Lolomiina: 03.01.2019
03.01.:
schon um 16:30 uhr bin ich schon hier. und finde sogar in einem vorort eine noch geöffnete cantinha. antipasti vom feinsten!
das ist die erfahrung, die ich in diesem land mache: ein sehr gutes und reichhaltiges frühstücksbuffet und mittags in den restaurants buffets - auf neudeutsch "all you can eat" - für einen annehmbaren preis.
für menschen, die kein fleisch mögen gibt es eine extra abteilung mit den leckeresten beilagen. rohkost, gedünstetes gemüse, salate, rote bete, radieschen in dünne scheiben geschnitten, den schon mehrfach erwähnten kartoffelsalat und manchmal sogar noch nachtisch.
diese cantinha liegt nur 20 minuten von hier und verlangt lediglich18 reais (4,20 €) inkl. getränk und nachtisch.dieser ist etwas ganz besonderes: ananas mit heissem zimtsirup!
abends isst der brasilianer eher pizza und sachen vom grill. die gourmetrestaurants öffnen um 18:00 uhr.
während ich mich den beilagengenüssen hingebe wird der vepse heute von den gästen - vorwiegend von familien mit kindern - viel aufmerksamkeit geschenkt. das nummernschild wird beäugt und kann nicht zugeordnet werden (estados enudos?), und für den einen oder anderen vater haben die flaggen aus chile, peru, ecuador und jetzt auch aus brasilien ihren reiz. die ersatzreifen finden bewunderung.
wo ist das ganze gepäck geblieben, das die vepse noch am flughafen in santiago schultern musste?
ich glaube, ich habe es nur meinem gringo-dasein zu verdanken, dass ich überhaupt reingelassen werde - ob in banken oder hotels.
heute sehe ich ziemlich "besonders" aus. ich bin mit der von der gestrigen staubfahrt ziemlich mitgenommenen regenhose und meinem anorack bekleidet. darunter das langärmlige t-shirt und als hals- und nackenschutz die schon an anderer stelle erwähnte unterhose. ich versuche die herkunft immer etwas zu kaschieren, doch das hält nicht lang.
auch in bestimmten hotels schon die fast panische frage, ob ich denn reserviert hätte. ich würde wohl eine absage bekommen, wenn ich verneinen müsste.
die fahrt hierher macht wieder richtig spaß.
gestern habe ich noch herausgefunden, dass ich in apiai die falsche abzweigung genommen habe. curitiba habe ich einfach verpasst. ich war zu schnell ob der freude über den glatten straßenbelag. gashahn auf!
nun also zurück zur abzweigung.
von capao bonito bis nach apiai sind es knapp 100 km. ich sitze schon um 09:00 uhr auf der vepse, weil ich ab apiai mit dem schlimmsten rechne. ich bin fit und gut ausgeschlafen.
es ist ein wunderschöner und noch kühler morgen. kein verkehr, ich habe die straße fast für mich.
ich muss mich erst wieder an die kurven gewöhnen, habe großen respekt vor den kanten, die die standstreifen von der fahrbahn trennen, schaue mir himmel, berge und und den atlantischen regenwald an und komme sehr gut voran.
eines macht mir sorge: die vepse signalisiert mir, dass sie mit dem luftdruck nicht einverstanden ist. erst vor drei tagen haben wir kontrolliert und aufgetankt.
und tatsächlich - in apiai stellen wir fest, dass sie die hälfte ihres volumens schon verloren hat. die tankstelle ist sogar mit einer anzeigetafel aussgestattet, in die man einfach den gewünschten wert eingibt. in peru und in chile musste ich improviesieren...
ich hadere mit mir. ich habe nur einen ersatzvorderreifen dabei und will ihn nur einsetzen, wenn der jetzige kaputt ist. ich fahre schlauchlos und bin einfach auf ihn angewiesen. ich werde jeden zweiten tag den luftdruck checken. wenn die abstände geringer werden, dann muss ich wohl in den sauren apfel beissen.
es ist 11:00 uhr. die zeitangabe des navis stimmt. 2 stunden habe ich für 100 km benötigt. es liegt an den vielen kurven und an den steigungen, die einfach zum langsamfahren zwingen.
