Foilsithe: 07.03.2023
Dann verabschiedete ich mich von Romash, der noch eine Woche auf den Fidschis verbringen wollte, bevor er sich mit seiner Freundin in Japan trifft. Ich meldete mich bei Carlos, dem Portugiesen vom BBQ, der mir eine kleine spezielle Port Vila Tour anbot. Carlos lebte in den letzten Jahren in Indonesien, Salomonen, Papua-Neuguinea und seit 8 Jahren auf Vanuatu auf der Insel Efate. Er spricht 5 Sprachen: Portugiesisch, Englisch, Französisch, Bislama und die Landessprache in Papua-Neuguinea. Er ist Hobby-Musiker und spielt Akkordeon und Mundharmonika in unterschiedlichen Bands. Obwohl er hier zu den wohlhabenderen Menschen gehört, ist er nicht in der Blase der Wohlhabenden gefangen, wie viele andere hier ansässigen westlichen Menschen. Er pflegt einen sehr guten Kontakt zu einer sehr ärmlichen Community und gilt hier als Vermittler zwischen arm und reich. Er arbeitete jeweils für die Regierung der Länder in denen er lebte und hat in Port Vila eine Anstellung als Finanzmanager für die Polizei und erlebt hautnah die Korruptionsgeschichten. Doch seine Arbeit ist mittlerweile nur noch Mittel zum Zweck, denn seine eigentliche Leidenschaft ist die Liebe zur Natur. So wurde er früh von dem Vater eines guten Freundes geprägt, welcher sich in Portugal gegen die Anwendung von Pestiziden einsetzte und anfangs als Spinner verschrien war. Doch Carlos bemerkte irgendwann, dass seine Ideen und Ansichten der Wahrheit entsprachen. Seine Bewunderung für diesen mutigen Mann wuchs und er war so von diesem Moment, in dem ihm bewusst wurde, wie viel Recht dieser Mann mit seinen Behauptungen hatte, berührt, dass er bis heute ein Feuer in sich brodeln hat. Ein Feuer, welches für die Natur und gegen die Ausnutzung dieser brennt. Er lebte in Port Vila lang direkt an einer Lagune, welche von Plastikmüll und diversen Giften verseucht war. Vor der Arbeit am Morgen, drehte er immer eine kleine Runde mit seinem Kanu und machte sich recht bald zur Aufgabe immer etwas Plastikmüll einzusammeln. Doch er war da auf einen verlorenen Posten und seine Mühen waren aufgrund des geringen Umweltbewusstseins der hier lebten Menschen vergebens. So begann er mit den einheimischen Menschen mehr und mehr in Kontakt zu treten. Zunächst befragte er die Fischer, welche alle einen enormen Rückgang der Fischbestände und sogar Fischsterben in der Lagune beklagten. Weiterhin ging er zu einer armen Community auf der anderen Seite der Lagune und erkundigte sich bei denen über ihre Beobachtungen. Auch diese gaben an, dass sich das Wasser der Lagune in den letzten Jahren durch die Erbauung von neuen Resorts und dem vielen Plastikmüll von türkisblau zu grün gefärbt hat. So machte er mehr und mehr die Verschmutzung zum Thema, schaffte ein Bewusstsein in den Köpfen der Einheimischen, zeigte Lösungsansätze auf und hatte erste Unterstützer und Helfer für seine Vorhaben. Doch die Unterstützung war immer noch zu wenig und die Fortschritte waren marginal. Also ging er zum Chef der Community und bat ihn, die Jugendlichen, welche nichts zu tun hatten und als Marihuana-Gang abgestempelt waren, zu rekrutieren und sich gegen die Verschmutzung einzusetzen. Doch der Chef und auch andere Männer der Community zeigten sich stark pessimistisch, hielten diese Idee für unmöglich und verweigerten ein Gespräch. Carlos war enttäuscht und