Foilsithe: 02.04.2019
Die Busfahrt von Rosario nach Cordoba dauere „nur“ 6h Stunden, wurde uns gesagt. Diesen Leuten war wohl nicht klar, dass man in 6h die ganze Schweiz 2x durchqueren kann. Aber irgendwann gewöhnt man sich an diese unglaublich langen Distanzen.
Von Cordoba aus fuhren wir zunächst nach Alta Gracia, ein kleines Städtchen etwa 1h Fahrt ausserhalb von Cordoba. Hier wohnen eher die Gutbetuchten der Gegend, man kann einige hübsche Villen im Ort bewundern.
Hauptanziehungspunkt war für uns der Abschluss unseres Che Guevara Projekts. Hier verbrachte der Revolutionär seine Jugend, das ehemalige Wohnhaus der Familie ist heute ein Museum. In den 1930-er Jahren zog die Familie des jungen Ernesto Guevara, weil ein Arzt dem jungen Ernesto das trockene Klima gegen sein Asthma empfohlen hatte. Das Museum enthält eine Fotografische Rückschau auf Che's Leben, eine Karte auf welcher seine Reisen durch Südamerika verzeichnet sind, Briefe von ihm, Kopien seiner Tagebücher, Artikel, die er für Zeitschriften über seine Reisen verfasst hatte, sowie einige Einrichtungsgegenstände und andere Erinnerungsstücke. Ausserdem kann man mit einer Statue des jungen Che für Fotos posieren. Grosse neue Erkenntnisse brachte der Besuch natürlich nicht, aber das Museum ist sehr liebevoll eingerichtet und es ist vor allem sehr objektiv. Es geht in keinster Weise um eine Wertung seiner politischen Ansichten (weder positiv noch negativ), es enthält keinerlei Propaganda oder Verherrlichung. Es erzählt lediglich die Geschichte der Familie einer bekannten Persönlichkeit, die einen Teil ihres Lebens hier verbrachte. Interessant sind die Filme mit Interviews von alten Kindheitsfreunden des Comandante. Sie erzählen, dass bei Guevaras zuhause stets eine grosse Kinderschar zum Spielen zu Besuch war. Alle Freunde waren willkommen und durften sogar zum Essen bleiben. Auch sein ehemaliges Kindermädchen kam zu Wort und erzählte voller Liebe von ihrer Zeit in der Familie. Sie trat in den Dienst der Guevaras ein, als Ernestito gerade mal 4 Jahre alt war. Wenn er schlimme Asthma-Anfälle hatte, trug sie in auf den Armen in sein Bett, weil er nicht mehr laufen konnte. Sie erzählte, wie sie Jahre später am Colegio in Cordoba vorbeikam und dort zufällig auf Che im Teenager-Alter traf, der sie sofort wiedererkannte und überschwänglich umarmte. Egal was er im Leben getan habe, egal was die Leute über ihn denken, für sie würde er stets der kleine Ernestito bleiben. Das war wirklich sehr rührend.
Ein Raum des Museums erinnert ausserdem mit vielen Fotos an den Besuch von Fidel Castro und Hugo Chavez.
Nach dem Besuch des Museums sahen wir uns noch das Städtchen an und kamen bei der Jesuiten-Estancia vorbei. Besichtigen kann man allerdings nur die Kirche, der Rest des Gebäudes war nicht zugänglich und das zugehörige Museum hatte an diesem Tag geschlossen. Anschauen kann man sich den Tajamar, einer der Staudämme, die im 17. Jh erbaut worden waren. Gemeinsam bildeten die Staudämme ein umfassendes Bewässerungssystem für die Felder, das die Jesuiten geplant und angelegt hatten. Wirklich spektakulär ist die ganze Sache allerdings nicht, genaugenommen handelt es sich einfach um einen kleinen See, wo man sich sogar ein Pedalo mieten kann.
