Foilsithe: 31.03.2022
Somerset West
Nach fast zwei Monaten, 6000 Kilometern Fahrt, unzähligen Stunden im Auto und 40 Nächten in unserem geliebten Dachzelt sind wir in Somerset West angekommen - unserem ersten Langzeitstopp. Offiziell gehört es noch zu Kapstadt, liegt aber eine Dreiviertelstunde außerhalb zwischen den wunderschönen, grünen Winelands und dem atlantischen Ozean. Das Unterwegs-sein ist vorbei, denn wir bleiben bis Ostern hier. Schon vor zwei Jahren haben wir beschlossen, ein Auslandspraktikum zu machen. Schnell stand fest, dass Südafrika mit seiner vielfältigen Weinkultur und einem breiten Angebot an Deutschunterricht für uns beide das ideale Land darstellt, um diese Pläne in die Tat umzusetzen. Für mich geht es an eine der renommiertesten Schulen des Landes, um als Assistenzlehrerin etwas mehr Erfahrung im Unterrichten von Deutsch als Fremdsprache zu bekommen. Maxi hingegen erweitert seinen Horizont und wechselt von der Wein- zur Ginproduktion.
Für diese Monate verlassen wir unser schnuckeliges Dachzelt und wechseln in ein etwas komfortableres Airbnb-Appartment, wo wir nicht nur ein richtiges Bett und Badezimmer, sondern endlich auch wieder eine richtige Küche, ein Sofa und eine Terrasse mit Garten haben. Vor unserer Reise hatten wir uns noch etwas Sorgen um die Sicherheit in der Wohngegend gemacht, aber wir fühlen uns gleich von Beginn an wohl. Manche Menschen wohnen in riesigen Wohn-Estates mit dutzenden gleich aussehenden Häuschen, von hohen Mauern umgeben und mit Security-Mitarbeitern am Tor. Unser Haus ist zwar auch von einer Mauer umgeben (etwas anderes sieht man hier nicht), liegt aber in einer normalen Straße in einer schönen Wohngegend. Komische Gestalten sieht man hier eigentlich nicht, außer wenn die Müllabfuhr kommt. Dann laufen schon frühmorgens Obdachlose mit Einkaufswagen von Haus zu Haus, um den Müll nach brauchbaren Gegenständen zu durchsuchen.
Unser Auto passt gerade so millimetergenau in die Parklücke auf dem Grundstück, so dass wir uns darum keine Sorgen machen müssen. Obwohl man ab und zu Horrorstorys von Einbrechern hört, die mit Teppichen Elektrozäune überwinden, scheint das doch eher die Ausnahme als die Regel zu sein. Die ersten Tage verbringen wir damit, uns in unserem Apartment einzurichten und in der neuen Umgebung einzuleben. Von unserer Terrasse haben wir einen direkten Blick auf den markanten Helderberg, der abends beim Sonnenuntergang in rosa-roten Farben leuchtet.
Die Schule
Inmitten der umliegenden Weinberge befindet sich der riesige Schulcampus, auf dem ich in den ersten Tagen vor Schulbeginn schon die anderen neuen Lehrer:innen kennenlerne. Anders als in Deutschland sprechen sich alle beim Vornamen an und es herrscht direkt eine vertraute und wohlwollende Atmosphäre. Die Schulen haben keine Halbjahre, sondern vier Terms pro Jahr. Die Sommerferien beginnen Anfang Dezember und gehen bis Anfang Januar, wenn in Südafrika Hochsommer ist.
Sich in einem anderen Schulsystem zurechtzufinden, ist erstmal etwas überfordernd. Anders als in Deutschland gibt es viel mehr Privatschulen, die von den “reichen” und privilegierteren Schüler:innen besucht werden. Öffentliche Schulen sind nicht hoch angesehen, werden aber von denjenigen Kindern besucht, die sich die halb-privaten oder privaten Schulen nicht leisten können.
