Foilsithe: 23.05.2018
Es ist eine lange Reise von La Ceiba nach Leon in Nicaragua. Es werden zwar direkte Shuttles angeboten, aber wir verspürten wenig Lust, uns 14h in einen kleinen Minibus zu quetschen. Daher entschlossen wir uns, die Reise in zwei Etappen aufzuteilen. Mit einem Hedman Alas Bus fuhren wir nach Tegucigalpa, übernachteten dort und traten am nächsten Morgen die Reise nach Leon mit Tica Bus an. Für die Aus- und Einreise mussten mal wieder Steuern bezahlt werden. Da Tica Bus täglich Verbindungen über die Grenze anbietet, gibt es eine vereinfachte Prozedur, daher sammelte der Mitarbeiter von Ticabus vor Ankunft an der Grenze unsere Pässe und das Geld ein, um für alle Passagiere die Einreiseformalitäten zu erledigen. Wir mussten nur noch unser Gepäck aus dem Bus laden und durch den Zoll bringen und weiter ging die Fahrt. Auch diesmal gab es keinen Stempel im Pass, nur ein kleiner Zettel mit der Bestätigung des Einreisedatums. Diese verdammten Stempel bzw. deren Nicht-Vorhandensein würden uns noch zum Verhängnis werden, doch dazu später mehr.
Just an der Grenze erlitt ich einen Hexenschuss. Super Sache. Besonders wenn man anschliessend gleich nochmal 5h in einem engen Bus eingepfercht ist. Judihui. Darunter würde ich die nächsten Tage noch zu leiden haben, soviel war klar.
Kaum in Leon angekommen erfuhren wir in unserem Hostel, dass es in den letzten Tagen in Nicaragua zu politischen Demonstrationen und gewaltsamen Ausschreitungen gekommen war. 60 Tote seien zu verzeichnen und 25 Personen werden vermisst. Vor einigen Tagen war eine neue Sozialreform angekündigt worden, die eine Erhöhung der Beiträge der Arbeitenden sowie eine gleichzeitige Senkung der Renten um 5% für die Pensionierten beinhaltete. Studenten hatten sich mit den Alten solidarisiert und waren zuerst in der Hauptstadt Managua und später in allen Landesteilen auf die Strasse gegangen, um gegen die Reform zu demonstrieren. Dabei gerieten sie offenbar an andere Jugendorganisationen, die einem Aufruf der (in Nicaragua unbeliebten) Vizepräsidentin und Ehefrau des Präsidenten Daniel Ortega gefolgt waren und ihrerseits ebenfalls auf die Strasse gingen, um die Reformen zu unterstützen. Der Konflikt wurde weiter angefacht durch das Eingreifen der Polizei und von Sondereinheiten, die mit Gewalt und Tränengas gegen die friedlichen Demonstranten vorgingen. Zusätzlich zensurierte die Regierung die Medien, indem verschiedene Fernsehsender von der zuständigen Behörde abgeschaltet wurden. Obwohl die Reform aufgrund der Proteste bereits einige Tage später wieder zurückgenommen wurde, war die Stimmung inzwischen so angeheizt, dass die Studenten sich damit nicht mehr zufrieden gaben. Sie protestierten nun gegen die Korruption im Land und gegen die Medienzensur und fordern den Rücktritt von Daniel Ortega aus der Regierung. Alle wichtigsten Wirtschaftszweige im Land, darunter Strom, Benzin, Wasser, Öl und diverse Medien laufen offenbar im Besitz der Familie Ortega zusammen, wie uns berichtet wurde.
Kris, die Geschäftsführerin in unserem Hostel erzählte uns, dass es auch in Leon zu Ausschreitungen, Strassenkämpfen und Plünderungen gekommen war. Einige Häuser seien sogar komplett ausgebrannt. Schlimm sei es gewesen, Menschen seien durch die Strassen gerannt, verletzt von Tränengas, überall hätte es Geschrei gegeben, die Einkaufsläden seien entweder geplündert oder von verängstigten Einwohnern leergekauft worden, die Geldautomaten seien zwischenzeitlich alle leer gewesen. Inzwischen hätte sich die Lage allerdings beruhigt und es sei wieder Normalität eingekehrt. Ob wir denn nichts davon mitgekriegt hätten, bevor wir nach Nicaragua gekommen seien? Nein, natürlich hatten wir nichts mitbekommen, schliesslich hingen wir auf einer einsamen kleinen Insel im Atlantik herum und genossen die Ruhe und das Alleinsein. Wir waren natürlich nicht auf die Idee gekommen, uns in den Medien über die allgemeine Lage zu informieren, insbesondere da Nicaragua als eines der sichersten Länder in Zentralamerika gilt. Und tatsächlich fällt einem in Nicaragua sofort auf, dass es hier einiges weniger Stacheldraht an den Häusern gibt und vor allem massiv weniger bewaffnetes Sicherheitspersonal vor Läden, Banken und in den Strassen als in den Nachbarländern.
