Foilsithe: 18.10.2017
Cartagena
Das fühlte sich komisch an, Festland unter den Füssen zu haben. Es schaukelte weiter. Wir strebten nach unserem einmaligen Segeltörn als erstes nach einer Süsswasserdusche mit ausgiebiger Pflege. Im Hostelzimmer bestaunten wir die paradiesischen Fotos unserer fünftägigen Bootsreise. Kaum zu glauben, welches Glück uns auf diesem Trip heimsuchte.
Das Schlendern durch Cartagena zeigte uns schnell, dass es sich um eine geschichtsträchtige Kolonialstadt handelte, die viele schöne Plätze zu bieten hatte. Zusätzlich fühlten wir uns privilegiert, diese wunderschöne Stadt per Segelschiff erreicht zu haben. Die Piraten taten es ebenso und rissen das Gold an sich.
Den ersten Abend in Cartagena verbrachten wir, wie könnte es auch anders sein, mit unseren Bootskollegen. Er endete mit grossen Bieren, unzähligen Bildschirmen an der Wand und einem Rockkonzert in einem englischen Pub.
St. Gallen trifft auf St. Gallen. Kaum zu fassen, wie klein die Welt ist. Wir flanierten durch die Strassen der Altstadt von Cartagena, als plötzlich Céline, eine Kollegin aus St. Gallen, aus einem Kaffeeladen sprang. „Wueee, was macht ihr da?“ „Sooo guet!“ So entstand aus einer Tasse Kaffee mit ihr ein gemütlicher Abend mit Nachtessen.
Sich Zeit nehmen
Reisen kann manchmal auch ganz schön anstrengend sein. Die Einheimischen, die einem jeden Tag auf der Strasse etwas verkaufen möchten und versuchen, ein situationales Bedürfnis in dir hervorzurufen. Wir wissen doch ganz genau, ob und wann wir etwas kaufen möchten. Zu dem ständigen „Verkäuferlis“ sind sie immer darauf aus, mit dem potentiellen Käufer zu handeln. Du bezahlst zu viel für deine Avocado, wenn du den erst genannten Preis des Verkäufers akzeptierst. Mit der Zeit zerrt das an den Nerven. Solche Unannehmlichkeiten beherrschen jedoch nicht unseren Reisealltag, sondern sind nur kurze Ärgernisse, welche die Freude des Kennenlernens anderer Kulturen nicht trübt. Wir denken oft an unsere Heimat, Familie und Freunde, mit denen wir gerne Zeit verbringen möchten. Das Reisen ist spannend und zum Teil eben ermüdend, da man sich immer mit neuen Eindrücken volldröhnen möchte. Auf unserer Reise begegnen wir immer wieder vielen interessanten Leute, die es nicht alle in diesen Blog schaffen. Jedoch genau von dem lebt das Reisen auch – Begegnungen mit Inhalt oder auch nicht. Die meisten Menschen hier sind zu einem Schwatz bereit. Das erweitert unseren und deren Horizont. Lebensgeschichten anderer Menschen kennenzulernen, ist spannend und lässt einen ein Stück reifen. Es ist so wichtig, sich Zeit zu nehmen für Gespräche. Bestimmt kann man irgendetwas daraus lernen. Wenn dem nicht so ist, dann baut es vielleicht die Menschenkenntnisse aus. Das ist für uns hier einfach umzusetzen, weil wir zu 99 Prozent keinen Termin einzuhalten haben. Wir gehen zum Teil mit dem Fluss und können es passieren lassen. Es ist so wunderschön, zusammen zu reisen. Die einzigen Streitigkeiten entstehen nur dann, wenn wir hungrig sind und keine Nerven füreinander haben. Beide von uns sind nicht guter Dinge, wenn nicht zur passenden Zeit etwas in den Magen kommt.
Weiterreise nach Bucaramanga
Nach zwei Nächten in Cartagena reisten wir weiter nach Bucaramanga, wo Chrigel mit seiner Frau Teresa wohnt. Er ist der Götti von Désis Schwester. Doch so einfach und schnell wie diese Reise geplant war, ging das nicht. Wir dachten, der Transfer zum Busbahnhof dauere nur acht Minuten. Als wir jedoch unseren Wunsch dem Taxifahrer kundtaten, erklärte er uns, wie weit und lange diese Strecke sei – ungefähr eine Stunde! Wir erschraken. Er meinte, dass es mit unserer Abreisezeit möglich sei, sofern er sehr schnell fahre. Nicht nur Gas musste er geben, sondern auch den Weg durch eine gefährliche Gegend in der Stadt nahmen wir in Kauf. Der Taxifahrer erklärte uns, dass Banden Leute auf dieser Strecke kidnappen und in die Berge bringen, um Unmengen von Lösegeld zu kassieren. Die vielen Motorradfahrer stoppen teilweise auch Taxis und verhindern die Weiterfahrt. Zum Glück passierte nichts dieser Art. Jedoch verpassten wir trotz grosser Bemühungen unseres Chauffeurs den bereits bezahlten Nachtbus nach Bucaramanga. Ohne Rabatt mussten wir einen neuen Bus zwei Stunden später für umgerechnet 30 Franken pro Person bezahlen. Es ärgerte uns, jedoch nutzten wir die Zeit, um Blog zu schreiben. Nach der 13-stündigen Reise kamen wir endlich in Bucaramanga an.