Die Schüler:innen besuchen von der 8. bis zur 12. Klasse die Senior School.Generell gehen alle Schüler:innen gemeinsam auf eine Schule, also nicht unterteilt in Gymnasium, Realschule oder Hauptschule, unterscheiden sich aber in den Abschlüssen, die sie erwerben. Viele Schulen im Raum Kapstadt bieten Deutsch als Fremdsprache an, vermutlich wegen den zahlreichen deutschen Auswanderern in dieser Gegend. Die Deutschen, die nur die deutschen Wintermonate in Südafrika verbringen, werden von den Einheimischen auch scherzhaft “Schwalben” genannt. Wenn man sich die Umgebung hier anschaut, kann man sich aber auch wirklich schlechtere Orte vorstellen, um dem eisigen europäischen Winter zu entfliehen.
Das Schulleben unterscheidet sich in Südafrika sehr von dem in Deutschland. Alle Schüler:innen tragen eine Schuluniform und müssen zum Nachsitzen, wenn etwas nicht richtig sitzt, die Haare zu lang sind, der Bart nicht richtig rasiert ist oder ein falsches Schmuckstück unerlaubt getragen wird. Die erste Schulstunde ist sogar zehn Minuten länger, um die Kontrolle des Aussehens vorweg zu ermöglichen. Auch sonst sind die Schüler:innen sehr diszipliniert, grüßen die Lehrkräfte immer, lassen den Lehrkräften immer den Vortritt und sind unfassbar höflich. Das Gemeinschaftsgefühl wird dadurch gestärkt, dass jeden Montag eine Versammlung mit der gesamten Schule (8.-12. Klasse) stattfindet, in der Ereignisse revue passiert werden lassen und über Sportveranstaltungen und Erfolge einzelner Schüler:innen berichtet wird, dazu wird die Schulhymne gesungen. Freitags gibt es eine kurze “Chapel”, also offiziell eine Art Gebet in der schuleigenen Kapelle. Das findet aber sehr unkonventionell statt: meist werden ein paar Lieder gesungen, der Schulkaplan spricht über bestimmte Themen und gibt Impulse als Denkanstöße.
Ihre Freizeit verbringen die Schüler:innen zu großen Teilen an den Schulen. Ein wirkliches Vereinsleben wie in Deutschland gibt es nicht, stattdessen bietet die Schule diverse Sportmöglichkeiten an. Statt eines regulären Sportunterrichts werden alle Sportarten auf die Nachmittage verlegt. Die Schulen spielen Turniere gegeneinander und häufig fahren die Schüler:innen tagelang zu einzelnen Sportveranstaltungen.
Die Brennerei
Maxi fängt in der Zwischenzeit an, in der Destillerie zu arbeiten. Dort werden verschiedene Sorten Gin hergestellt und sogar bis nach Deutschland vertrieben. In den Rohalkohol werden Wacholderbeeren und speziellere Zutaten wie afrikanische Kräuter, Rooibos, Zitronenzesten oder Himbeeren eingelegt. Nachdem die Aromen schön durchziehen konnten, wird das Ganze in die Brennanlage, die Destille, gefüllt und nochmal destilliert.
Zusätzlich werden in der Brennerei Unmengen an Schnaps hergestellt. In der Fruchtsaison von Januar bis April werden wöchentlich ca. 90 Tonnen Pflaumen geliefert, die eingemaischt und mit Hefe vergärt werden. Am Ende des Gärprozesses wird das Ganze in der Brennanlage destilliert, so dass ein Pflaumenschnaps mit ca. 75 - 80 Prozent Alkohol entsteht. Dieser wird weiterverkauft und als Basis für andere Schnäpse wie bspw. Gin verwendet.
Maxi war dafür zuständig, die angelieferten Früchte zu kontrollieren und je nach Reifegrad zu sortieren. Anschließend hat er den Verarbeitungsprozess betreut, die Pflaumen in die Maschine gefüllt, die Hefe und Enzyme zugegeben, den Gärungsprozess kontrolliert, und und und. Vom Grundprinzip her die gleiche Arbeit wie bei der Weinverarbeitung, so dass auch er mit seinem Hintergrundwissen von Nutzen sein konnte.
