Lolomiina: 13.02.2023
Wie bringt man Menschen zum Bleiben? Man bietet ihnen etwas.
Puerto Natales hat dieses Konzept gastronomisch gelöst und in den letzten Tagen erhole ich mich nicht nur von den 76 Km auf und ab und hin und her, sondern lasse auch meine Reise ausklingen.
Nebenbei verwöhnen mich diverse Cafés, Restaurants und Bars gustatorisch und Ihr bietet mir noch einmal die Gelegenheit, in den Park Torres de Paine einzutreten, denn dahin führt unsere heutige Reise.
Der Park hat sich um eine Berg Formation gebildet, die sich erhob, als es noch keine staunenden Bewunderer gab. Damals staute sich Magma auf und hob erst die lehmige Erdkruste, später Granitgestein empor und zuletzt formte Gletschereis die berühmten Torres.
Die Naturgewalten haben an Lehmhäubchen und Granit gerüttelt, geblasen, sie abgespült und modelliert und ein Touristenmagnet erschaffen, dass AlpinistInnen und Naturbegeisterten anzieht.
Bis zu 3050 Meter ragt diese Zauberwelt über den Meeresspiegel empor. Bergseen, Gletscher, Wälder und Plateaus vereinen sich auf einer relativ kleinen Fläche und können selbstständig, weil gut beschildert durchwandert werden.
Die Hauben, Spitzen und Finger dieses Bergmassivs greifen immerzu nach den Wolken und sind sehr erfolgreich damit, diese in Gefangenschaft zu halten. Das Wolkenband tragen sie nahe bei sich und verhüllen ihre Gestalt damit. Wenn der Himmel siegt, trennt er blau das Weiß vom Stein und die Sonne schwenkt ihr Licht über diesen Flecken Erde, lässt ihn strahlen und leuchten. Jeder Blick wird zum Gemälde, bei dem Van Gogh die Farben anrührt und Monet den Ausschnitt wählt.
Dann wieder nehmen Wolken die Farbe grau-silberner Bäume und schwarzen Felsen an und geben Wasser frei, dass die Sonne irgendwann aufgesaugt hat. Der Wind tut das Übrige, um von außen nach innen durchweicht zu werden und so manches Wandervolk kommt im schwarzen Müllsack daher, was aber auch nichts hilft.
Manchmal vereinen 30 Minuten alle 4 Jahreszeiten in sich und ein Blick gen Himmel vermag maximal den Istzustand zu erfahren. Prognosen gehen sich keine aus. Wegen des hohen Sauerstofgehalts tragen die Bäume hier Bärte, die der Wind ihnen scheitel oder die graugrünblauen Flechten in alle Richtungen zauselt.
Diverse bunte Beeren wachsen üppig auf robusten Sträuchern und erinnern an Preiselbeeren. Ein eher höherer Strauch trägt Rot als Blüten, die, wenn sie welk sind, Spinnen gleichen, die feurig zu warten scheinen.
Und es gibt auch hier totes Holz. Viel. Mehrere Waldbrände, allesamt von touristischen Händen entfacht, lässt die ehemals bebarteten Bäume grau-schwarz in der Sonne glitzern.
Das Wasser, manchmal grau vom Gletscher Sediment, dann wieder grünblau weil von harmlosen Bakterien eingefärbt, durchzieht die Täler, bildet Seen, stürzt sich über Felsen, glitzert, wellt sich und kommt einem manchmal als Schwall von unten entgegen, so stark weht der Wind.
Die ersten 5 Tage übernachtete ich kurz vor dem Naturpark und gewöhnte Geist, Gelenke und Muskeln auf mehrstündiges Wandern, ehe es dann von Camp zu Camp und Zelt zu Zelt ging.
An machen Ecken weht der Wind um die 70 km/h und blies mich mehr als einmal auf meinen Hosenboden. Die Böen setzen abrupt an und rütteln an allem, was da ist. Peitschen Wasser durch die Luft, waagrecht in die Augen, biegen Bäume und Sträucher, zupfen und entreißen Kopfbedeckungen, lassen mich breitbeinig schwanken, wirbeln Sand auf oder versetzte Schritte um mehr als einen halben Meter.
