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Utopien sind zum träumen da

Udgivet: 13.09.2018

Inh

seit Wochen schiebe ich nun schon diesen Blogeintrag auf. Wieso? Es ist nicht gerade die Faulheit, ganz im Gegenteil, ich habe hier viel Zeit alleine und keine Ahnung wie ich sie rumbekommen soll. Der wahre Grund ist wohl, dass ich mich sehr schwer tue, diesen typischen perfekten " uh ich bin im Ausland für ein Jahr und fühl mich so gut " - Blogeintrag zu verfassen. Denn gerade ist es eher -sagen wir kontrovers.

Ich bin nun also gut drei Wochen hier und alles kam anders, als in meinen Vorstellungen erwartet. Ich habe mir wohl zu viel erwartet und ja ich komme wohl gerade zum ersten Mal seit Jahren aus meiner wunderschönen Seifenblase raus. Ich hatte jahrelang diesen Traum, irgendwann nochmal hier her zu kommen und mir dann eine ganz andere Welt in meinem verträumten Köpfchen ausgemalen. Politische Leute, Fußball, wilde verbotene Partys, Feminismus und kontroverse Diskussionen. Zunächst gleich vorab. Das Auslandsjahr in dieser Region sollte nicht von irgendwelchen (weißen) Linken Ideologien getrieben werden. Weder die Antideutsche Haltung noch die Anitimperialistische war in den letzten Monaten in irgendeiner Weise ausschlaggebend für meinen einjährigen Umzug in diese Region. Mir war immer bewusst, dass ich hier viele Leute treffen werde, deren Leben einzigartige Geschichten schreiben. Aber ich bin keinesweges hierher gekommen, mit dem Ziel mich auf irgendeine Seite zu schlagen, irgendeinen "Kampf" zu führen oder zu "helfen". Denn das würde ja nahezu einen kolonialistischen Ansatz, der weißen eurozentristischen Frau mit sich ziehen, die die Weisheit wohl mit dem Löffel gefressen hat.

Stattdessen wollte und will ich Menschen treffen. Menschen mit verschiedenen Lebensperspektiven. Ihre Geschichten hören, meinen entwicklungspolitischen Dienst leisten - und so egoistisch das auch klingt - ein Jahr für mich erleben. Dies bedeutet nicht, dass ich hedonistisch durch die Welt gehen möchte. Aber ich bin nun 26 Jahre und werde noch ne verdammt lange Zeit Lohnarbeiten, ausgebeutet werden Carework nachgehen und den ganzen Bullshit. Ich werde neue Lebensperspektiven verwirklichen und in neue Lebensabschnitte schlüpfen. Genau deshalb wollte ich ein Jahr in neue Kulturen eintauchen, neue Menschen kennenlernen und mich selbst kennenlernen. Mit all meinen Grenzen, Höhen und Tiefen. Die Welt mit meinen eigenen Augen sehen. Nicht von Genoss*Innen getrieben, nicht durch eine rosarote Brille, nicht mit meinen Freund*Innen ( wobei das herrlich wäre ) und wenn möglich mit so wenig Vorurteilen wie möglich...

Natürlich war mir das Ausmaß der Unterdrückung, das Ausmaß der Regierung unter Netanjahu und auch das Ausmaß des Antisemitismus bewusst. Natürlich war mir bewusst, dass ich mich weiterhin kritisch mit Militarismus und Nationalismus auseinandersetzen werde. Aber ich dachte, das werden wohl die größten Hürden für mich.

.....

Nach einen Abschied, der sich schlimmer als der schlimmste Liebeskummer meines Lebens angefühlt hat und (politisch kritischen) Einführungstagen, die dafür mit umso lieberen Leuten gestaltet wurden ( Danke Paul für deine Mühen! ) kam ich also in meinem neuen Zuhause an. Anders als bei meiner Bewerbung angenommen, wohne ich nicht in Ost-Jerusalem sondern in Beit Jala. Ein kleines Dorf auf Palästinensicher Seite, was eigentlich nicht gerade weit von Jerusalem weg wäre. Was den Weg etwas erschwert ist natürlich die Mauer. Aber die Pro - Palästinensichen Leser*Innen können hier gleich mal ihre Geilheit auf antiisraelische Storys zurückschrauben, denn es ist ganz ander als ihr das aus Eueren Al Jazera und RT News ( keine Ahnung wie dieser Sender überhaupt heißt ) Kanälen entnehmen könnt.

