Ebipụtara: 25.10.2018
Sieben Wochen war ich nun den Sundarbans. Das letzte Mal habe ich mich hier vor mehr als vier Wochen gemeldet. Der richtige Zeitpunkt war einfach noch nicht gekommen, obwohl ich es mir ein paar Mal fest vorgenommen habe, an einem freien Tag etwas zu schreiben. Aber die Worte wollten nicht richtig fließen. Vielleicht muss ein Kapitel erst abgeschlossen sein, bevor ich darüber berichten kann. Das Kapitel Sundarbans und Kolkata ist nun abgeschlossen - zumindest vorübergehend. Nun sitze ich in meinem Hostel in Chennai, 1700 Kilometer und 30 Stunden von Kolkata entfernt, Mein Herz fühlt sich ein wenig schwer an, man kann es wohl Melancholie nennen. Einerseits bin ich gespannt und freue mich, auf das was vor mir liegt. Andererseits fiel mir der Abschied von der inzwischen sehr vertrauten Umgebung und all den lieben Menschen, die ich in mein Herz geschlossen habe, wieder nicht leicht.
Die freundliche Familie, die im Zug ihr Abendessen mit mir geteilt hat, ohne zu fragen, als wäre es selbstverständlich, hat mir aber auch wieder bewusst gemacht, wie schön es sein kann, unterwegs zu sein.
In 30 Stunden kann man eine Menge Chai trinken.
Ich versuche mein Bestes, um die letzten Wochen auf der Insel Satjelia im Dorf Sukumari zusammenzufassen. Nachdem meine Schwester zurück nach Deutschland geflogen ist bin ich nach zwei Tagen in Kolkata wieder zurück ins Backpackers Eco Village gefahren. Von da aus habe ich mich ja dann auch schon hier gemeldet. Als ich an dem Tag am Flussufer saß, um den Bericht zu schreiben, bekam ich zwischendurch Besuch von ein paar Jungs aus dem Dorf, die mich ein wenig von der "Arbeit" abgelenkt haben.
Nach dem freien Tag ging dann aber auch für mich die Arbeit im Dorf wieder los. Es gab und gibt dort immer noch so viele Baustellen, so viele Dinge, die erledigt sein sollen, bevor im November die Hauptsaison beginnt und an manchen Tagen bis zu 150 Touristen gleichzeitig da sind. Zwei neu Häuser mit Schlafplätzen werden gebaut und ein großer Essensbereich, in dem viele Menschen gleichzeitig Platz haben sollen.
Das Grundgerüst aus Bambus und Beton wird von den Frauen mit Lehm verputzt
Wanddekoration in einem der neuen Häuser
Wenn ich irgendwann wiederkomme wird hier einiges ganz anders aussehen
Da dies Mal Rajesh, einer der drei Brüder und Betreiber des Eco Village die ganze Zeit vor Ort war, gab es für mich konkrete Aufgaben zu erledigen. Als ich im März für zwei Wochen da war, musste ich mir meine Arbeit meist selber suchen und habe einfach bei dem geholfen, was offensichtlich zu erledigen war. Die meiste Zeit war ich in den letzten Wochen mit Streichen von verschiedensten Dingen beschäftigt. Meist waren das Türen, Fensterrahmen und ähnliche Dinge aber es gab auch immer mal wieder etwas Abwechslung.
Wie zum Beispiel ein altes öffentliches Telefon, das plötzlich zu einem kleinen Stück Kunst wurde.
Nicht nur einmal habe ich Touristen gesehen, die mit dem Hörer am Ohr dort standen.
...das dann den Essensbereich ein wenig verschönert, dessen Fußboden die Frauen hier auf dem Bild zu reinigen versuchen. Da es nicht funktioniert hat, wurde dann kurzerhand ein Teppich ausgelegt und nach einem Tag war der Ort, der bei meiner Ankunft eine einzige Rumpelkammer war, plötzlich ein gemütliches Wohn- und Esszimmer. Ein Treffpunkt für Alle, wann immer man etwas Zeit hatte.
