Whakaputaina: 16.01.2022
Wir liegen mit der Amaryllis in der Freeman’s Bay vor Anker. Um an Land, also in English Harbour, zu kommen bläst Chris gleich am ersten Tag sein Dinghy auf und stattet es mit einem Motor aus. English Harbour ist relativ klein, umgeben von Mangroven und dadurch ganz ruhig. Die Gebäude sind im kolonialen Stil erhalten - gelblicher Backstein und dunkelblaue Ziegel. Der Bereich um den Hafen wird Nelson‘s Dockyard genannt und ist vom Rest der Insel ein gesonderter Bereich, in dem außer der weißen Segelcommunity lediglich Hafenarbeiter:innen unterwegs sind. Man erkennt meist schon an der Hautfarbe, wer hier Gast und wer Auftragnehmer für Reparaturarbeiten ist. Auf dem ganzen Areal gibt es ein Restaurant, ein Café, eine Bar, eine Werkstatt und ein paar Verwaltungsgebäude sowie viele Palmen, Rasen und Büsche. Sonst liegen im Hafen einige große Segelschiffe. Im sicheren Abstand der anderen außerdem ein paar Superyachten, wie Chris sie nennt.
Nelson‘s Dockyard ist für uns das Tor zur Welt. Bei allen Gängen um Wäsche waschen zu lassen, die Gasflaschen zu wechseln, einzukaufen, und für mich, um auf der Terrasse des Supermarktes das freie WiFi zu nutzen, durchschreiten wir dieses idyllische Segeldorf.
Da Chris und ich nur ein Dinghy haben, bedarf es meist guter Planung, sodass wir Wege vom Boot an Land gemeinsam machen die können. Chris ist dabei sehr entgegenkommend, aber da ich ihm auch nicht zu sehr zur Last fallen möchte, kommt es auch das ein oder andere Mal vor, dass ich mit einem Drybag zurück zum Boot schwimme. Nachdem wir eines Abends zum Essen und Trinken auf der Salina bei Mark und Marie viele, sehr große Fische um uns herumgaunern sehe, schwimme ich allerdings nur noch bei Tageslicht durch die Bucht.
An der Grenze vom Dockyard zur Außenwelt gibt es einen offenen Marktbereich, eine Bank und eine Schranke an dem jedes Mal Temperatur beim Durchschreiten gemessen wird. Dahinter eröffnet sich eine Straße die gesäumt von vielen lokalen Restaurants, Bars und kleinen Lädchen gesäumt ist. Es gibt auch einen Sportplatz, auf dem bei ab Einbruch der Dunkelheit Jugendliche Fußball spielen. Leider finde ist das erst spät heraus, sodass ich nicht in die Gunst komme mit ihnen zu spielen. Es gibt außerdem eine Art BlackcommunityClub, an dem ich ständig vorbeikomme. An dessen Fassade sind Schilder angebracht worden, die weiße Investoren nicht grade willkommen heißen. Ich fühl mich nicht direkt angesprochen, aber fühle mich schon gleich unwohler in der SailingBubble.
Eine Tatsache, die mich auf meiner Reise begleitet, ist, dass ich nach einem versuchten Betrug auf BlaBlaCar noch in Spanien meine Kreditkarte gesperrt habe. Nun stellt sich in Antigua heraus, dass auch meine Girokarte nicht mehr funktioniert, sodass ich, ganz davon abhängig bin, dass Chris mir Geld gibt. Er lässt sich darauf ein und ich paypale es ihm direkt. Eine Lösung, die nur funktioniert, weil Chris mir vertraut.
Die ersten Momente des Tages nutze ich meistens für einen ausgiebigen Schwimm mit Flossen aus der Bucht heraus. Die Toilette auf dem Boot möchte ich nicht nutzen, weil sie sofort alles ins Meer weiterbefördert. Bei einer morgendlichen Tour entdecke ich einen Rochen. Ich bin gleich wieder im Ehrfurchtsmodus und da der Rochen auch nicht abhaut, sondern auf mich zu, hau ich lieber ab. Außerdem entdecke ich in der Bucht ein Wrack, viele Bunte Fische und eine große Schildkröte. Es ist schön so paradiesisch umgeben zu sein und ich feiere den Anchoring-Style schon sehr. Man kann einfach an besondere, abgelegene Orte kommen und dort bleiben solange man will. Und so lange kein Hurricane kommt.
