प्रकाशित: 23.12.2018
Zugegeben, das Image von Kolumbien könnte besser sein. Colombia steht in erster Linie für Cocaine, Corruption und Coffee. Aber nicht alle Vorurteile sind wahr: Es stimmt zwar, dass Kolumbien der mit Abstand grösste Kokainproduzent der Welt ist. Und ja, das Land ist wirklich sehr korrupt (mehr dazu später). Aber: Der berühmte Kaffee schmeckt in Kolumbien grauenhaft! Das liegt an zwei Dingen: Erstens trinken Kolumbianer lieber amerikanischen Filterkaffee als italienischen Espresso. Zweitens wäre es eine Schande, hierfür den hochwertigen kolumbianischen Arabica-Kaffee zu verwenden. Der Kaffee, der in Kolumbien getrunken wird, stammt deshalb zu über 80% aus dem Ausland.
Nicht weiter schlimm, denn uns interessieren ja primär andere Exportschlager als Kaffee: Zum Beispiel die kolumbianische Musik (Salsa!) und die Sprache, denn in Kolumbien wird Spanisch mit dem schönsten Akzent Südamerikas gesprochen – also ideal, um Marcos Spanisch-Kenntnisse aufzufrischen. Nach Yumis kompakter Google-Recherche, wo die schönsten Städte Kolumbiens liegen und wo es im November am wenigsten regnet, bleibt nur noch ein Ort übrig: Cartagena. Wir sehen im Internet Bilder einer schönen Hafenstadt mit bunten Kolonialhäusern, einer intakten Stadtmauer, einem Stadtschloss, einem schönen Strand und sogar einer modernen Skyline – eine Stadt wie aus dem Bilderbuch. Der glückliche Zufall will es, dass genau am Wochenende unserer geplanten Ankunft in Kolumbien drei Grossanlässe in Cartagena stattfinden: Der Karneval, das Unabhängigkeitsfest und die Miss-Kolumbien-Wahl. Also ab nach Cartagena!
Da wir einen ganzen Monat in der Stadt verbringen, investieren wir etwas mehr Zeit in die Suche einer passenden Unterkunft. Möglichst im historischen Stadtzentrum, in einem schönen Kolonialhaus… aber nicht mitten im Touristenviertel, sondern dort, wo noch Einheimische leben… aber auch nicht zu weit ausserhalb, dort könnte es nachts gefährlich werden… Am Ende finden wir eine schöne und günstige 2-Zimmer-Wohnung an einer autofreien Strasse ohne Hotels und mit vielen Einheimischen – auch hier wie aus dem Bilderbuch. Wir buchen das Apartment und freuen uns über einen 25%-Rabatt für Langzeit-Aufenthalter. Parallel reserviert Marco einen 4-wöchigen Spanisch-Intensivkurs und knüpft erste Plauschfussball-Kontakte via Facebook, während Yumi nach einem Englischlehrer Ausschau hält.
Kaum in Cartagena angekommen, werden unsere Bilderbuch-Vorstellungen der Stadt ziemlich jäh von der Realität zerschmettert. Es beginnt schon mit der Taxifahrt ins Zentrum. Der Taxifahrer will wissen: «Ba’onde-an?» – Yumi fragt verdutzt zurück: «Como?» (Was?). Der Taxifahrer wiederholt: «BA’ONDE-AN?». Nach einem kurzen Moment des Grübelns, welche Sprache der nette Herr mit uns spricht, kann Yumi herleiten, dass er uns gerade fragt, wo wir hinwollen, also auf Spanisch: «Para donde van?». Dummerweise redet er – wie alle anderen Menschen in Cartagena – nicht das schöne kolumbianische Spanisch aus den Telenovelas, sondern Costeño, die Sprache der Karibikküstenbewohner. War wohl nix mit dem schönsten Spanisch Südamerikas. «Sooo en Seich!» quittiert Marco den ersten Cartagena-Fail.