leicht erzürnt und suchte daraufhin selbst den Kontakt zu der Marihuana-Gang. Er verbrachte ein paar Abende mit ihn bei Bier, Kava und dem einen oder anderen Joint und begann mit ihnen über die Lagune zu sprechen. Und es dauerte nicht lang und ihr Bewusstsein wuchs und ihr Wille zum Helfen war geboren. Und nach dem Schneeballprinzip, bei dem jede Person die Information wieder weitergab, vergrößerte sich die Anzahl der Helfenden. Nun war der Impact so gewaltig, dass sie es gemeinsam schafften die Lagune und andere kleine Flüsse von den Verschmutzungen zu befreien. Doch den Stein den er damit ins Rollen brachte, sollte erst der Anfang eines langen Kampfes sein. So startete er Aktionen zur Neubepflanzung der Ufer mit Mangroven, kleine Plastikflaschenrecyclingprojekte, bei denen diese für Abgrenzungen für Gärten oder Behälter für Blumen genutzt werden. Weiterhin ist er mittlerweile mit einer Nachrichtensprecherin in Vanuatu im Kontakt, welche regelmäßig auf den einzigen im Vanuatu existierenden TV-Kanal über Fortschritte, Ergebnisse und Probleme berichtet, über das Radio werden Müllsammelaktionen verbreitet, er hatte ein Aktionstag mit über 2000 Helfern in der Hauptstadt organisiert, er hatte zwischenzeitlich die Herstellung von der hier ansässigen Plastikflaschenfabrik gestoppt, Plastiktüten wurden seit 2018 in gesamt Vanuatu verboten und Bauprojekte von Firmen in unmittelbarer Nähe der Lagune nicht gestattet. So ist das Wasser nun weitestgehend plastikflaschenfrei, doch die Qualität ist nach wie vor noch nicht auf dem Stand von vor 15 Jahren. Die Regierung ist mittlerweile auch mehr und mehr involviert, er steht im engen Austausch mit dieser und sie wird durch Nachrichtensendungen auch mehr zu Maßnahmen gedrängt. Zudem war eine französische Ministerin vor Ort und hat sich die kleine grüne Revolution erklären und zeigen lassen und entschieden, der Community ein kleines „grünes“ Lehrzentrum zu finanzieren.
Carlos hat vor ein paar Jahren entschieden sein Auto zu verkaufen und nur noch mit dem Fahrrad zu fahren, was für Vanuatu total unüblich ist. So ist ein weiteres Projekt auch andere von den Vorteilen des Fahrradfahrens zu überzeugen. Mittlerweile hat er den ersten Fahrradclub auf Vanuatu gegründet und Gelder von der Regierung erhalten, welches er für die Finanzierung von Fahrrädern für Kinder in der Community nutzte. Zurzeit ist er dabei einen Fahrradweg am Ufer der Innenstadt entlang zu planen und dafür die Gelder der Regierung zu beantragen. Und die Chancen stehen gut. So bekommt Vanuatu als Opfer der Klimakrise viel Geld von westlichen Ländern gezahlt, welches neben in die Taschen der korrupten Politiker auch gern in Projekte gesteckt wird, sofern es welche gibt. Aber schon irgendwie skurril, dass die Schuldigen für die klimabedingten Veränderungen und Schädigung anderer Länder und Menschen identifiziert sind, aber nichts weiter als eine Art Ablass zahlen müssen. Und der Ablass ist dabei wohl so gering, dass es sich lohnt Umwelt und Menschen weiterhin zu schädigen. Das ist so, als wenn ich eine Bank überfalle, dabei eine 1Mio Euro erbeute, erwischt werde und als Strafe dann 1000Euro zahlen muss. Ich kenne die Relation bei der ganzen Geschichte nicht, doch bei dieser Angelegenheit geht es dann nicht nur um materiellen, sondern auch um einen humanen und eben Umweltschaden.
