Nordmazedonien ist das kleine, unbekannte Land auf unserer Reise. Schon bei der Vorbereitung haben wir gemerkt, dass es nur wenig Informationen zu interessanten Reisezielen zu finden gibt. Der einzige Reiseführer aus der Bücherei war mehr als zwölf Jahre alt und heißt noch Makedonien. Da den geschichtsbewussten Griechen dieser Name so gar nicht gefällt und die Makedonier gerne in die EU wollen, mussten diese ihren Landesnamen ändern um den großen EU-Nachbarn im Süden zufriedenzustellen. Aber kaum haben sie 2019 ihren neuen Namen bekommen, will der große EU-Bruder im Osten (Bulgarien) den Nordmazedoniern ihre Sprache streitig machen und blockiert somit die Aufnahme von Beitrittsgesprächen. Klingt erstmal wenig einladend, aber zumindest soviel wussten wir aus den Nachrichten von Nordmazedonien. Es zeigte sich aber leider auch recht schnell: so viel gibt es in Nordmazedonien auch nicht zu machen.
Das erste Ziel von Albanien kommend ist Ohrid am Ohridsee. Stadt und See sind immerhin UNESCO-Weltkulturerbe und deshalb von Nordmazedonienreisenden in aller Munde. Außerdem ist der Ohridsee der zweitgrößte See der Balkanhalbinsel.
In Ohrid gingen wir auf den einzigen Campingplatz mit Waschmaschine weit und breit. Terence hatte schon wieder keine sauberen Nickis mehr. Der Campingplatz liegt direkt neben den einzigen Strandhotels von Ohrid und Baden gehen heißt scheinbar auch für die meisten Nordmazedonier "Party hard". Das Strandhotel besitzt natürlich eine Strandbar, auf der bis nachts um zwei sehr laut Livemusik lief. Ich glaube selbst die Albaner am anderen Ufer haben das gehört.
Ohrid war zu 100% auf Tourismus getrimmt und falls jemand sich je gefragt hat, wo die Polen und Tschechen ihren Sommerurlaub verbingen: hier. Wir hatten dann auch schnell Schluss von dem Trubel und wollten weiter. Dafür ging es erstmal nach Norden in den Mavrovo-Nationalpark, der uns von einigen, die wir unterwegs getroffen hatten, empfohlen wurde. Um nach Norden zu gelangen gibt es aktuell nur eine Landstraße. Allerdings ist eine Autobahn mit paralleler Linienführung im Entstehen, gebaut von Chinesen. Das heißt China fliegt die eigenen Leute ein, aber die Nordmazedonier mit immerhin 20% Arbeitslosenquote gehen erstmal leer aus. Die LKW trugen chinesische Schriftzeichen, die Bauarbeiter trugen Coronamasken und große Bautafeln dankten dem chinesischen Volk. Eine dubiose Annäherung, wenn man doch eigentlich in die EU möchte.
Der Mavrovo-Nationalpark schützt ein Gebirgsmassiv und dessen natürliche Wasserläufe, also zumindest laut Selbstverständnis. Zentraler Bestandteil des Parks ist jedoch ein großer Stausee mit Wassersporteinrichtungen und weitere kleine Stauseen sind im Gebiet des Nationalparks geplant. Hier auf dem Balkan lernt man schnell, dass die Definition von Nationalpark stark von unserer mitteleuropäischen Definition abweichen kann. Aber verlässt man den Stausee und fährt in die Berge des Mavrovo ist man schnell in einer einsamen Bergwelt angekommen.
Vom Mavrovo-Nationalpark ging es zur Pilgerstätte der Nordmazedonier. Dem Ort, an dem sie ihre Identität als Nordmazedonier gründen: Kruševo. Hier erhoben sich 1903 die Bewohner gegen die osmanische Besatzung und riefen die Rebuplik Kruševo aus. Diese hatte immerhin 12 Tage Bestand bis die Osmanen den Aufstand niederschlugen. Das könnte auch an den selbstgebauten Holzkanonen der Aufständischen gelegen haben. Jedenfalls steht in Kruševo jetzt das Nationalheiligtum der Nordmazedonier, das Makedonium. Ein in Beton gegossenes, übergroßes Coronavirus.
