Lolomiina: 08.02.2020
Als wir nach Costa Rica kamen, wussten wir nur, wir suchen irgendwo einen Ort, an dem wir 2 Monate bleiben können und wir und unsere Kinder in aller Ruhe Spanisch lernen. Jetzt ist es 2 Wochen später, und wir haben diesen Ort gefunden. Also fast. Naja, ganz sicher.
Es ist Glück. Ohne Frühbucherrabatt.
Diejenigen unter euch, die nur darauf warten, dass wir die Reiserei satt haben, werden sich jetzt ins Fäustchen lachen. Grüns sagen, sie wollen unbedingt reisen, und dann bleiben sie 2 Monate an einem Platz. So ein Witz. Naja, wir entdecken halt gerne Neues. Aber dafür müssen wir nicht ständig unterwegs sein. Wir mögen das Konzept von „slow travel“: Man geht einfach mal los, und schaut, wo die Reise einen hintreibt. Man vermeidet die grossen und schnellen Attraktionen, geht auf Wegen abseits und bleibt auch mal stehen. Oder wohnen. Jetzt gerade finden wir es sehr wichtig, den Kontinent, die Kulturen, die Sprache und die Natur kennenzulernen, bevor wir uns durch Lateinamerika mit seinen grossen Entfernungen und unwegigen Wegen schlängeln. Deshalb war uns von Anfang an klar: Wir brauchen eine Basis. Sprachlich und geografisch. Wir brauchen einen Ort, wo wir Erwachsenen intensiv Spanisch lernen können, am besten in einer Schule, und einen Ort, wo Mila mit Gleichaltrigen Spanisch üben kann, am besten in einem Kindergarten. Und nach Didis Wunsch möglichst direkt am Strand. Challenge accepted (und wir wissen noch nicht, wie man das auf Spanisch sagt und sagen deshalb: Vamos!).
Leider ist sowas echt schwer, vorher im Internet herauszusuchen. Die Sprachschulen, die wir online finden, sind wahrscheinlich voller Backpacker und Surfergirls, und das ist genau das, was wir nicht wollen. Und Wohnungen, die im Internet beworben werden, kosten einfach sehr viel. Als wir in der Hauptstadt San José ankommen, haben wir deshalb noch keine Ahnung, wohin wir wollen. Wir wissen nur, dass wir müde und gereizt sind und möglichst schnell an einen ruhigen Strand möchten. Ich scrolle spätnachts durch die AirBnb-Angebote, und kann schön auf der Online-Karte nachschauen, ob diese am Strand liegen. Die meisten Ferienwohnungen in unserer Preisklasse sind superschäbig (zumindest auf den Fotos) und liegen irgendwo im Urwald. Es sind oft ganz einfache Hütten. Erst nach einigem Suchen finde ich ein Angebot von einem amerikanischen Ehepaar: Ein Strandhaus mit Palmendach, an einem recht abgelegenen und gleichzeitig Tourismus-gewöhnten Strand. Wir sind gespannt und machen uns auf den Weg.
Die Busfahrt durch das kleine Land ist dann doch beschwerlicher als gedacht und nach einem langen Tag unterwegs kommen wir am Strand an. Es ist wunderschön. Wir geniessen die Zeit in der Hütte und die Tage verschwimmen. Es ist genau das, was wir uns vorgestellt haben: Eine einfache, anspruchslose Umgebung. Nah an der Natur leben. Wärme. Wir scheren uns nicht um die Menschen um uns herum, und auch nicht um die Zukunft. Die erste Woche ist da zum Schlafen, Schwimmen, Spielen und Lesen.
Doch leider meldet sich unsere Planung: Eigentlich müssten wir uns ja um einen Ort mit Sprachschule und Kindergarten kümmern. Wir müssten recherchieren, Kontakte herstellen, Zusagen machen. Doch irgendwie ist uns gar nicht danach. Nach so vielen Flügen, Wechseln und Stress wünschen wir uns einfach nur, an diesem Strand bleiben zu können. Und doch überwinde ich die Hitzelethargie und gehe ins nächstgelegene Restaurant. Ich spreche die Betreiber auf Englisch an: Gibt es hier eine Sprachschule? Nein. Gibt es hier einen Kindergarten? Nein. Gibt es Leute, die sowas kennen? Mh, frag Nadja.
Okay. Frag Nadja, das ist mein nächster Hinweis. In einem Ort mit nur 450 Einwohner sollte es ein Leichtes sein, Nadja zu finden.
Zwischendurch macht sich Unruhe in mir breit. Die längst vergessene Uhr tickt, es sind nicht mehr viele Tage, bis diese Hütte weitervermietet wird. Was ist, wenn wir nichts Gutes finden? Fahren wir wieder 2 Tage lang Bus, um woanders von vorne anzufangen? Oder gehen wir doch lieber über die nahe Grenze nach Panama und versuchen es dort? Irgendwie lässt mich aber ein Gedanke nicht los: Ich glaube an einen versorgenden Gott, und der meint es gut mit uns. Lass los. Lass los.