In den ersten Tagen wird das Boot intensiv von außen und innen geputzt. Außerdem darf ich den Radarverstärker an einem der Spreader am Mast anbringen und die Mastlichter reparieren. Dafür werd ich von Chris gesichert und klettere mittels einer Zwei-Schlaufen-Technik den Mast hinauf. Das macht Spaß auch wenn meine Beine sich nach über einer halben Stunde Gefummel am Draht, im Gurt hängend, doch etwas abgeschnürt anfühlen. Ich mache auch ein paar Fotos, die ich gleich in meine digitale Crewmember-Mappe stecken kann, um für mich um künftige Mitsegelgelegenheiten zu werben. Besonders nach dem Chris aufzählt, was ich bisher alles gemacht habe, fühle ich mich motiviert bald eine Weiterfahrt zu finden.
Bisher habe ich die umliegenden Boote nur aus der Ferne beäugt oder die Menschen mit einem Winken begrüßt. Verheißungsvoll - jedes dieser Boote hat das Potenzial Mick weiterzubringen. Oder keines. Ich starte diesen Tag also statt meiner Morgenroutine im Wasser und am Strand mit einer Ruderaktion und klappere alle Boote in der Freeman’s Bay ab. Ich erkläre knapp meine Situation und frage, möglichst wenig fordernd, ob die Person in Richtung Süden (Grenada wäre super) oder direkt nach Kolumbien oder Panama fährt.
Der kanadische Curtis lädt mich zwar auf ein Bier ein, doch leider fährt er nur nach St. Martin. Es ist eine Insel weiter im Norden, also falsche Richtung. Was ich vermeiden möchte, ist von Insel zu Insel zu hoppeln, jedes Mal neue Corona-Bestimmungen zu erfüllen, und wieder darauf zu warten weiter in die richtige Richtung zu kommen.
Der australische Tim sitzt in seinem Cockpit am Laptop. Er nimmt sich dennoch kurz Zeit. Er bleibt hier, kennt niemanden, aber nimmt meine Kontaktdaten, falls sich das ändern sollte. Der amerikanische Tim kommt gerade erst ans Tageslicht und ist ganz interessiert. Auch er bleibt in Antigua, doch ist am Freitag auf eine Cocktailparty eingeladen und nimmt es sich nun als Mission vor für mich herumzufragen. Er macht noch ein Foto, wie ich unter ihn im Schlauchboot hock, damit die Leute wüssten, was sie da kauften. Es ist fühlt sich unterstützend an, jetzt einen Agenten zu haben. Ich bin etwas, aber nicht allzu hoffnungsvoll und rudere wieder davon. Jetzt endlich wieder ins Game einzusteigen und etwas für meine Weiterfahrt zu tun fühlt sich gut an. Zurück auf der Amaryllis schreibe ich einen ersten Aushang, den ich in der Bar in English Harbour aushängen möchte. Außerdem bastele ich mir ein paar Visitenkarten, um den Menschen nicht immer einen abgerissenen Schnipsel aus meinem Notizbuch aushändigen zu müssen.
Ausgestattet schippere ich also am Nachmittag zum English Harbour. Ich gehe erst zur Galley Bar und hinterlasse an einem Balken zur Terrasse meinen Aushang. Dann beginne ich die großen Segelyachten abzuklappern. Es sind fast alle Yachten der Marke Oyster und starten am Sonntag gemeinsam auf eine Worldrally, die ein Jahr gehen wird, wie ich gleich zu Beginn in Erfahrung bringe. Nächster Treffpunkt sei Panama im Februar. Viele werden wohl davor in Cartagena, Kolumbien halten, weil dort die die Regelungen momentan scheinbar besonders leicht sind. Ich bin also ganz motiviert und klappere ein Boot nach dem anderen ab. Nicht bei allen ist jemand auf Deck, sodass ich einige überspringe und mir für später merke. Nach einer Stunde, hab ich zwar einige nette Gespräche und viel Glück gewünscht bekommen, allerdings noch nicht die Crew, die mich mitnehmen will. Ein Ire, James, nimmt meine Nummer und meint, er frage den Eigner, der wohl selber nicht in Antigua ist. Das ist doch schon mal was! Als Pause hole ich mir an der Bar ein Bier und genieße das Getränk halb und fühle mich halb wie ein Geier, der vor den Booten auf sein nächstes Opfer wartet.
