Diterbitake: 04.06.2019
Die heutige Überschrift schwebt in meinem Kopf herum schon seit ich mich im Dezember 2018 das erste Mal auf den Weg nach Indien gemacht habe. Im Adventskalender, den mir meine Mutter wie jedes Jahr geschenkt hatte, waren zwei magnetische Lesezeichen. Und auf einem davon stand eben jenes Zitat. Dies wird mein letzter Bericht über meine Zeit in Indien sein und irgendwie fand ich das nun passend. Ich war immer in Gedanken bei der/dem Einen oder Anderen, auch wenn das Beantworten von Nachrichten und Mails manchmal etwas länger gedauert hat. Und ich weiß auch, dass ihr auch an mich gedacht habt, euch gefragt habt, wie es mir geht, was ich mache und vor allem ob und wann ich wieder zurück nach Deutschland komme. :-)
Nun bin ich wieder hier, schon seit vier Wochen. Die Zeit vergeht genauso schnell wie in Indien. Einen richtigen "Alltag" habe ich noch nicht. Und ich bin froh, dass mein Kopf und mein Herz ein wenig Zeit haben, um Erinnerungen, Erfahrungen und Dinge, die ich gelernt habe langsam zu verarbeiten bevor ich wieder in den alltäglichen Strudel von Arbeit, Terminen, Haushalt und so weiter gerissen werde. Denn ich weiß wie schnell es geht, dass alle möglichen Veränderungen, die man sich auf einer Reise vielleicht fest vorgenommen hatte, plötzlich viel zu anstrengend wirken, um sie tatsächlich anzugehen. Und auch hier hat sich die Welt ja weiter gedreht, worüber ich mir aus der großen Entfernung noch gar nicht so viele Gedanken gemacht hatte.
Aber nun zu meinen letzten Wochen in Indien. Irgendwann am Anfang des Jahres hatte ich mir überlegt, dass ich den letzten Monat meiner Reise gerne nochmal etwas anderes sehen würde als das Eco Village, das nun irgendwie auch schon zu meiner kleinen Komfortzone geworden war. Tatsächlich hatte ich gar nicht so große Lust, viel umherzureisen und mir irgendwas anzuschauen. Andererseits hatte ich nun schon so viele begeisterte Berichte von anderen Reisenden über den Nordosten Indiens gehört. Und nicht nur das, ich hatte auch einige nette Menschen kennengelernt, die von dort stammen oder auch noch dort leben. Großartige, unberührte Natur und Stämme, die noch ihre eigenen traditionellen Rituale pflegen und somit noch ein Stück mehr von der unfassbaren Diversität Indiens zeigen. Schaut man auf der Karte, sieht der Teil Indiens so aus als würde er gar nicht richtig dazugehören. Im Norden Bhutan, im Süden Bangladesch und im Osten beginnt mit Myanmar dann schon Südostasien. Und für indische Verhältnisse ist es von Kolkata auch noch so schrecklich weit entfernt, also war die Entscheidung bald klar: Ich fahre im April nach Nordostindien. Als Manjit sich entschieden hat, mich zu begleiten und auch alles drumherum regeln konnte, hat mich das gefreut - so konnte ich einen kleinen Teil meiner Komfortzone quasi mitnehmen. Dazu sei vielleicht kurz erklärt, ohne dabei Persönlichkeitsrecht zu verletzen, dass es für einen einfachen Tourguide überhaupt nicht selbstverständlich und auch gar nicht leicht ist, mal einen Monat frei zu machen und dann auch noch Geld für eine Reise auszugeben. Das hat einerseits mit Arbeitsbedingungen zu tun, die in der Regel doch ganz anders sind als hier in Deutschland. Aber es hat auch zu tun mit Verantwortung der Familie gegenüber, vor allem finanzieller Art. Für uns unvorstellbar. Für mich hat besonders diese Freundschaft mit Manjit dazu geführt, dass ich begonnen habe, den Begriff der Demut, im Sinne von Genügsamkeit, mit ganz anderen Augen zu sehen aber vor allem auch zu fühlen. Ich könnte darüber jetzt noch viel mehr schreiben und viele Erkenntnisse, die ich in den letzten Monaten gewonnen habe, drehen sich darum. Aber jetzt möchte ich euch lieber mit in den wilden Nordosten Indiens nehmen.