Auf unserem Spaziergang durch das Städtchen kamen wir zufällig an einem grossen Park vorbei, wo augenscheinlich gerade Vorbereitungsarbeiten für ein Festival stattfanden. Wir erkundigten uns im Touribüro und erfuhren, dass es sich um eine Art „Foodfestival“ handeln würde. Also entschieden wir uns kurzerhand, noch ein wenig länger in Alta Gracia zu bleiben und das Festival zu besuchen. Es war wirklich ganz nett, es war klar ein Fest für die Einheimischen, wir waren jedenfalls die einzigen Ausländer dort. Die Locals kamen jedenfalls mit Kind und Kegel und Sack und Pack, breiteten Picknickdecken aus, schlürften Mate und gaben sich alle Mühe, den herumrennenden Nachwuchs im Auge zu behalten. Wir „frassen“ uns durch die diversen Essstände, tranken ein paar Patagonia-Bier und hörten den lokalen Live-Bands zu, welche allerdings nicht besonders eingängig waren. Eine der Bands spielte eine Art Heavy-Metal aber die Sängerin war absolut nicht talentiert und wenn sie herumschrie tat es einem regelrecht in den Ohren weh. Nach dem Gig verabschiedete sie sich mit den Worten: Muchas Gracias, Alta Gracia. Daraufhin schaute mich Jörg mit verdutztem Gesicht an und fragte, ob Alta Gracia wohl sowas wie „hoher Dank“ bedeute. Ich konnte nicht mehr vor lauter Grölen, als ich ihm erklärte, dass wir uns gerade in der Stadt Alta Gracia befanden. Er bringt das manchmal etwas durcheinander, all die ganzen Ortsnamen, mein Jörg, und die Planung ist nun mal mein Ämtchen. Wir verbrachten jedenfalls einen unterhaltsamen Abend, bevor wir uns auf den Rückweg nach Cordoba machten.
Wir unternahmen einen zweitägigen Ausflug nach Capilla del Monte, welches etwa 3h von Cordoba entfernt ist. Capilla del Monte ist bekannt für Ufo-Sichtungen, die Leute erzählen sich Geschichten über seltsame Lichter, die am Nachthimmel über dem nahe gelegenen Cerro Uritorco erschienen. Obwohl wir nicht unbedingt UFO-Freaks sind, dachten wir uns, das ist doch mal was anderes, lass uns da mal hinfahren. Capilla del Monte ist nebst Pilgerziel für Alu-Hüte auch ein Ferienort für Einheimische und es herrschte Sommerferien-Stimmung hier. Abends gab es Jongliervorführungen und Musik in den Strassen, viel Volk war unterwegs. Aber tatsächlich ist vieles auf Ufo getrimmt, im Park gibt es ein Modell einer fliegenden Untertasse, am Ortseingang wird man von einem riesigen Alien begrüsst und in den Souvenirshops gibt es Alien-Krempel zu kaufen.
Wir entschieden uns, ebenfalls den Cerro Uritorco zu besteigen, was sich als anstrengender erwies, als ursprünglich gedacht. Der Aufstieg dauerte gute 4h, der Abstieg 3h. Der Wanderweg wr in 6 Etappen eingeteilt, Punkt 5 war ungefähr in der Hälfte der Strecke. . Am Eingang erhielten wir ein Armband, worauf die Startzeit notriert war. Es wurde uns gesagt, dass es am Punkt 5 einen Kontrollposten gäbe, der Zustand der Wanderer und den Wasservorrat kontrollieren würde, und wenn man den Punkt 5 nicht innerhalb von 2h erreichen würde, dürfte man nicht weiterwandern. Natürlich kamen wir so total in Stress, ich hatte mir die ganze Sache ziemlich anders vorgestellt, ich dachte wir könnten gemütlich wandern. Aber nein, wir hetzten also von Punkt zu Punkt. An jeder Zwischenstation gab es ein Schild, worauf die zurückgelegte Strecke, die vor einem liegende Strecke und die Zeit zum nächsten Punkt notiert war. Idiotischerweise passten die angegebenen Zeiten aber gar nicht so zusammen, dass man es innerhalb von 2h schaffen konnte. Was für ein Schwachsinn. Und wie nicht anders zu erwarten war, war auch der ganze Stress umsonst, denn am Punkt 5 war keine Menschenseele, die irgendetwas kontrollierte. Wir hätten es ja eigentlich wissen müssen. Typisch Lateinamerika halt. Nerv. Überraschenderweise war auch der Abstieg unerwartet hart, vor allem weil der Berg sich von der Sonne inzwischen derart erhitzt hatte, dass die vegetationsarmen Felsen regelrecht glühten. Man hatte beinahe das Gefühl, zu kochen, während man die steilen Wege mühselig wieder hinunterstieg. Es schien ewig zu dauern, bis wir endlich wieder am Fuss des Berges ankamen.