ich frage lieber nicht den tankwart, was mich auf der strecke von hier nach curitiba erwartet. hier in der innenstadt dieses überschaubaren ortes ist alles schön geteert, aber das kenne ich von gestern. da war das auch so, und dann fing nach der nächsten kurve die holperei wieder an. postiv sollten sie den tag beginnen schießt mir ins gehirn- eine sendung aus dem südwestfunk aus frühen tagen. da wurden den radiohörern im auto oder beim frühstück lebensregeln mit in den tag gegeben. das motto hieß immer so und die expertin, die interviewt wurde, nannte sich frau dr. häberlein...
also gut.
nichts passiert. ich darf mit unverminderter geschwindigkeit weiterfahren. es gibt mehr kurven, es gibt mehr steigungen und es gibt mit zunehmender höhe tolle ausblicke. aus den wäldern ragen violettfarbene blüten hervor, die aus meiner perspektive mit der clematis - montana große ähnlichkeit haben.
sie muss es auch sein, die einen sehr angenehmen duft absondert.
das alles kann ich dank fehlender und stinkender diesel-lkw wahrnehmen.
wie die clematis - der richtige name: timbouchina poulchra
das ändert sich bald, weil ich an zementwerken vorbeikomme. so kommt es vor, dass ich eine lange zeit hinter einem beladenen zementschlepper her fahren muss. überholen ist beim besten willen nicht zu machen.
irgendwann fahre ich rechts ran, rauche eine, trinke wasser, vertrete mir die beine, schaue in die hohen baumkronen, höre das gezwitscher und den pfeiffton der an eine flex erinnert und fahre dann weiter. das klappt gut. den zementlaster sehe ich nicht mehr.
der himmel bewölkt sich zunehmend, und dann kommen die ersten tropfen. es ist aber nur eine wolke... ich sollte das als warnung auffassen und schon mal einen platz suchen, um mich wetterfest anzuziehen, aber ich bin der festen meinung, dass ich dem wetter schon davon gefahren bin. weit gefehlt.
dicke tropfen - ich werde nur oberflächlich nass, weil ich finde schnell einen unterstand finde.
nach den anfänglichen tropfen entwickelt sich ein schöner feiner landregen.
mit dem regen kommen die verschiedensten düfte aus dem wald.
ich bin sehr froh, dass ich den weg nach curitiba durch die berge nehme - auch, wenn es ab und zu etwas beschwerlich ist.
wir fahren in ribeira über den gleichnamigen fluss, der die beiden bundesstaaten sao paulo und paranà miteinander verbindet. meine sorge gilt in erster linie der frage, ob paranàs budget für gute straßen ausgestattet ist. aber dann sehe ich, dass die straße weiterhin eine BR-kennung trägt und damit vom bund unterhalten wird.
der wind frischt auf. aber richtig. ich fühle mich als spielball und erinnere mich an die panamericana, als mich die böen vom pazifik durchschüttelten und alle verfügbaren fahrbahnen nehmen ließ.
jetzt wird es urban. der verkehr nimmt zu. die motorräder nehmen zu, es wird eng und rücksichtlos gefahren. und dann sehe ich die canthina.
dank des navis finde ich nach dem essen ohne probleme durch das stadtinnere zum hotel. ich lasse mich von den anderen verkehrsteilnehmern nicht beirren, fahre ganz rechts und immer wieder mit dem blick auf dem display. jeder sieht, dass ich mich orientiere, und ein hingucker bin ich ohnehin.
das hotel trägt einen legendären namen - savoy. es ist aber in die jahre gekommen. es hat alles, es liegt zentral, das fenster geht nach hinten raus, es gibt frühstück.
ich habe von curitiba noch nicht viel gehört, und bin sehr gespannt. wikipedia sagt, es ein eine ökologisch ausgerichtete stadt mit einem excellenten nahverkehrssystem, und die architektur (niemeyer) sei etwas besonderes. und der botanische garten...
ich bin gespannt!