Naja, gleich, denn bevor es tatsächlich losging hatte ich noch einen ungeplanten, zehntägigen Aufenthalt in Kolkata. Manjit hatte vor einer Weile einen Unfall und dadurch eine Verletzung am Bein, die, wie sich herausstellte, nicht ordentlich behandelt wurde. Die Diagnose von einem Arzt, der sich das Bein dann mal ganz genau angeschaut hat, war erstmal erschreckend und hat eine Abreise unmögich gemacht. Also habe ich meine Zeit in Kolkata verbracht. Da ich die Stadt sehr mag, war das eigentlich auch gar nicht so schlimm. Abgesehen von der Hitze. Aber ich konnte mich nochmal durch die ganzen tollen Straßenstände futtern.
Mhhhh, lecker gegrilltes Sandwich gefüllt mit frischem Gemüse
In der Milchbar gab es nachmittags ein erfrischendes Lassi oder abends heiße und süße Milch.
Das ist mein Chai-Dealer. An diesem Tag hat er Kopfschmerzen, erzählt er mir später. Und, dass er ein wenigen Tagen nach Bihar fährt, um seine Familie zu besuchen. Für ein halbes Jahr bleibt er dort. In der Zeit kommt sein Bruder und wird hier den Chai verkaufen. Die beiden teilen sich das Geschäft.
Das ist ein Neffe vom Chai-Wallah. Er geht nicht zur Schule, sondern hilft beim Verkaufen des gut gewürzten Milchtee. Seine Füße sehen aus wie die eines alten Mannes, Haut wie Leder. Wenn er oder sein Bruder mich morges gesehen haben, haben sie schon einen groen becher gefüllt, ohne das ich noch was sagen musste. Wenn ich dann neben dem Stand auf dem Geweg saß, unter mir ein Stück Pappe oder Zeitungspapier, haben sich die beiden oft neben mich gesetzt. Und dann saßen wir da, schweigend, manchmal neugierig bestaunt von vorbeigehenden Passanten.
Dort wird Wahlwerbung an die Wand gezeichnet. In Indien hat jede Partei ein Symbol. Das hat auch einen ganz praktischen Grund: viele Menschen sind Analphabeten und können die Parteinamen auf dem Wahlzettel nicht lesen. Sie kreuzen dann das Symbol der jeweiligen Partei an, für die sie ihre Stimme abgeben möchten.
Zehn Tage später gab es das ok vom Arzt, dass Manjit jetzt verreisen könne unter der Voraussetzung, dass trotzdem alle zwei Tage der Verband gewechselt wird. Also ging es los. Endlich mal wieder Zugfahren.
Das erste Ziel war Guwahati im Staat Assam. An den Weihnachtsfeiertagen war eine Gruppe von Leuten aus Assam im Eco Village. Mit einem von ihnen, Kaushik, hatten wir Kontakt aufgenommen und er hat wirklich alles dafür getan, unseren Aufenthalt im Nordosten so angenehm wie möglih zu gestalten. Als wir in Guwahati ankamen war gerade der Höhepunkt des assamesischen Neujahrsfestes Bihu erreicht. So konnten wir am Abend eine traditionelle Tanzveranstaltung besuchen.
Und danach gab es eine der besten und besondersten Mahlzeiten, die ich in Indien hatte. Eine Mischung aus Spezialitäten aus den Staaten Nagaland, Meghalaya und Assam. Eher untypisch für Indien, denn es handelt sich hier um Schweinefleisch auf mindestens fünf verschiedene Arten zubereitet.
Es hat mich sprachos gemacht wie gastfreundlich Menschen sein können, denen man nur einmal im Leben flüchtig bei einer Reise begegnet ist. Das ist in Indien aber oft eine Selbstverständlichkeit.