Manchmal, wenn ich ins Restaurant gehe, in der Hoffnung, einfach so diese mysteriöse Nadja zu treffen, dann ist sie ausgerechnet in dem Moment nicht da, oder meine Ansprechperson muss gerade Bier zapfen oder Fisch braten. An einem Samstag wollen wir auf dem Wochenmarkt etwas Gemüse kaufen. Ich stapfe in der grossen Mittagshitze hin und stelle fest: Auf dem Wochenmarkt gibt es nichts zu essen, nur so Touri-Artikel und Ich-AGs mit bedruckten Tshirts. Es ist etwas frustrierend, und ich erzähle verzweifelt jemandem von unserem Vorhaben. Und da sagt die Person auf Englisch: „Hast du das denn schonmal Nadja erzählt? Sie steht direkt da hinten und kann dir bestimmt helfen.“ Da bin ich baff. Und während ich mich zu ihr durchschlängele, ist die geheimnisvolle Nadja auch schon verschwunden (ich habe sie bis heute nicht getroffen). Die Frau, die ich für Nadja halte – eine kleine, freundlich lächelnde Person – entpuppt sich als ihre Kollegin. Sie heisst Joana und als ich ihr berichte von unserem völlig unrealistischen Plan, da sagt sie: „Ach, kein Problem, ihr könnt bei mir wohnen. Ich frage in meiner Schule, ob eure Tochter sich anschliessen darf. Gib mir deine Handynummer, ich gebe dir am Montag Bescheid.“
Und da bin ich sprachlos. Mein aktiver Rechercheaufwand bestand letztendlich aus ein paar Minuten (die ganze Grübelei und die Gebete nicht eingeschlossen), und da treffe ich schon eine freundliche Person, die genau die richtigen Informationen für mich hat. Ich gehe beschwingt nach Hause und weiss:
Wir haben dieses Glück nicht verdient, sondern einfach geschenkt bekommen.
Dieser Moment hält nicht lange an. Denn innerlich drängen wieder so viele Fragen: Woher weiss ich denn, dass ich dieser Person vertrauen kann? Dass die Unterkunft gut ist? Wird das alles klappen mit der Schule? Und dem Spanisch lernen? Ich versuche, die Fragen zu verdrängen. Vertraue. Lass los. Vertraue. Es ist nicht so einfach. Von aussen sehen die Tage aus wie schon zuvor – Zeit am Strand, romantisches Licht, Reis mit Bohnen – doch innen brodelt es.
Joana, meine persönliche Retterin und potentielle Gastgeberin, meldet sich nicht. Irgendwann schreibe ich sie an – ich weiss nicht, ob es angebracht oder unhöflich ist. Die Schuldirektion ist nicht erreichbar, sagt sie. Ihre Wohnung wäre erst in einer Woche frei, aber sie könne uns eine zweite Wohnung, die gerade als Abstelllager dient, frei räumen. Aber wir können sie vorher gerne anschauen kommen. Na toll.
Das machen wir. Und sind total positiv überwältigt: Die Familie ist supernett. Teil ihres Anwesens direkt am Strand besteht eben aus den Einzimmerapartments, die sie nebenher vermieten. Wahrscheinlich hat irgendein amerikanischer Rentner dieses schöne hochwertige Haus gebaut, aber die Familie möchte keinen Profit daraus schlagen und lässt ab und zu Freunde und Familie in der Wohnung schlafen. Und jetzt uns. Zu einem minimalen Preis. Wir können es gar nicht fassen und sagen zu. Noch ohne eine Ahnung, wie wir das mit Sprache und Schule machen sollen. Ist gerade egal.
Solche Begegnungen und Gastfreundschaft lassen sich nicht programmieren. Wir haben darauf vertraut, dass es ein Plätzchen für uns gibt, aber dass es eben keine ramponierte Urwaldhütte ist, sondern eine Wohnung in einem stabilen Haus, das hätten wir uns nicht ausmalen können. Denn viele der Nachbarn leben sehr einfach und haben keinen Platz für Touristen.
Irgendwie scheint es uns, dass es aber ganz gut passt in diesem Ort. Denn es gibt wenige Termine, die Menschen sind flexibel und helfen uns (und hoffentlich einander auch) gerne spontan. Und mit dieser Spontaneität müssen wir trotz allem umgehen lernen. Wenn wir zum Beispiel 4 Kilometer bis zur nächsten Unterkunft müssen und noch Minuten vorher keine Ahnung haben, wie wir dorthin kommen mit 2 kleinen Kindern und jeder Menge Gepäck. Wir haben vorher um Rat gefragt, und unsere Ratgeber fanden, das müsse man ja nicht im Vorhinein klären. Und sie haben Recht: Ein Anruf genügt und ein älterer Taxifahrer mit uraltem Pickup steht vor der Tür. Wie schön zu sehen, dass sich Warten manchmal auch lohnt.
Es ist ein Spagat zwischen Planung und Offenheit für die Situation. Wir sind jetzt mal in unserer neuen und dauerhaften Unterkunft, lernen unsere Gastgeber kennen, üben unsere ersten Spanisch-Floskeln und warten auf den Bescheid von der Schule und von potentiellen Sprachlehrern.
Man kann immer Glück oder Pech haben. Und wir hatten – Gott sei Dank – bis jetzt Glück.