04.01.:
die morgensonne, die schon sehr viel kraft hat, wird später von einer wolkendecke in schach gehalten.
das frühstück ist wieder sehr reichhaltig.
sogar cerralien sind im angebot und ausreichend obst, um ohne schlechtes gewissen gleich drei mal nachschlag zu holen.
die servicekraft wirkt etwas irritiert und fragt nach meiner zimmernummer...
bevor ich mich auf entdeckungstour begebe schreibe ich noch ein paar mails.
ich bin neugierig auf die stadt und bekomme durch die sonnenlose mittagszeit den entsprechenden ansporn.
es ist kurz nach 12. ich weiss, dass jetzt diverse restaurants in fußläufiger nähe ihre buffets eröffnen. zwar habe ich keinen hunger, aber lust auf einen frischen salat.
die straßenzüge, die zu meinem hotel gehören, wirken ärmlich und runtergekommen. es gibt keine läden, die fassaden sind vergammelt, die benachteiligten dieser gesellschaft nutzen die balkone als unterstand und wohnplatz. die hochhäuser wirken unbewohnt.
dank googlemaps orientiere ich mich richtig. die restaurants sind gut besucht. ich verwerfe meinen plan und lasse mich treiben. ab und zu nieselt es, ab und zu öffnen sich die schleusen recht ausladend, so dass nur ein überstand oder eine markise die rettung ist.
ich habe schon bei meinen anderen erkundungen in den städten brasiliens entschieden, dass ich ohne rucksack unterwegs sein will.
er lädt zu "missgriffen" ein. alles, was ich benötige passt in die hosentaschen. und sollte es regengüsse geben weiss ich mittlerweile, dass die in hiesigen regionen nicht allzuviel zeit beanspruchen.
eines aberhabe ich nicht bedacht:
ich habe meine fiipfllops anbehalten. diese geben keine trittsicherheit. immer wieder - das passiert mir aber mit turnschuhen auch - rutsche ich auf dem glatten straßenmaterial aus.
in den anderen städten waren es immer fliesen mit glatter oberfläche, die vorzugsweise auf den bürgersteigen verlegt wurden; hier es ist es das blankpolierte kopfsteinpflaster, das mich zwingt, vorsichtige schritte zu setzen. mir ist der sturz im inkabad in cajamarca noch gut in erinnerung. da waren es die glatten fliesen am beckenrand.
parkverbot für alle autos, außer oldtimer. die aber nur sonntagsvormittags
aber dann sehe ich von weitem ein klassizistisches weisses gebäude mit imposanten säulen und gehe in diese richtung. ich komme an der kathedrale vorbei, statte ihr einen besuch ab und erreiche langsam das historische zentrum.
die zweistöckigen häuser sind teilweise in grellen farben gestrichen, es gibt plätze, kleine parks, szenekneipen, eine kleine kirche aus dem 18. jahrhundert und schöne restaurierte fassaden.
der regen vertreibt die touristen und passanten in die bars.
ich suche mir einen unterstand und gehe dann weiter.
endlich wieder schöne fassaden
der eingang zum garibaldi - paiais. ein italienischer widerstandskämpfer, der sich mitte des 19. jahrhunderts den widerstandskämpfern gegen die brasilianische zentralregierung anschloss.
https://de.wikipedia.org/wiki/Farrapen-Revolution
leider geschlossen
die anfänge des deutschen reinheitsgebots
und an den deutschen schäferhund haben sie auch gedacht
die bushaltestellen sind schon fast ein wahrzeichen von curitiba.
etwas ähnliches habe ich nur in lima gesehen:
bushaltestellen der besonderen art
es sind zylindrische baukörper aus glas, die man passieren muss, um in den bus einsteigen zu können. die fahrkarte hat der fahrgast schon vorher gelöst. bei den bussen handelt es sich entweder um einfache busse oder um sogenannte ziamonikabusse, die aus drei teilen bestehen. die busfahrer wissen genau, wann sie stoppen müssen und lassen dann genau vor den ausgängen ihre einstiegsplattformen herunter, damit rollifahrer und fußgänger bequem einsteigen können. es gibt kein gedrängel, und die verweilzeit an der haltestelle ist sehr kurz. es gibt busspuren, die für den übrigen verkehr gesperrt sind.
ich fotografiere viel und werde neugierig, welche geschichte mir curitiba zu erzählen hat.
für heute reichts. ich bin mittlerweile nass und schon fast ein hinderniss für die übrigen fußgänger, die mit ihren flipflops und turnschuhen besser klarkommen.
ich habe ein paar tage zeit, um noch mehr zu entdecken.