Kaushik hat uns noch sein Boot gezeigt, dass er mit drei Freunden gerade aufbaut, um im nächsten Jahr Flusskreuzfahrten auf dem Brahmaputra anzubieten.
Von Guwahati ging es dann weiter zum Kaziranga Nationalpark. Hier hat ein Freund der Eco Village Betreiber seit einem Jahr ein Grundstück mit Gästehäusern. Auch hier wurden wir wieder herzlich willkommen geheißen. Als ich Sunny, den Grunstücksbewohner und Besitzer für Unterkunft, Essen und die Safari bezahlen wollte, lehnte er mit den Worten ab: "Freunde vom Eco Village sind auch meine Freunde."
Wenn es in den nächsten Wochen deMonsunregen beginnt, wird der nahe gelegene Brahmaputra über die Ufer treten und alles überschwemmen. Viele wilde Tiere aus dem Teil des Nationalparks, der hinter dem Grundstück liegt, wandern dann in ein anderes Gebiet und überquere dabei nicht selten auch die Felder um dieses Grundstück herum.
Hier auf dem Land wird das Bihu Fest einen ganzen Monat lang gefeiert, oder zumindest so lange wie sich die einfachen Arbeiter erlauben können, auf ihren Lohn zu verzichten. Diese Frauen kamen vorbei, als wir gerade zur Safari aufbrechen wollten und haben erst für und getanzt und dann auch mit mir.
Dann ging es ber los in den Nationalpark.
Ich wollte unbedingt Nashörner sehen, von denen es in Kaziranga noch relativ viele gibt. Aber erstmal schwamm eine Otterfamilie an uns vorbei. Auch toll, ich hatte noch nie zuvor Otter gesehen. Die gibt es auch in den Sundabans aber man bekommt sie sehr selten zu Gesicht. Hier waren es gleich richtig viele, die sich dann auch noch in dem Moment zum gemeinsamen Mittagessen getroffen haben.
Da beobachtet wohl jemand ob was von dem großen Fisch übrig bleibt.
Noch keine Nashörner, dafür riesige Wasserbüffel, die sich das frische Gras der freuchten Wiesen mit den Rehen teilen. Auch Wildschweine gibt es hier.
Und dann, hinter der nächsten Kurve, haben wir plötzlich Glück. Gleich zwei riesige Exemplare spazieren rechts von unserem Weg über die Wiese.
Auf der weiteren Tour sehen wir noch sehr viele Nashörner aus weiter Entfernung bis wir dann auf dem Rückweg dieses Weibchen beim Baden überraschen.
Auf der Straße zurück zu Sunnys kleiner Farm, die nur fünf Minuten vom Parkeingang entfernt ist, tanzen noch ein paar Kinder anlässlich des Bihu Festivals.
Schäferhündin Sundari (übersetzt "Schöne") wartet schon sehnsüchtig auf unsere Rückkehr.
Wie anmutig ein Insekt aussehen kann...
Und wie gut grüne Papageien im Maisfeld getarnt sind...
Nach drei Nächten im Sol Village, wie Sunny diesen Ort nennt, geht die Reise weiter mit dem Bus nach Jorhat, um von da aus mit einer Fähre nach Majuli überzusetzen. Diese Insel war vielleicht mal eine der größten Flussinseln der Welt. In den letzten 100 Jahren ist sie jedoch aufgrund von Erosion von 1000qm auf etwa 400qm geschrumpft.Wissenschaftler sagen, dass sie in 20 Jahren möglicherweise verschwunden sein wird. Bekannt ist sie vor allem für ihre Bewohner, von denen ein Großteil der ethnischen Gruppe der Mishing angehört, der größten Stammesgruppe in Nordostindien. Ihre Häuser sind auf Stelzen gebaut, da sie sonst in der Regenzeit überflutet würde. Darunter stehen in der Regel große Webstühle, an denen die Frauen wunderschöne Saris und andere Stoffe weben.
Die Natur auf der Insel ist wunderschön. Überall wachsen wilde Orchideen an den Bäumen.