Dann schlendere ich nochmal eine Runde um die rund 20 Boote. Das einzig deutsch Beflaggte wird in diesem Moment von einem jungen Mann in meinem Alter betreten. Wir grüßen uns und er ist direkt ganz angefixt, weil ich auch deutsch spreche. Als er von meiner Mission erfährt, wird er ganz aufgeregt. Er kenne ein Boot, dass morgen nach Grenada fahre und ganz spontan Crew brauche. Aufgescheucht akquiriert Joshua auch seinen Freund Max. Er ist es, auf dessen Eltern Boot die beiden mit noch einem dritten Freund bis nach Australien fahren werden. Jetzt haben sie allerdings erstmal eine andere Mission und fragen verschiedene Menschen nach dem Kontakt des suchenden Bootes. Das Boot selber ist nämlich gerade nicht da und Donna, die Dame die Joshua davon erzählte, ist gerade auch ausgelaufen. So dackele ich den beiden hinterher, halte mich erstmal bedeckt und warte auf den Moment, dass ich selbst als Subjekt in Erscheinung treten kann. Bisher fühl ich mich eher wie Ware, die eifrig an den Mann oder die Frau gebracht werden will. Dennoch bin ich ihnen voll dankbar und werde selber schon etwas aufgeregt. Dann legt Donnas doch Schiff an. Inzwischen ist die Sonne untergegangen. Sie erfährt direkt von mir ist nun auch im Aktionsmodus. Das Fenster scheint sich baldigst zu schließen. Sie nimmt meine Nummer und verspricht mir sofort Bescheid zu geben, sobald sie von den Suchenden Rückmeldung hat.
Dann stürzt eine Frau auf dem Weg auf Deck ins Wasser. Alle schreien auf. Doch sie ist unverletzt und nur nass. Die ganze Oyster-Community scheint gerade da zu sein. Joshua verrät mir, wie viel getratscht werde, wer mit wem was habe, wer joggen gehe und wer immer als letztes an der Bar versacke. Auch werde wohl jeden Abend in einem Kreis von heroischen Eroberern gelesen und zeremoniell ein Glas Rum getrunken. Es ist wirklich wie in einem sektenhafte Dorfgemeinschaft voller reicher, konsumfreudiger Menschen. Ich fühl mich nicht sonderlich davon angezogen, auch wenn die Vorstellung auf einem großen, luxuriösen Segelboot nach Kolumbien zu schippern schon sehr nett ist.
Am Abend mache ich mich auf den Weg zurück. Es tönt laute 80er Musik aus der Amaryllis und Chris sitzt ganz berührt am Chart table. Er hat sich etwas Rum genehmigt und ist ganz aus dem Häuschen, als ich ihm meine Möglichkeiten schildere. Eine Oyster ist wohl der heimliche Traum eines jeden Seglers. Ich versuche den Ball flach zu halten und tatsächlich kommt noch am Abend die Rückmeldung von Donna, dass die Suchenden scheinbar bereits fündig wurden. Das muss jedoch noch durch einen Corona-Test verifiziert werden und so bin ich erstmal auf Standby. Der Abend wird von Chris und mir noch mit einem gemeinsamen Essen und nostalgischem Schwelgen über unsere gemeinsam Fahrt beendet. Dann falle ich todmüde ins Bett. Ein paar hoffnungsvolle Phantasien schwirren noch in meinem Kopf, bis dieser in den Ruhemodus wechselt.
Am nächsten Tag bin ich nach meiner Morgenrunde im Wasser und strecken am Strand, bis zum späten Nachmittag mit dem resümieren unserer Atlantiküberquerung für den Blog beschäftigt und sitze mir dabei im sonnigen Cockpit den Arsch platt. Chris geht auf Erkundungstour. Wir sprechen schon seit Tagen davon eigentlich wandern gehen zu wollen und die Insel zu entdecken. Er ist ganz begeistert, als er wieder kommt und beschreibt den Weg hoch auf Shirley Heights, dem zweithöchsten Punkt Antiguas. Da ich fast fertig bin und die Sonne bald untergeht, stürze ich mich mit einem Drybag ins Wasser und laufe den kleinen Pfad durchs Gestrüpp entlang der Küste hoch zu den Klippen. Es tut so gut durch Natur zu laufen und einfach durchs Füße voreinander Setzen voran zu kommen. Alleine zu wandern ist schön und ich genieße den Anblick der Büsche, Kakteen, der Klippen herunter in den Atlantik und der sich dem Horizont neigende Sonne. Dann fang ich mir einen Dorn im Fuß ein und beende meine Tour vorzeitig, auf Shirley Heights verzichtend.