Leider sahen wir unterwegs keine Ufos, lediglich Argentinier, dafür deren haufenweise. Auch die Aussicht von oben war nicht besonders spektakulär, obwohl die Latinos in ihrer üblichen Begeisterung allesamt ausriefen, wie absolut hermoso es sei. Alles ist hier immer gleich hermoso. Wir jedenfalls verbuchten die ganze Sache als reines Fitness-Training.
Am nächsten Tag stürmte es. Bevor unser Bus fuhr, wollten wir noch kurz im „Centro de Informes OVNI“ vorbeischauen, um etwas über die UFO-Sichtungen zu erfahren. Beim „Centro de Informes OVNI“ handelt es sich, wie sich herausstellte, um das Wohnzimmer eines Ehepaars, welches offenbar eine absolute Leidenschaft für dieses Thema hegt und fragwürdige Informationen aus aller Welt dazu zusammenträgt. Es hätte eigentlich noch ein Film zur „Ausstellung“ gehört, aber leider gab es aufgrund des Sturms einen Stromausfall, so dass wir diesen leider verpassten und uns nur die Informationstafeln anschauen konnten. Sie enthielten Informationen zu Kornkreisen, der Area 51 in den USA, gefundenen Skeletten von angeblichen Riesen in Ecuador, Berichten aus dem ebenfalls für UFO-Sichtungen bekannten Rosswell und einem Spiegel aus geheimnisvollen Material in Afrika. Besonders witzig war eine Schautafel mit Bildern von gesichteten UFOS aus aller Welt. Überraschend oft waren Fotos aus der Schweiz aus angeblich verschiedenen Jahren vertreten, wobei die Bilder alle von der selben Person stammten und sich die fliegenden Untertassen wirklich auffällig ähnlich sahen. Tatsächlich gab es in Capilla del Monte eine Geschichte von der Familie Gomez, die 1986 helle Lichter und ein Ufo gesehen haben wollte. An einem Berghang entdeckte man daraufhin eine riesige Brandspur. Messungen ergaben, dass sie 125x70m gross war. Wie sie entstand, blieb unbekannt. Offiziell wird von meteorologischen Phänomenen gesprochen und von besonders energetischem Gestein im Innern des Cerro Uritorco.
Auch die Leiterin des „informationszentrums“ berichtete uns von mehreren eigenen Ufo-Sichtungen, sogar Handyvideos wurden uns vorgezeigt, auf denen allerdings nicht besonders viel zu erkennen war.
Klar, es ist leicht, die gute Dame als Freak abzutun, sie wirkte schon ein wenig freakig. Andererseits ist es ja auch schön, wenn jemand seinem Leben so voller Inbrunst und Leidenschaft etwas widmet an das er glaubt. Immerhin werden erst so die grossen Entdeckungen gemacht. Und wer weiss, niemand von uns kann ausschliessen, dass an der ganzen Sache wirklich etwas dran ist. Es wäre ja auch wirklich ein verdammter Zufall, wenn wir die einzigen Lebewesen in diesem unendlichen und unergründlichen Universum wären.....
Von Cordoba aus unternahmen wir einen weiteren Ausflug, welcher tatsächlich zu einem der Highlights der ganzen Reise werden würde. Im Örtchen Jesus Maria, ebenfalls etwa 1h von Cordoba entfernt, findet alljährlich das Festival de Doma y Folklore statt. Tatsächlich hatten wir länger ge-wer-weisst, ob wir überhaupt dahin fahren sollen, weil wir dafür einen Tag länger in Cordoba bleiben mussten, wovon wir an sich wenig begeistert waren. Tatsächlich hatte es sich mehr als gelohnt, gottseidank sind wir geblieben, um diese fantastische Erfahrung zu machen.
