Diterbitkan: 08.01.2022
Fünf Tage sind bisher vergangen, seit Chris und ich am Morgengrauen Land gesichtet haben und kurz nach Sonnenaufgang in der Freeman’s Bay dem Atlantik entkommen und einen sicheren Ankerplatz gefunden haben.
Bevor ich auf die letzten Tage hier auf Antigua eingehe, versuche ich einen Überblick über die Atlantiküberquerung an sich zu geben.
Tag 1 - 12.12.21
Wir starten also gemeinsam mit Andrea und Andreas. Ich erwähne sie nochmal kurz, aber bereits nach drei Stunden düsen wir ihnen davon. Chris war ganz ambivalent, ob er das Boot seinem natürlichen Fluss im Wind überlassen soll, oder nun doch an der Idee der gemeinsamen Überfahrt festhalten soll. Da er es auch eigentlich sehr nice findet, so schnell zu sein, überlässt er die Amaryllis seiner Natur.
Am Nachmittag friemelt Chris etwas unbeholfen an zwei ineinander verzwirbelten 30 Meter Angelleinen herum. Ich helfe ihm und so sitzen wir mehrere Stunden friemelnd herum. Ich muss oft richtig loslachen, weil ich auf die Situationskomik nicht ganz klar komme. Das ist der erste Moment, in dem ich mich mit Chris ganz gelöst fühle.
Nachtschichten:
Über die Nacht zwischen 20 und 8 Uhr haben wir, beginnend mit jeweils drei Stundenschichten, abwechselnd im Cockpit Wache gehalten. Die Aufgabe ist es nach anderen Schiffen Ausschau zu halten und ggf. den Kurs zu ändern, um eine Kollision zu verhindern, den Wind im Auge zu behalten, weil wenn er seine Richtung ändert, dann meist auch wir. Es gibt zwei Steuersysteme mit denen wir fahren: einmal den Autopiloten, Angus, der versucht einen bestimmten Kurs einer Himmelsrichtung zu halten, und Hydrovane, Horatio, der in einem bestimmten Winkel zur Windrichtung steuert. Chris hat ein Fabel dafür wichtige Gerätschaften zu personifizieren und ihren Namen zu geben, sodass Horatio eigentlich die beste Crew an Board überhaupt wurde. Und in der Tat, fast über die ganze Überfahrt hinweg, mussten wir nur Angus und Horatio einstellen und konnten uns anderen Aufgaben widmen.
Später lerne ich noch das Main Sail und das Genoa (das vordere Segel) zu bedienen, um unsere Geschwindigkeit anzupassen.
Wir erhöhen nach wenigen Tage die Dauer der Schichten auf vier Stunden, sodass wir im Wechsel eine oder zwei Schichten pro Nacht haben.
Ich hab also jede Nacht vier oder acht Stunden, die ich alleine und meist auch wach bin. Diese ganz neuen und bisher leeren Zeiträume werden zu meinen ganz persönlichen Genussräumen. Denn auch wenn ich aufmerksam sein soll, ist doch selten etwas zu tun.
So sitze oder stehe ich die Nacht im Cockpit. Über mir meist eine klare Nacht, es ist, solange der Mond noch nicht aufgetaucht ist, stockfinster, sodass der Ozean eine dunkle, kaum wahrnehmbare Masse wird. Was im Gegensatz ganz deutlich zu erkennen ist, sind die Sterne. So viele Sterne am Himmel bis zum Horizont, dass ich manchmal fast das Gefühl für auf der Erde sein verliere und sich der Eindruck eines Raumschiffs im All einschleicht. Es braucht dann gar nicht viel mehr als ein in-die-Sterne-Gucken und die Zeit verrinnt wie im Flug. Es ist beruhigend und berührend die Weite wahrzunehmen und unser Kleinsein und Gemeinsein zu erkennen. In Momenten, in denen ich Einsamkeit fühle, geben sie mir eine Verbindung zu Menschen, die in Europa die selben Sterne sehen können.
