Foilsithe: 25.02.2020
9 am. Heute bietet Busher an, uns ein wenig die Gegend zu zeigen, was wir dankend annehmen. In einem spannungsgeladenen Gebiet wie hier ergibt es auf jeden Fall Sinn, mit jemandem unterwegs zu sein, der sich etwas besser auskennt. Wir fahren heraus aus Majdal Shams und durch die benachbarten drusischen Dörfer. Fünf dieser arabischen Dörfer aus der Zeit vor der Besetzung gibt es hier noch. Bzw. vier – in einem Dorf haben Drus*innen bei Beginn der israelischen Besetzung die israelische Staatsbürgerschaft angenommen, weshalb sie von der restlichen drusischen Gemeinde nicht mehr als arabisches Dorf angesehen werden. Ursprünglich waren es mal über 200 arabische Dörfer. Mittlerweile alle dem Erdborden gleichgemacht. Ein paar vereinzelte alte Häuser sieht man noch. Teilweise leerstehend, teilweise als israelische Militärcamps umfunktioniert, teilweise von Kugeln durchlöchert. Alle anderen Überreste befinden sich mittlerweile unter der Erde.
Dass gerade die drusischen Dörfer „überlebt“ haben, ist jedoch kein Zufall, sondern Kalkül, wie Busher uns sagt. Die israelische Regierung wollte mit Bedacht alle Drus*innen und Christ*innen hier behalten, um sie von der muslimischen Gesellschaft abzuspalten. In dem Plan wurde jedoch nicht bedacht, dass es sich hier um eigenständige Menschen und nicht um hirnlose Objekte handelt. Nur eine Minderheit der Leute hier hat die israelische Staatsbürgerschaft angenommen. Alle anderen zogen es vor, stattdessen in Staatenlosigkeit zu leben
Es ging allerdings um mehr als nur das. Ganz abgesehen von geographischer Trennung und Aufenthaltsstatus fängt die ungleiche Behandlung schon in Kindesschuhen an. Es gibt hier unterschiedliche Bildungspläne für die Kinder, wie uns Busher nun sagt. Die Schulen sind nach Religion aufgeteilt, überall werden andere Inhalte gelehrt – das heißt, ein drusisches Kind lernt einen anderen Inhalt im Geschichtsunterricht als etwa ein christliches Kind. Es ist natürlich schwer abzuschätzen, inwieweit diese ungleiche Behandlung wirklich so durchgesetzt wird, aber alleine der Gedanke daran, dass es auch nur ansatzweise und berechnend so praktiziert wird, macht mir wirklich Gänsehaut.
Natürlich gibt es hier auf den Golanhöhen noch mehr als nur fünf drusische Dörfer. Es handelt sich um Siedlungen. Sie sind wie immer unschwer von den arabischen Dörfern zu erkennen. Abgeschirmt mit einem bewachten Stacheldrahtzaun sehen sie aus, als wären sie in kleine Waldflecken hineingebaut. Siedler*innen hier haben in der Regel ein großes Anwesen mit Garten, sagt Busher uns. Die drusischen Dörfer hingegen dürfen nicht über das bestehende Territorium hinaus ausgebaut werden, weshalb sich dort alles auf engstem Raum ansammelt. Es wirkt ein bisschen so, als würde er uns hier ein Drehbuch für einen Film erklären.
Unser Weg führt uns nun hoch auf einen Berg, von wo aus man bis nach Syrien sehen kann. Und nicht nur das. Es befindet sich dort ein Bunker und ein von Mauern umgebenes Gelände, von aus Soldaten im arabisch-israelischen Krieg nach unten gefeuert haben. Als 2011 Krieg in Syrien ausbrach, konnte man von hier den Raketenregen beobachten. Der See und das Dorf, das man auf syrischer Seite sehen kann, wirken nun so seltsam friedlich. In einem israelischen Café hier oben kann man nun „lokale“ Souvenirs kaufen. Die Absurdität an diesem Ort ist wirklich nur schwer zu beschreiben.
Wir fahren den Berg wieder herunter und halten an einem kleinen See. Ein schöner Ort zum Campen im Sommer, sagt Busher uns. Und das ist nicht schwer vorstellbar, wenn man sich diese Idylle so anschaut. Ja, es sei sehr schön hier, sagt er. Deshalb wollten die Drusen hier einfach nur ihre Ruhe haben. That’s it. Als wir zurück ins Auto steigen, fahren zwei LKWs an uns vorbei, auf deren Ladeflächen zwei riesige Panzer stehen. Wie im Film, sagen wir Busher, aber er versteht nicht, was wir meinen. Er scheint die Panzer gar nicht gesehen zu haben. Oder sie nicht als einen nicht nennenswerten Anblick zu empfinden.