Beim Anblick dieser Reisfelder fühlte ich mich sehr an Reisen durch Kabodscha und Laos erinnert.
Für den einen Tag auf Majuli war eine Tour mit dem Fahrrad über die flache Insel geplant. Der Betreiber der Unterkunft hat dafür selber eine Karte gezeichnet und alle wichtgen Sehenswürdigkeiten eingetragen, die man sich bei einem Besuch hier anschauen sollte.
Wir haben es geschafft, insgesamt zwei davon zu erreichen. Eine Karte ohne Maßstab und Kilometerangaben ist doch eher ungenau. Bis wir die erste Brücke erreicht haben, die wir laut Karte überqueren sollten war es schon fast Mittagszeit. Gut, dass wir auf dem Weg vorher schon bei diesen zwei netten Jungs und ihrem Vater gefrühstückt hatten.
Nach einer gefühlten Ewigkeit haben wir dann endlich die Brücke gefunden, die uns dann zu einer weiteren Besonderheit von Majuli führen sollte, einem Töpferdorf. Neben Weben ist Töpfern eines der traditionell von den Mishingfrauen ausgeübten Kunsthandwerken.
Innerhalb von kurzer Zeit entsteht hier eine Vase, die danach in großen Öfen gebrannt wird.
Mein nächstes Ziel war ein hinduistisches Kloster, eine Satra. Auch für die ist Majuli bekannt. Wobei viele der Klöster augrund der immer kleiner werdenden Fläche schon aufs Festland umziehen mussten. Die Mönche dieser Klöster verehren den Gott Vishnu besonders. Und in einem der Klöster werden in Handarbeit traditionelle Masken hergestellt. Das wollte ich mir gern anschauen.
Ich habe es dann gerade noch geschafft, zum verabredeten Zeitpunkt meine Eltern anzurufen, immerhin war Ostersonntag.
Und dann mussten wir uns schnell auf den Rückweg machen. Wir hatten die Entfernungen total falsch eingeschätzt und nach Sonnenuntergang wollte ich ungern mit einem klapprigen Fahrrad ohne Licht über schlechte, unbeleuchtete Straßen fahren.
Ich bin ja langes Fahrradfahren gewöhnt und war total begeistert von der langen Tour, während Manjit eher am Rande der Verzweiflung war. Aber es hat kein LKW angehalten um uns mitsamt Fahrrädern zurück zur Unterkunft zu bringen.
Da wäre auch nicht mehr so viel Platz gewesen.
Kurz nach Sonnenuntergang hatten wir das Ziel zum Glück erreicht und konnten am nächsten Morgen mit der Fähre zurück aufs Festland fahren.
Das nächste Ziel war der kleine Ort Mariani, nur etwa drei Busstunden entfernt von Majuli. Das ist der einzige Platz in ganz Indien, an dem man Gibbons sehen kann. In einem relativ kleinen Urwald leben verhältnismäßig viele Gibbonfamilien. Die kleine, familiengeführte Unterkunft liegt direkt neben dem Naturschutzgebiet.
So können wir uns am nächsten morgen sehr früh auf den Weg machen in der Hoffnung, ein paar der langarmigen, menschenähnlichen Affen zu entdecken.
Da es in diesem Wald nicht nur Affen, sondern auch einige Raubtiere gibt, geht es nur mit bewaffneter Begleitung und einem Guide los.
Ich merke, dass hier im Nordosten noch nicht so viele westliche Touristen sind wie an anderen Orten Indiens. Es spricht niemand Englisch. Der obligatorisch zehnmal höhere Eintrittspreis für Touristen aus anderen Ländern wird hier aber auch gefordert. Es hat sich allerdings auch gelohnt. Nach einem eher gemütlichen Spaziergang durch den Wald und dann entlang einer Eisenbahnstrecke, finden wir die ersten Affen. Noch keine Gibbons aber hübsche Kappenlanguren.