Über den Mond kann ich gar nicht so viel sagen, außer dass ich mich zuvor nie groß darum geschert habe, ob er da ist oder nicht. Nachts auf dem Atlantik ist es ein Highlight wie der Sonnenaufgang am Tage, wenn der Mond groß und gelb am Horizont erscheint und dann bei Weilen voller Leuchtkraft, mein Augenlicht aufzusaugen scheint oder verschwörerisch hinter passierenden Wolken wie hinter einem Schleier hervorlugt und wieder verschwindet.
Da ich noch medialen Input dabei habe hören ich in den ersten Tagen zwei Vorträge von Wolf Büntig zu Selbstverwirklichung und zu Partnerschaft - Wunsch und Wirklichkeit. Es ist schön seiner Stimme zu lauschen, die ich abstellen kann, wenn ich Zeit brauche, um das Gesagte sacken zu lassen und meine Gedanken dazu vorbei schweifen zu lassen. Und seine Worte sind ganz anregend, sodass ich mir ein paar Notizen mache. Einen Satz, der mir in Bezug zum Streben um die Daseinsberechtigung durch Leistung geblieben ist: “Das Leben ist ein Geschenk, dass man sich nicht verdient. Man kann es nur nehmen oder ausschlagen.”
Später höre ich noch der Spieler und Jugend ohne Gott. Ich bin irgendwie sehr empfänglich für die Geschichten und Charaktere. Als Unterhaltungsprogramm bleibt mir dann nur noch die heruntergeladene Musik. Mit der ganzen verfügbaren Zeit komm ich endlich mal wieder dazu diese zu sortieren und ein paar Playlists zu kreieren.
Da ich an irgendeinem Punkt der Nacht gerade erst aus meiner Koje krabble entwickelt sich im Laufe eine wirksame Routine meinen Körper achtsam und erst ganz langsam Gelenk für Gelenk zu mobilisieren und steht’s mit meinem Atem verbunden zu sein. Nach einiger Zeit fügen sich Bewegungen und Impulse aneinander, sodass ein Fluss entsteht und ich oft erst nach zwei Stunden bewegen wieder zum
Stillstand komme. Dann fühle ich mich ganz Kraftvoll und lebendig und, wenn ich zusätzlich die Hände frei hab und die Bewegungen des Boots in den Wellen mit einbeziehe, dann auch verbunden mit dem Ozean.
Wenn ich dann wieder einige Zeit saß um zu hören oder zu schauen, mache ich meist noch etwas Yoga und bin dann ganz gut angekommen in meinem Körper bevor ich mich für die nächsten Stunden zum Schlafen hinlege.
Wenn es doch mal Zweifel gibt, ist Chris immer sofort zur Stelle und gerade am Anfang ist er auch eh noch wachsamer und schläft nicht besonders tief. Ansonsten sehen wir uns nachts nur zur Ablöse und verabschieden und stets mit einem “Have a Good watch.” - “Have a Good Rest.”
Tag 3 - 14.12.21.
Chris zeigt mir die wichtigsten Knoten wie Bowline oder Roundturn & two half hitches und gibt mir eine Einführung in das spezifische Segelvokabular, sodass ich theoretisch alle Seile und Segel und Teile des Segels und Apparaturen um Seile zu befestigen oder einzuholen benennen kann. Chris ist dann ganz in seinem Element des Lehrerdaseins und scheint es auch zu genießen sein Wissen weiterzugeben. Ich bin ganz dankbar und sauge alles wie ein Schwamm auf.
In dieser Nacht gibt es einen Meteoritenschauer, sodass der Himmel regelmäßig von Sternschnuppen durchzogen wird und ich gar nicht hinterher komme mit den ganzen mir zur Verfügung stehenden Wünschen.
