បោះពុម្ពផ្សាយ: 16.01.2019
„Geteiltes Leid ist halbes Leid“ – Ich (Natalie) habe diesen Spruch nie verstanden, denn für mich war immer ganz klar, dass das Leid mehrerer Personen schlimmer sein muss als das Leid einer einzelnen Person. Diese Wanderung hat mir zum ersten Mal gezeigt, wie viel Wahrheit in diesem Spruch steckt.
Aber lieber erst einmal von Vorne: Es war einmal vor langer langer Zeit an einem weit entfernten Ort, da saßen wir in unserem gemütlichen, geheizten Wohnzimmer und planten eine 10-tägige Wanderung im Parque Nacional Torres del Paine. Diese sollte am 3. Januar beginnen und ca. 115km umfassen. Hierbei umrundet man einmal das Paine-Massiv, weshalb der Track auch Paine-Circuit genannt wird (das Wort „pain“ ist hier übrigens sehr passend inkludiert). Da dies wohl unser größtes Abenteuer in Chile sein sollte, wollten wir es euch hautnah miterleben lassen und haben jeden Tag einen Tagebucheintrag verfasst.
Tag 1: 0/115 km geschafft, Übernachtung auf Camping Central
Heute beginnt endlich das Abenteuer, auf das wir uns schon ewig freuen (und vielleicht auch ein bisschen Angst vor haben). Wir werden für 10 Tage die Zivilisation hinter uns lassen und mit unserem ganzen Hab und Gut durch den Torres del Paine Nationalpark wandern. Da wir noch nie wirklich mit großen Rucksäcken länger gewandert sind, wird es sicher sehr hart, aber auch eine einmalige Erfahrung. Um die Wanderung zu beginnen, mussten wir uns erst einmal mit sehr viel sehr leichtem und kompaktem Essen eindecken und da wir nicht viel Geld für teures gefriergetrocknetes Wandereressen ausgeben wollten, war unsere Ausbeute eher… sagen wir simpel: Cous Cous, Kartoffelbreipulver, Nudeln und Tomatensoße und das aller wichtigste: Haferflocken! Außerdem haben wir uns für jeden Tag der Wanderung eine Snacktüte gepackt, die uns mit Müsliriegeln, Schokoriegeln und Studentenfutter bei Laune halten soll. Leider war die Auswahl hierfür im Supermarkt in Puerto Natales eher dürftig, aber besser als gar nichts. Unsere Rucksäcke wurden zusätzlich mit Zelt, Schlafsäcken, Leinen-Schlafsäcken, Isomatten, aufblasbaren Kopfkissen, Kochutensilien, Trinkflaschen, Badezimmerartikeln, Kamera, Tablet, Portemonnaies, Mülltüten, Minirucksäcken und für Natalie Flip Flops ausgestattet. Da das alles sehr viel Platz verbraucht, ist die Klamottenauswahl eher gering ausgefallen: Jeder zwei Hosen, zwei kurzärmlige Hemden, zwei langärmlige Hemden, zwei Pullover, Unterwäsche, ein Schlafanzug, Mütze, Schal, Handschuhe und eine Regenjacke. Aber das aller wichtigste: Unsere Wanderstöcke! Rucksäcke sind schon ein echtes Platzwunder!
Los geht es also mit der Fahrt von Puerto Natales zum Haupteingang „Laguna Amarga“ des Nationalparks im Osten, wo wir uns offiziell registrieren müssen und eine Karte mit Wanderzeiten, Kilometerangaben und dem wichtigsten, einem Höhenprofil bekommen. Danach stellen wir das Auto am Visitor Center bei Camping Central ab, verabschieden uns schweren Herzens von unserem treuen fahrbaren Untersatz, setzen unsere vollgepackten Rucksäcke auf und registrieren uns erneut im Visitor Center für die Wanderung (wie oft denn noch?). Zu unserem Campingplatz für die erste Nacht sind es nun nur wenige hundert Meter, aber es sind die ersten Schritte in unser Abenteuer. Zum Glück haben wir einen wundervollen Sonnentag erwischt und bauen unser Zelt im Trocknen und ohne Wind auf. In unserer Vorstellung war das ein Ding der Unmöglichkeit, denn der Nationalpark ist bekannt für sein unbeständiges, regnerisches Wetter und seine extremen Winde. Um diesen guten Start noch zu toppen, lernen wir zwei nette und sehr unterhaltsame Italiener kennen, die uns Nutella für unsere übrig gebliebenen Brötchen schenken und uns sehr um unsere Wanderung beneiden, da sie nur Zeit für eine 5-tägige Wanderung auf dem „W-Track“ hatten. Zur Erklärung: Der W-Track umfasst den zweiten Teil unserer Wanderung auf dem O-Track und ist die weit aus beliebtere Wanderung, da sie weniger Zeit in Anspruch nimmt und etwas einfacher ist. Nach einer Dusche im rudimentären, aber mit warmem Wasser ausgestatteten Duschhaus und unserem Abendessen, bestehend aus Nudeln mit Soße vom Vortag, gehen wir ins Bett und freuen uns, dass wir morgen endlich die ersten Kilometer unserer Wanderung schaffen.
