A bɔra kɛnɛ kan: 07.10.2019
Von Thailand nach Georgien – wahrscheinlich eine etwas seltsame Reiseroute, aber dafür gab es einige gute Gründe. Seitdem Natalie vor einigen Jahren mit zwei Georgierinnen in der Lochmühle gearbeitet hat und diese immer von ihrer Heimat geschwärmt haben, geistert dieses Land schon in ihrem Kopf herum. Wo ist Georgien überhaupt? Was gibt es dort? Was ist so toll an diesem winzigen, armen Land? Und wenn es so toll ist, warum arbeiten die zwei dann in Deutschland? Außerdem wird Georgien auch bei Wanderern und etwas mutigeren Touristen immer beliebter und wir dachten: Zu dieser Gruppe gehören wir! Also haben wir uns kurzerhand dazu entschlossen, dem einen asiatischen Kulturraum den Rücken zu kehren und Platz für einen neuen, vollkommen anderen zu schaffen.
Zu Georgien: Georgien liegt am Schwarzen Meer und am Kaukasus, also am westlichsten Ende Asiens. Es ist etwas kleiner als Österreich und hat 3,7 Millionen Einwohner, was der Einwohnerzahl Berlins entspricht. Man kann sich also gut vorstellen, wie viel Natur und völlige Einsamkeit Georgien zu bieten hat. Zusätzlich ist Georgien mit einem durchschnittlichen Einkommen von 400€ im Monat ein eher armes Land, in dem die traditionelle Kultur und christlich-orthodoxe Religion weit wichtiger sind als der Fortschritt und die Industrialisierung. D.h. es gibt wahnsinnig viele alte Kulturstätten, wunderschöne Kloster und Kirchen und jede Menge traditionelle Dörfer, in denen das Leben noch einfach, harmonisch und sehr ruhig von Statten geht. Ihr könnt also ahnen: Georgien war das totale Kontrastprogramm und eine Erholkur nach dem hektischen, vollen und lauten Südostasien. Diese ganzen Informationen umranden Georgien aber nur im Groben, daher ist wohl viel spannender, wie wir dieses Land erlebt haben. Kurzum: Georgien mit seiner Landschaft und seinen Menschen ist ein Land zum verlieben!
Möchte man dieses Land bereisen gibt es eigentlich nur 2 Möglichkeiten: Man vertraut sein Leben den öffentlichen Verkehrsmitteln an, bestehend aus klapprigen Sprintern (genannt „Maschrutkas“) und ihren oftmals alkoholisierten Fahrern, oder man hat genug Vertrauen in die eigenen Fahrkünste und mietet sich selbst ein Auto, das man dann auf den Straßen zu Schrott fahren darf.
Das bringt uns zum ersten großen Abenteuer unserer Georgienreise: Die Straßen. Da wir beide großes Vertrauen in Jans Fahrkünste setzen und gerne auch mal abseits der Hauptrouten fahren, haben wir uns einen Allrad-Jeep gemietet und sind quer durchs Land gefahren. Dabei trifft man immer wieder auf völlig unfähige Autofahrer, die in Linkskurven vor einer Kuppe mit ihrem verrosteten Sowjet-LKW überholen wollen und den Gegenverkehr oftmals dazu zwingen auszuweichen oder anzuhalten (eine Alternative gibt es nicht). Neben waghalsigen Überholversuchen kommen dann auch noch klapprige Autos, Traktoren oder LKWs dazu, die mit 20km/h in der Mitte der Landstraße fahren (unsere Vermutung ist, dass sie denken die Mittellinie ist ihre Leitlinie oder dass sie denken: Wenn ich noch gerade auf der Linie fahren kann, bin ich nicht zu betrunken zum Autofahren). Und als wären die schlechten Autofahrer nicht genug, wird man dann auch noch immer wieder von Schlaglöchern so groß wie Mondkrater und Kuhherden, die keinerlei Angst vor Autos haben, überrascht. Die Schlaglöcher gibt es natürlich nur gemäß dem Fall, dass es überhaupt Straßenbelag gibt, was in Georgien nicht immer der Fall ist. Autofahren ist in Georgien also eine echte Herausforderung. ABER wir haben es unbeschadet überstanden und Jan hat uns tapfer an die wunderschönsten und entlegensten Orte gebracht.
