Pibliye: 11.03.2021
Samstag 05.06. Waynesboro – Washington D.C.
Schlecht geschlafen. Wir sitzen kurz vor 9 beim mickrigen Hotelfrühstück und treffen Dottie und ihre Schwester, die ich schon gestern Abend in der Lobby angesprochen hatte. Sie wandern den Appalachian Trail und sind jetzt 830 Meilen gewandert! Begonnen haben beide am 16.3. in Georgia. Sind also fast ein Vierteljahr zu Fuß unterwegs. Wir unterhalten uns lange und gucken uns ihre Fotos an. Beide sind Anfang/Mitte 40 und haben nach einem Jahr Vorbereitung das Unternehmen gestartet. Dottie hat den Trailnamen „Webwalk“, ihre Schwester ist „Just Blue Skies“. Sie erzählen, daß sie so um die 12-15 Meilen pro Tag schaffen, gestern aber wegen der Hitze nur 8. Die Vorstellung daß dies eine nette Wanderung ist, hat sich schnell erledigt. Besonders das Überwinden von Zäunen mit sog. „Stiles“(styles?) sei sehr nervig, weil dies behelfsweise Leitern sind, die mit Gepäck schwer zu besteigen sind.
Dottie hat einmal einen halben Bären gesehen, ihre Schwester hat jeden „newt“ fotografiert. Das sind kleine Molche. In einem Shelter findet sich eine große schwarze Schlange, die aufgerollt im Dachbalken lag, eine Klapperschlange haben sie auch gesehen. Wir sind von den Fotos beeindruckt. Z.T. gehen die Felswände fast senkrecht nach oben oder unten, was dann mit „Wandern“ nicht mehr viel zu tun hat. Jetzt wollen die beiden mindestens zwei Tage Rast machen, in dem Hotel. Die Familie und Mutter kommen und bringen auch tw. neue Klamotten. Sie haben sich entschieden künftig auf Schlafsäcke zu verzichten nur mit einem Laken zu schlafen. Das spart Gewicht. Ihr Essen lassen sie sich überwiegend zuschicken. Postlagernd. Es sind getrocknete Lebensmittel, die sie selbst vorbereitet haben!
Dottie hat für den Trip ihren Job aufgegeben, ihr Auto und zwei Boote verkauft. Ihre Schwester ist besser dran, sie ist Hausfrau und Mutter, die Kinder sind nicht mehr ganz klein und der Mann ist nachmittags zuhause.
Als die Familie anrückt, tauschen wir nur noch rasch Adressen aus, machen ein Foto und packen selbst. Es ist nach 10.30h als wir abfahren. So viel Zeit haben wir uns morgens noch nie gelassen! Wie schön, daß das so ein nettes Treffen war und wir nun etwas mehr wissen, als aus Bill Bryson‘s Buch „Frühstück mit Bären/A walk in the woods“, was hier fast zur Bibel der Wanderer gehört.
Der Appalachian Trail verläuft fast 80 Meilen an und quer zum Skyline Drive, der als letzter 105-Meilen-Abschnitt des Blue Ridge Parkways im Shenandoah National Park heute unsere Tagesetappe ist. Wir kehren also ein weiteres Mal auf den Blue Ridge Parkway zurück, jetzt weiter nördlich, als neulich.
Heute sind komischerweise alle Nationalparks eintrittsfrei. Glück gehabt. Wir sparen so 15$. Das Wetter ist schön, der Blick weit ins Shenandoah Valley – es ist anders als am vorher von uns befahrenen Abschnitt des Blue Ridge Parkways, wo man nur Berge sah. Die Straße ist kurvig, hat aber viele Lookouts.
An einem Outlook treffen wir auf einen Wanderer, der uns sehr dankbar ist, 10 Meilen mitzufahren. Er ist pensioniert (s.o.) und wandert nach 20 Jahren wieder auf dem Trail. Hat aber seine dicken Stiefel vor einigen Tagen gegen leichtere getauscht, die ihn aber plagen, besonders im felsigen Gelände. Wir geben ihm einen Apfel und kaltes Wasser und packen ihn und seinen Rucksack auf die Rückbank. Er kommt aus Arkansas. Irgendwie plagt ihn ein schlechtes Gewissen, daß er unsere Mitfahrgelegenheit nutzt – das kratzt an der Wanderer-Ehre! Wir lassen ihn kuzr vor einem Campingplatz raus, drücken ihm unseren letzten Apfel und noch mehr Wasser in die Hand und fahren weiter.
Kurz darauf treffen wir auf den nächsten Hiker, der sich auf dem Trail verlaufen hat und in die falsche Richtung gelaufen war. Da er sich mit seiner Tante an einem bestimmten Platz heute verabredet hat, sie aber nicht erreichen kann (kein Mobilfunknetz hier oben), ist er nun dankbar, daß wir ihn 4 Meilen zu dem Treffpunkt mitnehmen.