Zunächst einmal mussten wir uns Tickets besorgen. Dafür machten wir in Cordoba den einheimischen „Ticketcorner“ ausfindig. Die Sache artete allerdings zu einer Geduldsprobe aus, da just in diesem Moment, als wir am Schalter auftauchten, dort Schichtwechsel stattfand. Ja, das ist ja kein Problem, mag sich der geneigte Leser denken, dann wartet man halt kurz einen Moment. Nicht so in Lateinamerika, hier kann dieser Moment nämlich gut und gern 30 Minuten dauern, während man vor dem verdammten Schalter steht und von den Angestellten geflissentlich ignoriert wird, während sich hinter einem schon langsam eine längere Schlange bildet. Als sich die Mitarbeiter dann doch endlich dazu berufen fühlten „Adelante“ zu rufen, war der Geduldsfaden schon fast gerissen, und er riss definitiv, als die werten Angestellten keinerlei Fragen zum Festival beantworten konnten. Zumindest konnten sie uns so halbwegs überzeugend Auskunft darüber geben, wann es anfängt, aber wie das Programm ist, wie man am besten dorthin und wieder zurück kommt, oder ob es ausserhalb des Stadions vor der Veranstaltung noch ein wenig Rahmenprogramm und Volksfest gibt, keinen blassen Schimmer. Auch nicht, wie man genau zu den nummerierten Tribünenplätzen kommt, sie können einem nur den „Entrada General“ (also den Haupteintritt) verkaufen. Gut, dann nahmen wir halt erstmal den. Zum Glück fanden wir dann am Busterminal heraus, dass die ganze Nacht über Busse jede Stunde hin- und zurück zwischen Cordoba und Jesus Maria pendeln, so konnten wir uns zumindest die mühsame Suche in letzter Minute nach einer Unterkunft ersparen.
Am besagten Tag fuhren wir also raus nach Jesus Maria. Tatsächlich gab es ein Fest vor dem Stadion. Es gab verschiedenste Essens- und Getränkestände, wo wir etwas futterten, sowie einen kleinen Markt, wo man durchschlendern konnte. Wir erkundigten uns an der Abendkasse nach den speziell markierten Tribünenplätzen und trafen dort auf eine sehr freundliche und hilfsbereite junge Mitarbeiterin, die uns davon abriet, uns diese Plätze zu kaufen. Es sei viel schöner, sich mit dem „Entrada General“ unter das „Fussvolk“ zu mischen. Zum Glück, denn sie hatte absolut recht. Als wir das Stadion betraten, war es zwar schon prall gefüllt, so dass wir leider keinen Sitzplatz ergattern konnten. Anders als bei uns kann man bei argentinischen Festen seine Getränke selber mitbringen, man muss also nicht teure Getränke im Innern des Stadions kaufen. Auch Alkohol ist kein Problem, man muss es einfach in Plastikflaschen umfüllen, Glasflaschen sind nicht erlaubt. Was zwar auch ein wenig absurd ist angesichts der Tatsache, dass viele Leute in der traditionellen Gaucho-Tracht gekommen waren, zu der ein riesiges Messer gehört. Aber naja, so sind halt die Gepflogenheiten. Auch Kühlboxen kann man mitbringen, für diese muss man allerdings die Hälfte des Entrada General entrichten. Was allerdings in Ordnung ist, denn der Eintritt ist wirklich nicht teuer. Die Argentinos kamen also mal wieder ausgerüstet mit allen Schikanen, den halben Haushalt hatten sie dabei, als hätten sie vor, sich im Stadion häuslich einzurichten. Decken wurden ausgelegt, um die Plätze zu reservieren, Essen und Getränke ausgebreitet, Spielzeug für die Kinder fehlte auch nicht und natürlich auch nicht die üblichen Mate-Utensilien. Es konnte also losgehen mit dem Fest. Die Argentinos feiern spät, solche Events gehen erst spät abends los und dauern bis zum frühen Morgen. Die Kinder sind einfach dabei und wenn sie schlafen, schlafen sie halt.