Als erstes möchten wir von der Hauptstadt Georgiens, Tiflis oder Tbilisi, berichten, denn sie ist sicher ein absolutes Highlight einer jeden Georgienreise. Betritt man Tiflis, kommt es einem vor wie der erste Schritt in eine längst vergangene Zeit. Wo noch kein Geld in aufwendige Restaurierungen gesteckt wurde, zerfallen die Häuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert in ihre Einzelteile. Hölzerne, einst liebevoll verzierte Balkone hängen nur noch lose an den von riesigen Rissen zerfurchten Wänden und wenige Häuser haben ein stabiles Fundament oder ein intaktes Fenster. Eben eine Stadt, die von Erdbeben gezeichnet ist. Und dennoch werden diese Häuser aus Mangel an Alternativen bewohnt.
Direkt hinter diesen Gassen und Wohnhäusern befindet sich eine wunderschöne Altstadt, die gespickt ist mit restaurierten Restaurants, Kirchen, Hostels und Guesthouses. Jedes Haus ist auf seine ganz eigene Weise gemütlich und niedlich gestaltet, häufig mit pastellfarbenen Holzbalkonen ganz im traditionellen Jugendstil, vielen Pflanzen und antiken Möbeln. Tiflis wird zu recht als eine Stadt im Wandel bezeichnet.
Eine Besonderheit stellen die thermalen Quellen unterhalb der Stadt da, die sich ein kleiner Bezirk zu Nutze gemacht und auf ihnen Thermalbäder errichtet hat. Jedes Zimmer dieser Thermalbäder hat ein Kuppeldach, über welches gelüftet wird und da diese fast auf Augenhöhe sind, wenn man den Bezirk erkundet, sieht es aus als hätten viele Maulwürfe unter den Backsteindächern ihr Unwesen getrieben. Leider waren die Bäder so voll, dass wir auf den Badespaß verzichtet haben, sie von oben zu sehen und auf ihren Dächern rumzulaufen (natürlich nur mit Erlaubnis der Besitzer) war aber auch spannend. Über diesem Viertel thronen außerdem die Burgruinen der größten Festung Georgiens aus dem 3. Jahrhundert, wodurch der Ausblick uns etwas an unser geliebtes Marburg mit seiner Oberstadt erinnert hat. Insgesamt war Tiflis einfach richtig gemütlich und gerade uns als Marburgliebhaber hat diese Stadt am Fluss mit Burg und vielen alten Häusern und verwinkelten Gassen wie ein zu Hause empfangen.
Nach unserem ersten Einblick in eine vergangene Zeit in Tiflis, sollten wir auf unserem Roadtrip aber schnell merken, dass wir uns mit der Entfernung zu Tiflis auch immer mehr in der Zeit zurückbewegen. Je dörflicher die Umgebung wurde, umso mehr hatte man das Gefühl, dass man nicht nur im 19. Jahrhundert, sondern sogar teilweise im Mittelalter gelandet ist. Nun teilten wir uns die Straßen mit freilaufenden Kühen, Schweinen, Schafen, Gänsen, Hunden und Katzen und alle leben in Harmonie zusammen. Geschlafen wurde in „Guesthouses“ – das sind normale Wohnhäuser von Familien, die einige ihrer freien Zimmer für Touristen zur Verfügung stellen und sich häufig um einen kümmern, als wäre man das eigene Kind (wobei Kommunikation eher schwierig ist, denn außerhalb von Tiflis spricht fast keiner auch nur ein Wort Englisch). Auch diese Zimmer sind natürlich ganz dem Geschmack der Georgier entsprechend sehr altertümlich eingerichtet mit protzigen barocken Betten und Spitzendeckchen auf jeder Ablagefläche. Einzige Ausnahme waren die Autos, die waren ganz eindeutig aus Sowjetunionszeiten, also für Georgien fast schon modern.
