Emotionale Zeiten in Phoenix

Foilsithe: 05.01.2018

Nach einer schönen, aber gleichzeitig auch kalten Zeit in Austin, wurde es mal wieder Zeit für Sonne. Grauen Himmel werde ich wohl leider in Deutschland bald wieder oft genug sehen! Kevin wollte mir in bleibende Erinnerung brennen, wie viel Sonne mir Deutschland verglichen zu einigen Orten der USA entgeht. Außerdem rief seine Pflicht in Phoenix wieder, schließlich ist wohl lange nicht jeder so gesegnet so viele Wochen für Reisen freizunehmen wie ich. In den USA geben viele Firmen nur 10!! Tage Urlaub im Jahr. Kein Wunder, dass dabei vielen Amis selten die Chance bleibt, ihr eigenes Land zu verlassen. Dass man jedoch trotz Arbeitspflichten das Leben vollends genießen kann und sich Zeit für Freiheiten freischaufeln kann, wollte Kevin mir in Phoenix zeigen. Obwohl ich im November schon einmal in Phoenix war, bestand Kevin darauf, nochmal für wenige Tage mit ihm dorthin zu fliegen und das Leben der Menschen in Phoenix aus der Sicht eines Einheimischen besser kennenzulernen. Da mein Widerstand (nochmal fliegen ist zu teuer, ich will ihm nicht länger zur Last fallen,...) bei Kevin wenig Zweck hat, indem er mir dann einfach Flug und Hotel bucht, durfte ich nochmal Sonne in Phoenix tanken. 

Phoenix aus der Luft


Ich kann es nur immer wieder wiederholen, das Wetter hat eine unfassbar magische Kraft. Wenn man aus frierender, nasser Kälte plötzlich in sonnige 25 Grad kommt, fühlt man sich gleich wie ein ganz anderer Mensch. Ich hatte viel mehr Lust, herauszugehen, ich fühlte mich vitaler und lebensfröhlicher als zuletzt im kalten Austin. Weil Kevin weiß, wie sehr ich die Natur liebe und weil er mir nochmal zeigen wollte, wie wunderschön seine Heimat ist, unternahmen wir verschiedene Wanderungen in Phoenix. Eine dieser Wanderungen enthielt den wohl schönsten Wüstensee, den ich je gesehen habe.

Unglaublich schöner Wüstensee
Kakteen
Wo gibt es bitte schönere Sonnenuntergänge?


 Es war einfach magisch inmitten der Wüste das schimmernd blaue Wasser zu sehen, in dem Menschen schwammen, angelten, oder Boot fuhren. Die Kakteen, der Sand und die Wüstenfelsen, die den See umgaben, verliehen dem Ganzen eine ganz besondere Atmosphäre. Und wer hätte es gedacht, aber nach so viel Wanderei konnte ich tatsächlich im neuen Jahr ein besonderes Wanderdebut feiern: Ganz nach Kevins Vorbild wanderte auch im zum ersten Mal in meinem Leben mit einer Kettlebell auf der Schulter. 

Meine erste Kettlebellwanderung :)

Ich schleppte also 12 KG extra mit mir herum, um die Wanderung etwas intensiver zu gestalten und dabei den Muskeln etwas Gutes zu tun. Ich kann euch sagen, so 12 KG machen verdammt viel aus! Normalerweise machen Wanderungen mich erst nach längerer Zeit müde. Diese Wanderung jedoch mit Extragewicht hatte es in sich und erschöpfte mich schon nach wenigen Kilometern. Aaaaaaber, ich habe es geschafft und bin darauf natürlich sehr stolz :) 

Die Deutsche schlägt den Ami selbst mit Zusatzgewicht


Auch Kevins Lieblingsberg in Phoenix haben wir erklommen (für mich diesmal ohne Kettlebell),  um nochmal einen tollen Blick über ganz Phoenix zu erhalten. Ich bleibe dabei, Phoenix und die Wüste sind atemberaubend schön und die Kombination aus dieser Millionenstadt und Wüste sind einfach einzigartig.