Da Antigua nur einen Durchmesser von etwa 25 km hat, lässt sich die Insel wohl sehr gut mit dem Bus erkunden. Feste Fahrzeiten gibt es nicht, alle Nase lang kommt aber einer der Minivans asiatischer Marke, die mit 5 Sitzreihen ausgestattet ist. Die Fahrt kostet 3,75 Ostkaribische Dollar, also etwa einen Euro und wird am Ende bezahlt. Ich laufe also zur Haltestelle oder wo ich denke, dass sie sein könnte und treffe dort das amerikanische Pärchen Jeremy und Nicole. Ich komme direkt mit ihnen ins Gespräch und sie erzählen von ihrer Freundin Kim, die auch wenige Stationen später gemeinsam mit Bruce einsteigt. Kim wird mir als „genau die richtige“ vorgestellt. Sie zückt sofort ihren Stift, schreibt mir ein paar Facebook-Gruppen und ihre Nummer auf. Kim organisiere Crewing und Boote. Da sie gut vernetzt sei, meint sie, sie frage herum und melde sich auf jeden Fall bei mir. In Saint John‘s angekommen, werde ich eingeladen mit ihnen durch die Stadt zu bummeln. Ich willige erstmal ein, aber merke beim zweiten Wartemoment, als irgendjemand etwas in einem Laden kaufen will, dass ich eigentlich alleine die Stadt erkunden möchte. Also verabschiede ich mich von den Vieren mit der Eventualität sich am Abend wieder zu sehen. Jeremy trete dann gegen Kim im Margarita-Testing auf Bruce‘s Boot an und ich bin auch eingeladen. Weil ich das für eine gute Möglichkeit halte abzuklopfen, ob einer der Anwesenden für meine Weiterreise taugt, beschließe ich jetzt schonmal für mich später hinzugehen.
Jetzt aber erstmal St. John’s. Die Stadt ist nicht groß, aber es ist Samstag und Markt, wodurch ein reges Treiben herrscht und von Shampoo, über Klamotten bis hin zu Gemüse und Fisch alles zu haben ist. Da in Antigua fast 90% der Menschen afrikanischer Herkunft sind, fühlt es sich auch eher an, als wäre ich in einem afrikanischen Städtchen mit karibischen Fler. Ich mag es, wie gehandelt und angeboten wird. Da ich das einzige Weißbrot bin ziehe ich viele Blicke auf mich. Diese sind ganz neugierig und freundlich, sodass ich viele kurze Interaktionen habe. Dann fahre ich an der zentralen Bushaltestelle, wo alle Busse losfahren, sobald sie voll sind, eine halbe Stunde zum Jolly Harbour. Im Bus sind die Fenster auf und der Wind bläst hinein. Immer wieder steigen Menschen an unmarkierten Punkten ein und aus und ich male mir immer aus, was die neu eingestiegenen wohl so in ihrem Leben machen könnten. Die Landschaft im inneren des Landes ist satt grün und hügelig. Dann kommen wir an. Es ist gerade die Mittagszeit, in der sowieso immer wenig los ist. Dennoch kann ich einige Menschen fragen. Ich hab in Kürze den ganzen Hafen mit seinen 5 Pontoons abgeklappert und tatsächlich sind fast nur Charteryachten unterwegs. Also Menschen die für ein, zwei Wochen Urlaub herfliegen und um die Insel cruisen. Also nichts wie weg. Ich hab Hunger und um 5pm will ich zurück sein um zum Margarita-Testing da zu sein. Über St. John’s geht es zurück. Zufällig steigt Kim wieder ein und wir schwatzen ein bisschen. Es wird auch gleich sehr persönlich. Sie scheint um jeden Preis anderen helfen zu wollen und sich selbst öfter mal zu vergessen. Naja…ich hoffe ja selbst davon zu profitieren, aber sie löst auch etwas Sorge in mir aus.
Wir verabreden uns für 10 vor 5 am Dinghy Dock in FalmouthHarbour. Ich steige am Supermarkt aus, um noch kurz was zu essen und den Blog hochzuladen, was bisher nicht geklappt hat. Dann bin ich natürlich etwas spät dran, aber Kim kommt extra nochmal mit einem Freund, um mich abzuholen.
