffee und Süßes angeboten wird. Unser Guide stellt uns den Besitzer als langjährigen Freund vor. Wir dürfen den arabischen Kaffee probieren und uns wird eine Süßigkeit namens „Paradise“ gereicht. Diese wird aus Feigen, Honig, ganzen Mandeln und Pistazien gemacht. Kaffee und „Paradise“ sind so lecker, dass wir uns alle ordentlich mit Mitbringseln und ein wenig für den Eigenbedarf eindecken. Hier zeigen sich mal wieder die großen Vorteile einer Führung mit Personen die wirklich in der Stadt leben. Von uns aus wären wir wohl nie in diesen Laden gegangen.
Ein Stück die Straße runter ist ein Laden der nur arabische Süßspeisen verkauft. Riesige Türme aus Baklava und anderen Leckereien sind hier aufgebaut. Wir kaufen uns eine große Schachtel mit frischer, noch warmer Knafe. Diese besteht aus einem Fadenteig der nur so trieft vor Butter. Gebettet ist das ganze auf Ziegenkäse und übergossen wird die Speise mit Sirup. Dass das ganze mal wieder unglaublich köstlich ist, muss ich nicht dazu sagen.
Vor der Tür verabschieden wir unseren Guide, den wir alle mittlerweile mächtig gern gewonnen haben. Der Einstieg war zwar etwas skurril, doch so eine tolle Person mit derart viel Wissen und Humor kann man sich nicht besser wünschen. Er und vor allem sein gelber Hut bleiben uns auf jeden Fall in guter Erinnerung. Nachmittags spazieren wir noch ein wenig durch die Stadt. In der Nähe des Bahnhofs fallen mir vier junge Mädels besonders auf. Sie sind so etwa um die 20 Jahre alt und tragen alle die Uniformen des Militärs. Zwei haben ihre Maschinengewehre lässig über der Schulter hängen. Eine von ihnen zeigt den anderen etwas auf ihrem Handy, die ganze Gruppe ist laut am lachen. Ein skurriles Bild. Am Abend suchen wir eine Kneipe die das Werder-Spiel überträgt, dass an diesem Tag stattfinden soll. Schnell ist eine gefunden und wir können dem SVW, in der sonst sehr leeren Bar, dabei zugucken wie er die ebenfalls abstiegsbedrohten Kölner mit 3:1 schlägt. Ein geradezu perfekter Tag.