05.01.:
bevor ich mich auf den weg mache - das ziel ist die drahtoper - nutze ich meinen facebook-account und kontakte den hiesigen vespaclub. ich bin gespannt, ob wir eine gemeisame tour hinkriegen.
ich schreibe noch dem reifenhersteller heidenau - meinem reifensponsor - und frage ihn, ob ich einen schlauch in den vorderreifen einziehen kann. das wäre die eleganteste lösung.
wilfried sieht darin kein problem. er muss halt nur passen...
so oder so: ich werde mich morgen auf die suche nach einem reifenhändler machen.
das schöne am alleine reisen ist, dass ich fehler machen kann und kein zweiter darunter leidet.
ich kann entscheiden, ob ich aufgebe, oder es ein zweites mal probiere.
so ist es auch heute mit meinen busfahrexperimenten.
diese navigationssysteme und apps sind im grunde teufelszeug!
sie nehmen dem anwender das denken ab und machen ihn auch hier zu einem willen- und gehirnlosen geschöpf.
ich setze mich darüber hinweg und suche im internet eine nahverkehrs-app für curitiba.
mit ihrem start beginnt das wohlfühl- und kuschelprogramm:
sie fragt mich wohin ich will und nennt mir dann, nach dem sie meinen standort kennt, den abfahrtspunkt, die alternativen buslinien, die abfahrtszeiten und die anzahl der haltestellen bis zu meinem zielort.
ich sitze während meiner fahrt durch unbekanntes areal auf ihrem gut gepolsterten schoß und lasse mir nach jedem halt zuflüstern, nach wie vielen stationen ich aussteigen muss. kurz vor meinem ziel gibt es einen signalton und ihre information, dass ich gleich mein ziel erreicht habe und mich auf mein ausssteigen vorbrereiten solle.
kurz vor dem abbremsen des busses gibt es noch einen signalton und ich werde sanft weggeschubst. zurück in die eigenverantwortung.
es ist schon fast peinlich...
jetzt mussich nur die nächste bushaltestelle den busterminal finden... hier ist es so wie auf dem bahnhof oder auf dem flughafen. es gibt viele busse, die von unterschiedlichen stellen abfahren. mein ziel ist die oper.
bei meinem ersten versuch weiss ich noch nichts von den terminals und gehe davon aus, dass die haltestelle guadelupe zwei einstiegstellen hat. ich bin verunsichert und in gewisser weise auch abenteuerlustig und neugierig und steige in den nächst besten bus.
meine app schweigt.
kein gutes zeichen. bin ich offline? ich bin nicht unter zeitdruck und lasse mich für 25 ct bis zur endstation fahren. ich erwarte minütlich einen kontrolleur, der meine fahrkarte sehen will. aber eine fahrkarte gibt es nicht und damit auch keinen kontrolleur. also kann ich beruhigt sein.
hier treffe ich auf einen großen terminal und sage der app, dass ich wieder zurück zur guadelupe-haltestelle will.
ich entwickele mich fast zum profi, bezahle dieses mal schon 4,50 reais und bin nach einer halben stunde wieder am ausgangsort.
erst jetzt stelle ich fest, dass auch die scheinbar nur aus zwei haltepunkten bestehende haltestelle guadelupe einen großen terminal verbirgt, der nicht so leicht zu finden ist.
der zweite versuch klappt.
ich finde nach fragen und suchen meine haltestelle, bezahle wieder 4,50 reails und lasse mich 6 haltestellen bis zum nächsten umstieg bringen. das suche nach der anderen haltestelle gestaltet sich erst etwas schwierig. das haltehäuschen ist eher unscheinbar. hier halten busse, die noch einen schaffner und ein enges drehkreuz haben.
aber dann habe ich es geschafft und bin an meinem zielort angelangt.
und es hat sich gelohnt:
als ob der regenwald das gebiet wieder zurück erobern will
die "draht-oper" ist aus rohren gefertigt und wurde vor wenigen jahren renoviert. besonderes augenmerk wurde auf eine verbesserte akustik gelegt
18 t technik werden für eine aufführung benötigt.
leider werden sie aus akustrikgründen zugezogen
der erste rang
die kuppelkonstruktion
leider bin ich außerhalb der spielzeit da.
die direkte übersetzung sagt zwar etwas anderes, aber hier wird auch honigwein verkauft.
der käfer soll 5.300 € kosten!
