Foilsithe: 04.04.2018
1. Respekt :
Das Ding mit dem Respekt ist irgendwie komisch. Einerseits haben die Leute so gar keinen anderseits sehr viel. Beispiele in denen sie viel Respekt haben:
- wenn der Bürgermeister des Dorfes meine Gastfamilie besuchen kommt um über die Arbeit auf dem Feld zu reden (er ist ein ganz normales Dorfmitglied, wurde von den anderen gewählt & ist, wie so viele hier, ein Bauer), dann wird sofort der Fernseher auf die Nachrichten umgestellt, keiner sagt was außer die Eltern, wenn sie explizit angesprochen werden und aus irgendeinem Grund isst man auch nicht. Vielleicht liegt letzteres daran das man Angst hat er könnte es nicht mögen oder weil man zu wenig übrig hat.
- wenn jemand aus dem Dorf stirbt geht man zu der betreffenden Familie, übergibt ihr etwas zu essen, spricht sein Beileid aus. Am Tag vor der Begräbnis versammelt man sich vor dem Sarg, zündet Kerzen an, trinkt Soft Drinks & isst Kekse & raucht eine Zigarette damit die Seele gute Träume hat.
- in der Schule: die Kinder haben immer saubere Sachen, sind gekämmt & haben eine Uniform an. Wenn sie etwas davon nicht haben schämen sie sich zu kommen. Diese Erfahrung konnte ich machen. Eines Tages kam ein Kind nicht ins Kulturhaus, da es keine sauberen Klamotten hatte. Nachdem Johanna und ich sagten das es kein Problem sei, war es höhst erfreut. Dennoch sind Kinder oft ziemlich gemein. Es gab durchaus Fälle wo Kinder andere gehänselt haben weil sie mit den gleichen Klamotten wie am Vortag oder mit löchrigen Klamotten zum Kulturhaus kommen. Ich habe natürlich versucht das zu verbieten in dem ich gesagt habe:,, es ist nicht wichtig was ihr anhabt wenn ihr kommt. Hauptsache ihr kommt um etwas zu lernen, weil im Leben zählt das man was im Kopf hat und nicht an hat :D
- wenn meine Gastfamilie in die Großstadt Puerto Maldonado fährt oder um die Klamotten zum Waschen von Angel abholt, dann ziehen sie feine saubere Klamotten an, kämmen sich & befeuchten ihren Kopf mit Wasser damit die Haare mal liegen
2. Hygiene : man mag es nicht glauben aber das ist den meisten Menschen & vor allem meiner Gastfamilie sehr wichtig. Was versteht man darunter? Zuallererst muss man jeden Tag seine Klamotten waschen, da allerlei Viech im hohen Gras wohnt und man es sonst in die Wohnung trägt & von Zecken oder Isango übersät ist. Zudem ist es auch so, dass nach Schweiß riechende Klamotten Mosquitos anziehen und dann alle darunter leiden. Deswegen muss man sich auch jeden Tag duschen. Manchmal auch mit Kleidungsseife, um alle Insekten auf der Haut zu vertreiben. Auch die Gummistiefel werden regelmäßig gewaschen damit man keinen Fußpilz bekommt. Mein Gastvater geht dabei immer sehr akribisch vor und wäscht sich mit ihnen :D. Man schneidet sich auch relativ regelmäßig mit einer Rasierklinge die Finger- & Fußnägel. Außer mein Gastbruder. Dem gefallen lange Fingernägel. Er lässt sie solange wachsen bis sie abbrechen und leidet dann sehr an dem Verlust.
Ich konnte auch bei einem Taxifahrer beobachten das er sehr lange Fingernägel hatte.
3. Man zieht sich immer die Schuhe aus, wenn man in ein Haus geht. Es gibt eine Schule im Dorf ,,Cruze" in der die Kinder in Schuhe vor ihr ausziehen und den Boden wischen. Meine Gastmutter erzählte mir ganz stolz und mit Begeisterung, dass die Söckchen ganz sauber sind. Sie wollte mir nämlich beibringen, dass ich meine Schuhe im draußen befindenden Bad ausziehe, weil es immer schlammig ist. Das Problem ist, dass ich immer Socken trage in die ich meine Hosen stopfe, damit ich nicht von den Mosquitos zerstochen werde & keine Tiere in meine Hosen klettern und sie danach extrem schmutzig und nass sind, weil sich eh keiner an diese Regel hält.