Weiter ging es gen Südosten durch endlose Wälder und wenig Besiedlung nach Bitola, nahe an der griechischen Grenze. Entlang des Weges gab es nicht viel zu sehen. Man merkt aber deutlich den Einfluss der orthodoxen Kirche. Alle paar Kilometer war ein Kloster ausgeschildert.
Bitola ist mit 70.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Nordmazedoniens und für ihre osmanische Altstadt und die antike griechische Stadt Heraklea bekannt.
Direkt hinter Bitola ragt das Baba-Massiv steil auf 2600 Meter auf. Terence fand beim Stöbern auf IZI.travel eine gratis self-guided Offroadtour durch dieses Massiv, dass durch den Pelister-Nationalpark geschützt ist. Über ordentlich Geröll und Gestein kämpften wir uns abends auf den Berg und konnten in aller Ruhe neben einem Gletschersee auf 2200m und mit herrlichem Blick auf Bitola und gefühlt ganz Nordmazedonien übernachten.
Schaut man sich die Karte von Nordmazedonien an, sieht man, dass das Land viele leere Flecken hat. Viele Landstraßen versanden irgendwo im Gebirge oder gehen nach und nach in Feldwege mit unklarem Ende über. Dadurch gibt es viele Regionen mit abgeschiedenen Gebieten, die nur schwer zu erreichen sind. Eine Region, die in genau so einer großen Sackgasse liegt, ist Mariovo, östlich von Bitola an der Grenze zu Griechenland. Die breite und gut ausgebaute Landstraße ging nach und nach in eine schmale, kurvenreiche Nebenstraße über. Der Verkehr ließ nach und die Ortschaften wurden weniger. Bis die Ortschaften größtenteils Geisterdörfern glichen. Diese ehemals landwirtschaftlich geprägte Region, hier wurde unter anderem viel Opium angebaut, ist heute nahezu entvölkert und größtenteils von Alten bewohnt. Das liegt nicht nur an der schlechten Verkehrsanbindung als viel mehr an den Schlachten des Ersten Weltkrieges. Wir stießen hier ein wenig verwundert auf deutsche Soldatenfriedhöfe und lernten schnell, hier verlief die Salonikifront, in der sich die gesamte Entente und die Mittelmächte, hauptsächlich vertreten durch Bulgarien, gegenüberstanden. Jeweils 600.000 Soldaten standen sich auf beiden Seiten gegenüber und legten die gesamte Region in Schutt und Asche. Der Durchbruch der Entente gilt als eine der Entscheidungsschlachten des Ersten Weltkrieges. Von den Schlachten hat sich die Region nie erholt, leider, denn die Landschaft kann mit den Kimberleys in Australien mit ihren roten Felsen und zahlreichen Canyons problemlos mithalten.
Nachdem der Westen des Landes sehr bergig und grün ist, zeigte sich das Zentrum flach und trocken. Auf dem Weg nach Prilep, unserem nächsten Ziel, ging es durch eine recht langweilige Gegend, ähnlich wie Brandenburg. Arbeit für die Bevölkerung scheint es nicht wirklich zu geben, so sitzen schon vormittags viele Männer vom Dorfladen und trinken Kaffee und Bier.
Auch wenn die Fahrt nach Prilep wenig fürs Auge zu bieten hatte, die Landschaft um Prilep selbst war der Hammer. Überall liegen große Boulder wie hingewürfelt in der Gegend herum und sanftes Grün wächst über dem roten Boden. In der Mitte über allem trohnt eine alte Burg.
Prilep selbst hat nicht so viel zu bieten. Es trifft Plattenbauschick auf moderne Betonbauten und die Randbezirke sind zum Teil Sinti-und-Roma-Siedlungen.