die rückfahrt bringt mich über umwege wieder zurück in die stadt.
unterwegs mache ich noch ein paar schnappschüsse aus dem fenster und werde von dem oscar-niemeyer-museum überrascht.
die einheimischen nennen es das auge.
aus der ferne betrachtet wirkt es auf mich bedrohlich und erinnert mich an george orwell. der architekt oscar niemeyer, der sich auch in brasilia verewigt hat, hat das "auge" noch mit 92 jahren fertiggestellt!
und leicht
kein sturm und kein erdbeeben - schuld ist der rassante start des busfahrers
06.01.:
wer bus fährt, sieht mehr...
heute ist der botanische garten das ziel.
er fährt direkt vor meinem hotel ab.
ich versäume es aber, kurz vor der 6. station rechtzeitig auf den halteknopf zu drücken, und der busfahrer fährt mit unverminderter geschwindigkeit am botanischen garten vorbei. ich habe zeit und komme bis zur endstation mit, um dann auf dem rückweg von der schaffnerin den tip zu bekommen, doch jetzt lieber jetzt den halteknopf zu betätigen.
als ich den großen park betrete - übrigens eintritt frei - fühle ich mich für einen moment an das schloss sanssouci in potsdam erinnert. es liegt an der großzügigkeit des areals, an der kunstvollen bepflanzung der beete und an den akkurat geschnittenen und in geometrischer perfektion zu einander stehenden buxhaumhecken.
weit hinten dominiert nicht das schloss, sondern das dreikupplige gewächshaus, das an die viktorianischen gärten erinnert.
fast wie in potsdam
mit viktorianischer anmutung
die unterschiedlichen blickwinkel reizen mich
und finde fast kein ende
es ist sonntag. es regnet nicht. die massen strömen. die smarties sind gezückt für selfies, für familienfotos und für die dreijährigen enkel, die für opa und oma verewigt werden sollen, die aber keine lust dazu haben und einfach weggucken, was anderes machen.
soll ich die flucht ergreifen? ich habs jetzt ja gesehen. nun muss gut sein. aber ich bezähme meinen schweinehund, kämpfe mich tapfer durch das volk, verhagele dem einen oder anderen sein foto und befinde mich bald fernab vom gewimmel.
eines weiss ich: das gewächshaus werde ich von aussen bewundern, denn der geräuschpegel ist so hoch, dass er schon nach draussen dringt. ausserdem war ich exakt vor einer woche im richtigen regenwald.
so lustwandele ich lieber durch den angegliederten park, treffe pflanzen von ziemlich allen kontinenten an, erkenne die malve wieder, den rosmarien und den buxbaum, ich entdecke den jasmin, die zitronenmelisse und den lavendel. überall sind schautafeln verteilt, die die flora und fauna erklären.
es führt eine brücke über einen kleinen see, der bevölkert ist von an der oberfläche dahin schwimmenden größeren fischen. so große goldfische habe ich noch nicht gesehen. sie schnappen nach geschnipselten blättern, die kinder runterwerfen. ich sehe sogar eine recht große schildkröte, die die last ihres panzers durch das wasser trägt. es macht nicht den eindruck, dass der auftrieb des wassers ihr die arbeit abnimmt.
später entdecke ich eine schautafel, deren sinn ich erst nicht erkenne. sie erklärt die bäume, die vor mir auf der wiese stehen. ich vermisse aber die kennung an den bäumen, um sie mithilfe der tafel benennen zu können. doch dann gelingt es mir und ich weiss jetzt, dass die clematisähnlichen bäume im atlantischen regenwald tibouchina pulchra heissen.
ich suche mir einen anderen baum als anlehner und beobachte das touristische treiben von der ferne aus, sehe schmetterlinge und die orangebrüstigen amseln, die das gleiche verhalten an den tag legen, wie die in ritterhude.
auf dem weg zurück mache ich noch einige fotos, nehme mir meinen bus zurück in die stadt und bin froh, dass ich mich wieder unter alltagsmenschen bewege.
curitiba ist auf sonntag getrimmt. kaum autos, kaum menschen, die metallläden sind geschlossen. die obdachlosen - und davon gibt es nicht wenige - schlafen mit oder ohne schlafsack unter überständen und markisen oder haben sich eine art zelt gebaut, um vor dem regen geschützt zu sein.