Tag 5 - 16.12.21
Chris ist wieder dabei seine Angelköder auszuwerfen und achtet jetzt mehr darauf, dass sich die Leinen nicht verheddern. Nicht dass wir wieder Beschäftigungstherapeutisch eingebunden werden. Chris bezieht mich ganz herzlich mit ein und erklärt mir neben den ganzen möglichen Ködern, und Routen und Leinen und was er alles schon wo und wie gefangen und nicht gefangen hat, wie ich den Köder mit den richtigen Knoten befestige und den Köder hinaus lasse. Ich darf mir sogar einen aussuchen. Zwischendrin beißt mal einer an und das Fishing Reel der Anglelleine kreischt auf. Doch dann entwischt er uns glücklicher Weise. Wir holen trotzdem die Köder ein, denn auf einmal erscheinen ein paar Delfine. Erst einer dann zwei, drei und schon bald einen ganze Armada von Delfinen. Ich bin ganz aufgescheucht und freudig aufgeregt und möchte ein Foto knipsen. Doch nach dem drei wie choreografisch aus dem Wasser schießen, rasen plötzlich alle in einer Linie, in eine Richtung, rhythmisch aus dem Wasser springend davon. Wir sind ganz verdutzt und ratlos, was das wohl zu bedeuten hat. Vielleicht haben sie einen größeren Jäger gewittert, oder ich hab sie mit meine Aufregung verschreckt oder es war einfach eine coole Inszenierung für uns. Später kommen dann aber doch wieder ein paar und begleiten uns ein Stück. Ich bleib dieses Mal ruhiger und fühle mich ganz verbunden und ehrfürchtig gegenüber den Tieren, die ganz nah an unserem Boot mit Leichtigkeit durchs Wasser gleiten. In den kommenden Tagen werden wir immer wieder von Delfinen aufgesucht und begleitet.
Tag 6 - 17.12.21
Das Main Sail hat ein Loch und wir nähen es provisorisch. Einerseits weil es gar nicht so praktisch ist das Segel von zwei Seiten zu zweit zu nähen und gar nicht genug Platz für uns beide ist, sodass wir uns dauernd in die Quere kommen (ich fühle mich wieder wie in einem Sketch), aber auch da Chris wie einst beim Öffnen der des Plastikbeutels im Supermarkt auch hier Schwierigkeiten mit der Feinmotorik hat, übernehme die Reparatur schließlich alleine. Ich komme mir schon ganz Seemännisch vor, auf dem Deck zu hocken und das Segel zu flicken.
Später besprechen wir die Zeitumstellung, die uns bevor steht. Alle 10 Grad Westlicher Länge stellen wir die Uhr um, sodass uns vier Mal längere Tage bevor stehen.
Am Abend benutze ich das erste mal das Iridium, um ein paar Nachrichten an meine lieben Menschen zu schreiben. Es ist schön Kontakt zu haben und gleichzeitig, versuche ich darauf zu achten, mein Handy so wenig wie möglich in der Hand zu halten, wodurch sich der Austausch eher auf wenige Momente mit ein paar Menschen alle paar Tage beschränkt.
Tag 8 - 19.12.2021
Nachdem am Tag zuvor eine ganz bedrohliche Ruhe und Diesigkeit auf See herrschte und wir kaum voran kamen, holen uns jetzt die Trade Winds ein. Das sind die Winde, mit denen seit Jahrhunderten Menschen über den Atlantik segeln. Chris ist ganz monumental berührt und erquickt nach der Anstrengung der letzten Tage, wo wir auch ein Stück den Motor laufen lassen mussten, um dem Windloch zu entkommen. Von jetzt an sollte uns der Wind hold sein und wir schnurstracks voran kommen.
Dann passieren die Dinge Schlag auf Schlag. Ich entdecke einen gelben, schwimmenden Gegenstand vor uns. Aus der Ferne ist es noch nicht auszumachen, was es ist aber die Farbe und Größe lässt ein Rettungsboot in Seenot nicht ausschließen, weshalb wir in Alarmbereitschaft kommen. Chris beginnt mit der Hand zu steuern, während ich versuche das Objekt mit dem Fernglas zu identifizieren. Im Falle des Falles würden wir versuchen, die Menschen zu retten. Als wir näher kommen, entpuppt sich das Objekt als Kühlschrank aus dem in diesem Moment ein großer Fisch herausspringt. Dann fängt das Reel an zu kreischen und ein Fisch hat angebissen. Dieses Mal klappt es und Chris angelt den fast 1 m grossen Gelb-Grünen Fisch heraus. Wir besprechen zwar davor, was zu tun ist, aber trotzdem herrscht Hektik. Chris versucht den Fisch zu töten aber nach ein paar Stichen zappelt er noch immer herum und mir wird ganz Bang. Um den Prozess zu beschleunigen steche jetzt auch ich zu und versuche das Gehirn zu treffen, was mir, so glaub ich, auch nicht wirklich gelingt. Nach gefühlten Minuten ist es vorbei und Chris hängt den Fisch zum ausbluten ins Wasser. Beim Filetieren schaue ich zu und mir ist noch immer ganz anders. Ich bin verschreckt von der Brutalität dieses Todes und Frage mich, ob ich das wirklich mit Unterstützen möchte und den Fisch essen möchte.