Naja, als ich dann Carlos besuchte, nahm er mich mit in die Community, in der an diesem Tag eine Veranstaltung mit einem BMX-Champion aus Westaustralien organisiert wurde. Solche Projekte sollen das Bewusstsein der Kinder schärfen, die Motivation für ein Engagement erhöhen und das Fahrradfahren schmackhafter machen. Ich war auf jeden Fall maximal von der Vorstellung begeistert und hätte ich nicht so viele Jahre in meinen Knochen, hätte ich mir womöglich zeitnah ein BMX besorgt. Er führte mich durch die Lagune, stellte mich unterschiedlichen Menschen vor. Unteranderem einem 12 jährigen Mädchen, welches von ihren Ideen und Aktionismus an Greta Thunberg erinnert und Carlos sie schon die zukünftige Premierministerin nennt. Er zeigte mir die Lagune von der Seite der Community, ein kleiner Junge zeigte mir wie man Mangroven pflanzt und ganz stolz welche sie vor 3 Jahren pflanzten und mittlerweile gut gewurzelt und über einen Meter hoch waren. Dann zeigte er mir den Ort, wo er mit der Marihuana-Gang zusammensaß, der Ort wo das kleine Bildungszentrum entstehen soll und er fuhr mit mir zu einer Mülldeponie, wo der gesamte Müll der Insel einfach in der Natur entsorgt wird. Und immer wieder trafen wir Menschen, welche in Projekte involviert waren und die er kannte.
Für mich ist er der Che Guevara von Vanuatu, der für eine grüne Revolution kämpft. Seine Gabe ist es vor allem Menschen zu verbinden und sie für etwas Gutes zu motivieren. Seine diplomatische und wenig ermahnende Art und die Kommunikationsform die das eigene Denken aktiviert, scheint dabei eine sehr hilfreiche Eigenschaft zu sein. Die wenig komplexen Strukturen und kürzen bürokratischen und kommunikativen Wege sind hier in Vanuatu zusätzlich möglicherweise ganz vorteilhaft. Allen voran ist es mit Sicherheit das gleiche Ziel vor Augen zu haben und die Kraft und der Willen der Gemeinschaft, der Masse, welcher diesen geradlinigen Weg ebnete und immer noch ebnet. Denn nur durch die Chefs der unterschiedlichen Communities, welche auch politische Power besitzen, den Reportern, anderen Freiwilligen Helfern und vor allem den Jugendlichen und Kindern ist es zu verdanken, dass sich hier etwas bewegt und der zwar relativen späten, aber dafür sehr kräftigen Auswirkung des Turbokapitalismus und damit verbundenen Verschmutzung abmildern oder gar entgegenwirken. Und es ist ein Paradebeispiel anders als gewöhnlich Top-down Dinge zu verändern, sondern von unten nach oben – Bottom-up. Und da möchte ich weiter auf die Lobeshymne auf die Gemeinschaft des letzten Textes einstimmen und bin davon überzeugt, dass man durch gemeinsame Ziele und Projekte eine Gemeinschaft formen und diese wiederum zu einem individuellen Wohlbefinden aller Beteiligten beitragen kann. So sind viele der schon abgeschriebenen und hoffnungslosen Jugendlichen der Marihuana-Gang mittlerweile in Australien auf Feldern tätig und sparen sich ein kleines Guthaben an, um dann hier in Vanuatu sich etwas aufbauen zu können. (Neuseeland und Australien sind wohl von vielen Menschen der pazifischen Inseln ein Ort um Geld anzusparen, um mit diesen dann ein eigenes Leben im Vanuatu aufzubauen.) Aber ich denke die Erfahrungen etwas bewirken zu können und etwas aus eigener Kraft zu schaffen, hat das Gefühl von Selbstwirksamkeit und Selbstvertrauen bei den Jungs hervorgerufen und sie somit empowert ihren eigenen Weg zu gehen. Und die Hoffnung von Carlos ist es nun, dass sie nach ihrer Rückkehr neben ihren privaten Zielen, weiterhin den grünen Gedanken mitteilen und weiter auf der grünen Welle mitschwimmen.