Danke Chrigel
Chrigel wartete vor dem Eingang seines 21-stöckigen Blocks auf uns. Die ganze Eingangstür war mit Fotos von uns geschmückt. Wir erlebten einen herzlichen Empfang mit leckerem Schweizer Frühstück. Rösti mit Ei und Schinken – mmmh! Am ersten Tag plauderten wir viel, schrieben Blog, sortierten Fotos, erholten uns von der Reise und krönten die Ankunft mit einem feinen Rindsfilet im bekanntlich besten Steakhouse der Stadt.
Der passionierte Tennisspieler Chrigel lud uns zu einem Tennisspiel mit ihm ein. Das war super und ermöglichte uns, anschliessend die Sauna im Wohnblock noch viel mehr zu geniessen. Am dritten und letzten Abend fieberten wir samt ein paar Kollegen von Carlos, Teresas Sohn, mit dem kolumbianischen Fussballteam für die WM-Qualifikation mit. Wir erlebten bei der Familie Hochreutener eine wunderbar erholsame und lustige Zeit. Wir lachten viel und genossen die schweizerisch humorvolle und aufgestellte Art von Chrigel sehr. Vielen herzlichen Dank für die Gastfreundschaft.
Farbenfrohes Guatapé
Die Reise von Bucaramanga nach Gutapé war aufregend. Kaum drückten wir ein Auge zu, holperte und schüttelte es. Der Buschauffeur heizte durch die Strassen, als wäre er der einzige im Verkehr und im Bus. Die Strassenerhebungen, die wir in der Schweiz als Geschwindigkeitsentschleunigung in den 30er-Zone kennen, nutzte er, um möglichst alle Köpfe der Passagiere an die Decke zu jagen. Oft sahen wir die Leute, das Kreuz machen. Der Chauffeur tat es ebenso. Ihm verlieh das vermutlich eine Art Freipass, so schnell zu fahren, wie er mochte.
Das pittoreske Dorf Guatapé mit den unzählig verschiedenen Farben und der vielfältigen Wandmalerei hat uns sehr gut gefallen. Wir fühlten uns wohl. Die Leute waren nett und hilfsbereit. Der Sport kam in Guatapé nicht zu kurz. Einmal entdeckten wir die Umgebung mit Rennen und erklommen den „Piedra del Peñol“. Das ist ein riesiger Granitmonolith mit 740 Treppenstufen. Er bat eine atemberaubende Aussicht in die Weite.
Die vielen Berge und der künstlich angelegte See baten eine tolle Gelegenheit, ein Mountainbike für drei Franken am Tag auszuleihen. Mit dem Fahrrad statteten wir einen Besuch bei den Mönchen auf dem Berg ab und fühlten uns mit den quietschenden Drahteseln zehn Jahre zurückversetzt.
Kaffee Arabica
Salento war unsere nächste Reisedestination, welche uns in bester Erinnerung bleibt. Das kleine Dorf mit weniger als 10'000 Einwohnern liegt in der Zona Cafetera, der Kaffeezone Kolumbiens. Ein Tag nach unserer Ankunft erlebten wir eine Kaffeetour bei Don Eduardo. Sie war überaus informativ und ausführlich. Als wir bei dem englischen Besitzer der Farm ankamen, hatte sich soeben sein riesiger Hund im Stacheldraht verfangen. Mit Gummistiefeln ausgerüstet, machten wir uns auf den Weg zur Kaffeefarm. Der Farmer erklärte uns alles über diesen täglichen Begleiter – von der Pflanze bis zum koffeinhaltigen Getränk in der Tasse. Beispielsweise schmeckt stark gerösteter Kaffee intensiver, weniger sauer und hat weniger Koffein, weil sich das vor allem in der Feuchtigkeit der Kaffeebohne befindet. Wir beendeten die Tour mit einer Kaffeedegustation. Das war zum einen lecker, zum anderen hatten wir nach den zwei Morgenkaffees und dem Probieren womöglich ein Koffeinüberschuss. Oder hatten wir in unserem Körper zu wenig Blut im Koffein? Es fühlte sich auf jeden Fall elektrisiert an. Energiegeladen assen wir im Anschluss ein leckeres Curry in einem Indischen Restaurant ganz in der Nähe.
Meeh Dreck
Wer
später bremst, ist länger schnell!
Wir
buchten eine Mountainbiketour mit einem Shuttle auf ungefähr 3400
Meter über Meer. Unterwegs hatten wir ein Picknick mit Wachspalmen
rundherum. Als wir dann auf dem höchsten Punkt ankamen, rüsteten
wir uns mit Helmen und Protektoren aus. Zuerst rasten wir auf einer
Schotterstrasse etwa 10 Kilometer talwärts bis wir den Einstieg zu
einem einmaligen „Singletrail“ vor Augen hatten. Der Abstieg mit
dem Bike war genial.