Direkt an Tiflis grenzt eine wunderschöne Weinregion an, die für die Herstellung des bekannten georgischen Weins verantwortlich ist. Georgier sind sehr stolz auf ihren Wein und erklärten uns sofort, dass diese Region der Ursprung aller Weinkultur ist (was hierzu wohl die Griechen sagen würden). Wir haben es natürlich nicht in Frage gestellt und lieber dankend das Gastgeschenk unserer super herzlichen Gastgeberfamilie, eine Flasche selbstgemachten Wein, angenommen. Und wie es sich für die gastfreundlichen Georgier eben gehört, hat uns unsere Gastmama auch noch Pfannkuchen und Tee serviert. Aber zurück zum Wein: Was uns auf unserer Erkundungstour durch diese Region erstaunt hat, war, dass georgischer Wein völlig anders hergestellt wird, als wir es kennen. Für den traditionellen Geschmack werden die Trauben gepresst und dann mit Schale und Kernen in riesigen Tontöpfen, so genannten Kwewris, unter der Erde gelagert. Diese können bis zu 2000 Liter fassen und werden mit Schiefer oder Holz und Ton abgedichtet. Hier kann der Wein bis zu 50 Jahre lagern. Wir fanden der so hergestellte Weißwein schmeckt ein bisschen nach Karamell und Vanille, während der Rotwein uns einfach nur viel zu trocken war, aber wahrscheinlich liegt das daran, dass wir keine Rotweinfans sind.
Ganz begeistert waren wir auch von den kleinen Orten Mzcheta und Sighnaghi in dieser Region. Mtzcheta grenzt direkt an Tiflis an und liegt an einem blauen Fluss zwischen Hügeln, während Sighnaghi auf den Hügeln über der Weinregion thront. Mzcheta ist allerdings durch seine leichte Erreichbarkeit von Tiflis aus wesentlich touristischer als Sighnaghi, das den ganzen Charme einer Dorfidylle behalten hat. Beide Orte verzaubern mit schönen Gassen aus Backsteinhäusern und mit Obstständen, traditionellen Handarbeiten und einer Kirche im Zentrum. Naja eigentlich ist das mit der Kirche auf fast alle Orte in Georgien übertragbar. Sighnaghi hat außerdem eine alte Stadtmauer, die gerne auch mit der chinesischen Mauer verglichen wird.
Da Essen eine große Rolle in der hiesigen Kultur spielt, haben wir hier auch die Gunst der Stunde genutzt und uns mit traditionellem georgischem Essen verwöhnt (oder eher vollgestopft): Brot mit Käse und Ei gefüllt, Gurken-Tomaten-Salat, mit Walnüssen gefüllte Auberginen, Cremes aus Spinat und rote Beete, Gemüseeintopf, Kinkali (so eine Art Maultaschen) und das Beste: Ojakhuri (Kartoffel-Pilz-Pfanne). Natürlich haben wir das alles nicht auf einmal gegessen und auch nicht nur an diesen Orten, wobei es in Georgien nach unserer Erfahrung wohl sehr üblich ist viel zu viel Essen zu bestellen und dann am Ende alles liegenzulassen. Das ist eine Sitte, der wir nichts abgewinnen können, daher haben wir uns Tag für Tag durch die Speisekarten probiert und am Ende das Fazit gezogen: Georgisches Essen ist immer frisch gekocht, sehr lecker, aber auch mächtig und sehr käselastig, denn ALLES wird mit Käse gefüllt.