Bergwanderung


Ebenso das Nachtleben in Phoenix durfte ich nochmals aus der Sicht von Locals kennenlernen. Kevin stellte mich seinen Freunden vor, mit denen ich Essen, Alkohol, Livemusik und interessante Gespräche teilen durfte. Wahnsinn diese Menschen! Obwohl sie mich erst in dieser Nacht kennenlernten, empfingen mich die 10 Freunde total offen & liebevoll und sie integrierten mich in ihre Gruppe, als sei ich immer dabei gewesen. 
...Danke liebe Clique fürs Integrieren

Sie erzählten mir über ihre Lebensweisen, waren ganz interessiert an meiner Reise und brachten mir unglaublich viel Wertschätzung entgegen. Einer der Jungs lernte sogar ein bisschen Deutsch, um mit mich in meiner Sprache willkommen zu heißen, total lieb! Es ist so schön, so liebevoll integriert zu werden, auch wenn allen klar war, ich werde nur für sehr begrenzte Zeit Teil der Gruppe sein. Mein fester Vorsatz ist, dem nächsten Reisenden, den ich treffe, genauso liebend zu begegnen und sie/ihn ein Stück weit in unser deutsches Leben einzuführen. Ich habe die große Hoffnung, dass einige der Menschen, die ich hier kennenlernen durfte, bald auf Deutschlandtrip kommen.


Insgesamt war es eine ziemlich emotionale Erfahrung für mich, nochmal in die Stadt zu gehen, in der ich zu Beginn meiner Reise so viele tolle Eindrücke gesammelt habe und diesmal zu wissen, meine Reise wird sich dem Ende entgegen neigen. Plötzlich wieder in der Wüste zu sein, die mir so gut gefallen hat, in der ich gleichzeitig auch so viele emotionale Erlebnisse hatte, war ein überwältigendes Gefühl. Ich realisiere gerade gegen Ende des Trips nochmal so viel Dankbarkeit und unendliche Freude für alles, was ich erleben durfte. Diese Zeit war der Wahnsinn, nie im Leben habe ich mich intensiver selbst kennenlernen dürfen und mehr gelebt als während dieses Trips. 

Gleichzeitig überkam mich aber auch eine große Traurigkeit in Phoenix. Bald sind all diese Freiheit, Reiserei und diese interessanten Begegnungen und Landschaften vorbei und es wartet wieder der Alltag auf mich, in dem ich meine Masterarbeit schreiben muss und anderen Pflichten nachgehen. Ich habe Angst vor diesem Übergang und hoffe, der Übergang zieht mich nicht allzu sehr herunter.


Von Arizona aus werde ich nun nach San Fracisco fliegen, da von hier aus bald mein Flieger nach Deutschland geht. Damit muss ich nun auch Abschied von Kevin nehmen, was mir ganz schön schwer fällt. Er hat mich auf so vielen Stationen, an so vielen Tagen meiner Reise begleitet und er hat mir so sehr geholfen, meinen Trip zu genießen. Er war in den schwersten Momenten meiner Reise für mich da und ist mir mit unendlich viel Wohlwollen und Fürsorge begegnet, dass es sehr schmerzt, all das loszulassen. 

Zusammen laufen macht stark!


