Foilsithe: 20.02.2020
Samstag + Sonntag, 16. +17. Februar
Wir schlafen mal wieder etwas länger aus, hüpfen unter die Dusche und verabschieden uns dann von Firas, der nun erst einmal zum Urlaub nach Brüssel fliegt. Wir dürfen freundlicherweise noch in seiner Wohnung bleiben und auch ein zweites Mal dort übernachten.
Zum Frühstück um 2 Uhr geht’s in Stephan’s Café (auf Empfehlung von Clara, die schon einmal in Haifa war), wo es extrem leckeres Hummus & Co. gibt, und wir uns dort die Bäuche vollhauen, bevor wir bei Sonnenschein durch Haifas Straßen schlendern. Die Bahai-Gärten hatten wir uns bei unserem letzten kurzen Haifa-Besuch ja schon von unten angeschaut – heute nehmen wir den oberen Eingang und haben von dort einen wundervollen Blick auf die goldene Kuppel des Bahai-Schreins und auf ganz Haifa.
Und viel mehr Programm gibt es heute nicht. Wir nehmen uns Zeit, von dem Berg oben wieder herunterzubummeln, machen kurz Rast in einem Café, und machen dann auf dem Weg zurück in die Wohnung noch einen Abstecher in den Supermarkt, um ein paar Lebensmittel zu kaufen. Zum ersten Mal, seit wir auf Reisen sind, kochen wir also etwas zusammen: Nudeln mit Tomatensoße. Klingt simpel, schmeckt aber sehr lecker. Elias und Ejo, zwei von Firas‘ Freunden, kommen später noch einmal vorbei und drehen mit uns noch eine kleine Runde durch Haifa, bevor wir dann heute Nacht alleine das Haus hüten.
Der nächste Tag: wir packen unsere sieben Sachen zusammen, bevor uns Ejo abholt und mit uns noch einmal den Berg in Haifa hochfährt. In einem österreichischen Pilger-Café, in dem er arbeitet, trinken wir zusammen einen Kaffee und quatschen ein wenig über unsere Pläne für die nächsten Tage. Als wir ihm sagen, dass wir als nächstes in die Golanhöhen wollen und noch keine Unterkunft haben, tätigt er kurz ein paar Anrufe und überbringt uns dann die freudige Nachricht: ein Freund von einem Freund von ihm vermietet eine AirBnB-Wohnung in Majdal Shams, dem größten arabischen Ort in den Golanhöhen, und hat drei Betten für uns frei. Perfekt. Manchmal muss man nur die richtigen Leute kennen.
Ejo setzt uns dann mit seinem Auto unten beim Strand ab, an dem wir bei Sonnenschein zurück Richtung Stadtzentrum schlendern und irgendwann in einen Bus einsteigen. Wir haben uns von verschiedenen Quellen bestätigen lassen, dass man sich in den Golanhöhen ohne eigenes Auto nur schwierig fortbewegen kann, weshalb wir uns für die nächsten drei Tage ein Auto gemietet haben.
Bis wir schließlich am Steuer sitzen, vergeht jedoch noch mehr Zeit als gedacht: nachdem der Bus schon eine knappe Stunde braucht, stellen wir am Ende fest, dass wir nicht an der richtigen Haltestelle sind. Die Erleuchtung kommt im Behandlungszimmer eines Physiotherapeuten, den wir um Rat gefragt haben, und der uns netterweise seinen Computer benutzen lässt. Wir steigen also in einen nächsten Bus und haben es nach etwa zwei Stunden bei schon beginnender Dämmerung geschafft: in einem winzigen KIA Piccanto fahren wir zurück zur Wohnung, holen unser Gepäck, laden die Offline-Karte für die Golanhöhen runter, und düsen dann im Dunkeln los Richtung Norden.
Düsen ist allerdings nicht ganz der richtige Begriff. Zum einen stehen wir aus der Stadt heraus lange Zeit im stockenden Verkehr. Zum anderen ist das Licht unserer kleinen Blechkugel so schlecht, dass wir ohne Fernlicht nur etwa zehn Meter weit schauen können und streckenweise eher kriechen als fahren. Außerdem fahren schon im Gebiet der Golanhöhen angekommen teilweise schwere Gefährte vor uns: immer wieder geraten wir in Kolonnen von Militär-Trucks herein. Bei sonst absoluter Dunkelheit ist das schon ein eher seltsames Gefühl. Nichtsdestotrotz kommen wir irgendwann am späten Abend in Majdal Shams an.
Wir wissen nur ungefähr, wo sich unsere Wohnung hier befindet und begeben uns dort, wo wir sie vermuten, erst einmal auf Parkplatzsuche, als ein Auto neben uns anhält. Die Scheiben fahren herunter und ein Mann ruft fragend „Lea?“ in unsere Richtung. Es handelt sich um Busher, wie wir dann erfahren, dem Vermieter unserer Wohnung, mit dem Lea in Kontakt war. Er hat unser Auto zufällig im Dunkeln hin- und herfahren sehen und direkt uns darin vermutet. Wir sind aber auch Glückskinder.
Busher führt uns nun in unsere Wohnung, und wir sind baff. So etwas hätten wir hier nicht vermutet. Wir treten in einen riesigen Raum mit hohen Decken, der aus zwei Teilen besteht. Es gibt drei Betten, Couches, schöne große Holzmöbel, ein modernes Badezimmer und einen Balkon, von wo aus man einen Blick über ganz Majdal Shams hat. Hier sei früher einmal sein Tonstudio gewesen, sagt uns Busher. Er hat eine eigene Band und ist Musikproduzent. Mittlerweile ist er mit dem Studio in die benachbarte Wohnung auf dem gleichen Flur umgezogen. Er sei dort noch ein wenig mit seiner Freundin an Liedern am herumwerkeln (sie ist Schlagzeugerin und Sängerin in seiner Band), und sie hätten noch Essen und Bier übrig, falls wir ihnen Gesellschaft leisten wollen.