Neben gemütlichen Ortschaften, Gastfreundlichkeit und üppigem Essen und Trinken gibt es in Georgien aber noch eine weitere kulturelle Erfahrung, die man nicht verpassen kann und will. Bereist man dieses Land, dann kann man gar nicht anders, als sich auch die Klöster und Kirchen anzusehen, denn man findet um jede Ecke eins. Der orthodoxe Glaube ist in der Gesellschaft noch tief verankert, immerhin gehören ca. 80% der Georgier der orthodoxen Kirche an. Der georgisch-orthodoxe Glaube ist hier gleichbedeutend mit der georgischen Nationalität, denn trotz vieler Besetzungen durch Perser, Araber, Türken und Mongolen und der immer wieder auftretenden Unterdrückung der christlichen Religion, haben die Georgier immer an ihrem Glauben festgehalten und für diesen und damit auch für ihre Unabhängigkeit gekämpft. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Kirche allgegenwärtig ist und der Glaube sehr traditionell konservativ ausgelebt wird. Z.B. mussten wir uns auch hier wieder an eine Kleiderordnung in den Kirchen halten, die Kopf- und Schulterbedeckung und lange Röcke für Frauen und lange Hosen für Männer vorschreibt. Aber auch wenn wir nicht nachvollziehen können, was Kleidung mit Religion zu tun haben soll, machen wir es gerne, wenn es den Menschen hier so wichtig ist. Und abgesehen von den alten Gebäuden, kommt man bei den Besuchen auch noch in den Genuss umwerfender Natur, denn eines muss man den Georgiern lassen: Sie wissen ganz genau, wo es am schönsten ist. Ob auf hohen Bergen, an steilen Klippen, als Höhlen in Felsen, an türkisblau strahlenden Seen oder mitten in der Weinregion, überall wo die Natur ihr bestes gegeben hat, steht eine der schlichten christlich-orthodoxen Kirchen. Manchmal wirken sie dabei wie ein stolzer König auf seinem Thron, manchmal aber auch ein wenig deplaziert.
Da die georgisch-orthodoxen Kirchen selbst eher schlicht sind, ohne viel Dekoration, und alle dem selben quadratischen Aufbau folgen, haben wir uns nach der Besichtigung einiger irgendwann eher auf Klöster konzentriert.Eine absolut spannende Erfahrung war das Erkunden des Davit Gareji Klosters, das mitten in der kargen Wüstenlandschaft an der Grenze zu Aserbaidschan steht. Das besondere an diesem Kloster ist, dass es unter anderem aus vielen Höhlen aus dem 6. Jahrhundert besteht, die in den steilen Fels geschlagen wurden. Zusätzlich wurde es in den folgenden Jahrhunderten mit Holz- und Steingebäuden erweitert. Leider konnten wir nicht das ganze Kloster besichtigen, da Aserbaidschan und Georgien seit 1991 in diesem Gebiet Grenzstreitigkeiten führen und das Militär einen Teil des Klosters abgesperrt hat. D.h. mitten auf dem Weg durch das Kloster standen plötzlich 10 Soldaten mit Gewehren in der brütenden Hitze, die uns mit Augenrollen erklärten, dass wir nicht weitergehen dürfen. Die lieben ihren Job bestimmt sehr.
Die alten Georgier scheinen generell Spaß am Bau von Höhlen gehabt zu haben, denn man kann einige beeindruckende Höhlenstädte im ganzen Land besuchen. Sehr zu unserer Freude, denn wir haben beide etwas übrig für dunkle, enge Höhlenerkundungen. Die größte (ehemalige) Höhlenstadt, die selbstverständlich auch immer wieder als Kloster genutzt wurde und in der momentan 3 Mönche wohnen, war Vardzia. Im 12. Jahrhundert war dies eine einzige Höhlenstadt mit über 4000 Bewohnern im Inneren des Felsens. Allerdings stürzte der Berg auf Grund eines Erbebens ein und legte die Höhlen frei, wodurch heute nur noch ein kleiner Teil der Stadt im Inneren des Felsens liegt, der Rest eher an Balkone an der Felswand erinnert. Wir sind stundenlang durch die Gänge und Überreste der Wohnhöhlen gelaufen und waren völlig beeindruckt, welchen Aufwand die Menschen damals für eine sichere Unterkunft betrieben haben. Sie hatten ein eigenes Frischwassersystem, eine Apotheke und natürlich viele Weindepots. Es gab sogar Geheimgänge zu Höhlen mit Waffenarsenal und Katapulten, um sich vor Angreifern zu schützen. Der Geheimgang begann im Inneren der Kirche und reichte hunderte Meter durch den Berg, denn wer würde schon hinter dem Altar einen Tunnel zum Waffendepot vermuten? Ganz schön gerissen.