Eine Busgesellschaft durchfährt den Park mehrmals täglich, ist mir guter Autoersatz und ermöglicht mir bei einer Anfahrt den Blick auf insgesamt 3 Pumas, den imposantesten Geschöpfen dieses Parks. Zwei waren so weit entfernt, dass nur ihre Gestalt am Felsen, auf dem sie ruhten und spähten, zu erkennen war. Der erste jedoch nahe genug, dass er für mich als „gesehen“ gilt.
Die Schotterpiste durchqueren ihre Jagdgründe und weil ich tags zuvor zwar die Beute direkt neben der Fahrbahn aber nicht die Jäger gesehen hatte, hielt ich gespannt und top motiviert Ausschau nach ihnen. Gut, dass sich die Riesenkatze bewegt hatte, sonst wäre mir das gelbbraune Fell niemals zwischen dem gelbbraunen Gestrüpp aufgefallen.
Zügig tänzelte sie leichtpfotig den Abhang entlang, ehe sie hinter einem Felsen verschwand und nur mehr ein aufmerksam blickender Kopf zu sehen war.
Diese Begegnung hatte nicht die Nähe und Dramaturgie, mit der sich die 3 Urlauber am Vortag glücklich priesen. Sie fuhren im Leihwagen gerade um die Ecke, als die Pumas am Guanako nagten und wurden von der Gruppe Puma Beobachterinnen auf sie aufmerksam gemacht. Ihre Trophäe war ein Video und sie glucksten den ganzen Abend lang adrenalingepeitschte „Ich kannst nicht glauben!“ vor sich hin. Das Video wurde stolz herumgereicht und ihre Freude füllte den Raum. Ihre Endorphine klebte glücklich um sie herum, steckten an und ich konnte nicht anders, als mich an Ihre Freude zu erfreuen.
Nach einiger Zeit ging mir ihre Euphorie jedoch langsam auf die Nerven und meine Spiegelneuronen bekamen puren Neid als Gegenpart. Eine interessante Erfahrung, die eine Zeitlang zwischen Empathie, Groll und Eifersucht balancierte und mich ihnen letztlich ihre Erfahrung neidig machte, ich sie ihnen gerne geraubt hätte, an ihrer Stelle sein wollte, im Mietauto, mit Freunden und zu gerne hätte ich mich nur mit ihnen gefreut, aber die niederen Triebe gehören eben auch zu uns. Vielleicht konnte ich gerade deretwegen am nächsten Tag die Augen so gut schärfen und spähend auf Pumasuche gehen und letztlich zufrieden triumphieren.
Stolz erzähle ich seitdem anderen davon und erzeuge wohl denselben Neid mit meiner Sichtung bei jenen, die leer ausblieben, wie ich ihn erlebte. Was kann man daraus lernen?
Eine andere tierische Begegnung war mit eine Guanako Familie, die mir bei einer Wanderung entgegenkamen. Ich hatte den Wind im Rücken, sie mussten mich also bereits seit langem gerochen haben und als ich sie schließlich auf mich zukommen sah, spitzten sie lediglich die Ohren, hoben den grasenden Kopf in meine Richtung, ließen sich aber nicht wirklich stören und akzeptierten den Abstand zwischen uns. Ich wurde noch langsamer, fischte die Kamera aus dem Rucksack und irgendwann trafen wir aufeinander. Keine 10 Meter voneinander entfernt. In der Mitte dieser Karawane waren drei Jungtiere und für sie dürfte meine Gegenwart am interessantesten sein. Sie blieben mit mir auf selber Höhe und tänzelnden mal näher, dann wieder weiter weg vor mir her und beäugten mich aufmerksam. Ihre Gutmütigkeit und Duldsamkeit erfreuten mein Herz und nachdem es scheinbar Essenszeit war, fischte ich ebenfalls meine Jause hervor.