Das Fest dauert 10 Tage, jeden Abend ist hier der Teufel los. Während des Festivals findet ein Doma-Turnier statt (Rodeo, Pferdezähmung). An jedem Abend treten Männer in verschiedenen Kategorien an, am letzten Abend werden im Final die Sieger gekürt. Es geht dabei darum, sich möglichst lange auf einem wilden Pferd zu halten. Zunächst werden die Pferde an einem Pfahl festgebunden und ruhig gehalten. Anschliessend sitzt der Reiter auf und dann wird das Pferd losgelassen. Ab dann läuft die Uhr rückwärts. In der leichteren Kategorie trägt das Pferd eine Art kleiner Sattel, wo der Reiter aufsitzen und sich festhalten kann. Dann muss er sich 12 Sekunden auf dem Pferd halten, um eine Runde weiterzukommen. Wenn der Reiter keine Hilfsmittel hat, also keinen Sattel, und direkt auf dem nackten Rücken des Tieres sitzt, beträgt das Zeitlimit 8 Sekunden. Wenn er diese Zeit übersteht, erklingt ein Horn, die Uhr wird angehalten und der Reiter wird von 2 Ayudantes (Helfer) auf Pferden vom wilden Pferd geholt, während andere Ayudantes anschliessend das durchgegangene Pferd einsammeln. Wenn der Reiter vor der Zeit vom durchgehenden Pferd abgeworfen wird....dann......gilt es die Hände schützend vor die Hoden zu halten, den Kopf einzuziehen und zu hoffen, dass das Pferd nicht über einen trampelt. Man ist dann natürlich raus aus dem Turnier. Frauen nehmen übrigens an den Rodeos nicht teil, allerdings gibt es Frauen, die als Ayudantes mitreiten.
Tierschutzorganisationen werfen den Veranstaltern regelmässig Tierquälerei vor. Tatsächlich ist es sicher nicht besonders angenehm für die Pferde, den ganzen Abend in diesem engen und vor allem lauten Stadion festgehalten zu werden, und die Praktiken des Zureitens, die hier vorgeführt werden, sind auch nicht besonders tierfreundlich. Am Tag zuvor hatte ich sogar im Internet gelesen, dass während des Festes einige Tage zuvor ein Pferd beim Rodeo so sehr verletzt wurde, dass es erlöst werden musste. Andererseits gehören diese Bräuche seit ewigen Zeiten zur Kultur dieser Menschen, das Fest hat eine lange Tradition und es ist schwierig, diese Leute davon abzubringen. Die Leute reisen aus dem ganzen Land an, geben viel Geld aus für Fahrt und Unterkunft, um hier dabei zu sein, es ist für viele das Highlight des Jahres. Tatsächlich reagierten die Leute fast neidisch, wenn wir später erzählten, wir seien in Jesus Maria am Festival de Doma y Folklore gewesen. Und wir waren wirklich die einzigen Ausländer in diesem ganzen Stadion. Dies ist definitiv ein Anlass für Einheimische und kein Touri-Spektakel. Es gibt überall im Land Touristen-Estancias, wo man für viel Geld übernachten kann und Gaucho-Reitshows vorgeführt bekommt, aber das hier ist definitiv etwas anderes. Das hier war authentische Gaucho-Kultur, weswegen es für uns ein so tolles Erlebnis war.
Obwohl ich mir vor Ort ein typisches Gaucho-Käppchen zulegte, um mich besser unters Volk zu mischen, fielen wir natürlich trotzdem auf wie die bunten Hunde. Trotzdem fühlten wir uns sehr willkommen, jeder antwortete bereitwillig auf unsere Fragen und erklärte uns gerne die Regeln des Rodeos, wenn wir uns danach erkundigten.
Zwischen den Reitturnieren gab es Konzerte lokaler Künstler auf der Bühne, die wir aber natürlich alle nicht kannten. An jedem Abend gibt es noch eine spezielle Show, welche das Motto des Abends darstellt. An unserem Abend war es eine Folklore-Gruppe aus Salta, die lokale Tänze auf dem riesigen Feld vorführte. Ansonsten gab es viele Verpflegungsstände, Marktstände, wo man alle möglichen Produkte des Gaucho-Bedarfs erwerben konnte (Zaumzeug, Sättel, kunstvolle Gürtelschnallen, etc) und eine automatische Rodeo-Anlage für Kinder, wo sie ihre ersten Erfahrungen auf einem Plastikpferd sammeln konnten.
