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Hier ist die Welt noch in Ordnung. Oder?

已发表: 08.06.2017

Wer als junger Mensch ins Ausland geht, den verschlägt es meist in die Metropolen dieser Welt - oder zumindest einfach ganz weit weg, nach Asien, Australien oder Südamerika. Viele meiner Freunde sind diesen Weg bereits gegangen: Erst neulich kam eine Kommilitonin von mir aus den U.S.A zurück, eine meiner besten Freundinnen ist momentan im Senegal, eine andere in Brüssel. Wer weg geht, möchte neue Erfahrungen machen, etwas von der Welt sehen, sich im Alltag fremder Kulturen heimisch fühlen. Man will den Kontrast zum eigenen Leben daheim möglichst groß halten, etwas ganz Neues sehen und sich durch das Einlassen auf eine fremde Welt weiterentwickeln. Wer jung ist, will das pralle Leben : Nigthlife, Freizeitaktivitäten und vielleicht sogar ein bisschen Meer.

Südtirol passt sicherlich nicht ganz in dieses Raster. Mit gerade mal 500.000 Einwohnern ist die Region nicht gerade das, was man sich unter "Big City Life" vorstellen würde. Bis nach Köln ist es vielleicht kein Katzensprung, aber eben auch keine Weltreise : Brixen - Köln Luftlinie:755 km! Und nicht mal eine Fremdsprache muss man können, um mit den Einheimischen ins Gespräch zu kommen: Deutsch reicht völlig aus, auch wenn der Südtiroler Dialekt ein wenig der Eingewöhnung bedarf. Alles in Allem könnte man zu Recht fragen: Was hat dich mit deinen 23 Jahren denn dorthin verschlagen? Der Kontrast zwischen einem Großstadtleben und der Provinz ist sicherlich groß. Und auch wenn Südtirol ein sehr beliebtes Reiseziel ist, so doch eher für die etwas ältere Generation. Und warum nicht an einen Ort, wo es noch "italienischer" ist, wenn es schon nicht nach Übersee gehen soll? 

 Für mich ist die Antwort - trotz diesen berechtigten Fragen - dennoch relativ klar:  An diesem besonderen Plätzchen bekommt man automatisch den Eindruck, dass die Welt "noch in Ordnung" ist - eine Oase des Friedens, der unberührten Natur und zudem ein Ausdruck des "guten Lebens" - dieser Eindruck ergibt sich zumindest für jemand, der aus einer dreckigen Stadt im Rheinland kommt, die zwar Herz, aber dafür jede Menge graue Betonbauten, zu viel Müll auf den Straßen und Uringeruch in den Unterführungen hat. Auch wenn ich meine Heimatstadt auf innigste verbunden bin - schön ist Köln nicht. Südtirol dagegen strotzt vor pittoresken Kleinstädten, gepflegt aussehenden Häuschen und einer Esskultur, die ihres gleichen sucht. Alles ist sauber, alles ist ansehnlich, sogar manche Bushaltestellen hier könnten einen Architektenpreis gewinnen. 

Auch das Haus, in dem ich für zwei Monate wohne ist Ausdruck von Wohlstand und Geschmack: Es liegt etwas abseits von Brixen, nämlich in Vahrn auf einem kleinen Berg. Ringsherum ist alles grün, ich höre nicht mehr wie in Ehrenfeld die Straßenbahn, sondern einen rauschenden Bach vorbeifließen. Vogelgezwitscher weckt mich jeden morgen, nachts hört man keine Betrunkenen an seinem Fenster vorbeigehen. Auch von innen ist das Haus ein Traum: Redakteure von "Schöner Wohnen" würden sicherlich ihre Freude haben. Der Boden ist zum Teil aus echtem Holz, zum Teil aus riesigen Steinfliesen, die offene Wohnküche ist so modern, dass ich mich erstmal 20 Minuten in die Bedienungsanleitung des Herds einlesen muss. Im Badezimmer tröpfelt das Wasser auf Wunsch auch aus Decke, die Jalousien lassen sich elektrisch hoch und runterfahren. Das Highlight ist aber ohne Frage der Balkon, der typisch für Südtirol um das ganze Haus herum verläuft. Von hier habe ich einen gigantischen Ausblick ins Tal und die umliegenden Berge.  Die Idylle ist - man kann es nicht anders sagen - kaum auszuhalten. Eine Welt wie aus dem Bilderbuch - aber ist das wirklich so? Viele Plattitüden ließen sich dazu äußern, so etwa "Wo viel Licht ist, ist auch Schatten" oder "Don´t judge a book by it´s cover". 

Den ersten Riss in der Fassade bekommt Südtirol, als ich höre, dass die Selbstmordraten hier extrem hoch ist. Davon hatte ich zwar schon vor einigen Jahren erfahren, bin aber schockiert, weil sich daran wohl kaum etwas geändert zu haben scheint. Dennis, mein Nachbar (er wohnt direkt in der Wohnung neben mir) erzählt mir davon: "Erst neulich hat sich ein Bekannter von mir das Leben genommen. Er war gerade mal 22 Jahre alt." Und dann fügt er hinzu: Sowas passiert andauernd, und da hier fast jeder jeden kennt, bekommt man es natürlich mit."  Tatsächlich: Die Region hat im italienischen Vergleich doppelt so viele Suizide wie der Rest, eine für mich auf den ersten Blick nicht nachvollziehbare Menge. Die Gründe hier für kann (noch) nicht kennen: Zu kurz ist mein Aufenthalt bisher, zu wenig habe ich mich  in die Menschen, ihre Mentalität und Lebensweise eindenken können. Meine Mutter deutete in der Zeit vor meiner Abreise  öfter an, dass die Menschen hier nicht gerne über Gefühle reden würden, eben etwas "eigenbrödlerisch" seien. Dass man hier als "rheinische Frohnatur" (für die ich sicherlich kein Paradebeispiel bin) hier allerdings heraussticht, ist mir auch schon aufgefallen. Alle sind nett und freundlich, hilfsbereit und zuvorkommend. Aber man merkt auch: Die Südtiroler bleiben gerne unter sich. So zumindest mein Eindruck nach einer Woche. Ob ich die Gründe für die Unzufriedenheit mancher Menschen hier mit dem Leben nach drei Monaten kennen werde, weiß ich nicht. Ob das Bild weitere Risse bekommt, eben so wenig. Mein Ziel dagegen kenne ich: Offen sein für alles Neue. 

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