Später am Abend als der Fisch in Stücken portioniert und in Plastikbeuteln verpackt aus dem Kühlschrank wandert und in Butter angebraten mit Zitrone serviert auf dem Tisch landet, denke ich, dass dieser Fisch sonst auch einen anderen Fisch vertilgt hätte. Jetzt war es für ihn dummerweise nur unser Köder und wir vertilgen stattdessen ihn. Wir danken dem Fisch und dem Ozean für dieses Festmahl und so ließ ich mir den Fisch doch schmecken. Es sollte nicht der letzte gewesen sein, doch in den sieben darauffolgenden Tagen an denen wir Mahi Mahi fingen und aßen, töteten wir den Fisch mittels Alkohol in die Kiemen geschüttet, was schneller und weniger blutig zuging. Während dieser Male ließ es ich mir auch nicht nehmen, selbst den Fisch herauszuziehen, und die Prozedur des Ausnehmens und Filetierens zu übernehmen. Wer weiß, wann ich mal darauf angewiesen bin und, dann hab ich das schon mal gemacht.
Natur:
Die ersten drei Tage war kam eine Fliege als blinder Passagier mit. Ich hab mich immer sehr gefreut sie zu sehen und Chris davon abhalten können sie aus der Gewohnheit heraus zu erschlagen. Sie war bis zu ihrem Verschwinden das einzige, sichtbare Lebewesen unter uns. Das ist auch etwas paradox, weil der Ozean ja voller Leben ist und man auf der Oberfläche so wenig davon mitbekommt. Auch wenn Wellen natürlich schon sehr lebhaft sind.
Nach ein paar Tagen haben wir die ersten fliegenden Fische gesehen, die, wahrscheinlich um uns auszuweichen, aus dem Wasser bis zu 50 Meter durch die Luft gesegelt sind. Nicht nur einmal sind sie auch auf dem Deck gelandet oder durch ein Fenster geschlüpft und verendet. Gerettet werden konnten nur wenige.
Ab und zu gab es ein paar einzelne Schwalbenhafte Vögel, die im Tieflug über die Wellen glitten. Vielleicht auf der Suche nach Insekten, aber eigentlich keine Ahnung, was die da trieben. Erfreut haben sie mich auf jeden Fall.
Mit Delfinen konnte ich mich richtig gut verbunden fühlen. Und war ganz froh andere Lebewesen zu sehen, die mir in der Art zu leben so ähnlich sind, wie sonst nur Chris. Auch die vorüberziehendem Pflanzenteppiche waren, auch wenn der Grund für ihr wurzelloses Herumtreiben vermutlich kein angenehmer gewesen ist, mir doch eine Freude. Etwas Grün im ganzen Blau. Nachts waren neben der immensen Weite des Alls ganz nah am Boot jede Nacht vor oder nach dem Mond leuchtendes Plankton zu sehen, die durch das vom Boot aufgewirbelten Wasser in einzelnen Punkten um uns herum zu sehen waren.
Ansonsten lassen sich nur andere Wesen unter der Oberfläche vermuten, die drei von Chris Ködern nach überaus starkem Ziehen an der Leine mit sich gerissen haben.
Tag 10 - 21.12.21
Der Tag beginnt eigentlich recht entgegen kommend von Chris, denn die Nacht war etwas fordernder und so soll ich nach meinem Erwachen um 8.00 Uhr ruhig weiterschlafen. Ich erwache dann noch mehr zerknautscht als zuvor. Ich fühle mich ganz schwer und träge und es ist der erste Tag an dem ich auch etwas traurig bin und Rosa vermisse und das Gefühl der Zeitlosigkeit beim gemeinsamen Sein. Gerade bin ich eher am Tage zählen und sehne mich nach dem Beginn des nächsten Abschnittes in Leipzig, den ich mir gerade so schön ausmale.