Zitat des Tages: „Vertice is a strange company“, einer der Italiener über die Campingbetreiber
Tag 2: 13 km, 4 Stunden, Übernachtung auf Camping Serón
Guten Morgen Sonnenschein! Bei so einem herrlichen ersten Wandertag mit strahlendem Sonnenschein kann man wirklich nur glücklich sein. Unsere erste Etappe führt uns entlang eines Tals vorbei an dem Bergmassiv, das wir umrunden werden. Zwar halten diese ersten Kilometer kaum spektakuläre Aussichten bereit, sie sind aber perfekt um sich an den Rucksack zu gewöhnen. Auf dem Weg müssen wir einige kleinere Hügel überwinden, kommen an einem wunderschönen türkisfarbenen Fluss vorbei und werden fast von einer Herde Pferde überrannt. Die letzten Kilometer laufen wir durch ein Meer von Blumen, in dessen Mitte auch unser erster Campinplatz Serón liegt. Nachdem wir im Sturm, aber immer noch bei Sonnenschein, unser Zelt aufgebaut haben und feststellen, dass sich ein Tunnelzelt wohl doch nicht so gut für die plötzlichen und aus allen Richtungen kommenden patagonischen Winde eignet, geht es ins Kochzelt. Zur Erklärung: Auf Grund der unvorhersehbaren Wetterlage hat jeder Campingplatz in Patagonien ein Shelter, manchmal ein echtes Haus, manchmal nur ein schäbiges Zelt, in dem man kochen und sich aufhalten kann. In diesem ersten Shelter zeigt sich schnell, was den O-Track ausmacht. Da alle Wanderer des O-Tracks in die selbe Richtung laufen müssen und zumindest in den ersten Tagen auf den selben Campingplätzen bleiben, zeigt sich hier, mit wem wir die nächsten Tage verbringen werden. Scheinbar sind es um die 25 Personen, von denen einige mit einer Reisegruppe unterwegs sind, der Rest allerdings wie wir auf eigene Faust den Track bezwingt. Also setzen wir uns zu einer Gruppe von 3 Frauen in unserem Alter, die uns auch sofort integrieren. Bri, Bonnie und Natalie (um Verwirrung vorzubeugen kürzen wir sie „Nat“ ab) sind alle drei aus den USA und während Bonnie alleine reist, sind Bri und Nat zusammen auf der Wanderung unterwegs. Unsere neue „Trek-Family“ ist einfach wunderbar und sehr unterhaltsam und das Beste: Sie schenken uns Wein. Denn Bri und Nat hatten die glorreiche Idee zwei TetraPak Wein mitzuschleppen und haben schon auf den ersten Kilometern festgestellt, dass sie dieses Gewicht unbedingt loswerden müssen. Also helfen wir ihnen, selbstlos wie wir sind, natürlich mit dem Problem und trinken den Wein zusammen aus. Währenddessen kochen sich alle ihr heiß ersehntes Abendessen, welches sich überraschenderweise extrem unterscheidet: Wir essen Nudeln mit Soße, Bonnie kocht sich aus frischem Käse, Butter und vielen Pulverchen Mac 'n Cheese, und Bri und Nat haben für jeden Tag mehrere Tüten gefriergetrocknetes Essen mit Geschmacksrichtungen wie Lasagne, Chickencurry oder Breakfastscalletts (Sie haben sogar gefriergetrockneten Nachtisch dabei). Nach einem ausgiebigen Essen ging es unter eine eher kalte Dusche und daraufhin ins Zelt, um dort eine schlaflose Nacht im Sturm zu verbringen.