Ich habe mich während des Trips oft gefragt, womit ich all diese tollen Menschen wie Kevin verdient habe, die mir so sehr weitergeholfen haben, mich aufgenommen haben, unterstützt haben und die mir mit Herzlichkeit begegnet sind. Ich kann es mir nur damit erklären, dass es da wohl etwas wie Schicksal geben muss, dass uns mit anderen Menschen verbindet, wenn wir es brauchen. Während meiner Reise habe ich gelernt, ins Leben zu vertrauen. Immer, wenn man denkt, es geht nicht weiter, findet sich irgendein Weg, irgendein liebender Mensch oder ein Zeichen, das uns weiterbringt. Gerade Kevin hat mir gezeigt, wie sehr man ins Leben vertrauen sollte und immer eine positive Einstellung behalten sollte, um glücklich zu sein. Als ich Kevin kennenlernte, habe ich mich oft gefragt, wieso er mir so selbstlos hilft, und wieso er mich an den kniffeligsten Stellen meiner Reise so unterstützt, obwohl das für ihn eigentlich zeitliche und finanzielle Opfer bedeutet. Ich dachte, Kevin sei wohl einfach selbst ein unheimlicher Glückspilz im Leben und habe deshalb so viel Liebe und Fürsorge abzugeben. Kevin hat die unglaubliche Gabe, jedem ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, indem er Menschen auf charmante Art und Weise anspricht und ihnen etwas Nettes sagt, das sie sich besser fühlen lässt. Doch nachdem ich Kevin besser kennenlernen durfte, wurde mir klar, dass nicht sein durchweg glückliches Leben, sondern das Gegenteil ihn  zu dem hilfsbereiten Menschen gemacht haben, der er ist. Zwei Tage bevor Kevin und ich uns beim Wandern trafen, ist sein bester Freund an Krebs verstorben, welcher zuvor 2 Jahre mit dieser Krankheit zu kämpfen hatte. Um seinem Freund beizustehen, ist Kevin in dieser Krankheitsphase bei seinem Freund eingezogen und hat ihn bis zum bitteren Ende gemeinsam mit den Eltern des Freundes gepflegt. Chapeau, das nenne ich mal wahre Freundschaft! Ich finde es eine riesen Leistung für seinen Freund da zu sein, während er stirbt und nicht vor Angst wegzulaufen. Wer kann schon von sich behaupten, ein so aufrichtiger Freund zu sein, dass man für die Krankheit eines Freundes sein eigenes Leben hinten anstellen würde?! Dies hat mir erneut gezeigt, wie wichtig gute Freunde mir sind! Ich bin so dankbar für die wirklichen Freunde, die ständig für mich da sind, mir aber gleichzeitig auch ihre eigenen Freuden & Probleme anvertrauen. Selbst wir jungen Menschen können Freunde so einfach verlieren, eine für mich schreckliche Vorstellung! Man kann Freunden wohl nicht oft genug sagen, wie sehr man sie liebt und man sollte sich Zeit nehmen, mit ihnen möglichst viel Zeit zu verbringen, denn das Leben kann verdammt kurz sein.


Kevins Freund hat seinen vierjährigen Sohn zurückgelassen, der nun ohne Papa leben muss. Dank meines Phoenixtrips durfte ich den Kleinen kennenlernen, der einfach unfassbar süß und herzerwärmend ist! Kevin lebt nach wie vor im Haus seines verstorbenen Freundes, um mit nach dem Sohn zu sehen und um die Eltern des Verstorbenen zu entlasten! Auch hier gilt Kevin mein riesen Respekt, ich bin mir auch in diesem Fall sicher, dass nur wenige Menschen sich dem Kind eines Freundes annehmen würden. Und während ich oft mit meinen kleinen Alltagssorgen kämpfe und denke, sie seien so ungefähr das Größte Leid der Welt, habe ich vor allem an dieser Stelle wieder bemerkt, wie nichtig meine blöden Sorgen oft sind. Der Sohn von Kevins verstorbenem Freund hat seinen Vater verloren, gleichzeitig kann seine Mutter sich wegen Abhängigkeitsproblemen nicht um ihn kümmern. Damit wird er wohl bei seinen Großeltern aufwachsen, die ich ebenfalls kennenlernen durfte. Zwar sind die beiden unheimlich fürsorgend ihrem Enkel gegenüber, gleichzeitig stecken die beiden aber selbst mitten im Trauerprozess, müssen sich überlegen, wohin sie ziehen wollen und vor allem, wie sie Energie für den Kleinen finden können. So süß er auch sein mag, so ein 4-jähriges temperamentvolles Kind braucht wohl rund um die Uhr Aufmerksamkeit und Fürsorge. Mich würde dieser Job mit Mitte 20 schon überfordern, wie die Großeltern mit Mitte 60 das meistern können, ist und bleibt für mich ein großes Rätsel. Toll für den kleinen Mann, dass die Freunde seines verstorbenen Papas sich mit um ihn kümmern. Trotzdem tut er mir unendlich leid ohne seine Eltern aufzuwachsen und schon so jung so viel Leid erfahren zu müssen. Bei meinem Abschied wollte er mich gar nicht loslassen und er sagte mir, ich solle nicht gehen, er hasse Abschiede. Selten im Leben war ich emotionaler berührt, am liebsten hätte ich ihn mitgenommen und all seinen Schmerz von ihm genommen.