Am Abend haben Chris und ich ein Intervisionsgespräch über den bisherigen Verlauf der Reise, wie wir uns im Miteinander fühlen und was uns für die weitere Zeit wichtig ist. Ich hab das am Tag zuvor angefragt, weil Chris mich zuvor im Gespräch selten ausreden ließ und weiter mit seinem Redeschwall begann. Ich hab mich dann oft liegen gelassen gefühlt und geärgert. Mehr als Auffangbecken für seine Geschichten als als Gesprächspartner und Gegenüber. Gleichzeitig auch Angst ihn zurückzuweisen und dicke Luft zu haben. Und um mal Raum für Wertschätzung, aber auch kritische Stimmen in mir zu geben, dachte ich so ein psychologische wertvolles Meta-Gespräch über unser Miteinander sei sinnvolle Idee. Das Gespräch lief gut, in dem Sinne, dass ich den Raum bekommen habe, um zu sagen, was mich beschäftigt und Chris verstanden hat und die Dynamik oder Kritik von seiner Tochter kenne. Wir konnten uns gut austauschen.
Am späten Abend waren wir schon fast bei den Kapverden und haben dann den Kurs Richtung Westen geändert. Bis dahin stand immer noch im Raum auch noch dort für wenige Tage zu pausieren, um auf noch besseres Wetter zu warten und Vorräte wieder aufzufüllen. Doch jetzt beschließen wir direkt überzusetzen und es gibt kein Zurück mehr.
Zwischenmenschliches:
Ich finde mit Chris wirklich schnell in eine gute Routine, sodass die Tage meist reibungslos ablaufen. Er ist steht’s sehr wertschätzend und ich sehr dankbar, dass er mir so ausführlich die Handgriffe und Theorie des Segelns und Hochseefischens beibringt und mich so teilhaben lässt. Teilhaben lässt er mich auch an seinem Innenleben, seiner ehemaligen und aktuellen Familienleben, sodass ich über die Zeit wirklich den Eindruck habe ihn gut zu kennen. In Momenten der oben beschriebenen Dynamik, fällt es mir schwer für mich eine Grenze zu setzen und einfach zu sagen, dass es mir gerade zu viel ist oder ich mich nicht unterhalten möchte. Zu groß die Sorge, dass er sich abgelehnt fühlt und am Ende der Haussegen schief hängt. Über die Zeit gelingt es mir immer besser bereits in der Situation zu sagen, was ich will oder fühle, und Chris ist immer ganz überrascht und in seiner englisch höflichen Manier ganz Reuemütig.
Allgemein fühle ich mich aber sehr frei mir meinen eigenen Raum zu nehmen, mich mit einem Buch aufs Vordeck in die Sonne zu setzen oder, wo Platz ist, Yoga oder Kraftübungen zu praktizieren. Das auch, weil Chris selbst Sportler (Kajak, Laufen, Rad) und auch Trainer war oder ist und es sogar als Inspirierend oder anregend empfinde. Allgemein sind wir eigentlich in vielen Meinungen über Weltpolitik, Menschenbild oder die Art zu reisen sehr ähnlich, was auch ein Grundverständnis füreinander erleichtert. Chris sagte immer wieder gerne: “Crew is not for competence, it’s for company!”
Neben Unterhaltungen und täglichem gemeinsamen Essen und natürlich den Abläufen bei Segelmanövern, spielen wir hin und wieder Schach oder Pass the Pigs.