Und ich habe schon von unterschiedlichen Menschen gehört, dass wohl der Klimawandel eines der größten Chancen sein könnte, die Menschen auf der ganzen Erde wieder etwas mehr zusammenzubringen und es als großes menschliches Projekt angesehen werden könnte. Dafür müsste man sich nur einig sein, was der richtige Weg ist. Ich denke dieser wird wohl mit mehr Verzicht einhergehen, was sich häufig nach Verlust und Rückschritt angefühlt. Doch übt sich jeder in Verzicht für die Erhaltung unserer Erde, ist es vielleicht ein gutes Gefühl und weniger mit Verlust verbunden. So könnte man dann vielleicht unsere Gedankengänge und folgernd unser Verhalten dahin verändern, dass es nicht mehr cool ist ein großes Haus, Auto zu haben oder weite Reisen zu machen, sondern eher bescheiden zu leben und sich mit den Menschen in seinem Dorf oder seinem Stadtviertel zu begnügen. Also ein Schritt zurück könnte zum Fortschritt werden.
Am Abend waren dann noch eine Freundin mit ihrem Sohn zu Besuch, welche bei Carlos emotionale Unterstützung suchte. So ist Carlos neben seinem grünen Aktivistendasein auch eine Art Vater und Bruder für die hier lebenden Menschen. Wirklich ein Mensch, der sehr inspirierend ist. Doch wie bei jedem Menschen gibt es auch in seinem Leben neben den Sonnenseiten auch die Schattenseiten. So leben seine Frau und seine beiden Töchter in Australien und wie ich weiß, geht’s der älteren Tochter psychisch nicht gut. Aber Carlos sprach weniger über seine Familie und hielt sich dahingehend eher verdeckt. Es wird alles seine Gründe haben, aber ich denke Carlos Aktivismus ist somit auch eine Form von Individualismus und bringt hierdurch auch seine Opfer mit sich.
Naja, ich musste dann auf jeden Fall noch eine Nacht länger in Port Vila bleiben, da ein Orkan, welcher Neuseeland wohl stärker traf, Vanuatu streifte. Dadurch regnete und stürmte es sehr viel und mein nächstes Ziel, die Insel Pele, welche nur wenige Bootsminuten von Efate entfernt liegt, nicht zu erreichen war. Die Stärke dieser Orkane wurde wohl aufgrund des Klimawandels in den letzten Jahren immer stärker, so traf ein Wirbelsturm 2018 Efate, welcher mit über 300km/h über Port Vila fegte und zu 90% zerstörte. Zu diesen Unwettern hat Carlos Band auch einen Song geschrieben: https://www.youtube.com/watch?v=5_GMcrZD8_A
Einen Tag später machte ich mich dann auf den Weg. Anstatt mit dem vom Touristenbüro angebotenen Bus für umgerechnet 50Euro, fuhr ich mit einem öffentlichen Bus für 4Euro zu einem Hafen im Norden der Insel und wurde dann mit dem Boot von einem Bewohner der Nachbarinsel mitgenommen, der mich auf Pele bei Magret und John aussteigen ließ. Der Ort war traumhaft und das Wetter dann auch mal zur Abwechslung sonnig. So verbrachte ich 2 Nächte auf dieser Insel und erkundete schnorchelnd das Riff und zu Fuß die Küste der Insel. Leider musste ich dann auch wieder einen Tag früher abreisen, da erneuter Regen und Wind angekündigt waren und einen Bootstransport auf die Hauptinsel einen Tag später wohl nicht möglich gemacht hätte. So verbrachte ich noch eine Nacht in einem Hostel in Port Vila und durfte noch die Begegnung mit Hans, einem Belgier, machen. Er war ehemaliger Manager einer großen Brauerei und entschied sich aufgrund von zu viel Stress seinen Job aufzugeben und lebte in der Folge mehrere Jahre in Indien und wurde Yogalehrer. Heute lebt er in Bulgarien, gibt dort Yogaunterricht und ist während der Winterzeit, in der er für seine Pelletheizung mittlerweile bis zu 25Euro pro Tag zahlen müsste, in der Welt unterwegs. Meine letztes vanuatisches Geld investierte ich in Essen auf den lokalen Gemüse-, Obst- und Essensmarkt und setzte mich dann am Abend mit vollgestopfter Plauze in den Flieger auf die Fijis.