Auf Bruces Boot erwartet mich eine Runde ausgelassener Amerikaner:innen zwischen 40 und 75. Sie sitzen im geräumigen Cockpit. Ich werde enthusiastisch von Kim vorgestellt, aber verschwinde erstmal kurz runter zu Bruce und Jeremy, die gerade dabei sind die nächste Runde Margarita zu mixen. Ich hab auf dem Markt zwei gigantische Avocados erstanden und opfere eine für eine Schale Guacamole. Da die zuvor zubereitete bereits alle war, werd ich als Held gefeiert, was ich versuche nüchtern zu nehmen. Der Abend verläuft ganz leicht, mit vielen Fragen und freundlichen Gesprächen. Ich glaub ich war noch nie in einer Runde Amis. Es ist sehr unterhaltsam und es wird ohne Ende geplappert. Und natürlich ist alles ganz „amazing“. Bruce bietet mir an mit ihm in zwei Tagen auf die Amerikanische Jungferninsel Saint Thomas zu fahren. Ich muss das erstmal recherchieren und halte mir die Option offen. Ich bin jedenfalls ganz überrascht und dankbar von und über sein Angebot.
Jeremy gewinnt nach einer geheimen Abstimmung den Wettbewerb und Kim ist sichtlich enttäuscht. Dann löst sich die Runde langsam und ich werde mit Kim, Jeremy und Nicole von Bruce wieder zum Hafen gebracht. Es kommt der Impuls noch mit in den Yachtclub von Falmouth Harbour zu gehen. Ich schaue auf die Uhr und es gerade mal 20.00 Uhr. Ich schließe mich also an und hoffe auf Musik. Der Club ist mehr eine Mischung aus Restaurant und Bar mit offener Front und sehr leger. Und in der Tat gibt es heute einen DJ, der von Elektrosounds über 90er und 00er alles an Partymusik spielt. Nachdem Kim und ich die Tanzfläche eröffnet haben, tummeln sich irgendwann gross und klein, jung und alt darauf. Ganz verschwitzt verlasse das Etablissement erst drei Stunden später und lasse mich von Chris in English Harbour abholen.
Der Sonntag Vormittag wird zur Recherche genutzt, während die Oysters ganz feierlich mit karibisch inszeniertem Tanz und Musik vor meinen Augen auslaufen. Nun schaltet sich auch Chris wieder mit ein und meint, dass die Winde es nahelegten, dass von dem Staaten im Norden die Menschen zu den Virgin Islands fahren, um von dort direkt nach Panama überzusetzen, statt erst in den Süden der Antillen zu cruisen. Auch der Flug von Saint Thomas nach Kolumbien ist mit 120€ erschwinglicher, falls es dort Mitfahrmäßig nicht besser sein sollte. Ich beantrage direkt ein Waver Visa und erfrage bei Kim die Nummer von Bruce. Sie lässt ganz schön warten mit ihrer Antwort, und morgen soll es ja schon losgehen. (Das timing ist sonst aber richtig gut, weil am Montag auch Reda, Chris‘ Partnerin aus Litauen kommt und ich bis dahin wirklich gerne das Feld Räumen würde - auch wenn ich noch länger bleiben dürfte).
Statt herumzusitzen und zu warten, laufe ich am Nachmittag hinauf zu Shirley Heights, da dort ein Konzert stattfinden soll. Dieses Mal mit Schuh und ohne Dorn genieße ich den Weg bis ganz hinauf. Zwischendrin bade ich noch zwischen den Klippen in einem kleinen Pool. Oben erwartet mich eine lange Schlange an Menschen, aber ich finde einen kleinen Schleichweg und bin auf dem Gelände. Es gibt lauter gegrilltes zu essen und alle Laufen mit Bändchen herum. Ich bin also nicht ganz zugehörig, aber das wusste ich ja schon vorher. Mit meinen letzten 6$ kaufe ich mir einen Maiskolben.
Gefühlt treffe ich hier oben die halbe Partygemeinschaft der letzten Nacht und auch Kim laufe ich über den Weg. Sie habe mir bereits geantwortet, sodass ich mich schnell wieder nach unten mache, um Bruce zu erreichen. Das klappt zum Glück und so sind wir am nächsten morgen um 8.00 Uhr mit Chris am Immigration Office verabredet. Beide Kapitäne müssen anwendend sein, wenn eine Crew-Person auf ein anderes Boot überschrieben wird. Kim werde auch da sein, weil sie spontan mitkomme.