Ich verabscheue Nationalismus und Mauern finde ich zum kotzen, außer wenn jemand n schönes farbiges Ding drauf klatscht und ja Passkontrollen sind scheiße und ja es gibt Ungerechtigkeit. Doch das bringen Staatssysteme, Autoritäten, Militär, Regierungen und Cops eben mit sich. Es gibt Orte,an welchen das Sicherheitskonzept mehr ausgeprägt ist und Orte an welchen das Sicherheitskonzept weniger ausgeprägt ist. Manche Regionen brauchen genau dieses Konzept aber eben auch, weil sie sonst nicht existieren könnten. Und in Anbetracht dessen, dass wir leider in einer scheiss Welt mit Staaten und beschissenen Grenzen leben müssen, in Anbetracht dessen - dass es sehr viele religiös geprägte Staaten gibt- in Anbetracht dessen, dass Regierungen über unsere Köpfe hinweg entscheiden und das weltweit - treibt auch dieser Staat, treiben auch diese Soldat*Innen- treiben auch diese Cops- treiben auch diese Politiker*Innen jeden verschissenen Tag nur das, was überall anders - weltweit praktiziert wird- Ungerechtigkeit, Rassismus- Diskriminierung. Von demher " NO LOVE FOR A NATION" .....

Aber genug, ich möchte das hier nicht als politische Plattform nutzen. Jede*r von Euch hat seine eigene Meinung & beim Nah Ost Konflikt meint wohl jede*r Alman ( ja ich schließe mich ein) alles besser zu wissen. Ich schreibe hier nur meine Emotionen nieder, ohne irgendwie groß Lust auf große Diskussionen zu haben. Denn genau das wäre der nächste Punkt. Hier ist alles geprägt von Politik und irgendwann ist mensch müde davon. Die Menschen sind müde davon, immer über den Konflikt reden zu müssen. Egal auf welcher Seite, junge Leute sind müde und leben deshalb eben, jede Seite für sich in den Tag hinein.

Und da dass, ja mein Blog ist, berichte ich nun mal ganz ehrlich über meinen Tag. Ehrlich gesagt, ist dass das größte Problem. Mein Tag hier ist ziemlich geprägt von Dingen die mich echt runterziehen. Wie gesagt, ich lebe in einem Dorf. Und unabhängig von einer Religion, kann mensch gerade wenn mensch als Frau* sozialisiert ist, behaupten, dass es hier klar aufgeteilte Geschlechterverhältnisse gibt. Das Patriarchat ist hier spürbar und als Frau* ist es verdammt spürbar. Ich empfinde das als unangenehm und ja es zieht mich runter. Es ist mega unangenehm rauszugehen und von verdammten scheiß Typen jedes mal angehupt zu werden. Es ist verdammt unangenehm, wenn dir jemand hinterherschreit wie verdammt heiss den Arsch ist ( vor allem dann, wenn ich eh lange weite Hosen trage und mich den- der Frau* zugeschriebenen Kleidungsstil- eh schon genug anpasse). Es ist verdammt unangenehm jeden Morgen im Schrank zu sehen und mein Lieblingskleid anzusehen und zu wissen "ne Elena, das kannste nächste Woche in Tel Aviv anziehen, aber nicht hier, denk dran Mindestlänge bis zu den Knien und über die Schultern". Es ist verdammt unangenehm, wenn dir irgendwelche verdammten Typen im Bus zu nah kommen, oder wenn du abends auf deinem Balkon sitzt und sogar da ein dummer Typ denkt, er muss dir jetzt was von der Straße aus zuschreien. Und ich möchte auch keinen weißen Feminismus betreiben. Denn das Patriarchat gibt es überall und wir haben es verdammt nochmal zu bekämpfen. Nur hier bin ich eben besonders sensibel. Nicht (wie jetzt irgendwelche dummen Spinner sagen würden) wegen einer anderen Kultur- Ne - weil ich hier bis jetzt alleine bin. Es gibt keine feministische WG, die mir bis nachts um 3 zuhören, wenn ein scheiss Kerl übergriffig wurde. Es gibt keine Girl Gang, die jeden Typen verdreschen würden, der mir ungefragt am Arsch fasst, es gibt keine feministischen Gruppen die auf ihre Plenumszeit scheißen und einfach nur 2 Stunden Emorunden machen - nur um sich gegenseitig zu Empowern. Mir fehlt das Empowerment von Menschen die dich verstehen. Mir fehlt es gemeinsam mit anderen in Utopien zu schwelgen und mir fehlt das Fallen lassen bei den Leuten die ich liebe. Solche Momente müssen aufgearbeitet werden, denn wenn es jeden Tag aufs Neue immer wieder passiert und du keinen hast dir dich irgendwie empowert, dann gehste daran kaputt. Ich merke selbst wie ich mich von diesen Situationen einschüchtern lass. Wo es sonst ne Faust gab, weil irgendwelche Menschen einen den Rücken stärken und es einfach nicht klar geht, wenn dich ein Typ dermaßen anbaggert oder jemand mal wieder denkt die Shoah leugnen zu müssen, geh ich hier eingeschüchtert weiter oder versuche nett der Situation aus dem Weg zu gehen, weils um den verdammten Selbstschutz geht... Ich vermisse meine große Klappe und das Austeilen in Situationen die gar nicht gehen.

