Argitaratu: 08.02.2020
Donnerstag, 6. Februar
8 am. Die Sonne scheint in unser Dorm herein und macht uns darauf aufmerksam, dass heute ein wundervoller Tag wird. Wir nehmen unser Frühstück also auf der riesigen Dachterrasse zu uns, von der man einen wundervollen Blick auf ganz Bethlehem hat, und machen uns dann auf den Weg, die Stadt zu erkunden.
Kleine, süße Gässchen erwarten uns, denen wir folgen, und dann auf einem meiner geliebten Obst- und Gemüsemärkte landen. Wir laufen durch das bunte Treiben und das riesige Angebot an frischen Lebensmitteln und kommen am Ende auf dem Platz heraus, auf dem die Geburtskirche steht. Wir erfahren, dass sie an dem Ort gebaut ist, wo Jesus geboren wurde. Es befinden sich dort außerdem die Grotten, an dem der Überlieferung nach Herodes die Säuglinge hat umbringen lassen. Außerdem befinden sich in der Kirche drei Konfessionen: katholisch, orthodox und armenisch.
Wir betreten zunächst den katholischen Teil und laufen von dort hinunter zur Herodes-Grotte. Weiter geht es in den orthodoxen Teil, wo uns mal wieder unzählige Weihrauch-Fässchen erwarten, die von der Decke hängen – das kennen wir schon aus anderen orthodoxen Kirchen, die wir hier gesehen haben. Außerdem erwartet uns ein riesiger Ansturm Tourist*innen, die alle für etwas anzustehen scheinen. Auf der anderen Seite steigen ein paar Leute wieder eine Treppe hoch, weshalb wir dort einmal die Köpfe hereinstecken und die Grotte, für die angestanden wird, von der anderen Seite betreten.
Wir haben es also in die Geburtsgrotte geschafft, wo sich nun seltsame Dinge abspielen. An dem Ort, an dem Jesus geboren sein soll, ist ein silberner Metall-Stern angebracht, den die Touristengruppe jetzt in 2er-Pärchen anfassen darf. Geführt von ihrem Reiseleiter, der immer zwei Personen anleitet, sich hinzuknien, den Stern zu berühren, um dann nach etwa zwei Sekunden wieder aufzustehen. Lea und ich stehen etwas überfordert von den Menschenmassen, als uns der Reiseleiter fragt, ob wir auch wollen. Er schiebt uns also in die Zweier-Reihen, wir fallen kurz darauf auf die Knie, berühren den Stern, und werden dann wieder herausgescheucht. In meinem Gedächtnis bleibt, dass dieser heilige Ort sich so absolut gar nicht heilig anfühlt. Aber hey. Wir haben Jesu‘ Geburtsort angefasst.
Als wir aus der Kirche wieder herauskommen, werden wir von einem anderen Touristenführer angesprochen, der uns noch etwas zur Geschichte der Kirche erklärt. Wir fragen ihn außerdem, was es mit der Milchgrotte auf sich hat – die befindet sich laut unserem Stadtplan nämlich hier ganz in der Nähe. Lea hatte davor schon aus Spaß gesagt, dass Maria dort wohl ihre Milch gelassen hat, womit sie im Endeffekt gar nicht so falsch lag. An diesem Ort soll Maria beim Stillen des Jesusbabys ein Tropfen Milch verloren hat, woraufhin sich die Grotte, in der sie sich befand, von schwarz in weiß verfärbt haben soll.
Der Touristenführer erzählt uns außerdem, dass Muslim*innen hier in Bethlehem zusammen mit Christi*innen Weihnachten feiern, während Christ*innen während des Ramadans wiederum mit zum Fastenbrechen in die Moschee kommen, die sich hier gegenüber der Geburtskirche befindet. Alles sei sehr friedlich. Hier in Bethlehem frage niemand nach der Religion, sagt er uns. Darauf komme es nämlich auch gar nicht an. Auf das Herz komme es an. Und das ist nach unserer Hebron-Erfahrung wirklich schön zu hören.
Wir besuchen also als nächstes die Milchgrotte samt Kirche und machen uns dann weiter zu Sheperd’s Field, das sich etwa 3 km von hier befindet. Aber bei dem schönen Wetter legen wir die Strecke gerne zu Fuß zurück. Wir laufen außerdem zufällig durch die Altstadt Bethlehems, bei der zwar die Läden geschlossen haben (mittlerweile haben sich die meisten Läden ins Stadtzentrum verlegt, lässt uns ein Anwohner wissen), aber die trotzdem wunderschön ist. An Sheperd’s Field angelangt stehen wir dann vor der Kapelle und lauschen, was ein Touristenführer dort seiner Gruppe erzählt. Im Prinzip ist der Name selbsterklärend: Hier haben die Engel den Hirten zuallererst von der Geburt Jesu erzählt.