Die letzte Nacht ist kürzer, da alles spät wird und ich meine ausgestreuten Habseligkeiten wieder im Rucksack verstaue. Es ist ein gutes Gefühl, als ich am kommenden Morgen mit Chris ins Dinghy steige und weiß: ich hab alles dabei und komme nicht wieder zurück. Es geht weiter!
Die Begegnung von Chris und Bruce ist witzig zu beobachten. Chris übergibt mich wie einen treuen Hund. Ich sehe wie unterschiedlich die beiden sind und doch verstehen sie sich ganz prächtig. Nach dem Verwaltungsakt frühstücken wir gemeinsam, da die COVID-Teststation noch keine Tests hat und ich noch einen brauche bevor wir losfahren. Bruce ist ganz cool und spendabel und lädt uns erst aufs Frühstück und mich dann auf den 100 USD antigen-test ein. Ich sei immerhin seine Crew.
Die Verabschiedung von Chris ist knapp aber ganz herzlich mit einer Umarmung. Außerdem schenkt er mir sein „Pass the Pigs“-Spiel, womit wir uns so manchen Nachmittag versüßt haben. Das finde ich groß, und freue mich. Das Spiel ist ein richtiges Zockerspiel und sehr witzig. Dann endet die Amaryllis-Ära und ich fahre mit Bruce zu seiner Lilipad. Das 50 Fuß lange Boot ist moderner und geräumiger als die gute Amaryllis. Kim ist auch da, hat sich jetzt aber doch wieder dagegen entschieden mitzukommen. Sie scheint ganz verwirrt darüber, wohin mit ihr, und ist aufgelöst, weil sie sich mit ihrer ganzen Mühe das Boot herzurichten von Bruce nicht gesehen fühle. Bruce ist nochmal unterwegs und als er wiederkommt, wird Kim direkt von ihren Freunden abgeholt, wo sie als nächstes Schlafen wird. Sie denkt wir sehen uns gleich nochmal und so verabschieden wir uns nicht. Bruce möchte dann aber direkt los, also wird das wohl nichts.
Bruce und ich füllen die Wasser und Dieseltanks auf und stechen in See. Ich fühle mic dieses Mal schon ganz kompetent als Crew, weiß welche Seile ich wann und wo losmache, befestige und zusammenlege. Bruce ist ganz beeindruckt und der Dank geht an Chris meinen Lehrer. Auf dem Meer hab ich wieder ein ganz freies Gefühl, geniesse die frische Luft, die Sonne und endlich weiter zu reisen.
Am restlichen Tag fahren wir an vielen Inseln vorbei. Jedes Mal wenn eine Insel droht außer Sicht zu geraten erscheint schon die nächste. Das macht diese Reise sehr kurzweilig und ich fühle mich weniger der Weite des Ozeans ausgesetzt als das zuletzt der Fall war. Bruce nimmt sich vor 30 Stunden zu brauchen. Wir haben das Segel auch mehr unterstützend ausgefahren und lassen uns mehr mittels verbrannten Diesel antreiben.
Bruce ist wirklich easy going und wir chillen bis ich mich zum Kochen in die geräumige Küche begebe. Es gibt einen Gemüse-Kartoffel-Auflauf und Bruce ist froh, dass er nicht wieder das gleiche Restaurant-Gericht wie immer aufgetischt bekommt. Er selbst kocht nie, aber grillt leidenschaftlich. Wir unterhalten uns bis spät in den Abend über freien Markt versus Sozialstaatlichkeit und einigen uns darauf, dass es bisher kein System gibt, in dem alle glücklich sind.
Dann begebe ich mich bis 1.00 Uhr ins Bett und hab meine Schicht bis um 5.00 Uhr. Ich erwache mit etwas Halsschmerz und hoffe, dass es sich bald wieder legt. In der Nacht gibt es so manchen Schiffsverkehr, sodass ich die ganze Zeit gut beschäftigt damit bin zu beobachten und den Kurs anzupassen.