Im Verlauf des Abends freundeten wir uns mit einem Grüppchen junger Leute an. Als die letzte Rodeo-Runde des Tages vorüber war, wurden die Tore zur Wiese geöffnet und alle Leute strömten nach unten, um sich ein weiteres Konzert aus der Nähe anzuhören. Unsere neuen Freunde (wir wissen leider nicht mal die Namen) luden uns ein, mit ihnen nach unten zu kommen. Dort amüsierten wir uns gemeinsam, tanzten und tauschten Rum und Fernet-Coca aus (der beliebteste Cocktail der Argentinier: Fernet Branca mit CocaCola). Als Jörg dann einmal losging, um einen weiteren Fernet-Coca zu holen, wurde ich von einem Jungen angesprochen, ob ich mit ihm tanzen möchte. Das tat ich natürlich und währenddessen fragte er mich, ob ich alleine hier sei. Als ich antwortete, nein mit meinem Freund, fragte er sofort, ob mein Freund gefährlich sei. Ich lachte und winkte ab. Als Jörg dann auftauchte mit dem Fernet-Becher in der Hand, kriegte es der Junge dann wohl doch etwas mit der Angst zu tun, angesichts der Tatsache, dass Jörg fast doppelt so gross war wie er selber. Er wirkte jedenfalls ziemlich nervös, worauf ich ihn natürlich beruhigen wollte. Leider spielt exzessiver Konsum von Fernet-Branca in Sachen Beherrschung einer Fremdsprache eine zentrale Rolle. Eigentlich hatte ich ja sagen wollen, dass mein Jörg zahm sei wie ein Schaf. Tatsächlich sagte ich wohl, Jörg sei ein Schaf. Als ich mit Lachen über meine eigene Dämlichkeit fertig war, und Jörg einen Entschuldigungskuss gegeben hatte, war der Junge dann jedenfalls in der Menge verschwunden.
Bald war es dann aber auch Zeit für uns, uns auf den Rückweg zu machen, inzwischen war es nämlich schon fast 5 Uhr morgens! Also verabschiedeten wir uns von den anderen und torkelten langsam zurück richtung Busbahnhof. Es war definitiv zuviel Fernet-Coca gewesen. Und wir hatten sogar immer noch einen Becher voll in der Hand. Als der Busfahrer dann verkündete, dass man keine Getränke mit in den Bus nehmen darf, und wir uns dann ein wenig hilflos anschauten, schnappte sich unser Vordermann in der Warteschlange kurzerhand unseren Fernet-Becher, packte ihn in seinen leeren Matekrug und schmuggelte ihn so für uns in den Bus. Wirklich sehr freundlich,vielen Dank, obwohl der letzte Becher eigentlich auch nicht mehr unbedingt hätte sein müssen. Als wir jedenfalls wieder in Cordoba ankamen, war es bereits weit nach 6 Uhr morgens, es war Tag, die Sonne schien. Die Diskussion, ob es wohl mitten in der Nacht Taxis geben würde, um wohlbehalten zurück zum Hotel zu kommen, hatte sich damit auch erübrigt. Wir schleppten uns zurück zum Hotel, und fielen erstmal ins Bett, wo wir auch mehr oder weniger den ganzen Tag blieben, um unseren Kater auszuschlafen. Erwähnte ich eigentlich schon, dass die Argentinier Alcaselzer gleich im Set zusammen mit einer Kopfschmerztablette verkaufen? Wirklich gute Sache!
Cordoba selber ist keine schöne Stadt, viel zu sehen gibt es jedenfalls nicht. Aber die Städte in Argentinien sind eigentlich allesamt nicht besonders sehenswert, wegen den Städten muss man dieses Land jedenfalls nicht bereisen. Es gibt in Cordoba zwar einige schöne Kolonialhäuser und Kirchen aber insgesamt einfach kein hübsches Stadtbild.
Unser erstes Hostel war mehr als übel, im Gemeinschaftsbereich gab es nicht einmal ein Dach. Als es regnete stand der ganze Laden unter Wasser. Die Mitarbeitenden kümmerte das keine Spur, sie brachten lediglich ihren eigenen Krempel vor dem Wasser in Sicherheit. Auch dass ich ausrutschte und übelst auf die Schnauze fiel, als ich aus dem Zimmer trat, war kein Anlass etwas gegen den See im Gebäude zu unternehmen. Zum Glück habe ich mir nichts ernstes getan, obwohl mir nachher tagelang der Ellbogen wehtat, auf den ich mit voller Wucht draufgefallen war. Wir wechselten dann auf jeden Fall erstmal die Unterkunft.
Auf unseren Wanderschaften durch die Stadt kamen wir zufällig an einer Veranstaltung vorbei, wo auf einem öffentlichen Platz bolivianische Volkstänze vorgeführt wurden. Natürlich erkannten wir den Stil der Kostüme und der Musik sofort, inzwischen sind wir ja schon richtige Kenner der verschiedenen Kulturen auf diesem Kontinent. Offenbar fand gerade ein internationales Festival statt, und diese Aufführung war teil davon. Unzählige Tänzer versammelten sich schön kostümiert im leichten Nieselregen und tanzten für das Publikum und auch wir schauten eine Weile zu.
