So habe ich nun die letzte Nacht in der etwas eigenwilligen Hütte verbracht. Der elektrische Ofen verbreitete langsam eine wohltuende Wärme, doch der Wind heulte laut um meine Zelle. Die Wolken hingen grau und schwer über dem Gebirge und die Menschen, die zu ihren weiter entlegenen Hütten liefen, mussten sich gegen den Wind stemmen. Aber immerhin besser in einer Wind umwehten Hütte, als im Auto, denn ich hatte es zumindest warm und bequem. Gestern war von der Wetterlage der Tag ja nicht ganz so berauschend (12 Grad, Wind und Nieselregen), so war es heute zuerst auch bewölkt, aber der Himmel riss auf und die Sonne schien. Ich startete mit vielen Wanderern gegen 9.30 Uhr mit dem Ziel Stirling. Patrick war so lieb und hat mir in Stirling und auch schon in Edinburgh einen Schlafplatz gebucht, so dass ich mir Zeit mit der Weiterreise lassen konnte.
Auf der Fahrt machte ich schon wieder einige Aufnahmen, wobei das Wolkenspiel auch seinen Reiz hatte. Blieb man eine Weile auf dem selben Parkplatz, konnte man auf einmal Berge sehen, die vorher versteckt waren und so langsam sorgte die Sonne dafür, dass es freundlicher wurde. Auch das Wechselspiel der hervorkommenden Sonne war phantastisch. Und ob ihr es glaubt, oder nicht: ich habe dann bei der Weiterfahrt eine Auerhahnhenne gesehen, konnte aber leider an der Stelle nicht anhalten, so dass ich kein Beweisfoto habe.
Die Bergwelt blieb einsam und reizvoll. In den Seen sah ich nun immer häufiger kleine Inselgruppen aus Felden, die mal nackt, mal bemoost oder auch bewachsen waren, Manche mit ganzen Baumgruppen. Vereinzelte „Destinations“ mit zwei oder drei Häusern luden nicht zum Verweilen ein.
Unerwartet stand ich dann in einem längeren Stau. Ein Hinweisschild hatte auf eine Baustelle hingewiesen. Als ich mich sehr langsam an die Ursache des Problems herangearbeitet hatte, stellte ich fest, dass Fällarbeiten die Ursache waren. Es gab da eine ganz eigenwillige Maschine und ich konnte auch filmen, wie in kürzester Zeit die riesigen Tannen fielen. Sie knickten um wie Spielzeug, fielen aber nicht auf die Straße, sondern planmäßig in die entgegen gelegene Richtung.
Kurz vor Thyndrum hatte das Naturschutzgebiet begonnen und ich fuhr in ein weites grünes Tal und die Berge waren entfernter. Der Ginster begann zu verblühen, der Rhododendron begann zu blühen. und das braune Heidekraut wurde grün. Musste das ein Bild sein, wenn die Berge glühten. Die Landschaft hatte sich verändert. Ein breiter Fluss wand sich durch das breite Tal.
Doch dann kam ich an ein Hinweisschild, dass zum Dochart Wasserfall und zu dem Ort Killin führen sollte. Auch wenn mein Navi mich immer wieder zum Umkehren aufforderte, war es gut, dass ich das ignoriert habe. In dem Ort angekommen, parkte ich und bestaunte wirklich ein sprudelndes Wasser, wo viele der Steine am Ufer vom Wasser glattgeschliffen waren und der Fluss seinen Lauf verlegt hatte. Er sprudelte durch eine Brücke, die nur von einem Auto befahren werden konnte, aber wenn man eines sagen muss: Die Schotten haben einfach Zeit. Es entsteht kein Gedränge und abwarten gehört zum Alltag. Hier nahm ich nun auch ein verspätetes Frühstück ein und fotografierte eine alte Wassermühle, die emsig ihr Wasserrad drehte. Es gab aber auch ein großes imposantes Tor, zu dem man einen Schlüssel für fünf Pfund in der Mühle holen konnte. Die Insel im Fluss war die Begräbnisstätte des Clans Macnab, also eine Toteninsel (Buries Island) Man, haben die sich einen Luxus gegönnt. Diese fünf Euro habe ich natürlich nicht ausgegeben, sondern stattdessen noch ein typisch schottisches Haus fotografiert, denn die weißen, alten Häuser, die mich lange begleitet haben, scheinen nun vorüber zu sein und die aus Sandstein gebauten Häuser übernehmen wieder die Herrschaft. Ich bummelte noch durch einige Geschäfte und fuhr zur alten Streckenführung zurück.