Zitat des Tages: „We carried all this wine and we are not gonna carry it further, so drink!“, Nat und Bri
Tag 3: 18 km, 6 Stunden, Übernachtung auf Camping Dickson
Heute beginnt eine der härteren Etappen unserer Wanderung, da sie eine der längsten ist und über einen kleinen Pass mit starken Winden führt. Daher laufen wir früh los und möchten den einfachen Teil schnell hinter uns bringen, um für den Pass genügend Zeit zu haben. Vielleicht war das doch etwas zu ambitioniert, denn auf dem ersten Stück stolpert Natalie und fällt so unglücklich, dass das Objektiv der Kamera in ihrem Rucksack beschädigt wird. Aber wozu hat man einen Doktor der Physik dabei? Also haben wir jetzt ein repariertes Objektiv mit individuellem Tape-Look. Auf dem Weg durchlaufen wir unterschiedlichste Wetterlagen mit Sonne, Wolken und extremem Sturm auf dem Pass bei Lago Paine. Der Sturm ist so stark, dass es fast unmöglich ist zu laufen, aber noch schlimmer ist es, stehen zu bleiben, blöd oder? Durch die Passüberquerung haben wir jetzt allerdings wieder die Sicht auf das Gebirge und sehen nach einigen anstrengenden Kilometern im Sturm endlich das rettende Ufer unseres Camps Dickson am Lago Dickson. Unsere Füße haben sich noch nie so sehr über einen Campingplatz gefreut, denn sie sind wirklich platt gelaufen. Leider hält der Campingplatz eine unangenehme Überraschung bereit: Tausende Mücken. Zusätzlich verschlechtert sich das Wetter immer mehr, wodurch die Sicht auf die umliegenden Berge sehr eingeschränkt ist. Aber im Shelter, heute ein echtes Haus, sind wir uns alle einig: Die Sicht auf den See mit dem Campingplatz war eine der Besten des Tages, insbesondere nach so einem anstrengenden Marsch. Hier im Shelter warten wir auch zum ersten Mal angespannt auf Bri, denn sie braucht etwas länger als alle anderen für die Etappe und hat sich von Nat, die gleichzeitig mit uns ankam, getrennt. Aber auch Bri kommt irgendwann an und so genießen wir unser Abendessen bestehend aus Tortellini mit Brühe (unsere kulinarischen Künste müssen hier einfach weiterhin Erwähnung finden) und fliehen vor den Mücken ins Zelt.
Zitat des Tages: „ You had winds? I didn't have any.“, komischer Russe nach dem Pass
Tag 4: 12 km, 4 Stunden, Übernachtung auf Camping Los Perros
Mittlerweile sind wir schon an unsere Rucksäcke und das Laufen gewöhnt und unsere Füße und Schultern erholen sich über Nacht so gut, dass wir jeden Tag mit neuer Energie starten können. Daher ist es auch nur halb so schlimm, dass wir unsere kurze Strecke heute im Regen beginnen müssen. Ausgestattet mit Regenjacke, Regenponcho und Regencape für den Rucksack, in dem alle Sachen in Müllsäcke gepackt sind, um sie doppelt zu schützen, gehen wir also Richtung Berge. Ganz ehrlich, wir sehen völlig bescheuert aus, als ob wir den Sturm des Jahrhunderts erwarten würden. Und natürlich hört der Regen nach einigen Kilometern auf und wir müssen uns erst einmal komplett entkleiden, denn es ist viel zu heiß in den ganzen Schichten. Heute dürfen wir unsere Wanderung hauptsächlich bergauf und durch wunderschöne Wälder fortführen und sind glücklich über die Abwechslung und Vielfalt, die der O-Track bietet. Vor der Wanderung dachten wir, wir würden die Aussicht auf die Berge irgendwann satt haben, da man zu Fuß nur langsam voran kommt und sich die Sicht nicht so schnell ändern würde, aber wir lagen vollkommen falsch. Jeder Tag ist vollkommen anders und jede Wanderstrecke hält neue Perspektiven und Landschaften bereit. So erleben wir heute nicht nur einen Wetterwechsel von Regen zu Sonne zu Schnee, sondern auch einen Landschaftswechsel von Seenlandschaft, über dichten Wald, bis zu dem Beginn eines schmalen Bergpasses mit Gletschern. Insbesondere ein Gletscher begeistert uns, da er in seinen See mündet wie ein gefrorener Wasserfall, und da der Campingplatz Los Perros nur wenige hundert Meter entfernt liegt, halten wir hier inne. Wir können nicht glauben, wie weit wir schon gekommen sind, sowohl auf dieser Wanderung, als auch auf dieser gesamten Reise. Der Nachteil dieser wunderschönen Lage ist allerdings, dass es wahnsinnig kalt ist. Als es auch noch immer stärker anfängt zu schneien, gehen wir Richtung Campingplatz, wo wir mit Entsetzen feststellen, dass es weder warme Duschen, noch ein warmes Shelter gibt. Aber auch hier finden wir wieder Zuflucht bei unserer Trek-Family, die sich mittlerweile um 3 Amerikaner, Rob, Justin und Michael, vergrößert hat. Jetzt ist auch der Zeitpunkt, an dem ich (Natalie) den Spruch „Geteiltes Leid ist halbes Leid“ endlich nachvollziehen kann. Mit dieser Familie an unserer Seite, während wir im eiskalten Shelter kochen und versuchen nicht zu erfrieren, ist alles nur noch halb so schlimm. Außerdem lernen wir noch die „Runner“ kennen, eine Gruppe von Männern, die als Transporter für nicht so fitte Wanderer das Gepäck tragen und so ihren Lebensunterhalt in der Hochsaison verdienen. Sie beeindrucken uns mit ihrer Fitness und ihrem Zusammenhalt und wir beeindrucken sie mit unseren Kochkünsten (Nein Spaß, sie haben sich köstlich über unser miserables Fertigessen amüsiert). Nach einem Abend mit viel Lachen und Frieren gehen wir früh ins Bett, denn morgen wartet die Wanderung, vor der wir alle am meisten Respekt haben, da sie mit Abstand die schwerste sein soll.
