- von Gastfreundschaft, über Familienzusammenhalt bis hin zu einer hinduistischen Hochzeit
Den Spruch "Come as a guest and leave as a friend" (zu Deutsch: "Komme als Gast und gehe als Freund") habe ich zufällig auf den bunten Straßen Mumbais aufgeschnappt und ihn seit dem nicht mehr vergessen. Warum? Weil es einfach die Wahrheit ist und er das Leben und die Menschen hier in Mumbai nur zu gut widerspiegelt. Diesbezügliche Erfahrungen konnte ich schon innerhalb der wenigen Tage die ich hier bin machen und es werden täglich mehr. Sicherlich war es anfangs schwierig als "Weiße" so oft angeguckt zu werden, aber mit der Zeit lernt man, dass es nichts böses bedeutet und nichts ist, vor dem man sich fürchten muss. Die Menschen sind einfach nur neugierig. Denn macht man einen nächsten Schritt auf diese Menschen zu, sei es ein Lächeln oder ein freundliches Winken, so sieht man jedes Mal die Freude in den Gesichtern der Einheimischen. Noch nie wurde ich auf einer Reise gefragt, ob ich ein Foto mit einem Fremden machen kann, hier kommt es mittlerweile fast täglich dazu und ich möchte nicht wissen, in wie vielen indischen Familienalben ich nun mittlerweile zu sehen bin. Ich hätte vor dem Beginn meiner Reise nie gedacht, dass Touristen in Mumbai solch eine Seltenheit sind.
Denkt man an die schönen Seiten Indiens, so kommt dem ein oder anderen vielleicht die Gastfreundschaft in den Sinn, oder die Großfamilien. Genau diese Erfahrungen durfte ich jetzt schon in dieser kurzen Zeit in der ich hier bin sammeln. Unser Projektleiter meinte, wir können doch mal seine Arbeitskollegin Sejal Doide treffen, damit sie uns die heimischen Märkte zeigen kann. Doch schon beim ersten Treffen wurden meine Erwartungen vollkommen übertroffen. Sie kam uns zusammen mit ihren Eltern vom Hotel abholen und nebenbei lernten wir schon den ersten Onkel von ihr kennen, der zufällig den Chef vom Hotel kennt. Keine 5 Minuten sind vergangen, da erwähnte Sejal, dass sie in einer Woche heiraten würde und wir herzlich eingeladen sind. Unglaublich, in Deutschland würde einem so etwas niemals passieren. Sie hat das Glück ihre große Liebe heiraten zu dürfen. Die meisten Hochzeiten hier in Indien sind jedoch nach wie vor engagiert. Unvorstellbar für uns Europäer.. Dann sind wir zum Markt gefahren und hatten einen tollen Abend. Wir kauften Saris für die Hochzeit, haben Limonade spendiert bekommen und sind dann sogar noch um 22 Uhr zum Chinesen gefahren.
Wir lernten ihren Bruder kennen, der zuvor im chaotischen Verkehr auf seinem Roller plötzlich neben uns stand. Ich dachte erst es sei ein Scherz, bis er uns dann wirklich begrüßte. Er erzählte mir, dass er nächstes Jahr nach Deutschland komme, um seinen Master im Ingenieurwesen zu absolvieren. Bereits dann hatte ich Schuldgefühle, denn er wird es sicherlich nicht leicht haben mit seinem südländischen Aussehen in einer Stadt wie Wismar. Ich erlebe hier so viel Herzlichkeit und er wird nach Deutschland kommen und eher ablehnende Blicke ernten.. das fühlte sich für mich nicht gut an. Ich hoffe nur das Beste für ihn und habe ihm auch angeboten, dass wir uns ja eventuell mal in Berlin treffen könnten.
Schon zwei Tage später waren wir zum Abendessen bei ihrer Oma eingeladen. Es gab traumhaft leckeres Essen!!
Und im Anschluss tanzten wir alle gemeinsam. Jede halbe Stunde gesellte sich dann noch ein neuer Onkel, eine andere Cousine oder eine ihrer weiteren Geschwister zu unserer Runde und auch wenn der Platz begrenzt war, hat es ausgereicht. In Deutschland wäre wahrscheinlich schon nach 20 Minuten die Polizei vorbei gekommen, bei dem Lärm den wir gemacht haben. Aber eine Annemarie Polka in Indien zu tanzen ist einfach unvergesslich! Die Familien sind hier eine Einheit. Zerstrittene Familienverhältnisse scheinen eher eine Seltenheit zu sein. Und so verbrachten wir auch die folgenden Abende und immer wieder wurde uns spezielles einheimisches Essen angeboten, oder wir besorgten Dinge zu unfassbar günstigen Preisen, da 'Mami' so gut im verhandeln ist.