Wir wechseln uns bis 13.00 Uhr am nächsten Tag mit schlafen und watchkeeping ab. Bevor wir um 17.00 Uhr in einer großen Bucht in Saint Thomas eintrudeln und uns Ankernd ein freies Plätzchen suchen, sprechen wir nochmal über die Situation. Ich fühle mich ganz schön schlapp (wozu auch der wenige Schlaf und die Starke Sonne beiträgt) und auch Bruce hat Mühe frei zu atmen. Wir hoffen, dass es kein Corona ist und wir am Ende die nächsten zwei Wochen gemeinsam auf Lilipad verbringen müssen. Fieber haben wir keines, aber ich hab auch schon eine Ibu genommen. Ich schaue nach airbnbs und Hostels auf Saint Thomas und stelle fest, dass ich außer einem Bett in einer Wohnung überall mind. 90$ die Nacht zahle. Die Möglichkeit einfach einen Flug zu nehmen und da zu sein, wo ich eigentlich hinmöchte, erscheint mir immer attraktiver.
Nach unserer Ankunft in der Bucht schaue ich mich vom Boot aus um. An Land dürfen wir erst, wenn wir zur Anmeldung bei der US Costums and Border Protection gehen, was erst wieder nächsten Tag möglich ist. Saint Thomas sieht von der Vegetation ähnlich grün und auch hügelig wie Antigua aus. Nur schreckt mich die große Straße und der Lärm direkt am Hafenbecken ab. Viele große Vans und Trucks brummen und qualmen vorbei. Welcome to America!
Nach viel Schlaf und einer weiteren Pille fühle ich am morgen ausreichend salonfähig, um mit Bruce im Gebäude der US CBP zu erscheinen. Officer Thomas empfängt uns mit ernster Miene. Auf mein vorgezeigtes Visa reagiert er mit Skepsis und muss seinen Supervisor konsultieren. Es stellt sich heraus, dass ich auf einem offiziellen Schiff, einer Fähre, einem Crewschiff oder einem Kreuzer hätte einreisen müssen und nun sozusagen illegal eingewandert bin. Als Möglichkeit werden mir zwei Alternativen zu Wahl gestellt. Entweder mein Visaantrag wird gecancelt, ich gehe zur Botschaft und hoffe, da ein noch Visa genehmigt zu bekommen. Officer Thomas betont, dass es sein kann, dass es schwierig wird und ich dann nie wieder in die USA einreisen darf. Alternativ bezahle ich jetzt eine Strafe von 585$ und mein Visa gilt für eine Woche Aufenthalt. Da ich keine Lust auf den Gang zur Botschaft auf seine ungewissen Konsequenzen habe, entscheide ich mich letztere Alternative. Bruce erklärt sich glücklicherweise bereit, mir das Geld vorzustrecken. Meine Karten funktionieren ja leider immer noch nicht.
Dann bin ich offiziell auf US amerikanischen Territorium und plane so schnell es geht hier weg zu kommen. Ich gehe mit Bruce frühstücken und nutze das WLAN direkt um einen Flug am nächsten Tag nach Medellin und ein Airbnb für die kommende Nacht zu buchen. Für 50$ die Nacht und 120$ den Flug bin ich im Geschäft. Wir fahren im Dinghy wieder zu Lilipad. Ich packe meine Sachen, Bruce bringt mich ein letztes Mal an Land. Es ist eine freundliche Verabschiedung und wir wünschen uns viel Glück mit unseren weiteren Vorhaben. Ich laufe den Hafen entlang der großen Straße, bis ich den Berg hinauf zu meinem Airbnb gelange. Es ist keiner da und neben den verschlossenen Zimmertüren, stehen im Flur zwei Betten, von denen angeblich eines mir zugedacht ist.
Ich setze mich in einen Sessel auf dem Balkon und merke erst jetzt wie angestrengt ich vom Tag bisher bin. Ich fühle mich richtig fertig und das Thermometer gibt 38,5 an. Ich fühle mich ganz ausgeliefert. Ich gehe in Gedanken die Möglichkeiten von Corona, Grippe bis hin zu irgendwelchen Tropenkrankheiten durch. Ich versuche ruhig zu bleiben und als Juan, der stellvertretende Host kommt, darf ich mir auch ein Bett aussuchen. Ich trinke viel Tee, schlafe und bleibe bis zum nächsten Mittag im Bett, das ich zumindest hinter einem Vorgang verstecken kann.