Abends, wenn die Dämmerung einsetzt, strömen alle nach draußen. Da auch gerade Ferien sind, sind die Straßen voll mit Kindern jeden Alters. Das Kindergeschrei zieht natürlich Karl magisch an. Er lief wie ein Zombie vom Stellplatz immer wieder zur Straße. Aber das Schöne war, die einheimischen Kinder spielten mit ihm, tätschelten ihn und waren stolz, die paar Worte englisch und deutsch, die sie kannten, mit uns zu teilen. Irgendwann entdeckten sie, dass unsere Taschenlampe auch ein rotes Notfallblinkelicht hat. Jeder wollte es haben, es sich an sein Fahrad halten und Polizei spielen.
Damit war Demir Kapija dann auch abgehakt und wir begaben uns endgültig wieder auf die Reise nach Norden. Auf dem halben Weg nach Skopje liegt direkt an der Autobahn die antike makedonische Stadt Stobi, also ein perfekter Halt für. Wir schlenderten durch das sehr beeindruckende und große Ausgrabungsgelände. Selbst hier gab es von der EU gesponsert gratis Audioguides zum Download.
Skopje war dann doch eine große Überraschung. Nordmazedonien gilt laut Transparence International als eines der korruptesten Länder Europas. Nur Moldawien, die Ukraine und Russland sind korrupter. Insofern geht in dem Land einiges schief. So verwandelte das Projekt "Skopje 2014" die Stadt innerhalb weniger Jahre in die Kitschhauptstadt Europas wie Kritiker Skopje heute nennen. Ein Projekt, dass der Stadt ein barockes Antlitz geben sollte, aber laut der Oppostion im Land vorallem zur Geldwäsche der autokratischen Regierung diente. Als Resultat stehen jetzt überall in der Stadt monströse Alexander-der-Große-Statuen, die die Beziehung zu Griechenland nicht unbedingt verbesserten. Doch nicht nur Alexander und seine gesamte Sippe müssen herhalten, auch diverse andere Nationalhelden, Schriftsteller und neuzeitliche Politiker begrüßen die Gäste der Stadt in 100-Meter-Intervalen. Aber irgendwie ist die Stadt auch cool, dank der vielen Umbauten gibt es viel für das Auge zu sehen. Wenn man bedenkt, dass die Stadt bei einem verherrenden Erdbeben 1963 in Schutt und Asche gelegt wurde, ist die Umgestaltung vielleicht nicht die schlechteste Idee, auch wenn wir nicht wissen, wie Skopje nach dem Erdbeben wieder aufgebaut wurde.
Bei einer Free Tour durch Skopje lernten wir aber auch den orientalisch-türkisch geprägten Teil der Stadt kennen. Nach der Tour lud uns unser Guide Vasko noch auf einen typisch türkischen Tee in einer der zahlreichen Kneipen im Basarviertel ein und erzählte von seinem interessanten Leben. Er hat Tscheschich und Türkisch studiert und war lange Zeit als Reiseautor unterwegs. Deshalb wurde er sogar als "The Best Promoter of Macedonia" ausgezeichnet. Aber, weil er da bald keine Lust mehr drauf hatte, scheinbar weil er nicht mehr so arbeiten durfte wie er es sich vorgestellt hatte, wurde er Touristenführer. Auch er berichtete uns, wie der Verdruss über die EU wegen der ewig langen und fortschrittslosen Beitrittsverhandlungen zunimmt. So sehr, dass die EU einiges an Vertrauen verloren hat und sich die Menschen hier immer weniger ernst genommen fühlen und langsam vom Wunsch des EU-Beitritt abkehren.
Jeder in Skopje war der Meinung, dass wir unbedingt den Matka Canyon besuchen müssten, also taten wir das auch, so wie tausende Mazedonier. Am Fuße des Staudamms herrschte Partystimmung und es galt wieder die Regel, machen und machen lassen. Überall wurde gegrillt, laut Musik gespielt und gebadet. Kinder tanzten auf Autodächern und ein Vater schockte seine Tochter aus Spaß mit einem Elektroschocker. Das ist alles kein Problem hier und keiner beschwerte sich bei seinem Nachbarn.
Das wars dann leider auch schon von Nordmazedonien.