Auch er hat seinen Job gekündigt und seinen kompletten Hausstand verkauft und weiß nur, daß er nach dem Trail nicht mehr dahin zurück will, wo er herkommt. Auch ihn beglücken wir mit noch kaltem Wasser, haben aber leider keinen Apfel mehr.
Auch er ist hochgradig dankbar, denn weder kühles Trinkwasser noch Äpfel sind hier am Trail etwas, was die Leute kriegen. Da heißt es Wasser aus Bächen abkochen und Äpfel will keiner rumtragen, weil die zu schwer sind.
Irgendwie drängt sich der Eindruck auf, dass den Leuten das Wandern irgendwann doch nicht mehr so viel Freude macht und es eine ziemliche Qual ist, man diesen Trip aber macht, um sich oder anderen etwas zu beweisen, mit sich klarzukommen oder Dinge hinter sich zu lassen, die einen im normalen Leben beeinträchtigt haben – einfach einen echten Abstand zu bekommen, räumlich und zeitlich. Es scheint eine Zäsur, an deren Ende sicher für viele noch keine greifbare neue Zeit beginnt, weil sie bis dahin so mit dem täglichen Überwinden der Distanzen und der Herausforderungen der Strecke befaßt sind, dass alles andere völlig in den Hintergrund tritt.
Wir fahren weiter und freuen uns immer über die schönen Ausblicke.Etwa 30 Meilen vor dem Ende des Skyline Drive biegen wir auf eine Querstraße nach Luray ab, das 9 Meilen westlich liegt.
Hier befinden sich die Luray Caverns, die zweitgrößte Tropfsteinhöhle Ost-Amerikas. Sie geht bis 50 m unter die Erde. Wir fragen zunächst nach Ermäßigung für Reisebüro-Leute und kriegen die Eintrittskarten komplett umsonst! 23 $ pro Nase gespart! Super Tag!
Die Höhle ist unfassbar schön. Riesige Stalaktiten und Stalagmiten, tw. mit weißem Überzug, der glänzt. Es gibt riesige Säulen, die tolle Formationen haben und einen See, der so glatt ist und immer die darüber hängenden Stalagtiten widerspiegelt und man dadurch denkt, die Dinger wachsen spiegel-gleich auch von unten nach oben. Das Wasser hat keine Regung – es sieht wie ein perfekter Spiegel aus.
Meine Befürchtung, die Amis hätten das hier in Bonbon-Farben angestrahlt, erfüllt sich glücklicherweise nicht. Etwas seltsam mutet aber eine Gedenkplakette für gefallene Soldaten aus der Region an, die irgendwann am Ende der Höhle steht. Keine Gelegenheit wird in den USA ausgelassen, das immer wieder zu dokumentieren. Ob zweiter Weltkrieg, Korea, Vietnam, alles dabei.
Wir fahren um 15.15h dort wieder weg und die letzten 30 Meilen über den Skyline Drive. Zwischendrin haben wir eine Rehmutter mit Kitz und einem jungen Rehbock auf der Straße gesehen und viele viele Blumen. Z.B. die Mountain Laurels, die weiß mit kleinen Punkten sind. Sie wachsen in kleinen Büschen, tw. aber auch an verästelten Stämmen – und nur im Mai/Juni.
Kaum, daß wir auf dem Highway I-66 nach Washington D.C. sind, haben wir dichten Verkehr, obwohl es Samstag ist. Wir stehen im Stau, sind aber gegen 18.30h am Hotel, das wir vorreserviert hatten. Washington ist teuer, aber wir hatten auch keine Lust, in einer Großstadt billig am Stadtrand zu wohnen und ewig mit Pendelei zu verbringen.
Das Zimmer ist klasse, mit Küche, Kaffeemaschine und zwei riesigen Betten.
Wir ziehen los, um etwas zum Frühstücken für die nächsten Tage einzukaufen, weil wir hier 3 Nächte bleiben. Der nächste Supermarkt ist im Watergate! Das ist wirklich das ehemalige berühmte Hotel. Heute ist es ein Wohnhaus und hat im Untergeschoß einige Läden. Das Sortiment im Supermarkt ist spärlich und hat kaum frische Sachen. Wir finden natürlich alles, was wir brauchen, von Bagels über Milch, Käse bis zu Wasser und schleppen alles ins Hotel. Es sind um die 30 Grad und sehr feucht.
Nach dem Einkauf gehen wir an der 21. Straße (nur zwei Blocks von uns) etwas essen und sitzen draußen. Da das Weiße Haus nur 5 Blocks weg ist, gehen wir nach dem Essen noch dorthin. Wegen einer Absperrung wird der Weg auf der Suche nach einer guten Foto-Position schwierig und wir laufen endlos über eine feuchte Wiese.
Ein paar Bilder vom Weißen Haus und vom Washington Monument und wir trudeln wieder in Richtung Hotel, entlang am Innenministerium mit einer scheinbar lückenlosen Video-Überwachung der Straße davor. Ich mache mir zur Angewohnheit in jede Kamera zu winken. Hätte ich das in Washington jedoch durchgehalten, wäre ich zu nichts anderem mehr gekommen.
Um 23.00h sind wir im Bett.