Am nächsten Tag werden wir mit zahlreichen weiteren Fails konfrontiert. Es regnet zwar kaum im November, aber dafür ist es heiss… viel zu heiss. Jeden Tag zwischen 9 und 16 Uhr schwitzt man sogar beim Nichtstun im Schatten und hat keine Lust, irgendetwas zu unternehmen. Meeresbrise? Fehlanzeige. Sooo en Seich! Wir bleiben wenigstens innerlich cool und entscheiden, unsere aktiven Stunden auf die Randzeiten am frühen Morgen zu beschränken. Wir wollen also früh ins Bett und früh aufstehen, aber unsere Ohren lassen keine Zweifel offen: Der Karneval hat bereits begonnen! Die Guggenmusiker marschieren die ganze Nacht durchs Zentrum, mit Vorliebe durch die autofreie Strasse, wo wir wohnen. Früh ins Bett gehen ist keine Option, also raus aus der Wohnung und rein ins Getümmel! Doch die Party, die wir erwarten, gibt’s dort gar nicht. Statt zu feiern, machen die Einheimischen vor allem eines: Sie betrinken sich und liefern sich Strassenkämpfe mit Feuerwerk-Böllern und Rasierschaum-Attacken, während sie von Taschendieben ausgeraubt werden. Salsa-Musik? Tanzende Menschen? Fehlanzeige. Und auf den Strassen wird so viel Feuerwerk abgebrannt, dass unsere Wohnung das ganze Wochenende nach Rauch stinkt. Sooo en Seich!
Enttäuscht kehren wir dem Pseudo-Karneval den Rücken und besuchen in aller Herrgottsfrühe die wirklich wunderschöne Altstadt Cartagenas. Sie ist eine Mischung aus Havanna und Venedig, also in der Kolonialzeit stehengeblieben aber unglaublich gut erhalten. Die Freude währt leider nur kurz, denn abgesehen von den vielen bunten Kolonialhäusern, die sich auf einer riesigen Altstadtfläche dicht aneinanderreihen, tummeln sich mindestens so viele Strassenverkäufer herum. Alle 3 Meter bzw. alle 5 Sekunden wird man nicht nur angesprochen, sondern regelrecht umzingelt, verfolgt und angeschrien. Egal wie oft man ein Angebot ablehnt oder wie sehr man die Verkäufer ignoriert… alle wollen ihre Sonnenbrillen, Sonnenhüte, Bierdosen und Bootstouren in Bargeld umwandeln. Einfach mal irgendwo stehen bleiben, sich im Park oder am Strand hinsetzen, sich verstecken, die Menschen beobachten und die Szenerie auf sich wirken lassen: Fehlanzeige. Die Verkäufer sind überall, lassen nicht locker, versperren einem die Sicht und ersticken jedes Gespräch unter vier Augen im Keim. «Gar nicht so schlimm», meint Marco dazu sarkastisch, «man kann sowieso nur Touris beobachten und über nichts Spannendes reden.» Das stimmt, Einheimische oder so etwas wie ein lokales Treiben gibt es hier schlicht nicht.
