Objavljeno: 02.10.2019
Dienstag, 01. Oktober
6:30 am. Als ich heute morgen in der Hotellobby an meinem Laptop sitze, bringt mir der Hotelangestellte schon ohne zu fragen und kommentarlos einen schwarzen Kaffee ohne Zucker. Die Leute hier sind wirklich sehr zuvorkommend. Nach unserem Frühstück stößt dann Sophia zu uns. Ich will heute mit ihr ein Community Center besuchen. Während unseres Semesters müssen wir ein Minimum an 100 Praktikastunden absolvieren und können uns dafür entweder bei einer Organisation bewerben, die uns die Uni vorschlägt, oder uns selbst einen Organisation suchen. Sophia möchte ihr Praktikum unbedingt bei einem Community Center machen und hat heute einen Termin bei einem Center ausgemacht, das Adib ihr empfohlen hat. Ich habe beschlossen, mich ihr anzuschließen. Zu Fuß laufen wir jetzt also etwa 20 Minuten nach East Amman zum Tarabot Community Center.
Fast pünktlich erreichen wir das Center, das ein wenig unscheinbar an der großen Hauptstraße liegt, versteckt zwischen Autoreifen-Shops und kleinen Supermärkten. Zwei ältere Männer, die an einem kleinen Klapptisch unten an der Einfahrt sitzen, sozusagen die Pförtner, verweisen uns nach oben. Wir sehen zwei große Gebäude und einen Hinterhof, von dessen Wand uns bunte, verspielte Graffitis anstrahlen. Es begrüßt uns eine schüchterne junge Frau, die offensichtlich nicht die Kontaktperson ist, mit der Sophia diesen Termin arrangiert hat. Sie führt uns ins Innere des Gebäudes zur Rezeption, wo uns eine weitere junge Frau und ein älterer Mann begrüßen. Alle wirken nett, aber ein wenig überfordert damit, dass wir da sind. Der Mann führt uns dann durch einen großen Raum mit einer Tischtennisplatte und bunten Bildern an den Wänden in ein Zimmer, in dem 6 Kinder an kleinen Tischen sitzen und Bilder malen, neben ihnen zwei junge Frauen. Sie scheinen überrascht, uns zu sehen, geben uns jedoch auch freundlich die Hand.
Wir merken, dass die größte Hürde gerade die Sprache ist. Niemand von den Personen, die um uns herumstehen, spricht fließend englisch. Zum Glück hat Sophia schon ein paar Arabisch-Kurse mehr gemacht als ich, und schafft es zu erklären, warum wir hier sind. Die Frauen wirken immer noch nicht, als wüssten sie über unseren Besuch Bescheid, geben sich aber beste Mühe, uns in Arabisch-Englisch-Brocken ihre Arbeit näher zu bringen. So wie wir es verstehen, kommen hier Kinder unterschiedlichster Altersklassen vor oder nach ihrer Schule vorbei und können dann verschiedenste Aktivitäten ausüben: Handarbeit, Malen, Lesen, Spielen, Puppentheater. Dabei werden sie von Mitarbeiter*innen des Community Centers betreut. Gerade jetzt sind die Kinder damit beschäftigt, eine „Happy City“ zu malen. Auch wir bekommen jetzt Papier und Wachsmalstifte und dürfen drauf losmalen.
„What’s your name?“, fragt mich der hübsche Junge gegenüber von mir, bevor ich richtig auf meinem Stuhl sitze. Auf meine Rückfrage kann er noch nicht wirklich reagieren, bekommt aber Hilfe von der Betreuerin und antwortet dann bereitwillig. Er heißt Mohammed, ist 8 Jahre alt und hat bereits ein paar Brocken englisch in der Schule gelernt. Mir fällt es schwer, mich bei den zauberhaften kleinen Wesen, die vor mir sitzen, auf mein Bild zu konzentrieren. Sie sind einfach Zucker.