degenhards lied fällt mir ein: sonntags in der kleinen stadt... ob eine 1,8 millionen stadt oder die kreisstadt zu hause - die stimmung ist die gleiche.
ich finde ein arabisches schnellrestaurant und als ich wieder auf die straße komme spannt sich ein regenbogen von der einen zur anderen hochhausfassade, die breiten, mehrsprurigen und nicht befahrenen straßen dampfen im gegenlicht.
der regenbogen im nachmittagslicht
die universität
der nikolaus nimmt seine auszeit
eigentlich will ich noch auf ein bier ins centro historico, gebe aber dem weg ins hotel dann doch den vorzug.
07.01.:
der tag beginnt mit einem video, das mir rolf zugeschickt hat.
meistens sind sie witzig, weil sie den schwäbischen charme widerspiegeln.
dieses video aber ist genau das gegenteil. es ist für mich so, als ob ich ohne vorwarnung in ein eisbecken geworfen würde.
alles redet über elektroautos, viele fahren schon ihre elektrobikes und alle benutzen sie. die lithium-batterien. mit dem lithium kauft sich die westliche welt das gute gewissen, alles getan zu haben, um die klimavorgaben einzuhalten.
die autoindustrie brüstet sich, die politiker hängen sich den grünen mantel um. alles ist gut. aber nur auf der nordhalbkugel.
das video zeigt die atacamawüste. wasserreservoirs werden freigelegt und der verdunstung preisgegeben. so kommt die industrie an ihr lithium ran. wir saugen diesen ländern das grundwasser und damit ihre ernährungsgrundlage ab. in afrika gibt es kein lithium. dort gibt es kobald. auch die afrikaner wollen etwas von dem kuchen abhaben und ernten es mit bloßer hand.
und wir? wir, die davon profitieren? wir, die vielleicht erst jetzt erfahren, wieviele menschen wegen uns hungern oder wie ein tier verrecken müssen?
ich fühle mich wie in einem strudel. da komme ich nicht raus. der dreht sich schneller und schneller.
ich benutze einen akku und über kurz oder lang auch ein elektroauto...
wie kommen wir da raus?
die forscher und patentinhaber wissen nicht was sie tun?
...
heute steht die vepse und damit meine sicherheit im vordergrund.
den reifen gebe ich nur sehr ungerne auf. es muss doch auch mit einem ersatzschlauch gehen.
die antwort von der firma heidenau-reifen kommt prompt zum frühstück.
auch wenn auf den reifen tubeless draufstünde, dürften schläuche eingezogen werden. das felgenbett sei auch dafür ausgelegt.
heidenau nennt mir auch noch die genaue bemaßung, sodass ich mit zwei optionen auf wanderschaft gehen kann. entweder schlauch oder reifen.
wenn ich beides nicht bekomme, kann ich einfach einen flicken auf das loch kleben. wilfrieds idee, den ich wieder als coach im hintergrund habe.
die vergangenen tage gehörten dem busfahren.
heute muss ich eine aufgabe bewältigen und kann meine zeit nicht an endstationen vertrödeln.
in sao paulo habe ich uber - die konkurrenz zu den taxiunternehmen kennengelernt und mir eine app runtergeladen.
ingo hoffmann - eine michelinvertretung - ist mein erstes ziel.
ich stehe noch nicht einmal zwei minuten vor dem hotel da hält ein fahrzeug mit dem uber logo an.
die frage aus dem offenen seitenfenster thomas? und dann ein freundliches hallo.
ich muss nicht viel erklären. das ziel ist schon bekannt, weil ich es ja schon in google maps eingegeben habe, und ich weiss, wieviel die fahrt kosten wird. um die 5 reais. der bezahlvorgang ist mittels kreditkarte abgeschlossen.
nach abschluss jeder fahrt finde ich in meinem emailpostfach die abrechnungen für jede einzelne fahrt. der name des fahrers und die route werden mir auch genannt. und als pdf für die steuer - wer will oder muss - ausdruckbar. sollte ich etwas im auto vergessen haben, ich habe alle informationen.
zuhause muss ich so plietsch gewesen sein, und mir die taxi-nummer und das -unternehmen gemerkt haben.