Irgendwann hatten auch wir allerdings genug von Kultur und Kirchen und so machten wir uns auf den Weg dorthin, weswegen wir eigentlich nach Georgien gereist sind: Zu den gigantischen Bergen des Kaukasus. Als erstes sind wir nach Stepantsminda gefahren, einem kleinen Ort am Fuße des Kazbek, der wohl berühmteste Berg des Kaukasus. Mit seinen 5054m thront er über allen anderen ihn umgebenden Bergen und wirkt trotzdem absolut friedlich, denn mit seinem abgerundeten Gipfel sieht er aus wie eine schneebedeckte Zipfelmütze. Durch unser Glück mit dem Wetter konnten wir uns auf unseren Wanderungen auch selbst davon überzeugen, denn den Berg sieht man fast nie aus seinem eigenen Wolkensystem herausragen. Nach einem anstrengenden Aufstieg zu einer der berühmtesten Kirchen des Landes und noch 500m höher zu einem Aussichtspunkt haben wir im Sturm, aber bei Sonnenschein rast gemacht und noch die letzten Minuten, in denen der Berg aus seinen Wattewolken herausguckte, genossen. Leider hatten wir keinen Wein dabei, so wie zwei lustige andere georgische Wanderer, die wir auf dem Weg trafen, aber bei den steilen Pfaden war uns unser nüchterner Zustand auch lieber.
Danach wanderten wir mit unseren letzten Energiereserven noch zu zwei Wasserfällen und bereuten es nicht eine Sekunde, denn die Wasserfälle waren einfach atemberaubend schön in einer engen und tiefen Schlucht gelegen und die Geier, die hier ihre Nester hatten, zogen über uns majestätisch ihre Kreise.
Die folgenden Tage verbrachten wir damit zwei Täler zu erkunden, die in die Bergwelt bei Stepantsminda hineinführen. Das Sno-Tal gefiel uns besonders gut, da es sehr tief in die Berge hineinführt, bis die Straße an einem kleinen Dorf, bestehend aus ca. 15 Häusern, endet und man den Rest des Weges zu den Bergen zu Fuß gehen muss. Wir konnten nach so langer Zeit in Asien endlich wieder vollkommene Ruhe genießen und unsere Trinkflaschen mit Gletscherwasser auffüllen. Wenn wir ein Zelt dabei gehabt hätten, hier wäre der perfekte Ort zum Verweilen gewesen. Also gibt es nur eine logische Konsequenz: Wir kommen mit unserem Zelt nochmal hierher zurück.
Das Truso-Tal war dagegen auf eine vollkommen andere Weise spannend. Nicht nur, weil wir falsch abgebogen sind und uns plötzlich auf einer steilen, unbefestigten und teils durch dichtes Gebüsch führenden Straße wiedergefunden haben (aber Umdrehen ist ja etwas für Weicheier – oder?), sondern auch, weil wir am Ende unserer zermürbenden Autofahrt ein echtes Naturschauspiel erblicken konnten. In diesem kahlen Tal treten überall Mineralien aus Quellen an die Oberfläche und überziehen die Wiesen mit einer weißen, orangenen und roten Schicht. Bei dem Anblick konnte uns natürlich nichts mehr halten und wir sind den viel zu steilen Geröllberg mit unseren Jeep runtergerutscht und (Jan hatte recht) heil unten angekommen. Danach hatten wir auf Autofahren erst einmal gar keine Lust mehr und sind den Rest zu Fuß durch die surreale Landschaft gelaufen. Wir kamen vorbei an roten Flüssen, blauen Quellen und verlassenen Dörfern. Im Truso-Tal befindet man sich nämlich ganz nahe an der Grenze zu Südossetien, einem Abtrünnigengebiet, das mit Unterstützung der Russen für seine Unabhängigkeit von Georgien kämpft. Erst 2008 eskalierte die Situation erneut und hunderte Menschen wurden bei den Kämpfen getötet, weshalb auch viele mittelalterliche Dörfer im Truso-Tal fluchtartig verlassen wurden. Zum Glück gibt es wegen dieser Dörfer eine etwas bessere Straße als die unseres Hinweges wieder hinaus aus dem Tal und so fuhren wir, fluchend über unser falsches Abbiegen auf der Hinfahrt, in der Hälfte der Zeit wieder zurück.