Zitat des Tages: „We suffer and enjoy together!“, unsere Trek-Family
Zweites Zitat des Tages: „We have showers, but they have glacier water.“, der Ranger von Los Perros
Tag 5: 15 km, 11 Stunden, Übernachtung auf Camping Grey
Morgens um 5 Uhr: Der Campingplatz erwacht zum Leben, denn das Wetter soll tendenziell morgens am besten für diese Wanderung sein. Die Ranger haben uns am Vortag schon gewarnt, dass der Bergpass heute eventuell auf Grund des Schneefalls gesperrt werden könnte, was bedeuten würde, dass wir im eiskalten Los Perros gefangen wären. Da das absolut keine Option für uns alle ist, tun wir uns zusammen und beginnen diese Endgegner-Etappe um 6 Uhr morgens gemeinsam. Auf uns warten 15 km: Auf den ersten 4km überwinden wir 700 Höhenmeter bis zum Bergpass John Gardner, danach müssen wir auf 4km 800 Höhenmeter steil bergab wandern bis zur Rangerstation Paso und daraufhin warten weitere 7km Berg- und Talfahrt bis zum Campingplatz Grey. Zu Beginn durchqueren wir dichten Wald mit sehr schlammigem Boden, weshalb wir kaum vorankommen und sich bereits Panik breit macht, dass wir umkehren müssen. Aber wir sind uns einig, dass nicht einmal 20 aggressive Pumas uns zum Umkehren bewegen könnten. Schon bald verlassen wir den Wald und finden uns in einem Schneegestöber auf Geröllbergen wieder. Die Gruppe entzerrt sich langsam und jeder geht sein eigenes Tempo, immer den Vordermann im Blick behaltend. Es ist ein beeindruckendes und auch absolut lustiges Bild, uns kleine Menschen mit unseren viel zu großen Rucksäcken durch den Schnee einen Berg hochstapfen zu sehen. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man denken wir bezwingen gerade den Mount Everest. Oben am Pass angekommen bietet sich uns ein spektakulärer Anblick: Bei ungewöhnlich windstillem und klarem Wetter blicken wir über den gesamten Greygletscher bis zu den Bergketten dahinter. Wir können nicht glauben, dass wir diese angebliche Horroretappe so gut gemeistert haben! Und dieser wunderschöne Anblick des riesigen Gletschers bleibt uns den gesamten Rest der Wanderung erhalten, da wir entlang des Gletschers Richtung Tal laufen.
An der Rangerstation Paso angekommen treffen wir Nat, die die restlichen 7km zum Camp Grey mit uns zusammen läuft, da Bri weit hinter uns ist. Der Weg führt uns über hohe Hängebrücken und an steilen Hängen entlang und nur durch unsere tollen Gespräche über Essen, Politik und unser zu Hause können wir uns von unseren schmerzenden Füßen und hungrigen Mägen ablenken. Hier sollte auch Erwähnung finden, dass ungelogen jedes einzelne Schild mit Angaben zu Höhen und Distanzen auf den Wegen hier falsch war und wir uns insbesondere auf diesem Streckenabschnitt tierisch darüber aufgeregt haben. Ernsthaft Torres del Paine Nationalpark: das könnt ihr doch besser! Um 17 Uhr kommen wir also endlich völlig erschöpft, aber überwältigt von den Eindrücken, auf dem Campingplatz Grey an. Unsere Freude darüber, endlich sitzen zu können, wird allerdings getrübt, denn Bri ist weit hinter uns und wir machen uns große Sorgen um sie. Nat versucht in den nächsten Stunden alles, um Informationen über Bris Lage herauszufinden und spricht mit anderen Wanderern und Rangern. Um 21 Uhr kommt auch Bri dann endlich an und durch das Shelter geht ein erleichtertes Aufatmen. Ich glaube, so glücklich waren wir alle noch nie über den Anblick einer eigentlich fremden Person. Das zeigt erneut, wie sehr wir alle zusammengewachsen sind. Also konnten wir beruhigt ins Bett gehen und unsere müden Knochen ausruhen.