Nun gut, natürlich keine tollen Nachrichten, aber da es wirklich ruhig zu sein schien, entschieden wir uns hierzubleiben und uns trotz der politischen Spannungen wie geplant Nicaragua anzusehen. Schliesslich richtete sich die Wut der Bevölkerung auf die Regierung und nicht auf die Touristen, also hatten wir keine grosse Angst. Tatsächlich trafen wir in Leon einige Male auf Demonstrationsmärsche, diese schienen aber alle sehr friedlich zu sein, und wir kehrten halt dann jeweils gleich um und machten uns in die andere Richtung davon. Dieser Kampf ist nicht unserer und wir wollten auch nicht blöderweise zwischen die Fronten geraten, also war das Beste und Sicherste, sich einfach davon fernzuhalten, und das klappte wirklich gut.
Aufgrund meines Hexenschusses mussten wir leider einige geplante Outdoor-Aktivitäten erstmal vertagen und blieben daher ein paar Tage länger in Leon als geplant.
Leon gilt als die Stadt der Kirchen, ganze 16 (!) gibt es (man fragt sich ja zwangsläufig, wer denn 16 katholische Kirchen in derselben Stadt braucht, und ob die Gläubigen sonntags immer dieselbe besuchen, oder ob es eine Art Rotation der Gebetsstätten gibt). Wir haben jedenfalls zwei Tage damit verbracht, kreuz und quer durch die Stadt zu wandern, und ALLE 16 zu besuchen. Obwohl die meisten Kirchen nicht besonders spektakulär sind, kamen wir dadurch weit herum und sahen viel von Leon.
Die Catedral de Leon ist die grösste Kirche Zentralamerikas. Sie beherbergt einen wunderschönen Altar ganz aus Holz. Das Dach der Kathedrale kann man sogar besteigen, man hat von dort einen guten Ausblick auf die Stadt und auf die naheliegenden Vulkane. Wir kamen dort auf dem Dach mit einem Mitarbeiter ins Gespräch, unterhielten uns auch über die Demonstrationen und er erzählte, dass die Stadt sehr darunter leidet, dass so viele Touristen abgereist oder gar nicht erst hergekommen seien, nachdem sie von den Unruhen gehört hatten. Und tatsächlich, die Stadt wirkte in den ersten Tagen wie ausgestorben, man sah kaum Ausländer, viele touristische Geschäfte blieben geschlossen.
Wir besuchten das Museo de Leyendas y Tradiciones, wo Legenden und Mythen aus der Geschichte des Landes erzählt und traditionelle Feste vorgestellt werden. Das Museum ist zwar ziemlich einfach und heruntergekommen und besteht hauptsächlich aus Pappmaschee-Figuren und etwas Begleittext, aber trotzdem war es sehr unterhaltsam und vielseitig.
Beispielsweise wird der Tanz der Gigantonas vorgestellt, welcher anfangs des 18. Jh geboren wurde und die spanischen Eroberer veräppelt. Menschen verkleiden sich dabei als eine Reihe von bestimmten Charakteren, die die Unterschiede in den sozialen Klassen zur Kolonialzeit repräsentieren. Ein Erzähler gibt dabei Reime und Gesänge zum Besten. Die Tänze werden in Leon zwischen November und Januar aufgeführt.
Eine der populärsten Legenden Nicaraguas ist die des Nahua Oxcarts (Ochsenwagen). Die Spanier brachten Ochsenwagen nach Zentralamerika. Die indigenen Menschen wurden zur Zwangsarbeit missbraucht, viele starben in Goldminen oder auf den Feldern. Viele Eingeborene versuchten zu flüchten, wurden von den Spaniern aber mit den Ochsenwagen verfolgt. Die Indigenen fürchteten daher das laute Klappern der Wagen, da dies für sie den Tod bedeutete. Heutzutage sagt die Legende, dass man den Wagen nachts immer noch hören kann, er erinnert an den Missbrauch der indigenen Völker. Wenn du nachts den Ochsenwagen in den Strassen siehst, kündigt dies an, dass du bald sterben wirst. Der Ochsenwagen dreht nie um eine Ecke. Er verschwindet und taucht in der nächsten Strasse wieder auf. Er erscheint zwischen Mitternacht und 1 Uhr.