Um den Kaukasus noch von einer anderen Seite zu sehen, sind wir danach weiter Richtung Westen nach Mestia gefahren, einer Wandereroase in Mitten der höchsten Gipfel Georgiens. Hier ist man, anders als im kargen Stepantsminda, umgeben von Wald. „Goldener Herbst“ hat für uns in Georgien eine völlig neue Bedeutung bekommen, denn nicht nur die Bäume strahlten in orange und rot, sondern auch die Sonne scheint hier im Herbst noch mit den Bäumen um die Wette. Perfekte Bedingungen also für einige schöne Wanderungen zu einem Gletscher, durch den Herbstwald und durch ein vollkommen abgelegenes, mittelalterliches Dorf namens „Ushguli“. So saßen wir also nach einer kleinen Wanderung da, umgeben von den Riesen des Kaukasus, vor unseren Augen tanzten die Herbstblätter im Wind und wir fragten uns, wie wir hier jemals wieder weggehen können?
Ushguli war dabei mit Sicherheit das Highlight unserer Zeitreise, denn hier ist man wirklich im Mittelalter gelandet. In dem Dorf, das umgeben von 5000m hohen Gipfeln ist, leben nur ca. 200 Menschen permanent, Tendenz fallend. Hier ist die stärkste Armut Georgiens vertreten, kaum einer verdient mehr als umgerechnet 100€ im Monat. Hinzu kommt, dass das Dorf jeden Winter Monate lang von der Umwelt abgeschnitten ist. Daher wollen jüngere Generationen trotz der Schönheit dieses Ortes nicht bleiben. Allerdings wird sich das wahrscheinlich bald ändern, denn schon jetzt hat der steigende Andrang an Touristen das Stadtbild durch neue Unterkünfte und Restaurants geprägt. Jeder möchte einmal diese Mittelalterindylle mit ihren Schweinen und Pferden in den Gassen und ihren Wehrtürmen aus dem 10. Jahrhundert sehen. Dabei erlebt man schon jetzt nur noch in den hinteren Gassen den alten Charme von Ushguli und wahrscheinlich gehört dieser bald ganz der Vergangenheit an. Für die letzten Familien hier ist der Tourismus allerdings ein wahrer Segen, durch den sie endlich ein wohlhabenderes Leben führen können.
Um alle unsere Eindrücke verarbeiten zu können und völlig abseits der üblichen Pfade zur Ruhe zu kommen, sind wir als letztes noch in den kleinen Kaukasus gefahren und haben dort eine der wohl steilsten Wanderungen unseres Lebens durch den dichten Wald gemacht. Für den Aufstieg mussten wir erst einmal 500 Höhenmeter auf 2km Länge überwinden, ohne Stufen. D.h. unsere Füße waren bis zum Anschlag gebeugt und es ging 1 Schritt vor und 2 Schritte zurück auf dem staubigen Waldboden. Aber am Ende hat es sich gelohnt, denn wir waren nicht nur völlig alleine, sondern konnten auch Kilometer weit über die bewaldeten Hügel blicken und von diesem wunderschönen Land gebührend Abschied nehmen.
Irgendwo zwischen weindurchzogenen Dörfern, Höhlenstädten und schneebedeckten Bergkuppen über dem Herbstwald haben wir unser Herz in Georgien verloren. Die harte Schale, aber der weiche Kern seiner Bewohner und die unsichtbare Armut haben uns tief berührt. Hier ist das Leben einfach schön und ruhig, egal wie hart es ist, denn die Menschen wissen ihre Idylle zu schätzen und machen aus dem Wenigen, was sie haben, das Beste.
Song of Roadtripping in Georgien: Twenty-Somethings - Judah & the Lion