Auch das Pferd Lucy kam regelmäßig vorbei.
Caroline aus der Schweiz, die für dreieinhalb Wochen zum Helfen da war mit Sonu - ein Abschiedsfoto
Spaß mit Tumpa, Shonda, Josna und Laura aus Kanada, die mit mir zwei Wochen im Dorf verbracht hat...
...und eines der beiden Eingangstore gestalten durfte. Mit Laura hatte ich eine Menge Spaß und ich hab sie nach ihrer Abreise oft vermisst.
Zwischenzeitlich hatte ich Lust, mal etwas anderes zu machen, als große Flächen mit weißer oder schwarzer Farbe zu bepinseln. Im neu eingerichteten Wohnzimmer war noch eine weiße Bambusstange unbemalt und Rajesh meinte, ich dürfe auch gerne mal etwas Kreatives machen. Ich fühle mich selber nicht als begabte Zeichnerin aber irgendwie hatte ich Lust, auch etwas Schönes dort zu hinterlassen. Also hab ich mich eines morgens getraut und die Bambusstange mit Blumen verziert.
Ist gar nicht sooo schlecht geworden, finde ich.
Und sie ist ein beliebter Platz zum Anlehnen. Inzwischen sieht sie schon ganz schön mitgenommen aus. Achja, die schwarzen Bambusbalken unter dem Strohdach habe ich auch gestrichen. Eigentlich sollte ich alle Balken dort streichen aber es kam dann, wie so oft, eine andere Aufgabe dazwischen. Es konnte mir auch keiner sagen, wie genau ich dort oben ran kommen sollte aber dafür hätte sich sicher irgendeine Lösung gefunden.
Als Türen, Fenster und auch mein kleines Kunstwerk soweit fertig gestrichen waren sagte Rajesh eines Abends zu Caroline und mir: "Jetzt seid ihr bereit zum Boot streichen!" Okay klar, warum nicht, dachte ich mir. Da wusste ich noch nicht, dass vor dem Streichen erstmal die gefühlt 100 alten Farbschichten abgekratzt werden müssen. Richtig geeignetes Werkzeug gab es dafür nicht, auch keine funktionierende Schleifmaschine.
Mit diesem schweren Metallteil ging es immerhin besser als mit Schleifpapier aber so richtig vorwärts gekommen sind wir trotzdem nicht.
Die Aussicht vom Arbeitsplatz war großartig, das Arbeiten tagsüber in der prallen Sonne aber ziemlich ermüdend.
Und komischerweise hatten Caroline und ich manchmal das Gefühl, dass wir die Einzigen sind, die was tun.
Zum Glück wurde das Boot am nächsten Tag gebraucht, um in den Dschungel auf Safari zu fahren und wir konnten unsere Arbeit leider nicht fortsetzen. Dafür bekamen wir eine neue Aufgabe. Ein paar alte Stühle und eine Bank benötigten neue Sitzflächen und Rückenlehnen und zum Teil auch neue Farbe. Noch nie gemacht aber learning by doing funktioniert ja meist ganz gut. Und so wurden aus unbrauchbaren Stühlen Möbel fast wie neu.
Ich gebe zu, Caroline ist die Meisterin im Stühle reparieren. Ich war quasi nur ihre Assistentin, weil das mit vier Händen deutlich einfacher geht als mit zwei. Dieser Junge, der ab und zu vorbei kam, hat dann auch mal meine Aufgabe überommen.
Getestet und für gut befunden: "Khub bhalo" - sehr gut in Bengali
An einem Tag, während wir an der Bank gearbeitet haben, kam ein Mann, der die Kokosnüsse von den Palmen geerntet hat. Wie gut für uns, dass wir gerade in der Nähe waren.