Dass ich mich hinsetzte, sorgte erneut für großes Interesse und eines der Jungtiere hätte sich beinahe getraut, zu mir zu kommen und diesen bunten Kleks auf der Wiese zu erkunden. Die natürliche Obacht hat dies dann doch verhindert und während ich mein hartes Ei und das Sandwich aß, sprangen die drei Jugendlichen munter vor mir herum, bis die Gruppe langsam an mir vorüberzog, bis sie schließlich außer Sichtweite waren.
Auf derselben Wanderung kam ich noch an einem Harem Wildpferde vorbei, die hier im Nationalpark leben. Mein Weg führte direkt an ihnen vorbei und ich verhielt mich sehr ruhig, bewegte mich langsam, ließ sie vor mir den Weg queren und positionierte mich seitlich von ihnen, um sie ein wenig zu beobachten. Das schien für diese Gattung eine Aufforderung zum Willkommen zu sein, denn 6-7 Tiere kamen neugierig auf mich zu und bald fand ich mich vor einem Halbkreis aus Nüstern, flatternde Mäuler, Ohren, Hälsen, Augen und Neugierde wieder und war kurz darauf umringt.
Die Größe und Anzahl der Pferde rings um mich forderte mir einiges an Respekt ab, ich blieb aber ruhig, streckte meinen Handrücken zu dem am mir nächsten aus, beobachtete Ohren und Maul und durfte bald das glänzende, samtige Fell streicheln. Das Pferd rechts von mir war weniger an meiner Hand interessiert, wollte aber auch riechen und erkunden und war erst später zu einer Streicheleinheit bereit. Da stand ich nun, vor und hinter mir Gepferd, die Arme wie eine Vogelscheuche gespreizt und unter jeder Hand einen Hals und samtig warme Lebendigkeit suchte Kopfnickend meine Nähe. Wenn ich einen Schritt setzte, ging man mit mir. Blieb ich stehen, stoppten alle, bis schließlich meine Entscheidung weiterzugehen wie ein stummes „Sesam, öffne Dich!“ wirkte, mir der Weg freigemacht wurde und man sich nicht mehr um mich kümmerte. Ein magischer Moment.
So wie die letzte Begegnung, sie war früh morgens. Ein junger Adler wurde auf mich aufmerksam und kreiste neugierig um mich. Ich hörte ihn erst links, dann rechts, dann flatterte er geradewegs 2 Meter vor mir über dem Weg, ehe er wieder hinter den Büschen verschwand. In 10 - 15 Metern Entfernung saß er dann am Wegrand auf einem Felsen in Augenhöhe und schien auf mich zu warten. Der Kot am Felsen verriet mir, dass er hier schon öfters saß, und seine aufgeweckten Augen ließen mich auf Armeslänge näherkommen. Eines seiner Füße hatte er sich wohl einmal verletzt und daher stand er nur auf einem Bein, der leicht Deformierte hielt er ruhig in der Luft. Sein goldbraunes Gefieder wurde vom Wind zerzaust und neugierig beobachten wir uns gegenseitig.
Ich konnte nicht umhin und holte mein Handy hervor, da wendete er sich von mir ab, blickte in die offene Flugschneise, ich drückte ab, er hob ab, und war im nächsten Moment in der Luft, auf und davon.
Der Park war mir witterungsbedingt beim sogenannten W-Treck, oder wie meine Mama so humorig bemerkte, „Sieht für mich nicht wie ein W aus, eher wie ein Hängearsch mit Falten.“ weniger gut gesonnen als die Tage davor, als der Ausblick auf die Berge noch möglich war und sie unter dem blitzblauen Himmel strahlten. Ich ging manchmal bei peitschendem Regen und hatte verglichen mit anderen Wandernden noch Glück gehabt. Trotzdem musste ich an manchen Morgen in nasse Kleidung schlüpfen, und das ist nun wirklich kein Spaß.