Am Wochenende besuchten wir die Feria Artesanal, welcher einer der besten Märkte des Landes sein soll. Als wir dort ankamen, war das Gelände komplett ausgestorben, obwohl es bereits 18 Uhr war, und es längst hätte losgehen sollen. So nach und nach kamen einige Leute herbei und begannen, Stände aufzubauen. Aha. Offenbar hatte man auch hier Verspätung. In der Zwischenzeit besichtigten wir das Museo Iberoamericano de Artesanias, welches aber überhaupt nichts bot, weshalb wir schon nach wenigen Minuten durch waren. Anschliessend gingen wir noch in ein Cafe und tranken den wohl wässrigsten Frucht-Smoothie aller Zeiten. Als es dann endlich losging mit dem Markt, waren wir auch davon ziemlich enttäuscht. Viel zu tun oder zu sehen gibt es hier nämlich auch nicht, obwohl plötzlich viele Leute in die Gegend geströmt kamen. Ein wirklich abendfüllendes Programm für unseren Sonntagabend war das jedenfalls nicht.
Schon von weitem sahen wir einmal die Kirche Parroquia Sagrado Corazon de Jesus de los Capuchinos, welche wirklich sehr hübsch ist. Also machten wir uns auf, etwas näher ranzukommen. Unterwegs kamen wir an einer durch die Polizei abgesperrten Strasse vorbei und da lag, eingewickelt in eine Abfalltüte, eine Leiche mitten auf der Strasse. Man sah noch einen Arm aus dem Abfallsack hervorschauen. Das war dann gleich mal wieder zuviel für mich. Ich war vollkommen entsetzt ob der Tatsache, dass da erstens einfach ein toter Mensch auf der Strasse lag und dass dieser zweitens einfach total lieblos in einen Abfallsack gepackt wurde. Die Lust auf Kirchensightseeing war mir für den Rest des Tages jedenfalls erstmal gehörig vergangen.
Dann wurden wir zu allem Überfluss auch noch Zeugen eines Busunfalls, als zwei Busse einen Auffahrunfall hatten. Die Rückscheibe des vorderen Wagens sprangen gleich in tausend Stücke, nachdem der Rückspiegel des hinteren durch die Scheibe schlug. Die Leute auf der Rückbank hatten wohl auch einen gehörigen Schock davon getragen.
Wir hätten auch hier gerne noch das Museo de la Memoria besucht, aber leider hatte es immer geschlossen, wenn wir Zeit dafür gehabt hätten. Pech.
Eine weitere sehr interessante Begegnung hatten wir mit einem mexikanischen Reisenden, den wir in unserem Hostel kennengelernt hatten. Er war schon älter, bereits pensioniert und war ungefähr dieselbe Rute gereist, wie wir. Wir tauschten uns über Erlebnisse, Unwegbarkeiten und Vor- und Nachteile des Reisens aus. Wir sprachen davon, dass es für uns teilweise mühsam sei, wenn wir sagen, dass wir aus der Schweiz kommen, und die Leute dann gleich für alles mehr Geld haben wollen. Er lachte und sagte, für ihn sei es mühsam zu sagen, dass er Mexikaner sei, da alle Leute denken, er sei ein Krimineller und wolle Drogen schmuggeln. Gerade an diesem Tag sei er nichts ahnend auf einer Bank im Park gesessen, als er plötzlich von der Polizei angesprochen wurde. Offenbar hatten andere Leute im Park die Polizei auf ihn aufmerksam gemacht, weil sie sich wohl irgendwie unsicher fühlten. Tatsächlich sind die Menschen hier in Argentinien einiges weisser als anderswo, so dass dunklere Latinos aus Bolivien, Peru oder eben Zentralamerika sofort auffallen. Und so wurde er dann von der Polizei im Park gründlich kontrolliert. Auch an den Grenzübergängen bringe er teilweise Stunden zu, bis er durchgelassen werde. So hatten wir die ganze Sache natürlich gar noch nie gesehen. Das ist auch nicht gerade toll, wenn man immer und überall gleich unter Generalverdacht steht. Armer Kerl. Da können wir uns ja gleich glücklich schätzen mit unseren Luxusproblemen.....