Zitat des Tages: „Fuck these signs, they’re all lying!“, Nat
Tag 6: 11 km, 4,5 Stunden, Übernachtung auf Camping Paine Grande
Aufwachen, raussehen, strahlender Sonnenschein, Zelt abbauen und los geht’s! So beginnt unser bereits 6. Tag dieser unglaublichen Erfahrung. Als wolle die Welt oder vielleicht das Schicksal die Anstrengungen vom vorherigen Tag belohnen, dürfen wir diesen Tag bei schönstem Wetter genießen und starten ihn zu zweit mit einem Spaziergang zum nahe gelegenen Mirador, von dem man eine tolle Sicht auf den Greygletscher, seinen See und die darin schwimmenden Eisberge hat. Hier zeigt sich auch die gewaltige Veränderung der Natur durch den Menschen in den letzten Jahrzehnten, denn nicht nur Waldbrände setzen dem Park immer wieder zu, sondern auch die globale Erwärmung hat die Gletscher sichtbar zurückgehen lassen. So reichte der Greygletscher 1975 noch bis an das Ufer, von dem aus wir ihn heute nur in der Ferne sehen können. Daraufhin machen wir uns auf den Weg zum Campingplatz Paine Grande. Wir befinden uns nun auf dem Wanderweg, der auch den W-Track beinhaltet und man merkt sofort die deutlich gestiegene Anzahl an Wanderern auf dem Weg. Zusätzlich schaffen es hierher auch Tagestouristen, denn mit Hilfe eines Katamarans und anschließendem Wandern kann man den Greygletscher in einem Tagesausflug besuchen. An dieser Stelle merken wir, wie gut unsere Entscheidung war, den gesamten O-Track zu wandern, denn wir durften auch die Ruhe und Abgeschiedenheit des Nationalparks erleben, fernab der Touristenströme. Dennoch, der Wanderweg ist wunderschön und begeistert mit seinen immer wieder neuen Blicken auf den Gletscher und seiner Blumenvielfalt. Auch die verbrannten Wälder in diesem Abschnitt haben etwas Faszinierendes an sich, insbesondere wenn man versucht sich vorzustellen, wie ein gesamter Wald direkt neben einem Gletscher und in dem regnerischsten Gebiete der Erde abbrennen kann. Da wir den gesamten Weg zu zweit verbringen und es eher eine kurze Etappe ist, bleibt uns auch die Ruhe, öfter inne zu halten und zu realisieren, wo wir uns eigentlich befinden. Wir sind am Ende der Welt angekommen. Von hier an gibt es kaum noch etwas weiter südlich. Und unser langer Traum von Patagonien ist endlich in Erfüllung gegangen, was Natalie zu Tränen rührt. Manchmal hat man eben solche Momente. Die letzten Kilometer strengen uns dann doch etwas mehr an als gedacht und wir sind froh, als wir den Campingplatz erreichen und unsere Trek-Family uns einen Platz für unser Zelt neben ihren freigehalten hat. Natürlich ist der Tag nicht beendet, bevor unseren drei männlichen Amerikanern irgendeine Schwachsinnsidee einfällt und so springen sie noch in den eiskalten Gletschersee am Campingplatz und bieten uns eine amüsante Show. Eigentlich wollten Nat und Natalie auch mit reinspringen, aber als die Sonne nicht mehr scheint, halten sie es gar nicht mehr für eine so gute Idee. Außerdem ist die Aussicht darauf, von einem völlig fremden Russen dabei gefilmt zu werden, eher abschreckend. Stattdessen genießen wir lieber unser Abendessen (ab heute gibt es nur noch Kartoffelbrei, manchmal mit Soße aus Soßenpulver, manchmal ohne). Danach warten wir auf Bonnie und Bri, damit wir alle zusammen endlich auf unsere Familie und den überstandenen Pass anstoßen können. Außerdem ist es Bonnies letzter Abend, da sie den Track als einzige in Paine Grande begonnen hat und uns morgen verlassen wird. Bei vielen patagonischen Bieren und mit allen O-Trackern zusammen genießen wir den Sonnenuntergang von der Bar aus und gehen erst bei sternenklarer Nacht schließlich zu Bett. Bonnies rührende Abschiedsworte und ihre Dankbarkeit für diese Familie werden uns wohl noch lange in Erinnerung bleiben.