Tag 13 - 24.12.2021
Der Tag ist für uns wie jeder andere. Chris kommt morgens nach meiner Schicht mit einem “Oh.. Atlantic! still there ?!” aufs Deck. Wir trinken einen Tee. Dann mache ich Sport, Yoga und meditiere, während Chris seinen Blog schreibt. Wir frühstücken oder essen früh zu Mittag, dann liegen wir in der Sonne, dösen, ich lese, vielleicht ein kleiner Snack, wenn die Sonne zu heiß wird, dann ein paar Eimer Wasser über den Kopf und irgendwann beginnen die Vorbereitungen fürs Abendessen. Anders ist nur, dass wir beide mehr am Handy hängen und Nachrichten an Menschen schreiben, die gerade bei ihren Familien einen besinnlichen Abend verbringen. Oder es versuchen. Chris hält nicht viel von Weihnachten und ich auch ich bin der größte Weihnachtsfan. Zumindest dachte ich das. Wir tauschen uns ein bisschen darüber aus, wie wir sonst Weihnachten feiern aber Chris ist gar nicht so gut drauf und vermisst doch auch sehr seine Partnerin. Es bleibt bei einem
Schlichten Gericht. Kartoffeln mit Käse überbacken. Vielleicht ein paar Zucchini drin. Dann verabschieden wir uns in die Nacht und jeder verbringt den Heilig Abend für sich.
Tag 14 - 25.12.21
Dieser Tag ist deutlich besser. Wir fangen wir Fisch, ich lerne zu “slap reefing”, also das Hauptsegel zu trimmen bzw. Wieder auszuweiten. Abends essen wir feudal Mahi Mahi, in Tomate, Aubergine, Zucchini mit viel Öl, Zwiebeln und Knoblauch sowie dazu Parmesan. Das sind dann doch noch frohe Weihnachten für mich.
Gefahr:
Ich hab mich die meiste Zeit sehr sicher auf Board gefühlt. Auf Deck waren wir immer mit einer Rettungsweste und angeleint unterwegs. Nachts nur auf Deck, wenn der andere dabei war. Das Motto auf Deck: „One Hand for you, one hand for the boat.“ Ich hab ein Buch über Competent Crew und Day Skipper gelesen, was mich auf Notfälle natürlich bestens vorbereitetet hat. Aber vor allem konnte ich auf die Kompetenz und Erfahrung von Chris vertrauen. Jeden Tag hat er neue Wetterdaten heruntergeladen, sodass wir immer mindestens die kommenden vier Tage sehen konnten, wie Wind und Wellen aussehen und ggf. unseren Kurs anpassen. Nicht zuletzt hat Chris extra mehrere Wochen auf den Kanaren auf das Wetterfenster, dass uns über die Fahrt so relativ entspannt hat segeln lassen. Am gefährlichsten sind wohl noch die Manöver beim Kochen oder den Hebel bei der Klospülung auf „Wasser rein“ zu lassen. Letzteres ist mir zwei mal passiert und das waren auch die einzigen Situationen, in denen Chris mit einer unverkennbaren Ernsthaftigkeit zu mir sprach und meinte, dass es ein Boot zum Sinken bringen könne.
Verletzt habe mich am ehesten wegen durchs Schunkeln verursachte Stöße an Schienbeinen, einmal bin ich auf die Spitze meines Zeigefingers gefallen und hab mir in den Daumen geschnitten. Chris ist ähnlich gut davon gekommen. Bedrohlich war ein Tag, an dem Chris meinte einem Orca gesehen zu haben (bei Portugal gibt es wohl momentan regelmäßige Angriffe von Orcas auf Boote) und dann etwas aufgescheucht die ruhige Oberfläche des Ozeans absuchte, in der Erwartung jeden Moment attackiert zu werden. Wir haben leider keine Wale gesehen.
31.12.21
Neujahr ist bei uns ähnlich spektakulär wie alle anderen Tage auf hoher See. Mein Highlight war bereits zwei Tage zuvor, als wir “angehalten haben”, damit ich Horatio von seit Tagen herumtreibendem Seegras befreien kann. Das war mehr ein Vorwand dafür, dass ich in den Ozean steigen darf. Chris hatte Reda wohl versprochen, dass wir beide nicht ins Wasser gehen, aber jetzt gibt gab ja einen wichtigen Grund. Und so durfte ich, natürlich angegurtet, in das über 4000 Meter tiefe Wasser steigen. Ich habe eine Taucherbrille an und schaue in das von der Sonne bestrahlte Blau. Ich war ganz aufgeregt und ich werde mich wohl noch lange an den Blick ins Deep Blue erinnern.