Als nächstes wollen wir uns die Mauer anschauen. Beziehungsweise, der Teil der 759 km langen israelischen Absperranlage zwischen Israel und der Westbank, der durch Bethlehem führt. Dieser Teil der Mauer ist seit 2005 bekannt, als der Graffiti-Künstler Banksy Bethlehem einen Besuch abstattete und die Mauer dort mit einigen Bildern verzierte. Seitdem haben sich auch zahlreiche andere Profi- und Amateurkünstler dort verewigt und den Mauerabschnitt in Bethlehem so international bekannt gemacht. Wir trampen also von Sheperd’s Field bis zur Mauer, wo wir uns zu noch strahlend blauem Himmel die bunten Bilder anschauen können, die voller politischer Botschaften stecken. Und alle zusammen nur danach schreien, dass die Mauer endlich fällt und Friede einkehrt.
Wir gehen danach noch etwas essen, schlendern noch einmal über den Markt, dann sind wir fertig mit Bethlehem. Nach kurzer Durchschnaufpause im Hostel machen wir uns im Bus auf den Weg nach Jerusalem.
Dort kehren wir ins Cinema Hostel ein, in dem ich auch damals mit Hanni war, und treffen uns dann noch mit Clara und Aisha (zwei Kommilitoninnen von unserem Semester in Amman, die auch gerade am Reisen sind) in unserer Hostellobby. Als wir dort zusammensitzen und uns gegenseitig von unseren letzten Tagen berichten, merken Lea und ich richtig, wie geschlaucht wir von unseren Erfahrungen sind. Wir wussten zwar, in welch konflikt-beladenes Gebiet wir uns begeben, aber alles selbst mit eigenen Augen zu sehen und zu erfahren ist nochmal etwas anderes, als nur davon zu lesen oder zu hören. Wir freuen uns also schon auf unser Bett, als Clara und Aisha sich verabschieden, als uns ein junger Israeli neben uns anspricht.
Er will von uns wissen, wie uns Israel bisher gefällt und welche Stationen wir noch vor uns haben, was Lea und ich mit Bedacht nur ausweichend beantworten. Er kommt dann allerdings recht schnell zur Sache. „You were in Hebron, right?“ Lea und ich schauen uns an. „Right?“ Ich will wissen, woher er das weiß. Er habe uns gesehen, auf Bildern. Es fühlt sich ein wenig so an, als würde der Albtraum weitergehen, der gestern angefangen hat. Welche Bilder, wollen wir wissen. Er sei Soldat, und in Hebron stationiert gewesen. Und habe Bildmaterial gesehen.
Ich kann wirklich nicht glauben, was er sagt. Wir fragen ihn, ob wir es sehen können. Er setzt sich also zu uns und zeigt uns Bilder und Videos von den letzten Tagen, die er offensichtlich über WhatsApp-Gruppen und andere Kanäle erhalten hat. Wir sehen den Kreisel, an dem in der Regel alle Proteste und Demonstrationen in Hebron stattfinden, wie wir von Thalal wissen. Die Videos sehen wüst und unübersichtlich aus. Feuerkörper, Handgranaten, rennende Soldaten. Wir sind nirgendwo zu sehen, was uns auch sehr wundern würde, da wir ja glücklicherweise nichts live von den Protesten mitbekommen haben. Und es ist auch schwierig zu sagen, ob er uns wirklich von irgendwo erkannt hat, oder nur blufft. Aber unheimlich ist es schon. Er sagt, dass Israel genau wüsste, wer sich hier wo im Land aufhalte. Von dem Moment, ab dem man die israelische Grenze passiert, werde jeder Schritt überwacht.
Wir sagen ihm, dass wir das etwas beunruhigend finden, wofür er Unverständnis zeigt. Das sei nun mal notwendig hier, um sich vor Terroristen und „bad people“ zu schützen. Bei Lea und mir klingeln alle Alarmglocken. Wir fragen ihn, wen er damit meint, und entfachen nun eine Grundsatzdebatte. Im Prinzip geht es darum, dass er Araber mit Terroristen gleichsetzt und wir mit allen Mitteln und viel Geduld versuchen, dagegen zu steuern. Aber es scheint aussichtslos. Was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass seine Großmutter in Ausschwitz getötet wurde, er auch schon einige Freunde durch den Israel-Palästina-Konflikt verloren hat, und offensichtlich hoch traumatisiert ist. Nichts rechtfertigt allerdings die klare Ansicht, die er vertritt: alle Israelis sind gut und wollen Frieden, alle Palästinenser sind Terroristen und wollen Krieg. Palästinenser gebe es außerdem gar nicht, denn das Volk habe nie existiert.
Wir haben gerade davor noch mit Clara und Aisha darüber geredet, wie wichtig es ist, alle Stimmen im Konflikt zu hören, aber ich kann mit solchen extremistischen Ansichten nur schwer umgehen. Wir merken relativ früh, dass jede Argumentation ins Leere führt, aber kommen aus dem Gespräch nur schwer wieder heraus. Ich wiederhole mich wieder und wieder, ihm zu sagen, dass es auf beiden Seiten Opfer und Täter sind, aber vor allem die Zivilbevölkerung an allen Orten unter allem leidet. Als er dann schließlich anfängt, das Blutbad von Baruch Goldstein in Hebron zu verteidigen, bin ich raus. Ich kann nichts mehr sagen. Und mir wird schlecht bei dem Gedanken, dass solche Menschen (zumindest während der 3 Jahre Militärpflichtdienst) täglich eine Waffe mit sich tragen.
Wir waren vor diesem Gespräch schon reif für eine Pause. Jetzt mehr denn je.