Unser Leben in Somerset West
In den ersten Wochen vergeht die Zeit wie im Flug. Nach wochenlangem Herumreisen haben wir urplötzlich wieder einen richtigen Alltag, eine Routine, müssen früh morgens aufstehen und arbeiten bis spätnachmittags. Die Zeit an den Wochenenden nutzen wir, um die Gegend zu erkunden. Schnell haben wir eine ganze Liste an Weingütern zusammen, die wir besucht haben und eine noch längere, die uns noch fehlen. Aber auch die Umgebung hat unglaublich viel zu bieten. Von Open-Air Kinos zwischen Bergpanoramas, Night Markets mit Live-Musik, Gin-Tastings, verlassenen Sandstränden, Konzerten, Flohmärkten, Picknicks auf Wine Estates, erfrischenden Stauseen in Naturreservaten und türkisblauen Lagunen ist wirklich alles dabei.
Trotz der Coronapandemie und der im Vergleich zu Deutschland niedrigeren Impfquote ist das alltägliche Leben hier quasi nicht eingeschränkt. Abgesehen von der Maskenpflicht in geschlossenen Räumen und auf dem Schulcampus ist von Einschränkungen nichts zu spüren. Der erste Schock der Omikron-Variante ist verflogen. Mitte Januar bekommen wir beide sogar unsere Boosterimpfung ganz unkompliziert in einer Apotheke. Seither fühlen wir uns etwas sicherer, wenn wir von den immer neu auftretenden Coronafällen an der Schule hören. Immerhin sind die Klassenzimmer nicht in einem großen, geschlossenen Schulgebäude, sondern können jeweils durch eine Tür von draußen erreicht werden. Alle Fenster und Türen stehen bei den heißen Temperaturen immer offen, also lüftet alles auch gut durch.
Die Januarhitze schlaucht uns am Anfang ganz schön, aber mit der Zeit wird es etwas angenehmer. Temperaturen bis 40°C sind hier in den Sommermonaten keine Seltenheit. Jetzt im März beginnt langsam der Herbst, es wird morgens später hell und erfrischend kühl. Mittags steigen die Temperaturen dennoch an, aber es ist insgesamt sehr angenehm. Der Wechsel der Jahreszeiten führt uns aber schonungslos vor Augen, wie lange wir nun schon unterwegs sind und dass das Ende unserer Reise gar nicht mehr sooo weit entfernt ist. Von insgesamt neun Monaten ist die Hälfte nun vorbei. Eine Arbeit und eine Alltagsroutine zu haben, lässt die Zeit einfach schneller vergehen. Rückblickend betrachtet hat uns das wahrscheinlich sehr gut getan. Immer nur auf Reisen zu sein kann auch ganz schön anstrengend werden. Bereits nach ein paar Wochen haben wir uns schon wieder nach Gesellschaft gesehnt, unsere gemütlichen Abende mit Freunden oder das Zusammensein mit der Familie vermisst. In unserer Zeit in Somerset West hatten wir all das zumindest in Teilen wieder, da wir doch sehr schnell neue Bekanntschaften geschlossen und uns häufig mit unseren Arbeitskolleg:innen oder anderen Bekannten verabredet haben.
Nach den anstrengenden Arbeitsmonaten sind wir einerseits traurig, dass alles so schnell vorbeigegangen ist. In der Kapregion kann man gut und gerne auch längere Zeit leben. Wir verstehen die ganzen Auswanderer und “Schwalben” wirklich sehr gut. Andererseits freuen wir uns aber auch unglaublich darauf, die restlichen Ecken von Südafrika zu entdecken, von denen wir nun schon so viel gehört und gelesen haben. Von der Garden Route und den über 80 südafrikanischen Nationalparks über Lesotho und Swasiland bis in die Weiten der Kalahari in Botswana gibt es noch so viel für uns zu entdecken. Wir sind absolut bereit für das nächste Abenteuer!