Jeder Tag dieses Trecks hat so seine Besonderheiten. Manchmal gibt es Aussichtspunkte zu erklimmen, die aber nicht immer sichtbar sind und wie in meinem Fall der Mirador (Aussichtspunkt) Britanica nur „sichtbar“ wurde, weil ein Schild „Das Ende des Weges“ markierte. War dann aber egal, denn immerhin war ich die Erste, die diesen Teilabschnitt erreichte und ich mich an meinem Stolz sehr erfreute.
Das war aber schon drei Tage nach dem Start, als es bei den Torres, dem Aushängeschild des Parks, losging. Ich wollte gerne bei Sonnenaufgang oben sein und nachdem der Weg mit 4 Stunden pro Richtung angegeben wird, verließ ich das Camp um 2:20.
Es war finstere Nacht. Im Kegel meiner Stirnlampe ging ich dahin und die Lichter anderer Frühaufstehenden gab mir zusätzliche Orientierung. Dieser kleine helle Kreis vor meinen Beinen hatte eine ungeahnt positive Wirkung auf mich und verhältnismäßig mühelos ging es den schmalen Pfad hinauf, bis nach ca. 2 ½ Stunden das Licht erlosch. Ich fand mich in einem finsteren Wald wieder, vor mir war eben noch ein junger Mann, der mich gerade überholt hatte und auch schon weiterzog und es nicht der Mühe wert fand, mir Hilfe anzubieten. Sein Fotomotiv, die milde Morgensonne auf den Torres, war ihm wohl wichtiger und enttarnte ihn als Touristen und nicht als Alpinisten.
Ich kramte blind nach meinem Telefon und ging den Rest des Weges im Kegel meines Telefons. Nicht so hell, aber ausreichend und nach nur 3 Stunden 50 war ich dann am begehrten Ziel. Der Tag hatte mittlerweile begonnen, die Sonne hatte es aber noch nicht bis zu uns geschafft und die Wolkendecke sollte es ihr schwer machen, alle drei Türme zum Scheinen zu bringen. Frostig bliess der Wind um uns und ich beobachtete die Motivhungrigen, wie sie nacheinander, einzeln oder als Paar, auf den Felsen kraxelten und dann auf Kommando ihr Selfie Gesicht aufsetzten, abdrückten oder abdrücken ließen, sich wieder in normale Gesichter verwandelten, vom Felsen gingen, und sich das Schauspiel erneut vollzog.
Ein Paar durchbrach dies und sorgte für ein wenig Aufruhr. Ich sah einen Mann auf sein Knien gehen, und seiner Angebeteten einen Antrag machen, die diesen herzlich und ohne zu zögern annahm, dem Küsse und Umarmungen folgten und den Felsen in etwas Reales verwandelten, auf dem zur Abwechslung einmal nichts vorgespielt wurde, so echt wirkte die Szene.
Der sie dabei Filmende hatte so wenig Ahnung was passieren würde, wie die eben gewordene Verlobte und er schrie in Spanisch so etwas wie „Er hält um ihre Hand an, Er hallt um ihre Hand an!“. Ich traf die Beiden am Rückweg in der Nähe des ersten Camps und lud sie zur Feier des Tages auf ein Getränk ein. Sie erzählten mir ihre Liebesgeschichte, an der ich mich diesmal ganz ohne Neid, nur mit Sehnsucht in der Brust, erfreute.
Am Abend wurde mir ein Liebesgedicht von der Poetin selbst vorgelesen und ich erinnerte mich an die Liebe, wie man sie nur auf Reisen erlebt. Wenn es kein Morgen gibt und der Moment nur der Entdeckung und dem Genuss geweiht ist und Trennungsschmerz aus einer Notwendigkeit blutet. Oder, wie Stunden zuvor, in einen Antrag mündet und ein neues Kapitel beginnt.
Dieses Kapitel schließt jedoch hier und überlässt Euch ein wenig in Eurer Sehnsucht zu schwelgen.
Ich fliege morgen nach Santiago und nach 2 Tagen geht es für mich satt und angereichert nach Hause. Hoffentlich auf bald - Petra