Ich fühle mich trotzdem schlecht. Ich möchte niemanden anstecken, und versuche meinen Husten auf ein Minimum zu reduzieren. Meine Körpertemperatur ist wieder im Normbereich, aber ich fühle mich noch immer schwach. Ich entschließe mich trotz der Symptome zu fliegen, um mich dann ab heute Abend wirklich auskurieren und zurück ziehen zu können. Ich hoffe noch immer, dass ich kein COVID habe und mit meiner FFP2-Maske und einem Schal niemanden zu infizieren.
Der Flug geht über Miami und es ist fürchterlich, unter der Vermummung, der trockenen Luft aus der Klimaanlage und meinen Ambitionen jegliche Symptome zu unterdrücken und nicht aufzufallen. Aber am Ende klappt alles, sodass ich spät abends in Medellin ankomme. Ich wechsele ein paar Euros und den Rest der 100$, die ich noch von Bruce für meinen Tag alleine bekommen habe, für einen schlechten Kurs am Flughafen und bin Besitzer einiger tausend kolumbianischen Pesos. Ich bin so froh endlich in Kolumbien zu sein. Ich fühle mich gleich leichter als ich nachts durch die Straßen zu meinem Airbnb laufe - bin ich doch nun vorerst am Zielort meiner Reise. Kein Herumgefrage mehr, ob mich jemand mitnimmt, kein Performen mehr auf dem Boot, um meinen Soll zu erfüllen. Ich merke, dass es auch eine Last war mich auf meiner Hinreise in diese temporären Abhängigkeiten zu begeben.
Ich schlafe richtig erholsam und plane direkt einen COVID-Test zu machen, um Klarheit zu haben. Ich bespreche mit Andrés, meinem Host, meine Situation und er reagiert überraschend entspannt auf meine Symptome. Ich laufe die nächsten beiden Tage mit tapabocas durch Medellin, erst auf der Suche nach einem kostenlosen Test, dann nach überhaupt einem und komme erst am 3. Tag meines Medellinaufenthalts tatsächlich mittels eines Homeservices dazu.
Das Ergebnis ist positiv. Ich bin inzwischen schon in einer neuen Unterkunft. Ich hatte meine Situation meiner Symptomatik und dem Bevorstehenden Test zur Transparenz noch vor Buchung geschildert und wurde herzlich angenommen. Ich bewohne also für sieben Tage eine Wohnung der obersten Etage im Haus einer Familie, die ebenfalls darin lebt. Ich werde fürsorglich mit Moringa-Tropfen und Tee aus am Straßenrand gesammelten Kräutern versorgt, sodass ich mich nach wenigen Tagen wieder fit fühle. Mit Mundschutz wage ich kleine Exkursionen, wie in den Botanischen Garten, wo ich beinah auf einen Leguan trete oder in den außerhalb der Stadt liegenden Parque Arvi, in dem ich zum Glück von den auf Wanderwegen lauernden Räubern verschont bleibe.
Ich erlebe Medellín als große, aber nicht überfordernde Stadt mit vielen interessierten und herzlichen Menschen. Die meiste Zeit fühle ich mich sicher. Dennoch bin ich gerade in Momenten, in denen ich mir viel Geld herumlaufe (Western Union sei Dank) auf der Hut und kann mich von den Erzählungen über die Gefahr ausgeraubt zu werden nicht ganz frei machen.
Dass ich in meiner Erkundungsfreiheit zu Beginn meiner Kolumbienreise eingeschränkt bin, kann ich eigentlich ganz gut annehmen. Ermöglicht mir das nochmal viel Zeit in Ruhe mit mir, was Ich sehr genieße. Außerdem kann ich noch ein bisschen an meinen Plänen für die nächsten Wochen feilen, bevor das auf Achse sein losgeht.
Ein Gefühl für die Stadt bekomme ich beim Schlendern durch mein Viertel und beim Anblick des gegenüberliegenden, besiedelten Hangs von der Dachterrasse auch schon. Dennoch bin ich sicher, dass die Stadt viel zu bieten hat und es für noch einiges zu erkunden gäbe.
Jetzt sitze ich im Bus, der sich durch die grünen, dicht bewachsenen Berge in Richtung Süden nach Cali schlängelt. Neben mir wird erbrochen, ich finde das geschunkel ganz entspannt.
In Cali möchte ich eine Zirkusschule besuchen und verbringe die erste Nacht bei Mateos Freund Giovanni. Mateo ist ein kolumbianischer befreundeter Bekannter aus Leipzig. Ich hab Lust auf Menschen!