Jedes Mal als wir essen waren, wurden wir gefühlt tausend Mal gefragt ob wir denn noch etwas haben wollen. Oder wenn es und mal schlecht ging, kam direkt die Frage, ob wir nicht zum Doktor gehen wollen. So oft nein zu sagen fühlte sich schon fast schlecht an, aber Familie Doide hat es gern gemacht. Sie meinten immer nur: "Wenn ihr an die Zeit in Indien denkt, müsst ihr euch an all das Schöne erinnern und wir möchten euch alle Leckerein zeigen, die es hier in Mumbai zu naschen gibt!". Das skurrilste war dabei eine Milchspeise, bei der gezuckerte Milch mit Gelatine aufgekocht wird. Diese wurde auf einem Eisblock gekühlt und auf einem Palmenblatt serviert. Angst vor Durchfall?! Neee, quatsch...Kaum... :D
Der Gedanke daran, "fremden" Personen gegenüber so herzlich zu sein ist für mich als Deutsche schon etwas komisch, aber das zeigt doch nur, woran ich arbeiten muss und regt hoffentlich auch den ein oder anderen der diese Zeilen gerade liest zum Nachdenken an.
Aber bereits zu dem Zeitpunkt wusste ich, dass ich Indien als eine Freundin verlassen werde!
Sejals Vater, der wie meiner Metallbauer ist. Auch mein Papa profitiert also von meiner Reise. Der Austausch mit ihm darüber, trotz Sprachbarriere, war sehr interessant.
Und dann rückte der Tag der Hochzeit immer näher. Die Vermählung die wir erlebten, fand an zwei Tagen statt, es hieß aber, das sei nur ein Teil der gesamten Hochzeit.
Am Sonntag, den 19.11.2017, wurden der Braut die Geschenke überreicht. Unglaublich, wie viel goldener und glitzernder Schmuck auf dem Boden lag, sowie tolle Kleidung. Da war ich ja glatt ein wenig neidisch.
Im Anschluss wurden viele Fotos gemacht und dann ging es zum Tanz. Dies fand in einem Saal statt, der zwar völlig heruntergekommen aussah, aber das störte keinen, denn es ging um das Feiern und glücklich sein. Da braucht man nicht viel Geld für unnötigen Schnickschnack drumrum.
Doch der Höhepunkt der Hochzeit fand am Dienstag, den 21.11.2017 statt. Sehr früh am Morgen begannen die Frauen sich schön zu machen. "Schön" ist da eigentlich kein Ausdruck, denn so viel Mühe, wie sie sich für diesen Tag gemacht haben, ist unglaublich. Begonnen bei dem Mehndi (Henna), welches die Frauen auch uns am Samstag auf die Hände gemalt haben, über perfektes Hairstyling und Make-up (die Lidstriche hier sind so traumhaft!) bis hin zu den tollen bunten Saris, sah jede Frau aus wie eine kleine Prinzessin. Da wir auch zu allem eingeladen waren habe auch ich mich wie eine gefühlt. Ich liebe dieses ganze Glitzer, Gold und Bling-Bling hier so sehr! Der Schmuck ist ein Traum!
Nachdem alle Frauen sich verwandelt haben, ging es auch schon zum Ort der Trauung, eine Aula in einer Schule. Wieder einmal keine super prachtvolle Location und diesmal war im Voraus auch noch nicht einmal was aufgebaut.. aber was soll's - es geht doch um die Liebe. Die Zeremonie begann nach langem warten und dauerte für etwa 2 Stunden an. Ein Zauber lag irgendwie in der Luft. Der 'Priester' war hier ein Mönch, welcher all seine Sätze mit einem tiefen "Ohhhhhm" eingeleitet hat. Alle saßen beisammen und sahen den Traditionen zu. Was auch immer sie dort trinken und essen mussten, oder es sich ins Gesicht spritzen mussten- irgendwie war ich froh, das nicht machen zu müssen :D
Die Zeremonie
Danach folge der wohl traurigste Moment der Hochzeit. Ich habe in meinem Leben selten etwas so emotionales und trauriges gesehen. Der Abschied der Braut von ihrem Elternhaus, denn nun zieht sie zu ihrem Ehemann. Die gesamte Familie hat geweint und sich in den Armen gelegen und ich werde wohl nie vergessen wie Sejal nach ihrer Mutter, dem Vater, Oma und Opa geschrien hat. Da konnte auch ich meine Tränen nicht mehr zurück halten.Der Abschied von Papa
Traurig, dass dies in Deutschland etwas beinahe normales ist. Wo bleibt denn da die Dankbarkeit gegenüber der Eltern und Großeltern, die einen ein ganzes Leben lang versucht haben alles zu ermöglichen und einen mit so viel Liebe und Fürsorge bis zu dem Punkt gebracht haben, an dem man jetzt ist? Ich denke jeder in meinem Alter sollte sich darüber einmal Gedanken machen und auch ich werde mir im kommenden Jahr hoffentlich ein wenig mehr einfallen lassen.
Doch trotz all dem bin ich froh in Deutschland aufgewachsen zu sein. Die Freiheit des Einzelnen und gerade die der Frau/des Mädchens ist hier sehr begrenzt. Sejal musste jeden Tag um 22 Uhr zu Hause sein (mit 26!) und schläft in der Nacht vom 21. zum 22.11. das ERSTE mal bei ihrem Mann Gaurav. Daneben fühle ich mich ja fast wie ein schwarzes Schaf. Trotzdem bin ich glücklich wie viel Freiheit ich doch habe und vor allem auch dankbar, dass meine Eltern sie mir immer gegeben haben.
Heirat und Kinder wie hier mit etwa 21?! Nein danke, ich muss mich da selbst erstmal ausleben und die Freiheit genießen. Und jetzt die rosige, rosarote Welt zu entdecken ist da doch genau das Richtige, oder?! :)