Dann plötzlich gibt der Guide uns ein Zeichen, er hört Gibbons. Noch sind sie weit weg aber offensichtlich haben er und der bewaffnete Mann eine Ahnung wo wir die pfeifenden Affen finden können. Also rennen wir los. Mitten rein in den dichten Wald, Stück für Stück immer weiter. Das Pfeifen wird lauter, dann wieder leiser, wir wechseln nochmal die Richtung. Und plötzlich hört man nichts anderes mehr außer den ungewöhnlichen Gesängen der Gibbons. Ich bekomme Gänsehaut von der Intensität der Geräusche. Dann schaue ich nach oben und sehe die Gibbonfamilie. Ein Paar mit einem Jungen. Diese drei Wesen haben solch einen Lärm gemacht - ich bin beeindruckt, die Blutegel, die versuchen, durch meine Schuhe uns Socken an meine Füße zu gelangen sind mir egal.
Und dann diese unheimlich große Spinne, in deren Netz ich fast hinein gelaufen wäre.
Als ich von meinem aufregenden Ausflug zurückkomme, geht es Manjit gar nicht gut. Die Verletzung, die Medikamente, die er seit Wochen nimmt und die anstrengenden Tage haben ihn wohl etwas mitgenommen. Wir entscheiden deshalb, einfach ein paar Tage länger in beim Gibbonwald zu bleiben, um zu sehen, ob wir die Tour überhaupt wie geplant fortsetzen können.
Zum Glück geht es bald besser und wir können Assam verlassen, um in den Staat mit dem für mich geheimnisvoll klingenden Namen Nagaland zu fahren. Der erste Teil der Strecke mit dem Zug nach Dimapur ist schnell geschafft. Für die nächsten 75km nach Kohima muss man ein Taxi nehmen. Aufgrund der schlechten Straßen dauert es vier Stunden, bis man das Ziel erreicht.
Das war eine der anstrengendsten Autofahrten meines Lebens und die Aussicht war bis zur Ankunft auch nicht besonders schön. Von Kohima aus mussten wir nochmal eine Stunde mit einem sehr überfüllten Geländewagen in ein kleines Bergdorf fahren. Hier hatte Kaushik eine Unterkunft für uns organisiert, damit wir am kommenden Morgen zu einer Wandertour ins nahegelegene Dzükou Valley aufbrechen konnten. Das Dorf, die Häuser und die Bewohner haben mich fasziniert. 90 Prozent von ihnen gehören zu einem der Naga Urvölker, ehemalige Kopfjäger.
Der beste Platz sich morgens zu waschen und die Zähne zu putzen.
Stundenlang hätte ich mich in der Küche aufhalten können und ich hätte immer ein neues Detail entdeckt.
Hier wird abgewaschen. Fließendes Wasser gibt es nicht.
Wie wollten aber wandern gehen. Also brachen wir am nach dem Frühstück auf. Erstmal mussten wir wieder Autofahren zum offiziellen Startpunkt der Weges zum Dzükou Valley. Also ging es wieder anderthalb Stunden über eine noch rumpeligere Strecke durch den Wald. Um in das auf knapp 2500 Meter hoch gelegene Tal zu gelangen, muss man erst einmal einen Höhenunterschied von 1000 Metern überwinden und dabei ganz schön klettern.
Oben angekommen liegt erst alles im Nebel, der sich aber langsam lichtet.
Und eine atemberaubende Aussicht freigibt.
Wir wanderten dann noch fast drei Stunden durch diese Landschaft bis wir die einzige Unterkunft erreichten, die es dort oben gibt. Gut, dass wir uns Verpflegung mitbegracht haben. Das kochen bei windigem Wetter dauert zwar sehr lange aber fühlt sich irgendwie gut an. Und da auch die Betreiber der Unterkunft hier alles zu Fuß hochschleppen müssen, sind die Preise doppelt so hoch wie üblich.