In Zentralamerika hatten wir Freundschaft geschlossen mit dem Rum der Marke Flor de Caña, den wir zuvor nicht gekannt hatten. Da der Rum aus Nicaragua stammt, liessen wir es uns natürlich nicht nehmen, einen Ausflug in die «Fabrik» zu unternehmen. Leider stellte sich heraus, dass auf dem Gelände der Rum nicht wirklich hergestellt oder abgefüllt, sondern nur gelagert wird. Daher konnte man eigentlich nur Fässer und Lagerräume besichtigen. 65'000 Fässer befinden sich allein im grössten der 6 Lager. In allen Lagerräumen werden alle verschiedenen Sorten gelagert, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, falls mal eines abfackeln sollte. Interessant ist auch, dass es Zuckerrohr auf dem amerikanischen Kontinent gar nicht gab, bevor es durch die Spanier hier angesiedelt wurde. Der Rum wird als Nebenprodukt des Zuckers aus dem Zuckerrohr hergestellt.
Da auch noch der 1. Mai, und die ganze Belegschaft gerade am Demonstrieren war, war vor Ort auch nichts los. Die Tour ist wirklich eine absolute Touristenfalle, sehr ähnlich der Rum-Tour bei der Marke Havanna Club, die wir schon in Kuba unternommen hatten. Abgesehen von der kurzen Verkostung und der Gelegenheit ein gutes Fläschchen für die heimische Bar zu erstehen, hat sich die Tour daher leider nicht besonders gelohnt.
Wir besuchten ausserdem noch das Museo de la Revolucion, welches über die Revolution und den Bürgerkrieg in Nicaragua informiert. Im Eintrittspreis ist ein Guide inklusive, dabei handelt es sich allesamt um Kriegsveteranen, die auf der Seite der Guerillas gekämpft hatten. Heute lungern sie vor dem Museum herum und warten, dass Besucher vorbeikommen. Javier führte uns durch das Gelände und gottseidank hatten wir uns schon zuvor ein wenig in die Thematik eingelesen, den Javiers schnelles Spanisch war wahnsinnig schwer zu verstehen. Auch er hatte bereits als sehr junger Mann noch im Teenageralter gekämpft und wurde 4 Mal angeschossen, einmal sogar in den Kopf, er zeigte uns die Narben. Nur noch 3 Leben habe er übrig, meinte er grinsend.
Seit der Unabhängigkeit von Spanien 1821 gab es im Land immer wieder Konflikte und Bürgerkriege. Die in Nicaragua verbreitete «Sandinistische Bewegung» geht auf den liberalen General Augusto Sandino zurück, der zwischen 1927 und 1933 mit einer kleinen Truppe Kämpfer den im Land stationierten US-Marines empfindliche Niederlagen beibrachte. Nach Abzug der US-Truppen aus Nicaragua legte Sandino seine Waffen nieder, wurde aber 1934 trotzdem hinterrücks bei einem Bankett von Schergen des Oberbefehlshabers der von den US-Militärs ausgebildeten Nationalgarde, Anastasio Somoza, umgebracht.
Drei Jahre später putschte Somoza gegen die damalige Regierung und ließ sich zum Präsidenten wählen. Damit begründete er eine Dynastie, die das Land fast vier Jahrzehnte beherrschte. Dabei verschaffte er sich einen riesigen Privatbesitz. Die Ländereien, die er sich unter den Nagel gerissen hatte, waren zusammen so gross wie der Staat El Salvador. Nachdem der Diktator in Leon einem Attentat zum Opfer fiel, übernahmen seine Söhne die Kontrolle über das Land. Als ein starkes Erdbeben am 23. Dezember 1972 die Hauptstadt Managua zerstörte und etwa 10.000 Menschenleben forderte, nutzte die Familie Somoza die Katastrophe zur eigenen Bereicherung: Große Teile der internationalen Hilfsgelder leitete sie auf ihre Konten um. So entwickelte sich eine starke Opposition, die Partei FSLN (Sandinisten) trat dabei in den Vordergrund. 1979 ging die FSLN in die Offensive, die revolutionären Streitkräfte eroberten Stadt um Stadt. Am 19. Juli 1979 marschierten die Sandinisten als Sieger in Managua ein, Somoza war inzwischen ausser Landes geflohen.