Zitat des Tages: „I only do this to prove to myself, that my ideas are really bad ideas“, Justin bevor er ins Wasser springt
Tag 7: 21 km, 9 Stunden, Übernachtung auf Camping Francés
An diesem Tag treffen zwei Extreme zusammen: Überwältigende Schönheit der Natur und extremes Pech bei den Wanderern. Als wir morgens aufwachen, merkt Natalie, dass sie krank mit Halsschmerzen und etwas Fieber ist, was sehr ungünstig ist, da wir einen der längsten und anstrengendsten Tage vor uns haben. Zusätzlich haben Rob und Justin solche Knieschmerzen, dass sie die heutige Wanderung abkürzen und auf den schönsten Abschnitt verzichten müssen. Aber das Traurigste: Wir müssen uns von Bonnie und Bri verabschieden. Bonnie hat den O-Track bereits erfolgreich bezwungen und Bri ist an ihre körperlichen Grenzen gelangt und wird von hier aus den Katamaran nehmen und ein paar entspannte Tage im Hostel verbringen, bevor sie Nat am Ende der Wanderung wiedertrifft. Daher adoptieren wir kurzerhand Nat und verbringen den größten Teil der restlichen Tage mit ihr. Nachdem wir also Abschied genommen haben und Natalie mit Tee gestärkt wurde, geht es los Richtung Camping Italiano. Auf dem Weg holt uns Michael ein, denn seine Freunde sind ihm durch ihre Knieprobleme zu langsam. Wir legen unsere großen Rucksäcke bei Camping Italiano ab und machen uns mit leichterem Gepäck durch das Francés-Tal auf den Weg zum Británico-Mirador, einem Abstecher der Route, von dem aus man eine herrliche Rundumsicht hat. Das Wetter ist einfach fantastisch und so kommen wir auf den insgesamt 11 km des Abstechers und den 580 Höhenmetern, die wir hinauf- und hinabklettern müssen, in den Genuss, alle Berge, Seen und den Francésgletscher in voller Pracht zu betrachten. Selbst die Ranger meinten, ein solches Wetter hätten sie in dem Tal noch nie erlebt. Zurück am Campingplatz Italiano folgt ein erneuter Abschied, denn unsere drei männlichen Amerikaner verbringen die Nacht hier und werden uns auf unserem weiterem Weg nicht mehr begegnen, da sie eine andere Zeitplanung haben. Auch Nat übernachtet hier und wird uns am nächsten Tag auf unserem Campingplatz wiedertreffen. Wir laufen noch 2 km weiter bis zu unserem Campingplatz Francés, auf dem wir eigentlich eine Holzplattform für unser Zelt reserviert haben. Da allerdings keine Vorrichtungen für ein Tunnelzelt bereit stehen, um es auf der Plattform ohne Heringe aufzubauen, müssen wir umdisponieren (Als ob wir die ersten Menschen mit einem Zelt sind, das nicht von alleine stehen kann…). Wir übernachten also am Rande des Wanderweges und kosten die heißen Duschen vom Campingplatz richtig aus, denn ansonsten haben wir vollkommen umsonst 20$ pro Person hierfür gezahlt.
Zitat des Tages: „You don't have nails or rope with you? We can't help you.“, Ranger von Camping Francés, als wir fragen, wie wir unser Zelt auf einer Plattform aufstellen sollen.