Nebst Dreck erlebten wir die schöne Natur mit Wandern und Radeln. Salento und seine Umgebung machten einen schweizerischen Eindruck mit tropischem Charme. Diese riesigen Palmen in den Bergen verliehen dieser Region ein besonderes Flair.
Manchmal
erinnert uns das Reisen an den aufregenden Europaparkbesuch, den wir
als Kind erlebten. Es ist dadurch teils nicht ganz einfach, den
Spannungsbogen dieser eigentlich wellenförmigen Kurve auf dem
überdurchschnittlichen Wert zu halten. Um diese Würze zu bekommen,
ist jedem klar, einzelne "Nichts-tun-" oder zumindest
"Nicht-viel-tun-Tage" bewusst in den Reisealltag
einzubauen. Wie oben im Blogeintrag erwähnt – Reisen ist manchmal
anstrengend. Die Gefahr, an einer Reizüberflutung zu leiden, ist
gross. So kann es einzelne Tage geben, an denen wir für nicht gerade
viel zu begeistern sind. Der Kopf muss zwischendurch, wie der Magen
auch, verdauen. Wir möchten uns ja schliesslich verhalten wie ein
Schwamm und aufsaugen. Das Verdauen könnte man auch auswinden
nennen, sodass der Schwamm vor jedem neuen Abenteuer merklich viel
frisches Wasser aufsaugen kann. Diesen Anspruch stellen wir an uns.
Das Dreckwasser des ausgewindeten Schwamms hat Charakter, beinhaltet
unzählige Erlebnisse und bewahren wir mit grosser Sorgfalt auf.
Genau dieses Dreckwasser bildet unsere Persönlichkeit und lässt
Geschichten erzählen, die weitere Menschen daran wachsen
lassen.
Vielen Dank, liebes Dreckwasser, dass du so dreckig bist!
Auf dem Weg zur Grenze Ecuadors
In der weissen Kolonialstadt Popayán verbrachten wir ein paar Tage. Nach einem Tag in der Stadt, suchten wir das Abenteuer auf dem naheliegenden Vulkan Puracé. Leider mussten wir uns kurz vor dem Gipfel des viereinhalbtausend Meter hohen Vulkans geschlagen geben. Die Sicht war miserabel. Der Wind und der Regen waren bissig kalt, was uns zum Aufgeben zwang. Auf dem Weg zur Grenze Ecuadors besichtigten wir eine prachtvolle Kirche in Las Lajas. Der Standort ist so einzigartig wie das Bauwerk selbst. Es ist die einzige Kirche, die in einer Schlucht gebaut wurde. Am Wochenende pilgern die Leute in Massen zur Kirche und bitten die Jungfrau um Hilfe. Werden die Wünsche (Kinder, Heimkehr aus dem Krieg, Schutz oder ähnliches) der Menschen erfüllt, stiften sie eine Dankestafel. Unzählige dieser Tafeln schmücken die Felswand um die Kirche.
Zwei junge Flüchtlinge aus Venezuela sassen im gleichen Bus wie wir. Das Gespräch mit ihnen beschäftigte uns sehr. Er schilderte, wie mies es seiner Familie in dieser Diktatur gehe. In Venezuela verdiente er umgerechnet 11 Franken pro Woche. Das reichte ihm knapp für das Essen. Beim Erzählen hatte er wässerige Augen. Seine Freundin und er möchten nonstop nach Lima, Peru reisen - geschlafen wird im Bus. Auf die Frage, was sie in Peru arbeiten, antwortete er: „Alles, Hauptsache Arbeit." Sie erhoffen sich ein besseres Leben für sich und ihre Familie. Die venezolanische Wirtschaft, die fast vollständig vom Erdölexport abhängig ist, befindet sich derzeit in einer schweren Krise, geprägt von Hyperinflation, Versorgungsengpässen und Hungersnöten. Wir wünschen den beiden auf diesem Weg das Beste.
Die Vorfreude ist die schönste Freude
Wir haben das Gefühl, dass auf unserer grossen Reise das eine Highlight das andere jagt. Unser nächstes Vorhaben sind die Galapagosinseln. Wir können es kaum fassen, ein Last-Minute-Angebot zum halben Preis gefunden zu haben. Ein Traum wird wahr. Für fünf Tage bereisen wir das grösste Tierparadies der Welt. Unsere Vorfreude ist riesig. Apropos Vorfreude – die Olma ist zurzeit aktuell, was uns immer wieder daran erinnert, die Bratwurst zu vermissen. Das Bild von der Wurst in der Hand und dem Mehl des knusprigen Weissbrotes an den Lippen ist nicht aus dem Kopf zu kriegen. Auch sind unsere schweizerisch kulinarischen Vorfreuden nebst der Olma-Bratwurst, auf das Raclette oder Fondue, die Schokolade und Älpler Magronen echt gross. En Guete!