Da jetzt an Silvester niemand da ist, um mit mir über das letzte Jahr zu sprechen, schreibe ich für mich auf, was alles passier ist. Und es ist wirklich viel passiert.
Essen:
Chris und ich hatten ja zuvor eingekauft. Die letzte Banane hielt fast 20 Tage und auch die letzte Aubergine und Zucchini hatten wir erst zum Ende ehrwürdig zubereitet. Die Vorräte haben gut gehalten. Zwischendrin hatten wir ja auch eine intensive Mahi Mahi Phase, in der wir zwei mal täglich satt frischen Fisch auf dem Teller hatten. Es hat sich relativ schnell eingependelt, dass wir abends immer abwechselnd gekocht haben. Tagsüber hab ich meist Frühstück in Form von reichhaltigem Porridge oder Brot mit Rührei oder so zubereitet. Alternativ gab es ein frühes Mittagessen. Das fand ich gut. Ich hab Chris natürlich gefragt, ob er einverstanden mit meinen Kochideen ist, aber meist hatte ich somit freie Wahl über Zutaten und Menge. Außerdem hat es mein Bedürfnis befriedigt einen Beitrag für die gemeinsame Mission zu leisten. Ich würde unser Essen als reichhaltig von ausgewogen bis über Protein- bis Kohlenhydratreich beschreiben. Gemüse war immer am Start, aber immer wenig. Das Kochen auf dem
Gasherd mit einem Gelenk an den Seiten, sodass er die Neigung des Bootes ausgleichen kann, lief oft problemlos. Manchmal konnten Töpfe und Pfannen nur unter Anstrengung auf dem Herd gehalten werden. Ich selber drückte mich bei stärkerem und unregelmäßigem Wellengang in eine Ecke, um nicht frei im Raum mein Gleichgewicht zu verlieren. Trotzdem war es nicht zu vermeiden, dass auch mal eine Pfanne, samt Inhalt, durch die Küche geflogen ist. Fluchen war dann nicht mehr zu unterdrücken.
Tag 23 - 3.1.2022
Nachdem wir in den letzten drei Tagen unsere Geschwindigkeit so angepasst haben, das wir bei Tagesanbruch Antigua erreichen, um nicht mitten in der Nacht eine Bucht finden zu müssen, entdecke ich in meiner Schicht um 5.00 Uhr das erste mal einzelne Lichter am Horizont. Kurz vor 7 geht die Sonne auf und die es ist Land in Sicht. „Land Ho!“, ruft Chris und wir sind ganz voller Pathos und Freude und Gedenken an all die Seefahrer, die diese Strecke ohne Karten und GPS und Wetterdaten und Autopiloten und Solarshower und Kühlschrank und so geschafft haben.
Antigua ist in einem zu überblicken. An der Ostküste gibt es ganz felsige Klippen, hinter den sich grüne hügelige Streifen erstrecken.
Wir steuern im Süden in die Freeman’s Bay. In dieser Bucht ankern bereits einige andere Segelboote und wir werden von einigen ganz nett mit winken empfangen. Mark und Marie, ein befreundetes Paar von Chris kommt uns mit ihrem Dinghy entgegen und beglückwünscht uns. Bis wir auf Land dürfen, müssen wir erstmal noch warten und so genehmigen wir uns ein paar Ankerbiere. Das ist wohl Tradition. Davor springe ich aber noch kurz ins Wasser, denn das wollte ich schon die letzten drei Wochen machen.
Dann werden dann von einem Herrn vom English Harbour abgeholt und zur Marina gebracht. Chris erledigt alle Formalitäten zu Immigration. Ich stehe dann da und kann es gar nicht fassen einfach da zu sein. Ich mache ganz viele Räder und Handstände und renne und setze mich ins Gras und fühle den Boden unter mir. Ich freue mich über alle Menschen, die mir ganz neu erscheinen. Ich sehe einen Kolibri an einer Blüte herumschwirren, die Planzen sind ganz grün und lebendig und ich fühle mich ganz frei!