Genug davon. Weiter vom Alltag. Dieser ist eigentlich nicht sehr aufregend. Ich stehe auf, mach mich auf zum Bus. Der kommt wann er will. Das find ich aber sympathisch. Die Busfahrt, die eigentlich nur wenige Kilometer wäre, zieht sich natürlich ewig. Das aber weniger wegen des Checkpoints, wie ich davor befürchtet habe ( das geht eigentlich immer relativ schnell ) sondern mehr wegen den krassen Autoverkehr, der aber überall im Land egal ob Tel Aviv oder Hebron einfach hart ausgeprägt ist und zu Staus führt. Natürlich gibt es diese Grenzkontrollen die einen hart abnerven. Soldat*Innen gehen durch die Busse, manche Menschen steigen aus, manche Menschen bleiben sitzen. Sie kontrollierne Pässe. Manche Soldat*Innen sind fiese Arschlöcher und behandeln Menschen wie Dreck, andere machen ihren Job, weil sie die Zeit bei der Armee im viel zu frühen Alter eben ableisten müssen.... Was ich an der ganzen Sache viel kritischer finde, ist, dass junge Menschen in ihrer Entfaltungsphase zur Armee müssen. Dass sie da sicherlich wie bei jeder Armee, wie bei den Cops und anderen Executiven - Brainwashing erhalten- das siehe beispielsweise schon allein anhand der deutschen Polizei- geprägt von Rassismus und Vorurteilen ist. Der Anblick von 18 jährigen Jugendlichen die mit ihren fetten Maschinengewehr vor den Kopf einer alten Frau rumfuchteln ist widerlich. Aber da wären wir mal wieder bei dem Punkt wie widerlich Regierungen und Staatskonzepte und Exekutive Konzeptionen eben sind.

Positiv ist, dass mir die Arbeit im internationalen Kindergarten übertrieben Spaß macht. Die Kids sind im Krippen Alter und aus verschiedenen Ländern. Die Kolleg*Innen sind super und das Ganze liegt am Mount of Olives ( Ölberg ) welcher eine einzigartige Ausschau bietet.

Wenn es die Zeit erlaubt, gehe ich danach noch etwas in die Stadt. Meist in in kleines süßes LGBTQ* Cafe in Westjerusalem. Wie gesagt, wenn es die Zeit zulässt. Denn der letzte Bus in mein kleines Dörfle geht um 19 Uhr. Und verdammt das fühlt sich an als würde mich jemand 10 Jahre zurückschießen in die Oberpfalz. Denn im Buschland kummt a bloß alle Stund a mal a Bus ( okay sorry die Leute aus der Region wissen wovon ich hier rede ;) )

Da hier relativ früh die Sonne untergeht, bin ich dann meistens ab 20 Uhr Zuhause. Vertreibe meine Zeit mit Videochat oder Nachdenken auf dem Dach. Und verdammt, dass muss mensch sagen. Es gibt verdammt viele wunderschöne Dächer. Und da ich es liebe auf Dächer zu kraxeln und einfach dumm in die Ferne zu glotzen, Mukke zu hören und über irgendwas oder irgenwen nachzudenken, gibt mir das zumindest viel Halt. In diesen Momenten bin ich dann auch endlich mal bei dem Punkt, mich selbst zu finden.

Aber auch in diesen Momenten wird mir bewusst, wie unheimlich gerne ich gerade mit meinen Liebsten auf einem Dach sitzen würde. Und wie unheimlich ihr seid, da draußen im schönen Nürnberg. Mir wird bewusst, wie sehr ich die Menschen liebe, die ich liebe. Und wie wichtig Familie und Halt ist. Mir wird bewusst, wie glücklich ich über linke Strukturen bin und wie wichtig es ist , für das zu kämpfen, was einem wichtig ist. In diesen Momenten wird mir bewusst, dass das höchste in meinem Leben nicht ich selbst bin, sondern genau diese kleine Seifenblase mit all ihren Farben. Genau die Diskussionen von Genoss*Innen, die Geschichten mit Freund*Innen, das auf die Fresse fliegen und am nächsten Tag hart schämen - solange ihr bei mir seid. Familie, Crew, Herzensmenschen, Nürnberg, Weiden - ihr fehlt mir so sehr !

alt

Svar

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