Foillsichte: 18.09.2018
Heute war ein emotionaler Tag.
Ein Tag, wo man mal wieder vor Augen geführt bekommt, dass Freud und Leid so nah beieinander liegen. Und als Hebamme ist es unsere Aufgabe mit beidem umzugehen und die Frauen bestmöglich zu unterstützen.
Die wohl bisher schönste Geburt hier in Afrika hatte ich gleich am Morgen.
Eine Frau kam mit Wehen in den Kreißsaal und erwartete ihr drittes Kind. Ich untersuchte sie gemeinsam mit einer Schwester und laut Befund stand sie relativ am Beginn der Geburt. Für die Schwester war damit die Arbeit getan und sie verließ den Kreißsaal. Doch die Frau bat mich bei ihr zu bleiben- ich tat es gern.
Und wie vermutet, hatte es auch einen Grund. 30 Minuten später erblickte ihr drittes Mädchen das Licht der Welt und sie war so dankbar und glücklich. Es war ein wundervoller Augenblick.
Frauen haben ein Gespür für ihren Körper und einen Mutterinstinkt, der schon besteht, wenn sie schwanger sind!
Ich verlegte die Frau auf Station, sie hielt mich am Arm und fragte nach meinem Namen. Sie lächelte und sagte: ‚Meine Tochter wird Maria heißen und soll genau so liebevoll werden, wie du.‘
Mit schossen die Tränen in die Augen, ich war so gerührt. Freudentränen, welch wunderbarer Begleiter von emotional positiven Momenten. Ich umarmte die Frau und war absolut beflügelt und fühlte mich so geehrt!
Ein unbeschreiblich schönes Gefühl, welches ich noch zwei Stunden genießen konnte.
Denn wie immer in der Geburtshilfe ist nichts vorhersehbar..
Ich erledigte unwichtige Aufgaben, als eine Frau pressend zur Tür herein kam. Sie erwartete ihr zweites Kind. Ich schaffte es gerade noch so sie in den Kreißsaal zu führen und mir Handschuhe anzuziehen, da wurde das Mädchen schon geboren.
Still geboren.
‚Während dein Kind lernt zu laufen, lernt mein Kind mit den Engeln zu fliegen.‘
Als Hebamme denkt man während einer Geburt viel nach über den Ablauf einer Geburt, Risiken und den daraus resultierenden Konsequenzen und vieles mehr.
Doch bei so einer plötzlichen, sehr schnellen Geburt, blieb keine Zeit zum nachdenken. Man handelte lediglich und so war der Schock sehr groß.
Ich hielt das Mädchen in meinen Armen und erkannte, sie ist leider nicht mehr am leben. Schon vor zwei oder drei Tagen muss ihr kleines Herz aufgehört haben zu schlagen.
In mir war sofort einfach nur große Trauer. Die Frau schaute mich so erwartungsvoll an und ich konnte ihr in meinem Blick nur eine Mischung aus Schock, Trauer und Mitleid entgegenbringen.
Sie fing sofort an bitterlich zu weinen und ich folgte meinem Herzen und auch mir liefen die Tränen übers Gesicht.
Es gibt Momente im Leben, da findet man keine richtigen Worte.
‚Pole sana!‘ heißt übersetzt ‚Es tut mir sehr leid.‘
Es sind keine Worte die trösten oder den Schmerz aufwiegen, doch ich wusste, ich konnte nur für sie da sein. Ich hielt sie in meinem Arm und eine Schwester kam herein. Sie sagte lediglich ‚Pole‘ zu der Frau und wollte mir danach erklären, dass ich nicht mitweinen dürfe. Das Zeichen von Schwäche zu zeigen nicht gut sei.
Ich schüttelte nur mit dem Kopf und wandte mich von ihr weg.
Tränen auf Grund von Trauer und Mitgefühl sind für mich ein Zeichen von Emotionen, Menschlichkeit und Stärke seine Gefühle zu offenbaren. Ihre Worte interessierten mich in diesem Moment absolut nicht. Erst später überkam mich die Wut über ihre absurde Forderung.
Ich spürte, wie gut es der Frau tat und das war das Einzige, was zählte.
Ein Student konnte gut Englisch und half mir noch einige Worte zu übersetzen. Es war mir wichtig, dass die Frau weiß, dass niemand eine Schuld trägt für diese Situation. Es ist einfach furchtbar, wer diese Erfahrung erleiden muss. Doch wird sie ab morgen keinen Ansprechpartner mehr haben. Wochenbett, Hebammenhilfe, Psychologische Gruppen zum Austausch? Fehlanzeige! Umso wichtiger war es mir, ihr durch einige Worte zumindest Schuldgefühle zu nehmen.
Leben und Tod sind so eng beieinander und mal wieder wurde mir vor Augen geführt, wie dankbar man für ein gesundes Kind sein sollte. Dass jeder Tag, den man in Gesundheit lebt, ein Geschenk ist, den man auskosten sollte.
Und auf Regen, dennoch auch wieder Sonne folgt.
Ein Junge ist am Dienstende noch mittels eines geplanten Kaiserschnittes geboren und war gesund.
Die Trauer überschattete heute meinen Tag, doch man darf nicht daran kaputt gehen und muss nach vorn Blicken. Heute bin ich noch viel in Gedanken bei der Frau, doch hoffe morgen auf neue, gesunde Kinder, die mit meiner Hilfe das Licht der Welt erblicken und mir wieder Freudentränen ins Gesicht zaubern.