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4km den Berg herauf oder: Warum man doch nicht so fit ist, wie man sich fühlt. Und warum in Südtirol „die Uhren eben anders ticken“

已發表: 09.06.2017


Ich trete in die Pedale, schwitze, keuche, mein Puls ist mindestens auf 180.Das Fahrrad bewegt sich nur mühsam den Abhang hinauf, mein Bruder Luca würde es wohl ein „Steherrennen“ nennen, und es stimmt – wirklich schnell bin ich nicht. Da hilft es auch wenig, dass die Straße an sattgrünen Weinbergen und der rauschenden Eisack vorbeiführt. Am Wegesrand sieht man ein paar Ziegen, sogar Gänse. Im Prinzip ein traumhafter Anblick, wenn ich nicht das Gefühl hätte, in der nächsten Minute dringend ein Sauerstoffzelt zu benötigen. Dass ich im ersten Gang fahre, trägt auch nicht wirklich dazu bei, das Leid schneller zu beenden. Mir kommt der Gedanke, einfach zu abzusteigen und zu schieben – aber irgendwo habe ich mal gehört, dass der Körper regelmäßig an seine Grenzen stoßen muss, um die eigene Fitness zu steigern. Also trete ich weiter. Mittlerweile höre ich mein Blut in den Ohren rauschen, aber es ist nicht mehr weit. Das letzte Aufbäumen, ein paar Meter noch, dann komme ich erschöpft oben an. Georg, der Vater von Dennis und Steffi, der auch im Haus wohnt, fragt mich verwundert im Südtiroler Dialekt: „Joa hascht du denn koa Gäng?“ Japsend versuche ich ihm mitzuteilen, dass mein Fahrrad sogar über 7 Stück verfügt, ich aber trotzdem total erledigt bin: „Bin die.. ahhhpuu.. Belastung…huuh…einfach nicht….huhuhu..gewöhnt.“ Irgendwie belustigt ihn das. Sogar der Haushund scheint Mitleid mit mir zu haben, denn diesmal bellt er mich ausnahmsweise mal nicht an. Wie dem auch sei. Ich schleppe mich die Treppen des Hauses bis die Wohnung, dann überfällt mich eine Müdigkeit von nicht bekanntem Ausmaß, aber irgendwie bin ich auch froh: Ich habe es geschafft!

Nach einer wohl verdienten Dusche kommt mir der Gedanke, dass irgendwie alles relativ ist. Ich habe mich immer für sehr fit gehalten, bin in Köln in der Woche an die 40km Rad gefahren, mindestens einmal schwimmen gewesen und habe mein Kraftraining absolviert. Sport habe ich immer gemacht, eben weil ich es brauche, meinen Körper regelmäßig zu spüren. Egal wie mies die Laune, nach einem Auspowern beim Boxtraining oder ein paar Liegestütze habe ich mich besser gefühlt. Und jetzt das! Die Höhenluft ist doch irgendwie anders. Und führt einen „Flachlandkölner“ schnell an seine Grenzen. Aber ich merke auch: Der Körper kann sich in dieser Umgebung deutlich besser entspannen, weil in Südtirol eben alles langsamer läuft:

Das fängt auf der Arbeit an. Um 9.00 beginnt mein Tag in der Redaktion, aber eben auch nicht wirklich. Wenn man dort ist, geht man erstmal in der Bar um die Ecke einen Kaffe trinken. Keine Plörre aus dem Senseo-Ding, wie ich es vom EXPRESS gewöhnt war, sondern guten italienischen Kaffee aus der Siebträgermaschine. Anschließend wird etwas gearbeitet, aber in aller Ruhe. Um 12h ist dann Mittagspause. Allerdings keine deutsche halbe Stunde, innerhalb der man das Essen runterschlingen muss und anschließend Bauchkrämpfe hat. Zwei Stunden machen die Südtiroler Pause – und zwar in einem Restaurant ihrer Wahl mit einem erstklassigen Mittagstisch. Wer denkt, dass das ins Geld geht, hat nur zum Teil recht: Dank Bonuskarte vom Arbeitgeber werden einem mindestens 5 Euro pro Essen erstattet. Angenehm gesättigt unternimmt man dann noch einen kleinen Spaziergang – die Italiener würden es „Passeggiata“ nennen – durch die Brixener Innenstadt. Nochmal drei Stunden arbeiten, dann ruft mir Redakteurin Evi zu: „Letizia, du koannsch jetzt auch gehn, wenn du moagsch!“

Die großstädtische Schnellllebigkeit fehlt aber nicht nur auf der Arbeit, sondern auch im Alltagsleben. Gehetzte Gesichter sieht man hier eigentlich kaum, die Leute schlendern gemütlich durch die kleinen Gassen der Brixner Innenstadt, sie halten einen Plausch mit wem auch immer (wie gesagt, hier kennt jeder jeden, und wenn nicht, dann kennt er doch jemanden, der den wieder kennt!), oder setzten sich auf den Domplatz, um ein Eis zu essen.

Sicher, auch die Südtiroler arbeiten viel und sind tüchtig – aber es scheint mir doch so zu sein, dass man die übrigen Dinge im Leben hier dennoch nicht unterordnet – ganz im Gegenteil. Sie sind mindestens genauso wichtig. Arbeit ist nicht wichtiger als Entspannung, Gelassenheit läuft der Schnelligkeit den Rang ab. Das gefällt mir, und ich denke, die Menschen in Deutschland könnten sich hier einiges abschauen! Wie oft habe ich Kollegen vor dem Computer essen gesehen, anstatt die Mahlzeit in Ruhe zu sich zu nehmen, wie oft muss alles immer nur zack, zack, zack gehen – ohne darauf zu achten, dass man die Fehler, die durch die Hetze entstanden sind, hinterher wieder doppelt und dreifach ausbügeln muss.

Vielleicht habe ich bisher einfach nur Glück gehabt, vielleicht ist meine bisherige Wahrnehmung zu subjektiv gefärbt. Die positiven Veränderungen kann ich trotz allem an meinem Körper wahrnehmen. 

回答 (2)

andrea
Du solltest auch einige Bilder aufladen!

Manuela
So toll geschrieben!