Tag 8: 3,4km, 2 Stunden, Übernachtung auf Camping Cuernos
Heute ist unser Entspannungstag und der ist auch bitter nötig, denn Natalie hat die Erkältung voll erwischt und alle sind etwas müde vom vielen Wandern und den vielen Eindrücken. Deshalb treffen wir Nat morgens auf unserem Campingplatz und machen uns dann ganz entspannt auf den Weg zum Campingplatz Cuernos. Auf dem Weg lassen wir ein paar Steine auf dem Lago Nordenskjöld springen und genießen die Ruhe. Wie das Schicksal es so will, ist der Campingplatz Cuernos perfekt für einen entspannten Tag geeignet, denn er ist nicht nur wunderschön am See und mit Bergpanorama gelegen, sondern bietet auch ein echtes Haus als Küchenshelter und eine sehr gemütliche Bar mit guter Musik, in der man sich aufhalten kann. Es ist immer wieder spannend an einem Campingplatz anzukommen, da keiner von uns eine Ahnung über dessen Ausstattung hat und man sowohl positiv als auch negativ überrascht werden kann. Umso schöner, dass es dieses mal eine positive Überraschung ist. Da wir wieder eine Plattform reserviert haben, auf der unser Zelt allerdings nicht befestigt werden kann, finden die Angestellten eine wirklich gute und windgeschützte Alternative für uns und wir sind mehr als zufrieden. Das einzig Negative ist, dass uns irgendwie keiner auf dem Campingplatz über das Essen informieren kann oder will, das das Restaurant anbietet. Selbst nach mehrmaligem Fragen auf englisch und spanisch bleiben sie uns eine befriedigende Antwort schuldig und als wir hungrig und genervt an der Bar sitzen und unsere Nachbarn eine Pizza serviert bekommen, geben wir auf und verziehen uns in die Campingküche, um unser Fertigessen zu essen. Danach geht es uns schon besser und wir geben der Bar noch einmal eine Chance und genießen den Nachmittag und Abend mit Bier (und Cola für Natalie) und guter Gesellschaft. Ein Ehepaar im Alter von Ende 60 beeindruckt uns mit seiner Fitness, denn sie haben ebenfalls unsere Wanderung von gestern bewältigt und haben noch einige Wandertage vor sich. Sie geben uns allen ein Getränk aus und fragen uns nach unseren bisherigen Highlights auf der Wanderung. Jan entscheidet sich für den schneebedeckten Pass und die Sicht am Británico, Natalies Highlights waren die geknüpften Freundschaften und ebenfalls der Pass und Nat gibt die Trek-Family als ihr Highlight an. Da sind wir uns alle einig, so einen Zusammenhalt haben wir weder erwartet, noch würden wir ihn jemals für selbstverständlich halten. Im Sturm verziehen wir uns spät abends dann in unsere Zelte und bangen etwas um Nat, denn ihr Zelt steht dem Wind vollkommen ausgesetzt auf einer der Holzplattformen und wurde nur dürftig mit Schrauben befestigt. Unser Zelt hätte diesen Sturm ohne den Schutz der Bäume wohl kaum überlebt.
Zitat des Tages: „Burgers? No. No we don’t have menu, only fajitas.“, Kellnerin, die kurz darauf anderen Pizza und Burger serviert
Tag 9: 12km, 5 Stunden, Übernachtung auf Camping Chilenos
Als wir morgens aufwachen hat sich der Wind vom Vortag noch verstärkt und wir gehen als erstes hoch zum Shelter, um nach Nat zu sehen. Als wir ihr Zelt schon abgebaut und verpackt bei ihrem Rucksack liegen sehen ist uns klar: Entspannt war ihre Nacht wohl eher nicht. Wir warten in der Küche auf sie und frühstücken zusammen, bevor wir uns in den Sturm hinauswagen. Da wir alle schlecht geschlafen haben, Nat besser gesagt fast gar nicht, und der Wind uns ordentlich zusetzt, geht der heutige Tag schleppend voran. Aber die Aussicht über den türkisfarbenen Lago Nordenskjöld entlohnt für die Anstrengung und der Wind über dem See führt zu einem wunderschönen Naturschauspiel: Immer wieder wird die Gischt des Sees so aufgewirbelt, dass sich über der Seeoberfläche viele Regenbögen bilden. Nach ca. 8km trennen sich dann unser und Nats Weg, da wir zu dem höher gelegenen Campingplatz Chileno laufen, während Nat bei Camping Central im Tal einen Platz reserviert hat. Hier wird sie auch Bri wiedertreffen, um die letzte Campingnacht gemeinsam zu verbringen. Es ist schön zu wissen, dass die zwei sich trotz der Schwierigkeiten während der Wanderung noch so gut verstehen. Unser weiterer Weg führt uns immer weiter bergauf in Richtung der berühmtesten Sehenswürdigkeit des Parks: Den Torres del Paine. Unser Aufstieg ist anstrengend, aber dort angekommen haben wir eine schöne Sicht auf die Torres. Außerdem hat dieser Campingplatz endlich auch verstanden, dass Holzplattformen und Zelte nicht so gut zusammenpassen und mit Hammer und Nägeln für jeden Camper vorgesorgt. So können auch wir endlich in den Genuss unser gebuchten Plattform mitten in den Bäumen kommen. Im angrenzenden Restaurant gönnen wir uns dann auf Grund des sehr kalten Wetters eine heiße Schokolade (die schlechteste, die wir jemals hatten) und beobachten die Wanderer, die von den Torres zurückkommen. Diesen Aufstieg haben wir morgen auch noch vor uns. Zufällig sehen wir Bri, die sich doch noch zu den Torres hochgequält hat und mit einer wunderschönen Aussicht bei blauem Himmel belohnt wurde. Daraufhin genießen wir noch die heiße Dusche im Refugio (ehrlich, so sehr wie auf dieser Wanderung haben wir noch nie heiße Duschen genossen). Allerdings hat der Campingplatz einen großen Nachteil, man darf dort auf Grund der Waldbrandgefahr nicht kochen und das Refugio bietet nur sehr teures Essen an. Zum Glück haben wir vorgesorgt und Cous Cous mit Bratensoße vorgekocht. So etwas ekliges haben wir nie zuvor gegessen und so gehen wir lieber hungrig ins Bett und freuen uns auf die Chips in unserem Auto, die morgen auf uns warten.