Wir ruhen uns also noch ein wenig auf der gemütlichen Couch aus und statten dann Busher und seiner Freundin noch einen Besuch ab. Das Studio in dieser neuen Wohnung lässt uns erneut staunen. Es ist ebenfalls groß, schön geschnitten und unheimlich geschmackvoll mit alten Möbeln eingerichtet. Busher sitzt vor einem riesigen Mischpult, im Raum daneben lagern unzählige Instrumente. Dies ist sicherlich ein perfekter Ort, um sich kreativ auszuleben. Zu leckeren Snacks uns Bier erzählt uns Busher nun ein wenig über die Gegend hier.
Dass es sich bei den Golanhöhen um einen ehemaligen Teil Syriens handelt, der im Arabisch-Israelischen Krieg 1967 von Israel besetzt wurde, wissen wir schon. Auch wenn außer Israel und den USA kein Land die Golanhöhen als israelisches Gebiet anerkennt, ist es derzeit faktisch so: Durch den Krieg wurden geschätzt zwischen 80.000 und 130.000 Syrer*innen aus dem Gebiet vertrieben. 23.000 Drusen leben noch dort (warum gerade sie in ihrem Gebiet bleiben durften, später noch mehr), in einem kleinen Gebiet mit fünf Dörfern, kontrolliert von Israel. 200 Dörfer gab es ursprünglich, bevor der Hauptteil der dortigen Bevölkerung vertrieben wurde. Dafür gibt es mittlerweile 33 neue Dörfer: bewohnt von etwa 27.000 jüdischen Siedlern.
Im Prinzip sei die ganze Situation hier in diesem Gebiet nicht kompliziert, sagt uns Busher. Jeder könne nachlesen, wer hier wen besetzt. End of the story. Den Drusen wurde bei Besetzung des Landes die israelische Staatsbürgerschaft angeboten, was über 90% der Drusen ablehnte. Sie sehen sich als Syrer, nicht als Israelis. Demzufolge besitzen die meisten hier keinen Pass, sondern nur ein Dokument, das ihnen erlaubt, hier zu wohnen, und zu reisen, sofern sie von Israel ein Visum ausgestellt bekommen.
Staatenlos sind sie also. Das bedeutet gleichzeitig auch Einschränkungen unterschiedlichster Art. Vor kurzer Zeit wurde Busher’s Band für einen Auftritt in Schweden gebucht, den sie kurzfristig absagen mussten, weil sie kein Visum bekommen haben. Besuche in das „Nachbarland“ Syrien (im Prinzip also das Fortbewegen im eigenen Heimatland), wo quasi alle Drusen, die hier leben, noch Verwandte haben, sind mittlerweile so gut wie unmöglich geworden. Früher war es zumindest noch möglich, zum Studieren nach Syrien zu gehen, sagt uns Busher. Es gab genau einen Tag im Jahr, an dem Studierende nach Syrien ein- und ausreisen konnten (Grenzübergänge in beide Richtungen waren wirklich nur im Einjahres-Takt möglich). Seit dem Krieg in Syrien 2011 wurde selbst das unterbunden. Familien, die auf beiden Seiten verteilt sind, sind also erst einmal für unbestimmte Zeit voneinander getrennt.
Die Situation sei aussichtslos, sagt uns Busher. Es gab schon unzählige Demonstrationen (friedlich wohlgemerkt), Petitionen, Schreiben an die UN. Am Ende sei jedoch alles Quatsch. Das Leben müsse irgendwie weitergehen. Womit er natürlich Recht hat. Und dennoch kann man nur mit dem Kopf schütteln, je mehr man über die Situation hier erfährt. Siedler habe es hier auf den Golanhöhen schon immer gegeben, seit dem Krieg 1967 in rasant steigender Anzahl. Nach dem Kriegsbeginn in Syrien 2011 seien die Golanhöhen sogar aktiv im Fernsehen für israelische Siedler angeworben worden, um die Siedlungen dort zu erweitern.
Auf die Frage, wer genau sich hier eigentlich ansiedelt, merkt Busher an, dass es hier im Gegensatz zu den meisten Siedlungen in der Westbank eher wenige Ultra-Orthodoxe Jüd*innen gebe. In die Golanhöhen kommen vor allem extrem reiche Siedler, die sich hier vor allem am Wochenende aufhalten, um sich in der schönen Natur in ihren großen Gärten innerhalb der Siedlungen eine Auszeit zu gönnen. Sie haben außerdem auch das sehr fruchtbare Land für sich entdeckt, auf dem loacals schon seit Ewigkeiten Landwirtschaft betreiben. Mit der Ernte, die auf nun von Siedlern besetzen Landstücken eingefahren wird, werde die lokale Landwirtschaft zerstört. Viele der lokalen Bauern haben ihr Geschäft aufgegeben, sagt Busher uns. Früher habe hier jede Familie in der Landwirtschaft gearbeitet, inklusive seiner.
Nach ein paar Tagen Auszeit sind wir nun wieder in der abstrusen politischen Realität hier vor Ort angekommen. Und wie immer ist das alles nur schwer zu begreifen.