Wesentlich kolumbianischer und spannender ist die Miss-Kolumbien-Wahl, die wir zwar live in Cartagena, aber aufgrund der horrenden Ticketpreise nur im Fernsehen mitverfolgen. Die Kandidatinnen – je eine aus den rund 30 «Kantonen» Kolumbiens – sehen alle mehr oder weniger gleich aus. Kein Wunder, die meisten haben mehrere Schönheits-OPs hinter sich und wurden so der kolumbianischen Beauty-Norm angepasst. Dazu gehört vor allem die Vergrösserung – man höre und staune – des Füdlis. Die Statistik bestätigt: Nirgendwo auf der Welt werden pro Kopf mehr Arschvergrösserungen durchgeführt als in Kolumbien! Der sprichwörtlich einschneidende Event ist der 15. Geburtstag, wenn viele Mädchen ihre erste OP von ihren Eltern geschenkt bekommen. Als wir eine Woche später eine kolumbianische Kollegin besuchen, fällt Yumi sofort auf, dass ihre Kollegin seit dem letzten Treffen ein schmaleres Gesicht, dickere Lippen und grössere Brüste hat. Zu den wenigen berühmten Frauen Kolumbiens, die sich angeblich nie den Hintern vergrössern liessen, gehört übrigens Shakira, die mit dem FC-Barcelona-Star Piqué verheiratet ist. In einem ihrer Lieder singt sie unter anderem von den natürlichen Schönheiten Kolumbiens – und meint damit nicht die Frauen, sondern die Natur. Zitat: «Wenn ich Piqué den Tayrona-Nationalpark zeige, will er nie mehr nach Barcelona zurück». Da genau dieser Park mit seinem berühmten Traumstrand nur 4 Stunden von Cartagena entfernt liegt, ist für uns am nächsten Wochenende klar: Ab nach Tayrona! Dummerweise erfahren wir erst vor Ort, dass es in diesem Park zuvor einen Monat lang regnete, so dass wir 6 Stunden in Flip-Flops durch Matsch wandern und am Ende nicht im Meer baden können, weil der Zugang durch Schwemmholz blockiert ist. Sooo en Seich! Jetzt wird auch Yumi sarkastisch: «Wenn Shakira ihrem Piqué diesen Park zeigt, würde er lieber bei Real Madrid Ferien machen!» :-)
Zurück in Cartagena lernen wir Land und Leute immer besser kennen, vor allem unsere Nachbarn. Vor allem nachts. Praktisch jede Nacht feiern sie in unserer Strasse ein Geburtstagsfest. Das geht jeweils ab 16:00 Uhr los (vorher ist es ja zu heiss) und endet je nach Jubilar um 3:00 Uhr (wenn der Grossvater Geburtstag hat) oder um 5:00 Uhr (wenn der Hund Geburtstag hat). Neben Essen, Trinken und Plastikstühlen werden dabei vor allem riesige Lautsprecher-Boxen auf die Strasse gestellt, aus denen die ganze Nacht volle Pulle Partyhits dröhnen. Wir finden zwar mit der Zeit heraus, dass es in Cartagena eine gesetzlich verordnete Nachtruhe gäbe (an Werktagen ab Mitternacht, am Wochenende ab 3:00 Uhr), aber da unsere Nachbarn gut mit der Polizei befreundet sind, gelten bei uns im Quartier andere bzw. gar keine Regeln. Mit Ohropax kommen wir meistens gut über die Runden, aber wenn die Lautstärke und der Bass der Musikboxen sogar Fenster, Türen und unser Bett zum Vibrieren bringen, wird es manchmal schwierig :-) Eins muss man den Einwohnern Cartagenas aber lassen: Sie können wirklich feiern, bis sich die Balken biegen… und einfach nur im Hier-und-Jetzt leben. Das wirkt sich auch auf das Portemonnaie der Einheimischen aus, denn viele sind notorisch pleite. So werden wir z.B. jedes Mal im Supermarkt an der Kasse gefragt, ob wir unseren Lebensmitteleinkauf auf einmal oder in 12 monatlichen Raten zahlen möchten. Und wir staunen nicht schlecht, als selbst der gutverdienende Uni-Professor Jorge, der Yumi Englisch-Privatunterricht gibt, sie um einen Vorschuss von 50 Franken bittet, da er gerade knapp bei Kasse ist und nicht alle Rechnungen zahlen kann.