Auf dem Weg haben wir kaum Menschen getroffen. Ich hatte die ganze Zeit die Vorstellung, außer uns sei dort niemand. Allerdings habe ich mich da gründlich geirrt. Als wir ankamen war schon einer de beiden Schlafsäale voll belegt, sowie auch die paar Zelte, die angeboten werden. Und nach uns kamen mehr und mehr Menschen, vor allem junge Inder und schnell war auch der zweite Schlafsaal gut gefüllt und es wurde laut. Aus mehreren kleinen Lautsprecherboxen drangen unterschiedliche Lieder gleichzeitig und drei Jungs fanden es mega cool, ihre Ballerspiele ohne Kopfhörer auf dem Handy zu spielen. Für mich war es schwer zu verstehen, warum man an einen so tollen, idyllischen Ort kommt, um dann Lärm zu machen. Aber ich war die einzige fremde Touristin und außer mir hat das niemanden gestört. Ich habe ähnliche Situationen auch schon im Eco Village erlebt. Es gibt in Indien viele Menschen, die Stille nicht so gut aushalten können, so jedenfalls meine Erfahrung. Es gibt auch nicht viele Orte, an denen es still ist. Vielleicht ist es deswegen für viele Menschen so ungewohnt, dass ihnen der Lärm der hupenden Autos fehlt. Nun musste ich mir den Schlafsaal mit etwa 30 Menschen teilen. Draußen war es nach Sonnenuntergang, also 18 Uhr, sehr kalt und ich war dafür nicht gut ausgerüstet. Der Schlafsaal hatte auch keine Betten, sondern man konnte sich gegen eine Gebürh jeweils das ausleihen, was man brauchte. Eine dünne Isomatte und zwei Decken für mich. Kissen gab es nicht mehr. Ich will jetzt nicht weiter jammern und die wunderschöne Wanderung hat mich auch für vieles entschädigt aber die Nacht dort war für mich der Horror. Und am nächsten Tag war ich es, die schlapp gemacht hat. Ich musste mich den Berg hinunter quälen, jeder Knoche, jeder Muskel tat weh. Wie froh war ich über das Auto, das unten auf uns wartete, um uns nach Kohima zu bringen. Ich brauchte eine Nacht, um mich zu erholen. Und da es kein Ticket für unsere Weiterfahrt gab, wurde mir noch eine zweite Nacht gegönnt. Leider war das Bett im Hotel ähnlich hart wie der Boden im Schlafsaal aber immerhin war es warm und leise.
Ich hätte mir gern noch mehr von Nagaland angesehen und das war sicher nicht meine letzte Reise dorthin. Aber es gab noch ein weiteres Ziel, bevor wir zurück nach Kolkata fahren wollten. Der Staat Meghalaya und dort besonders der Ort Cherapunji lockten mich wie magisch an, obwohl es der feuchteste Ort der Erde sein soll und Regen nicht mein Lieblingswetter ist. Aber Berge, Wald und die besonderen Brücken die es dort gibt interessierten mich sehr. Aber erstmal wartete eine insgesamt 14-stündige Autofahrt auf uns. Zum Glück war ich am Vortag beim Arzt und fühlte mich nach einer Spritze in den Po und ein paar Medikamenten etwas besser. Aber schlafen konnte ich auch hier im Auto nicht.
Cherrapunji liegt in den Khasi Bergen nahe der Grenze zu Bangladesch. Bei unserer Ankunft am späten Abend regnete es in Strömen und auch am nächsten Morgen sah es erstmal nicht besser aus. Mit uns war noch Ben aus Frankreich in der Unterkunft und wir wollten uns gemeinsam auf den Weg in das kleine Bergdorf Nongriat machen, welches bekannt ist für seine Doppeldecker Brücke aus lebenden Baumwurzeln. Die Angehörigen des Khasi Stammes haben in mehreren Gegenden in Megalaya diese Brücken angelegt. Bis eine Brücke so stark ist, dass man sie begehen kann, dauert es etwa 15 Jahre. Einiger dieser Brücken sind mehr als 200 Jahre alt. Um nach Nongriat zu gelangen muss man erst mal wieder Autofahren. Das flache Land, das dort zu sehen ist, gehört schon zu Bangladesch.
Wir hatten Glück, dass es seit einem Tag stark regnet. Der Taxifahrer sagt uns, dass man die Wasserfälle noch vor zwei Tagen nicht gesehen hat.