4. Nächstenliebe: die Menschen sorgen sich hier noch um andere. Meine Gastmutter kümmert sich zum Beispiel um einen krebskranken alten Mann der keine Familie hat. Sie wechselt ihm die Windeln, kauft für ihn ein, kocht für ihn. Sie borgt vielen Menschen Geld, lädt Rutman zum Essen ein & teilt was immer sie auch hat. Mein Gastvater gibt gerne Alkohol was. Was wirkt wie ein Magnet, da viele kein Geld übrig haben um es für Alkohol auszugeben und sich gem auf Kosten anderer betrinken. Meine Gastfamilie lässt auch andere bei sich schlafen, wenn jemand betrunken ist oder keinen platz im Haus hat, weil Besuch da ist und zu wenig Betten zur Verfügung stehen.
5. Die Liebe zur Familie : meine Gastfamilie sorgt sich größtenteils für einander. Mein Gastvater hat Blut an meine Gastoma gespendet und ist dafür mit meiner Gastmutter ins weit entfernte ,,Tingo Maria" gefahren. Sie waren insgesamt eine Woche weg und planen Sie aufzunehmen, wenn sie wieder stabil ist. Meine Gastmutter sagte :,,auch wenn meine Mama nicht mehr lange lebt, dann kann ich sie wenigstens noch in den letzten Tagen sehen". Sie telefoniert sehr viel mit ihr und auch mit ihrer Tochter, die für 3 Monate in Arequipa wohnt, um einen Aufnahmetest für ein Medizinstudium macht. Meine Gasteltern kaufen ihren Kindern auch alles mögliche damit sie glücklich sind und sich vervollkommnen können. In dem Fall meiner Gastbrüder sind es nur Fussballsachen. In dem Fall meiner Gastschwester sind es Bücher und die Möglichkeit auf gute Bildung. Das Ding ist nur. .. körperliche Liebe in Form von Umarmungen und Worten gibt es nicht wirklich. Und das ist so schade. Wenn man das dann mal bei anderen sieht blüht einem richtig das Herz auf. ich könnte dann immer heulen.
5. Früh aufstehen und schnell arbeiten: die kapitalistische Werte haben sich auch hier schon etabliert. Ich glaube aber das liegt größtenteils auch an der Hitze. Natürlich entflieht man ihr beim arbeiten, wenn man früh aufsteht. Denn wenn es regnet, dann schläft alles den ganzen Tag und alles funktioniert irgendwie langsamer. Man fühlt sich aber auch echt matschiger und es wird verhältnismäßig echt kalt. Es fängt an mit einem Luftzug, dann sinkt die Temperatur rapide ab, dann regnet es. Meine Kinder haben einmal gesagt :,,wenn kein Papagei den Himmel kreuzt, dann wird es regnen". Ich glaube sie haben damit tatsächlich recht. Man sieht sie nämlich echt nie wenn es regnet, aber niedlich ist es schon das sie sich ihre eigenen Regeln aufstellen um Ereignisse in der Natur bestimmen zu können ♡.
Zurück zum Thema: ich habe beobachtet, wie die Kinder hier ständig angeschrien werden etwas schneller zu machen. Eigentlich hört man fast ständig wenn man an einem Haus vorbei geht :,,rápido! ". Was ist daran so schlimm? Es erwachsen Kinder daraus, die sehr nervös und vorallem ungeduldig sind. Und das ist unglaublich schlecht. Sie wollen alles sehr gut machen, um allen zu gefallen, dürfen es aber nicht weil es für die Eltern wichtiger ist das sie es schnell machen. Zwei Fragen stelle ich mir dann immer: 1. Wie soll man da bitte etwas lernen? 2. Warum machen die Menschen sich sogar im Regenwald, weit ab von der Zivilisation so einen Stress? Die Folge ihrer Ungeduld sind völlig eingeschüchterte Kinder, die denken das sie alles falsch machen, schnell aufgeben, wenn etwas nicht klappt und Angst haben zu versagen. Ich musste leider beobachten wie ein 10 jähriges Kind ein einfaches Puzzle für 5 jährige nicht zuende gemacht hat, weil in seinen Augen zu schwer war, weil er es nicht schnell machen konnte. Er ist dann weg gegangen. Mit Geduld hätte er das sicherlich geschafft und danach wäre er stolz gewesen und wäre beim nächsten mal garantiert schneller gewesen. Es fällt ja kein Meister vom Himmel. Und wenn man so schon anfängt zu leben, wie soll aus einem dann etwas werden?