Ein junger Mann mit einer Tarabot-Weste betritt den Raum und begrüßt uns freundlich. Er spricht sehr gutes englisch, und es stellt sich heraus, dass er es ist, mit dem Sophia den Termin vereinbart hat. Er kann uns nun ein wenig mehr über Tarabot erzählen und zeigt uns die Räumlichkeiten. Neben dem Raum, in dem wir gemalt haben, befindet sich die „Bibliothek“: ein heller Raum, in dem zwei Wandseiten mit Bücherregalen gefüllt sind, auf sauberem Teppichboden und vor bunten Sitzsäcken. Wirklich sehr gemütlich. Die Kinder können hier auf eigene Faust in Büchern stöbern oder bekommen daraus vorgelesen. Tarabot wurde 2015 gegründet, wie uns der Mitarbeiter erzählt, unter anderem von der königlichen Jordan Hashemite Charity Organisation, mit dem Bestreben, der Community hier etwas Gutes zu tun. Und so wie es aussieht, ist das bisher auch gelungen. In einem anderen Raum, den wir jetzt gezeigt bekommen, liegen dutzende Tablets und andere technische Geräte. Hier gibt es IT- und Englisch-Klassen. Morgens findet ein Women Café statt, in dem sich Frauen bei Kaffee und Tee über verschiedenste Themen austauschen können. Ausnahmslos alle, die möchten, können hierherkommen, und Leistungen in Anspruch nehmen, unentgeltlich. „Zusammenhalt“ ist die Bedeutung von Tarabot.
Alles hier wirkt auf mich wie eine perfekte kleine Welt, ein sicherer Hafen, in dem man Zuflucht finden kann. Es wäre wirklich ein Traum, hier ein Praktikum machen zu können. Und noch eine Motivation mehr, meine Arabischkenntnisse so schnell wie möglich zu verbessern.
Gegen 12 Uhr verlasse ich mit Sophia glückserfüllt das Gelände und mache mich auf den Weg durch Downtown, hoch zum First Circle (es gibt hier in Amman acht große Kreisel, an denen man sich orientieren kann, der erste im City Center, der achte weit außerhalb), in dessen Nähe ich mir mit Rebecca nun eine AirB&B-Wohnung anschaue, in der wir ab Freitag für ein paar Tage wohnen wollen. Lea wird dann zu uns stoßen, die gerade noch in einer Summer School in Griechenland ist, und wir müssen mit ihr noch ein paar Tage überbrücken, bis wir in unsere „richtige“ Wohnung einziehen können. Der Vermieter ist super nett, und wir super beeindruckt, als er uns auf die Dachterrasse führt: in einer unheimlich gemütlich eingerichteten Sitzecke kann man von hier aus einen beeindruckenden Blick auf Old Amman auf sich wirken lassen. Wir sind wirklich Glückskinder.
Es wartet jetzt noch das heutige Uni-Programm auf uns: zunächst arabisch, wo wir heute Zahlen & Co. lernen, dann die erste Vorlesung zu „Administration & Coordination of Humanitarian Systems“. Ich habe das Gefühl, diese Vorlesung könnte UN-lastig werden, aber abwarten. Um 8 Uhr am Abend haben wir es geschafft, und Sophia lädt uns noch in unsere Wohnung im Viertel Al Weibdeh ein. Rebecca und ich spazieren mit ihr zusammen dutzende Treppen hoch und runter, als uns in Al Weibdeh angelangt harmonische Klänge stoppen lassen. Vor einer Bank an einem öffentlichen Platz ist eine kleine Bühne aufgebaut, auf der drei Musiker sitzen und wundervolle arabische Musik spielen. Von Sheikh Imam, einem schon verstorbenen und sehr bekannten ägyptischen Musiker des letzten Jahrhunderts, wie mir eine Frau sagt, die neben mir steht. Dass er bekannt ist, merken wir: das gesamte Publikum (außer uns) kann die Lieder mitsingen. Und das Publikum ist bunt gemischt: von ganz jung bis ganz alt, männlich und weiblich, mit und ohne Hidschab. Alle im Einklang, hin und her wippend zur Musik. Meine Version einer Happy City.
Die Vokabeln:
Zusammenhalt- ترابط
plus- زائد
minus- ناقص
gleich- يساوي
richtig- مزبوط