die autos hier sind alle in einem top-zustand, die fahrer freundlich. da könnten sich die muffelnden taxifahrer in berlin und anderswo eine scheibe abschneiden und die taxiinnung über den tellerrand gucken.
die michelinvertretung ist auch in einem topzustand. weisse bodenfliesen, polierte hebebühnen, sehr höfliche und hilfsbereite damen im büro und anpackende männer an den werkzeugen.
ich habe die beschriftung meines vorderreifens fotografiert und zeige ihn einem monteur, der mir geich entgegenkommt und sich nicht - wie manchmal bei uns - versteckt. er bringt mich in den empfang. auch dort sofortige zuwendung und nach einem anruf in einer anderen michelinvertretung weiss ich, dass sie tatsächlich den vorderreifen haben und ich ihn dort abholen kann.
ich bin fast sprachlos und lege nach. eigentlich bräuchte ich einen schlauch... kein no hay, sondern die kollgegin recherchiert und telefoniert und gibt mir am schluss eine adresse, bei der ich es versuchen könne.
ich kann ihre schrift nicht lesen und reiche ihr mein smartie, damit sie die adresse gleich bei goolgemaps eingibt. für mich bedarf es nur noch eines oder zweier klicks und das uber-fahrzeug ist bestellt. ich habe schon die antwort, wann es da ist und welches kennzeichen es hat. ich bedanke mich bei allen und gehe vor die werkstatt.
kaum zu glauben! in dem moment fährt schon das uber-auto vor, ich steige ein wie krösus und bin nach einer viertelstunde an meinem zielort. dort liegen einige motorradläden nebeneinander. ich erfahre hilfsbereitschaft ohne ende. wenn der eine laden den schlauch nicht hat, begleitet mich der verkäufer zum nächsten, erklärt seinem konkurrenten, was ich brauche und geht seines weges. ich bin total platt und kann immer nur danke sagen.
bei dem letzten schöpfe ich noch einmal hoffnung. in seinem laden hängt ein großes plakat mit vielen vepsen. auf seinem regal sehe ich einen orangeroten karman ghia, einen vw-bus aus europa noch ohne frontfensterüberstand und etwas versteckt einen käfer. und in der ecke steht eine ziemlich verbrauchte vepse aus den 50igern, die erst wieder zum leben erweckt werden muss.
gut - dann ist das thema ersatzschlauch abgehakt.
das dritte uber-auto ist auch ohne wartezeit gleich da und bringt mich zur anderen michelinvertretung. sie liegt nicht da, wo sie eigentlich sein sollte. fahrer und fahrgast sind perplex, der fahrer schon angesäuert, weil ich nicht aussteige und er schon einen anderen kunden in der pipeline hat. aber dann sehen wir das michelin-schild bei einer shelltankstelle. mein fahrer schafft es noch zu einem lächeln und fährt zu seinem nächsten gast.
dass die zeitaufreibende bezahlerei entfällt ist ein großer vorteil!
hier in der werkstatt steht mein reifen schon bereit. ich frage noch nach einem schlauch - ohne erfolg.
wenige minuten später sitze ich bereits in meinem nächsten uber-auto.
unterwegs sehe ich der rua dres motta ein schaufenster mit vespen!! oder sind es nur nachahmerprodukte? dank der streckenbeschreibung von uber kann ich vielleicht den laden noch finden und doch noch einen schlauch bekommen?
zwanzig minuten später bin ich wieder im hotel!! einfach der hammer!!!
das, was ich mir alles so schwer vorgestellt habe, flutscht wie am schnürchen. ich hole meinen helm aus meinem zimmer, gebe die adresse der ersten michelinvertretung ingo hoffmann in mein navi ein und fahre los.
es regnet nicht. die sonne ist zahm, der verkehr moderat.
es ist so, als ob die mechaniker auf mich gewartet hätten. ein paar routinierte handgriffe und die vepse hat einen neuen schuh. und der andere mechaniker findet tatsächlich den verursacher für das loch. ein kleiner rostiger nagelrest. weniger als ein nagel, eher das format einer tackerklammer. ob ich den reifen mitnehmen wolle? ich verneine, weil der reifen doch schon ziemlich abgefahren ist.
routinierte handgriffe
gleich mit neuem schuh
facebook?? kommt unser foto auch in facebook?