6. Hass gegenüber Reichen & Angst vor dem Reichtum :
Meine Chefin erzählte mir dass man meinen Chef hasst, da er der einzige ist der Geld im Dorf hat. Dieser Hass äußerte sich auch in den Reden meiner Gastmutter, die mit einer großen Verachtung sagte, dass die Familie unglaublich viel Alkohol kaufen kann oder wenn sie wollte das etwas einfacher im Kulturhaus ablief und abwertend sagte:,,dein Chef hat doch Geld. Er kann auch einmal darin investieren ". Sie stellte ihn auch häufig als faul dar, obwohl sie eigentlich keine Ahnung hatte wie viel er arbeitete. Natürlich kann man seine Arbeit und die Arbeit mit den Bauern, welche in Holzhütten überhaupt nicht vergleichen. Die Menschen die für den Vater meines Chefs (Angel) in einer Holzmanufaktur arbeiteten bekamen 50 soles am Tag. Johanna und Kike bekamen für eine Tour mit EINEM Touristen 70 $ also umgerechnet 210 soles. Die Touren waren für mindestens 3 Menschen angesetzt -> also 630 soles für eine 3 Tages Tour. Das ist natürlich ein krasser Gegensatz, aber die Menschen sehen oder wollen gar nicht sehen, dass diese Familie sich sehr für das Wachstum der Gemeinschaft bemüht. Mit dem Kulturhaus wollen sie nicht nur den Kindern eine Möglichkeit zur Bildung geben, sondern auch Frauen zeigen wie man mit traditionellen Mustern genähte Jutebeutel herstellt. Sie plant diese Beutel in Peru und in Europa (sie wird mir in Airequipa 30 mitgeben damit ich sie für je 15 Euro in Deutschland verkaufe) zu verkaufen um Geld für die Gemeinschaft und sich zu erhalten. Mein Gastvater erzählte mir auch, dass sie planen die Gemeinschaft anzumelden, damit man sie schnell im Internet findet und sie schön zu gestalten, damit mehr Touristen kommen. So soll das Geld in der Gemeinschaft bleiben und Florida Baja soll daran wachsen. Dieses Prinzip des Geldes ist schon in der Gemeinschaft fest verankert : das Geld bleibt größtenteils dort wo es ist, da die meisten Bauern ihre Ware an die Menschen aus dem Dorf verkaufen. Das Telefon meiner Gastmutter ist deswegen auch jeden Tag fast von den ganzen Anrufen explodiert und ich hörte ständig:,, Yuka? Du willst Yuka? Camilo oder Ali! Holt Yuka!". Daraufhin fuhren sie zum 20 Meter entfernten Feld, rissen die Bäume heraus, trennten mit der Machete die Yuka (es ist wie die Kartoffel eine Wurzel) ab und sammelten diese in einem Reissack. Entweder brachten sie den Sack dann mit dem motorrad zu dem Einkäufer (konnte auch eine Person eines anderen Dorfes sein ) oder die Person kam selbst. Eigentlich durften die Einkäufer nur bis 17 Uhr anrufen, da es dort noch hell war aber bei manchen machten sie (meist waren es 2 Familienmitglieder) eine Ausnahme und fuhren sogar noch bei Nacht um 21 Uhr heraus.
Meine Gasteltern waren sehr mit allen aus dem Dorf verbunden. Der gemeinsame Nenner aller war die Armut. Man sprach ständig davon, dass man kein Geld hatte. Und als ich mich darüber ausließ das ich zuviel arbeite und Volentäre, die freiwillig arbeiten eigentlich nicht so viel arbeiten dürften, glänzten die Augen meiner Gastmutter sehr stark. Sie sagte:,, ich dachte du bekommst dafür Geld, so wie die anderen Volentäre". Dann machte Sie ständig Kommentare dass es ungerecht sei wie viel ich arbeite und das man da doch was machen sollte. Seit diesem Tag verstanden wir uns mehr.
Dieser gemeinsame Nenner brachte aber auch die Folge, dass die jenigen die mehr hatten, so wie mein Chef, diskriminiert wurden. Und so kam es, dass meine Gastmutter, als sie nach Lima flog um ihrer kranken Mutter das Blut meines Gastvaters zu spenden, zu mir sagte :,, Ksenia erzähle bloß keinem das ich nach Lima reise! Ich will nicht das das irgendjemand aus dem Dorf erfährt! ".
Die Sache mit der Armut war aber auch ein zweiseitiges Schwert. Man kaufte sich ja trotzdem Luxusgüter wie Smartphones oder riesige Musikboxen, die man volle Pulle aufdrehte. Meine Gasteltern waren auch beschämt was ihr essen anging, wenn der Bürgermeister kam, da dieser ständig Tiere aus dem Regenwald aß und sie sich das nicht leisten konnten. Deswegen räumten sie auch ständig das essen weg. Meine Gastmutter sagte dazu einmal:,, ich will ja nicht das er denkt wir sind arm, wenn er unser essen sieht".