Zwischendurch gab es immer auch mal wieder die Gelegenheit, bei anderen Dingen zu helfen. Zum Fischen wurde ich immer wieder gerufen
Dieses Mal war es ein richtig guter Fang...
... ein 5kg schwerer Fisch
An einem anderen Tag musste unbedingt ein Zaun repariert werden und es gab nicht genügend Leute zum helfen. Also wurden Caroline und ich gebeten, zuzufassen. Erstmal musste das Netz von einem alten Zaun entfernt werden. Dazu ging es mitten rein in den Schlamm.
Hier sind gerade sehr viele Männer aus dem Dorf dabei, die Uferböschung wieder mit Lehm aufzuschichten. Das ist unbedingt notwendig, um das Salzwasser aus dem Fluss fernzuhalten, da es sonst die Böden für den Reis- und Gemüseanbau zestören würde, so wie es 2009 durch den Zyklon Ayla geschehen ist. In jeder Monsunzeit verlieret der Deich an Höhe und Stabilität. Da es zu lange dauert, um auf Hilfe der Regierung zu warten, treffen sich möglichst viele Menschen, um diese Arbeit gemeinsam zu erledigen.
Ich stapfe dort hinten links durch den Matsch, um das Netz zu holen, mit dem wir den Zaun an einer anderen Stelle erneuern sollen. Leider bin ich auf dem Rückweg durch irgendwas sehr scharfes gelaufen und hatte plötzlich eine lange Schnittwunde unterm Fuß, die die weitere Arbeit in den nächsten zwei Tagen etwas erschwert hat. Und mein geliebtes Barfußlaufen - ich hatte für etwa fünf Wochen weder Schuhe noch Flip Flops an - musste ich zwischenzeitlich aufgeben.
Manchmal, wenn ich zum Sonnenuntergang am Flussufer saß, dachte ich, dass all die Arbeit an diesem Deich wohl manchmal sehr frustrierend sein kann und auch ein Wettlauf gegen die Zeit und vor allem die Natur ist. Durch Bodenerosion brechen hier ständig Teile vom Land weg, was die Insel langsam oder stetig kleiner werden lässt. Als ich das erste Mal hier war sah mein Platz am Ufer noch ganz anders aus. Und allein in den sieben Wochen hier konnte ich fast täglich eine Veränderung sehen.
Wie lange der Mann wohl noch von diesem Platz aus fischen kann?
...durch die viele Arbeit und den Alltag, der sich dadurch ziemlich schnell eingestellt hat, vergingen die Tage und Wochen wie im Flug. Ich hatte zwischendurch oft überhaupt kein Zeitgefühl und war immer erschrocken, wenn mir bewusst wurde, dass schon wieder eine Woche vergangen ist.
Allerdings habe ich auch nicht nur gearbeitet. Ich konnte mir immer mal wieder Zeit nehmen, einen der Tourguides zum Dorfspaziergang mit anschließender Bootsfahrt zu begleiten. Dabei haben sich immer wieder ein paar schöne Fotomotive gefunden:
Ich wünschte ich wäre zur Reisernte im November wieder hier.
Die kleinen Ziegen sind gerade zwei Tage alt
Diese Frau wird versuchen, ein paar Fische aus dem Regenwasserteich, der an der Stelle eher eine große Pfütze ist, zu angeln.
Und Hündin Lucky kam hier auch gern vorbei.
Wiedersehensfreude...