Eine beliebte Einkommensquelle der oft verschuldeten Kolumbianer sind übrigens Wahlen. Etwas mehr als 20% der Stimmen, welche regionale und nationale Politiker von ihren Wählern erhalten, werden jeweils gekauft. Gemäss aktuellen Umfragen hat jeder zweite Kolumbianer schon mal ein Angebot erhalten, seine Stimme gegen Geld abzugeben. Pro Stimme müssen Politiker etwa 30-90 Franken locker machen, je nachdem wie viele andere Konkurrenten beim Stimmenfang mitmischen. Wer am meisten zahlt, bekommt die Stimme. Das Ergebnis sind korrupte Volksvertreter auf höchster Ebene. Alleine die Stadt Cartagena hat in den letzten 8 Jahren 9 Bürgermeister verbraucht. Dass 8 von ihnen heute im Gefängnis sitzen, ist ein Zeichen des Fortschritts, aber leider mehr Symptom- als Ursachenbekämpfung. Das Hauptproblem ist, dass in Kolumbien mit Geld und Gewaltandrohung immer noch sehr viel möglich ist. Das war schon zu Lebzeiten des berühmten Drogenbosses Pablo Escobar so, der vor allem während den 80er-Jahren seine Geschäftsprobleme mit «plata o plomo» (Geld oder Kugeln) löste. Die Einheimischen, die wir treffen, kommentieren die allgegenwärtige Korruption zwar mit «Ay que peeena!» (Sooo en Seich!), sagen es aber nicht verbittert und blicken optimistisch in die Zukunft ihres Landes.
Vielleicht liegt die positive Stimmung im Land auch daran, dass viele Kolumbianer täglich daran erinnert werden, wie gut es ihnen im Vergleich zu ihren Nachbarn in Venezuela geht. Seit deren Staatspräsident Nicolás Maduro an der Macht ist, läuft so ziemlich alles schief im einst reichsten und heute ärmsten Land Südamerikas. In Massen strömen die Venezolaner über die Grenze nach Kolumbien, weil sie aufgrund der Mega-Inflation und Misswirtschaft im Land kaum noch etwas verdienen. Und falls doch, können sie mit diesem Geld oft weder Nahrungsmittel noch Medizin kaufen, weil es vielerorts schlicht nichts mehr zu kaufen gibt. Täglich treffen wir in Cartagena und auch später bei unserer Reise im Landesinnern auf Venezolaner, die uns ihre unglaublichen Geschichten erzählen. Diejenigen, die es nach Kolumbien schaffen, gehören zu den Privilegierten, die sich die Ausreise leisten konnten. Sie waren in Venezuela Polizisten, Informatiker, Restaurantbesitzer usw. und müssen sich nun in Kolumbien von Tag zu Tag durchbetteln, um zu überleben. Selbst die geldknappen Kolumbianer zeigen sich angesichts des Notstandes ihrer Nachbarn solidarisch und spenden oft ein paar Pesos. Und die ältere Generation der Kolumbianer erinnert sich mit grosser Dankbarkeit daran, dass die Situation einst genau umgekehrt war: Nach der globalen Ölkrise in den 70er-Jahren wanderten viele Kolumbianer mangels Zukunftsperspektive ins damals boomende Venezuela aus und wurden dort mit offenen Armen empfangen. Sooo guet!
Zum Abschluss unseres Aufenthalts bereisen wir noch ein wenig das Landesinnere und realisieren erst jetzt richtig, wie gross und vielfältig Kolumbien ist. Es ist über 3x so gross wie Deutschland und hat nach Brasilien am meisten Einwohner in ganz Südamerika. Mit sehr wenig Zeit und einer grossen To-Do-Liste besuchen wir wie chinesische Turbo-Touristen die 3-Millionen-Stadt Medellín, wandern durch das grüne und wasserreiche Kaffeeanbaugebiet der Zona Cafetera und ziehen uns am Ende noch rasch die 8-Millionen-Hauptstadt Bogotá rein. Alleine der Umstand, dass all diese Gebiete auf über 2000 Meter über Meer liegen, bringen uns leicht ausser Atem. Aber auch die Tatsache, dass Medellín und Bogotá vor nicht allzu langer Zeit noch zu den gefährlichsten Städten der Welt gehörten und heute relativ sicher, sauber und einladend sind, ist ziemlich atemberaubend und ein guter Grund, bald wieder hierher zu kommen!