Warum ich das alles erzähle? Nun, es erscheint einem doch absurd, dass der amtierende Präsident Nicaraguas, Daniel Ortega, selbst ein Sandinist war, selber massgeblich am Kampf gegen den Diktator Somoza beteiligt war. Er, der nun selbst seit Jahren die Macht an sich gerissen hat und gerade aktuell selber Proteste und Demonstrationen seines Volkes unterdrückt und gewaltsam niederschlägt. Wir kommen später nochmals darauf zurück.
Unser Guide Javier nahm uns mit auf das (wenig vertrauenserweckende Wellblech-) Dach des Museumsgebäudes, wo wir die wunderbare Aussicht auf die Stadt geniessen konnten. Wir erzählten ihm, dass wir bereits El Salvador und Kuba besucht und uns mit den dortigen Revolutionen befasst hatten. Erstaunt fragte er uns, ob wir denn also «Linke» seien? Lachend verneinten wir, und erklärten, dass wir uns einfach für die Weltgeschichte interessieren und fasziniert seien vom Gedanken, dass eine kleine Gruppe Leute, die fest daran glaubt etwas verändern zu können, sich auflehnen und gewinnen kann gegen eine viel stärkere Macht. Ja, meint er, sie hätten damals, als sie den Regierungstruppen gegenüberstanden, einfach nichts anderes mehr zu verlieren gehabt als ihre Haut, das habe sie mutig gemacht.
Endlich war inzwischen mein Rücken besser geworden und wir konnten die langersehnte Tour zum Cerro Negro buchen. Jawohl, wir sind einen weiteren Vulkan hinaufgeklettert. Allerdings war es diesmal zum Glück nicht sehr weit, der Aufstieg dauerte nur etwas mehr als eine Stunde, obwohl er wirklich ziemlich anstrengend war. Der Abstieg hingegen dauerte nur eine gute Minute, wir sind nämlich mit einem Schlitten hinuntergerattert! Dies ist eine beliebte Aktivität in Nicaragua, Vulcano Boarding, und sie stand schon lange auf unserer Liste.
Während des Aufstiegs erklärte unser Guide, dass der Vulkan sehr aktiv sei, und ständig überwacht werde. Wenn er einen Anruf erhalte von seinem Büro mit der Nachricht, man erwarte einen baldigen Ausbruch, hätten wir 5 Minuten Zeit um zu flüchten. Aha. Wie weit kommt man wohl in 5 Minuten, fragt man sich da?
Der Vulkankegel ist komplett mit schwarzem Geröll und Asche bedeckt, daher der Name. Die Aussicht auf die Umgebung und in die Krater hinein (es sind deren 5) ist atemberaubend.
Man muss dazu sagen, dass es auch diesmal wieder meine Idee gewesen war, einen solchen Unfug zu unternehmen. Aber ich bin dann schlussendlich diejenige, die vor Angst bibbernd von oben runterschaut, während Jörg arschcool daneben steht und fragt, wann es denn jetzt losgeht. Meine Angst legte sich allerdings, als uns der Guide eine kurze Sicherheitseinweisung gab. Als er erklärte, dass man die Füsse in die Asche rammen muss, um zu bremsen, konnte ich mir das Lachen kaum mehr verkneifen. Jaja, ist schon gut, wir schlitteln zuhause auf Schnee, so anders wird’s wohl nicht sein. War es auch in der Tat nicht, es war tatsächlich sogar einiges langsamer als im Schnee.
Auch diesmal waren wir mal wieder in der Gruppe der Hyper-Sportskanonen gelandet. Alle anderen Leute in unserem Team entschieden sich, auf einer Art Snowboard den Hang runter zu sausen. Sausen ist zwar übertrieben, denn sie lagen in Tat und Wahrheit die meiste Zeit auf ihrem Hintern. Die Snowboardmethode wird auch nur von dem Tourbüro, über welches wir gebucht hatten, angeboten (wussten wir vorher nicht einmal). Alle anderen bieten nur den Schlitten an, da es wirklich ziemlich gefährlich sein kann, hier mit dem «Geröll-Board» hinzufallen.
Ich war jedenfalls froh, dass wir uns für die Schlitten-Methode entschieden hatten, es machte wirklich sehr viel Spass den steilen Vulkanhang hinunter zu düsen und dabei die wunderbare Aussicht zu geniessen. Ein wirklich cooles Erlebnis, ich wäre gleich ein zweites Mal gefahren, wenn ich dazu nicht nochmal den steilen Kegel hätte hinauf wandern müssen. 😊