Dann sah ich das Schild, auf das ich schon gewartet hatte. Dem Hinweis folgend bog ich wieder von der Straße ab, um in die malerische Gegend zu kommen, die den Dichter Sir Walter Scott beflügelt hatte, sein Gedicht “Die Frau am See“ zu schreiben. Wild romantisch sollte sie sein und wurde im Reiseführer als verwunschene Landschaft beschrieben. Ich fuhr und fuhr, hatte inzwischen den 2. See hinter mir gelassen, aber es kam kein weiteres Hinweisschild. Da kam ich an ein Schloss, dass inzwischen als Hotel umgebaut war und fragte dort. Ich möchte eigentlich gar nicht wissen, was eine Nacht in diesen Gemäuern kostet, aber immerhin erfuhr, ich dass ich dem Weg weiterfolgen sollte und dann zum Hafen käme. Der Hafen war klein. Es gab ein Geschäft, ein Lokal und eine Infostelle, wo ich meine Karte für die Fahrt mit dem Dampfschiff buchte, denn das Gedicht hatte die Gegens so berühmt gemacht, dass nach erscheinen seines Eposses um 1810 immer mehr Besucher diesen Ort sehen wollten. So kam es, dass ein Dampfschiff eingesetzt wurde und zur Erinnerung und zu Ehren des Dichters, wohl auch noch um die Kasse klingeln zu lassen, auch heute noch ein Dampfschiff diesen See befährt. Die Felsen ragen am Ufer aus dem Wasser und ist umspielt vom Plätschern der Wellen. Es gibt nur selten ein Haus, das in der Ferne zu sehen ist. Um den See ist Einsamkeit, Frieden und Ruhe. Die Maschinen stampfen ihren Rhythmus und auf den unbewohnten Inseln im See, die wir passieren hat das Leben seinen Raum. Natürlich habe ich mir hinter das Buch gekauft und habe mir feste vorgenommen, mich hindurchzuarbeiten. Beschwingt verließ ich den Dampfer und wollte nun zügig nach Stirling durchstarten. Ich nahm ein wenig wehmütig Abschied von den Bergen, denn das Land wurde weiter und die Schafherden auf ihren grünen Weiden größer. Da führte mich mein Weg an einer Mauer entlang, die nicht enden wollte und ich meinte vor längerer Zeit ein Haus gesehen zu haben, dass verfiel. Kurzerhand machte ich kehrt und fuhr zurück. Ich hatte mich nicht getäuscht. Wäre es eine Burg gewesen, hätte man wohl von einer Ruine sprechen können, aber was ich nun vor der Linse hatte war eine alte Farm, die dem Verfall überlassen worden war. Ich konnte das Wohnhaus ausmachen. Aus den zerbrochenen Scheiben hingen letzte Gardinenfetzen. In der Küche standen noch einige Schränke. Es gab weitere Wohneinheiten und Schuppen und in einer Remise standen sogar noch Landmaschinen, die wohl seinerzeit einmal genutzt wurden. Was mag hier an Arbeit geleistet worden sein und wie viele Generationen hatte diese Farm ernährt? Wie viele Mitarbeiter haben für geringen Lohn ein eher unfreies Dasein geführt? Wie viel Glück und Unglück hatte es hier gegeben?
Als ich die letzten Aufnahmen von der Gartenseite fertig hatte, stoppte ein Auto und als ich zur Straße kam, stellte der Autofahrer, der inzwischen ausgestiegen war fest, dass ich wohl fotografiert hätte. Wir sprachen miteinander und ich hörte, dass die Farm vor 30 Jahren nach dem Tod der Farmer, dem Verfall ausgeliefert war. Der eigentliche Besitzer hatte vor kurzem geplant, die Bauwerke abzureißen und an dieser Stelle eine Schönheitsfarm bauen zu lassen. Der Farmer, mit dem ich nun sprach und der selber 600 Hektar Land besitzt, wollte dies nicht in seiner Nachbarschaft und hat besagtes Erbe erworben. Was er mit der Farm machen möchte weiß er noch nicht aber auf keinen fall soll dort ein Hotel errichtet werden. „Es hat blühende Zeiten hier gegeben.“ Sagte er, denn auch er sei auf der Farm „dort hinten“ geboren worden und er wies auf ein entferntes Dach, dass man in einer Senke erkennen konnte. Er fragte aber auch nach meiner Reiseroute und gemeinsam steckten wir die Köpfe über meine ausgebreitete Karte. „Sie haben mehr von Schottland gesehen, als ich!“ Lachte er und nachdem er sich mit einem Schmunzeln bestätigen ließ, dass die Schotten netter als die Engländer seien, dachte ich, dass die „Sassenachs“ wie die Schotten die Engländer bezeichnen, wohl doch noch immer als Eroberer gesehen werden. Wie genau dieser Ort hieß, habe ich vergessen zu fragen, bin aber dann wirklich 2 Meilen an dieser Mauer entlanggefahren. Als die Mauer dann um die linke Ecke ging fuhr ich meinem Navi folgend geradeaus, denn ich sollte doch jetzt allmählich nach Stirling kommen, um mein gebuchtes Zimmer zu beziehen. Leider nahm das Navi keine Straße an, egal wie ich es auch versuchte. Aber ich würde mich schon zurechtfinden, dachte ich optimistisch. Und anders als geplant, stand ich nun 3 Meilen vor Stirling wieder ein einem Stau. Es ging nur sehr langsam voran und ich aktivierte bei einem der Stopps schon mal Google Maps. Doch als ich in die Stadt kam, die wirklich echt groß ist und ein Kreisverkehr dem nächsten folgte, verlor ich doch etwas den Überblick, also fuhr ich immer Richtung Schloss, denn Patrick hatte mir gesagt, das mein Hostel, in dem er für mich gebucht hatte, in unmittelbarer Nähe liegen würde. Da ich auf dem Handy nicht ganz klar den Weg erkennen konnte verfuhr ich mich, fragte und bekam natürlich eine sehr gute und hilfreiche Antwort.
Ich erreichte mein Ziel und habe mein Zimmer in einem Monumentalbau. Aber hier ist alles so massig und genau neben meinem Hostel gibt es auf der einen Seite ein ehemaliges, bombastisches Gefängnis mit hohen Mauern (man kann es besichtigen) und auf der anderen Seite liegt das Stirling Highlandhotel und daneben das Coloseo Hotel. Ich bin also sozusagen in bester Gesellschaft und hier ist wirklich alles einfach nur kolossal. Diese Masse an gigantisch alten bauten erschlägt m ich ein wenig, nach all dem, was ich vorher an Naturgewalten und Frieden gesehen habe. Aber dieser Urlaub geht nun so langsam zum Ende und ich werde unweigerlich wieder in den Alltag eintauschen. Eventuell schaue ich mir noch das Gefängnis und das Schloss an und dann geht es morgen nach Edinburgh.