Okay, ich habe beim letzten Mal angekündigt, dass es eine Geschichte zu diesem Hund gibt. Ich erzähle sie, versuche es aber kurz zu machen. Dieser Hund ist als Welpe irgendwann vor das Auto der Backpackers gelaufen, als es auf dem Weg nach Kolkata war. Damit sie nicht von einem anderen Auto überfahren wird, wurde sie kurzerhand mitgenommen und lebte erstmal ein paar Monate in Kolkata im Büro. Im März, als ich auch gerade im Eco Village war, brachte Manjit sie dann mit dorthin - es sollte ihr neues zu Hause werden. Und ich hab mich direkt in sie verliebt. Leider ist Lucky nicht besonders gut erzogen und für die Leute hier doch nur ein Hund von der Straße. In der letzten Zeit hat sie sich mit einer Gang von anderen Hunden zusammengetan. Gemeinsam jagen sie Ziegen, was die Bauern überhaupt nicht witzig finden und das bedeutet auch Ärger für das Eco Village. Deswegen wurde beschlossen, Lucky auf einer anderen Insel auszusetzen. Als ich nach drei Tagen in Kolkata zurück kam, war sie tatsächlich nicht mehr da und ich war ziemlich traurig. Aber plötzlich nach weiteren zwei Tagen stand sie klitschnass vor mir. Sie war den ganzen Weg von der anderen Insel zurück geschwommen. Was für ein mutiges Tier! Ob sie nun bleiben kann, weiß ich nicht. Ich hoffe es für sie. Am liebsten würde ich sie mit nach Deutschland bringen aber das ist alles eine eher komplizierte, langwierige und wahrscheinlich teure Angelegenheit für die man mindestens vier Monate vor der Ausreise alles organisieren muss. Das war also die Hunde-Geschichte.
Ich hatte Glück, dass ich genau im richtigen Zeitraum in Sukumali war. Denn Mitte September fand dort das größte Festival der Insel statt; zu Ehren der Schlangengöttin Maa Mansha, die in Bengalen besonders verehrt wird. Sie soll die Menschen vor allem davor bewahren von einer dier vielen Giftschlangen gebissen zu werden, was bei der Arbeit im Reisfeld nicht ungewöhnlich ist. Die Backpackers haben dem Dorf vor einiger Zeit einen Tempel gestiftet, um den herum nun einmal im Jahr für mindestens sieben Tage Ausnahmezustand herrscht. In dieser Woche war alles anders. Jeden Abend gab es Programm, täglich kamen mehr Menschen ins Eco Village. Freunde und Familie der Backpackers Brüder, großartige Musiker und Künstler, die alle einen Teil dazu beigetragen haben, diese Tage zu etwas ganz besonderem zu machen.
Die sonst eher ruhige Dorfstraße direkt hinter dem Eco Village verwandelte sich in eine kleine Partymeile mit großem Festzelt. Der Tempel war wunderschön geschmückt.
Eine Gallerie der typischen Götterfiguren aus Lehm und Stroh wurde aufgebaut und am letzten Tag des Festivals im Fluss versenkt.
Überall waren kleine Stände mit Streetfood aufgebaut. Hier Jalebi - ich liebe es. Jeden Abend nach drei dieser Teile aus purem Zucker habe ich geschworen, dass ich am nächsten Tag die Finger davon lasse. Aber am nächsten Abend war das wieder vergessen, sobald jemand mir eine Tüte mit dem frisch fritierten, heißen Gebäck vor die Nase gehalten hat. Wer die Film "Lion" gesehen hat, kann sich vielleicht an die Szene erinnern, wie die zwei Brüder mit großen Augen vor einem Stand mit Jalebi stehen. Daran musste ich oft denken in diesen Tagen.
Das hier ist ein mobiles Tattoo Studio. Der junge Mann im pinken Shirt wurde gerade frisch tatoowiert. Ich habe leider zu spät auf den Auslöser gedrückt. Und NEIN, ich habe kein neues Tattoo.
Es hat viel geregnet in diesen Tagen und oft stand das Zelt mit der Bühne unter Wasser. Die Jungs hier kehren das Wasser mit Besen raus, damit die Menschenmengen abends wieder das Programm im sitzen genießen können.
Und da waren viele Menschen, die das tun wollten, ist dieses Festival doch ein Highlight des Jahres.
Wir natürlich auch.