Zitat des Tages: „You can not cook here, but we can give you warm water.“, Ranger von Camping Chilenos
Tag 10: 14km, 5 ½ Stunden, zurück zum Auto
Na das warme Wasser ist vielleicht doch gar nicht so schlecht, denn wir können uns nach einer eiskalten Nacht zum Frühstück ein letztes Mal warmes Oatmeal machen und im Refugio essen. Danach lassen wir unsere großen Rucksäcke im Refugio zurück und beginnen den Aufstieg zu den Torres, einer außergewöhnlichen Felsformation, die etwas an die Dolomiten erinnert und durch Gletscher und unterirdische Lavaströme gebildet wurde. Diese Lavaströme drücken das Gestein nach oben, ohne dabei auszutreten und führen zu den ungewöhnlichen, allein stehenden Felsspitzen. Auf dem Weg dorthin müssen wir einige hundert Höhenmeter überwinden und das letzte Stück über Geröll und Sand stapfen. Dann sind wir endlich angekommen, an dem letzten Aussichtspunkt unserer Wanderung und einem der Highlights des Parks: Der Gletschersee Lago Torres mit seinen angrenzenden drei „Türmen“ und ihrem Gletscher. Wir verbringen hier einige Zeit und warten, dass der Himmel etwas aufklart, allerdings schneit und stürmt es, weshalb wir nach ca. 1 Stunde etwas durchgefroren den Rückweg antreten. Aber wie Nat, der wir zufällig auf der Wanderung begegnen, gesagt hat: Die Berge haben etwas Mystisches bei diesem Wetter. Zurück im Refugio setzen wir ein letztes Mal auf dieser Wanderung unsere Rucksäcke auf und laufen die letzten Kilometer des O-Tracks. Es ist ein bitter-süßes Gefühl, denn einerseits sind wir echt müde, hungrig und verdammt schmutzig und haben auch das ständige weiterlaufen erstmal satt, andererseits aber haben wir so viele wunderschöne Dinge gesehen, wundervolle Menschen kennengelernt und so viel über uns selbst gelernt, dass der Abschied von diesem Abenteuer unsere Herzen bricht. Allerdings haben wir mit Bri und Nat schon ein Dinnerdate für den nächsten Tag in Punta Arenas ausgemacht, um Natalies Geburtstag und unsere vollendete Wanderung zu feiern, daher ist der Abschied nicht ganz so schwer. Und wie der Titel unseres Blogs schon sagt: Auch wenn wir gehen, wir können immer zurückkehren. Angekommen im Auto überwältigt uns dann erst einmal der Hunger und die Begierde nach frischen Klamotten, daher ziehen wir uns schnell um und stopfen eine ganze Packung Chips und Kekse in uns, bevor wir dem Park endgültig den Rücken kehren. Unsere Fahrt zurück nach Puerto Natales führt uns noch einmal entlang des gesamten Parks und lässt uns die Dimensionen unserer Wanderung erst vollkommen begreifen, da wir zum ersten Mal das Gebirge, das wir umrundet haben, im Ganzen sehen. Wir müssen zugeben, wir sind schon stolz auf uns, wie gut wir unsere erste mehrtägige Rucksackwanderung gemeistert haben.
Zu guter Letzt zwei sehr passende Zitate vom wunderbaren John Muir:
„Of all the paths you take in life, make sure a few of them are dirt.”
„In every walk with nature one receives far more than he seeks.“
At this point we want to thank our Trek-Family! You guys were the best! Hope to reunite again one day, maybe in Colorado?
Song of the Paine-Circuit: Ends of the Earth – Lord Huron