Lebensweisheiten


Doch diese Situation ist nicht das einzige Leid, das Kevin in seinem Leben gesehen hat. Ich weiß nicht, ob ihr schon mal von den verunglückten Feuerwehrmännern in Prescott gehört habt? Prescott ist die wunderschöne Kleinstadt in den Bergen Arizonas, die ich auf meiner Reise auch besuchen durfte. 2013 sind dort 19 Feuerwehrleute elendig verbrannt, während sie versuchten, die Waldbrände in Prescott unter Kontrolle zu bekommen. Nur kurze Zeit zuvor hatte Kevin in dieser Feuerwehrcrew gearbeitet bis er wegen Rückenproblemen aufhören musste. Ohne Rückenprobleme wäre Kevin wohl auch verbrannt. Stattdessen verlor er 2013 durch dieses tragische Unglück zwar nicht sein eigenes Leben, dafür aber viele gute Freunde und Kollegen. Ich glaube, niemand kann so ganz fassen, wie es sich anfühlen muss, Freunde auf so tragische Art und Weise zu verlieren, schrecklich. Daneben ist Kevin noch mit vielen Witwen, Eltern und Kindern der Opfer in Kontakt und scheut sich nicht, diese zu unterstützen. Respekt!!!

Und als wäre das nicht genug schicksalhaftes Leben, war Kevin auch in seiner Jugendzeit mit ordentlichen Problemen konfrontiert.

Orangenbaum mitten in Phoenix


Ich frage mich nach wie vor, wie ein Mensch, der so viel Scheiße im Leben erlebt hat, anderen gegenüber so herzlich und hilfsbereit sein kann. Nachdem ich Kevins Geschichte kennenlernen durfte, fühlte ich mich fast schlecht, dass er sich meiner kleinen Reiseprobleme so angenommen hat. Aber wie ich immer öfter während meiner Reise feststellen durfte, sind wohl gerade Menschen, die selbst mit Traurigkeit, Einsamkeit und anderen Problemen während ihres Lebens konfrontiert waren, offener die Sorgen anderer Menschen zu sehen. Sie wissen wohl, wie Traurigkeit sich anfühlt und wollen deswegen anderen aus diesen Situationen heraushelfen. 

gerade in schweren Momenten kann das Leben kann einen stark machen...

Fernerhin führt wohl gerade das häufige Konfrontiertsein mit dem Tod dazu, dass man sein eigenes Leben mehr schätzt und jeden einzelnen Tag intensiv leben will. Ich beneide Kevin dafür, dass er an dem ganzen Leid nicht zerbrochen ist, sondern sich seinen Gefühlen gestellt hat, die Trauer zugelassen hat und dadurch nun stärker ist als viele andere Menschen, die ich kenne. Kevin hat mir nochmal klar und deutlich vor Augen geführt, dass Weglaufen vor Trauer, Wut und Angst überhaupt nichts bringt. Den ganzen Schmerz zuzulassen hingegen, macht einen wohl stärker und offen für seine Mitmenschen. In diesem Sinne stelle ich mich jetzt meiner Traurigkeit, dass sich mein Abenteuer so langsam dem Ende zuneigt. Das Schöne ist jedoch, dass all die tollen Eindrücke, die ich bislang sammeln durfte, wohl mein Leben lang bei mir bleiben werden. Und auch die liebevollen Menschen werde ich sicherlich immer im Herzen tragen und hoffentlich mit einigen auch persönlich Kontakt halten. Während sicherlich einige sagen werden, Reisen sei viel zu teuer und am Ende habe man nichts in der Hand von dem ausgegebenen Geld, muss ich genau das Gegenteil feststellen: Nie hat sich investiertes Geld mehr gelohnt. 

Traurigkeit & Dankbarkeit auf meinem letzten Berg


Freagra

Stáit Aontaithe Mheiriceá
Tuairiscí taistil Stáit Aontaithe Mheiriceá
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