Unser nächster Stopp ist bei Busher’s Farm. Ein paar Obstplantagen unterhält er hier noch. Es ist in letzter Zeit zum wiederholten Male vorgekommen, dass das Schloss an seinem Tor hier aufgebrochen wurde. Den Spuren nach zu urteilen hat ein Viehbauer seine Kühe auf Bushers Farm grasen lassen. Vermutlich einer der „Wochenend-Cowboys“, sagt er uns, wie er die Siedler hier nennt. Er hat sich jetzt eine Kamera von einem Freund ausgeliehen, die er versteckt hier irgendwo installieren will. Es ist wirklich traurig, dass hier auf den gesetzten Gebieten fast niemand mehr ohne Überwachungskamera auszukommen scheint.
Wir fahren jetzt wieder zurück nach Majdal Shams, wo Busher uns in einen kleinen lokalen Sandwich-Laden bringt, in dem auf einem speziellen Brot-Stein frisches Brot mit Hummus, Zaatar und Olivenöl gefüllt wird. Dazu gibt es frische Oliven aus der Region. Ich habe wirklich selten so ein leckeres Sandwich gegessen. Wir verabschieden uns nun von Busher und fahren noch einmal auf eigene Faust los.
In den Golanhöhen gibt es was Natur und Aussichtspunkte angeht wirklich einiges zu sehen. Wir entscheiden uns zunächst für Nimrod’s Fortress, die noch sehr gut erhalten und bei strahlendem Sonnenschein wirklich sehr schön anzusehen ist. Außerdem hat man von dort oben einen wirklich wundervollen Blick auf die ganze Umgebung. Den Banias Wasserfall, den wir uns dann noch ansehen wollen, suchen wir leider vergeblich, aber generell die Gegend hier mit dem Auto zu erkunden ist auch wirklich keine verlorene Zeit.
Wir fahren also gegen Abend wieder zurück nach Majdal Shams und können nicht widerstehen, noch einmal in den Sandwich-Laden von heute früh zu gehen. Ein Sandwich ist ja auch sowohl ein gutes Frühstück, als auch ein gutes Abendessen. Während wir uns also den gefüllten Fladen schmecken lassen, kommen wir ins Gespräch mit dem älteren Besitzer des Ladens, der das Geschäft hier zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn führt.
Er will wissen, ob wir schon einmal in Damaskus waren. Das sei nämlich die schönste Stadt überhaupt. Es stellt sich heraus, dass er aus Syrien kommt und seine Familie durch den arabisch-israelischen Krieg und die darauffolgende Besetzung der Golanhöhen getrennt wurde. Ein großer Teil der Familie lebt noch in Damaskus. Dieses Schicksal teilt er mit so vielen anderen Menschen hier auf den Golanhöhen.
Die israelische Besetzung der Golanhöhen hat allerdings nicht nur zufolge, dass die Familien formal in zwei unterschiedlichen Ländern leben, sondern dass sie sich auch nicht mehr sehen können, auch wenn sie im Prinzip nur wenige Kilometer voneinander trennen. Wie die meisten anderen Drusen hat er damals die israelische Staatsbürgerschaft nicht angenommen und daher nur eine Art Duldungsstatus. Damit darf er weder in israelisches Gebiet, noch über die Grenze nach Syrien. „The other side“, wie er Syrien bezeichnet, ist für ihn und seine Familie also zwar so nah, aber dennoch unerreichbar. Sie würden hier schlimmer behandelt als Vieh, sagt er uns. Und die israelischen Besatzer auf der anderen Seite hätten noch weniger Moral, als Tiere. Ein Löwe töte nur, wenn er Hunger habe und fressen will, so erklärt er es uns. Die Besatzer hingegen wollen immer mehr Territorium unter ihre Kontrolle bringen. Koste es, was es wolle.
Trotz dem ganzen Schmerz und dem Frust, der aus seiner Sprache deutlich wird, ist trotzdem kein Hass gegenüber einzelnen Menschen oder Gruppen zu spüren. Er verstehe nicht, warum sich alle immer wegen Religion, Hautfarbe, oder irgendeinem anderen diskriminierenden Grund bekriegen. Es könnten doch einfach alle in Frieden zusammenleben. Als hätte er es geplant, kommt eine Gruppe junger israelischer Soldat*innen in seinen Laden, die alle ihre Waffe umhängen haben und sich nun hier ein Sandwich bestellen. Was man tun kann, fragen wir ihn, als wieder etwas Ruhe im Laden herrscht. Er zuckt mit den Achseln. Reden, sagt er. Miteinander reden.
Es ist mittlerweile dunkel geworden, und es wird Zeit, aufzubrechen. Vorsichtig schlängeln wir uns den Weg an den Schlaglöchern vorbei wieder herunter von den Golanhöhen, zum Ort Tiberias am See Genezareth, wo wir den Abend mit einem Bier auf der Dachterrasse unseres Hostels ausklingen lassen. Das waren zwei wieder sehr intensive und anspruchsvolle Tage.