so oder so: er musste einfach runter. aber dass ich von puerto maldonado bis hierher mit dem rostigen stift in der reifendecke gefahren bin, ist erstaunlich. es lag also nicht am fahrtwind oder an der ladung - es lag an diesem kleinen loch, warum die vepse in den kurven und in den längsrillen ihr eigenes ding mahen wollte. nun ist alles ok.
der michelinreifen bleibt als eiserne reserve.
ich gehe noch etwas essen und setze mich danach auf die plaza gegenüber der altehrwürdigen universität des bundesstaates paranà.
alt und alt: ein begriff und zwei bedeutungen
so bleibt für mich morgen noch ein tag für die stadt. eigentlich habe ich damit gerechnet, dass zwei tage oder vielleicht sogar mehr für die reifenaktion nötig wären.
08.01.:
curitiba sieht sich als die grünste und europäistische stadt lateinamerikas. deutsche, polen und andere europäer waren nach der gründung durch die portugiesen einer der ersten immigranten, die hier ihre kolonien gründeten.
hauptaugenmerk gilt der stadtentwicklung, die schon in den 60iger jahren ihren anfang nahm. der damalige bürgermeister bat um vorschläge für eine stadtplanung, die den starken einwanderungstendenzen in vernünftiger weise begegnen sollte.
hier kommt der damalige architekt und spätere bürgermeister ins spiel: jaime lerner, sohn jüdischer einwanderer. schon mit 25 gewann er seinen ersten architekturwettbewerb. mit dem preisgeld baute er sich ein haus, das schon damals - das war mitte der 1960iger jahre - den nachhaltigkeitsgesetzen des ökologischen bauens entsprach! als die einwanderer in die stadt strömten wollte er nicht die erfahrungen der städte rio de janeiro und sao paulo machen. um zu verhindern, dass durch die behelfsbauten und das leben der immigranten die wasserqualität leidet, hat er schon sehr früh die mülltrennung eingeführt und zentrale stellen eingerichtet wo er hingebracht werden konnte. dafür erhielten die bewohner fahrscheine, schullhfefte oder gemüse.
curitiba liegt auf einer höhe von knapp 940 metern und wird von 5 flüssen mit wasser versorgt. die kreditgeber empfahlen ihm, er solle ein unterirdisches tunnelsystem bauen, um die stadt vor regelmäßigen überschwemmungen zu schützen. auch hier machte sich sein ökologisch ausgerichtetes denken bemerkbar. er ließ dämme errichten und bildete damit die grundlage für den grüngürtel mit parks, botanischen gärten, seen und für zahlreiche biotope.
in zahlen ausgedrückt: seit lerner in den 70iger jahren das erste mal bürgermeister wurde habe sich der baumbestand um das dreihunderfache vergrößert, während sich die bevölkerung nur verdreifacht habe.
er hat das erste ökoinstitut gegründet, das für die allgemeinheit zugänglich ist, es gibt leuchttürme in der stadt, die auf kostenfreie bildungsangebote hinweisen und die auch genutzt werden.
industrieseitig ist curitiba mit siemens, robert bosch, renault volvo und volkswagen gut aufgestellt. logistisch wird es von der nahen hafenstadt paranagua versorgt. es gibt sogar eine eisenbahnlinie, die die beiden städte miteinander verbindet. bedingt durch die geologischen gegebenheiten in der sierra verde musste auch hier mit sogenannten spitzkehren gearbeitet werden, um die höhen zu überwinden.
heute dient die eisenbahn nur noch touristischen zwecken, weil die lkw auf den gut ausgebauten straßen einfach schneller sind.
jaime lerner war einfach seiner zeit voraus. davon profitiert curitiba noch heute. auch von dem mäzenatentum, das durch die damaligen einwanderer bis in die heutige zeit bestand hat.
heute ist ein sonniger tag. neue entdeckungen mache ich keine mehr. ich lasse mich durch die stadt treiben und gehe später noch einmal in die kathedrale. am abend gibt es ein heftiges gewitter, das sich jetzt aber schon verzogen hat.
schön und schlank
morgen geht es weiter nach sao francisco do sul ans meer. es sind nur 180 km. sie werden aber mit einer fahrzeit von 2,5 stunden angegeben, was auf eine anstrengende und bergige fahrt durch die sierra verde schließen lässt.