Als wir den Startpunkt unserer Wandertour erreichten, regnete es zum Glück kaum noch aber die Luftfeuchtigkeit war extrem hoch. Dann warteten nur noch ein etwa drei Kilometer langer Weg aus Treppenstufen auf uns. Erst ging es nur bergab, später aber auch wieder steil bergauf. Aber der Weg war unglaublich schön und ließ mich jede Antrengung vergessen.
In Nongriat angekommen, wartete gleich eine nette Unterkunft auf uns, geführt von Bryon und seiner Familie. Wie muss es sein, an einem Ort wie diesem zu leben? Fast alle Menschen hier hatten ein Strahlen im Gesicht. Und obwohl wir gefühlt am Rand der Welt angekommen waren, sprachen hier fast alle Englisch. Die Khasi sind ohnehin ein besonderes Volk in Indien. Die Männer ziehen nach der Hochzeit zu der Familie der Frau, die Kinder tragen den Namen der Frau und das Erbe einer Familie geht an die jüngste Tochter.
Dieser Märchenwald mit seinen zum Teil elfenhaften Bewohnern ist schon nach einem Tag zu einem meiner Lieblingsorte Indiens geworden.
Nach zwei Tagen unermüdlichen Treppensteigens merke ich, dass mein Körper wieder schlapp macht. Während der Wanderungen bin ich zwar voller Energie aber als ich am zweiten Morgen aufwache tut mir alles weh, meine Augen sind rot und geschwollen und ich habe wieder den stechenden Schmerz in der Seite, der mich schon in Nagaland zum Arzt geführt hat. Also ruhe ich mich wieder einen Tag aus. Dann klettern wir alle 3000 Stufen wieder zurück. Wir fahren nach Shilong und von dort aus nach einer weiteren Übernachtung zurück nach Guwahati. Dort fegen gerade die Ausläufer des Zyklon durch, der zuvor an Indiens Ostküste gewütet hatte. Es stürmt und regnet heftig und die ganze Stadt hat keinen Strom. Unseren Freund Kaushik können wir erst spät und nur ganz kurz treffen, um uns zu verabschieden. Die drei Wochen in Assam, Nagaland und Megalaya waren toll - es war gut, nochmal einen ganz anderen Teil Indiens kennenzulernen. Die Zeit war natürlich wieder zu kurz und ich habe wieder gemerkt, dass es nichts für mich ist, schnell von einem Ort zum anderen zu reisen. Nach der ersten Hälfte der Reise war ich eigentlich dauernd irgendwie angeschlagen und das hat sich auch deutlich in meiner Stimmung gezeigt. Außerdem hatte ich tatsächlich in manchen Momenten Heimweh, was in den Monaten zuvor so nicht da war. Aber ich habe gemerkt, dass es wohl an der Zeit ist, mich erst einmal von Indien und all den tollen Menschen, die ich kennenlernen durfte, zu verabschieden. Ich wünschte ich hätte die letzten drei Tage, an denen ich noch Kolkata genießen und Souvenirs kaufen wollte, nicht krank im Bett verbringen müssen aber das ließ sich dann auch nicht ändern. Es war ganz sicher nicht mein letzter Auenthalt in Indien. Aber jetzt wartet erstmal Deutschland mit anderen lieben Menschen auf mich.
Ich habe gelernt wie wenig DINGE ich brauche, um zufrieden zu sein und glücklich. Ich habe aber auch gelernt, was mir manchmal fehlt, um zufrieden und glücklich zu sein - das sind aber keine materiellen Dinge.
Ihr Lieben, vielen Dank, dass ihr mich beim Lesen ein bisschen auf meiner Reise begleitet habt. Ich hab mich über jede Rückmeldung zu meinen Berichten gefreut. Für mich persönlich war es eine super Methode, um das Erlebte zu verarbeiten. Und wenn dann noch andere Menschen Interesse daran haben, freut es mich um so mehr.
Vielleicht bis zum nächsten Mal. Irgendwann.
AHOI.