Von „Gitschen“ und „Buaben“ – eine Lektion in Südtirolerisch

Публикувано: 18.06.2017

Vor meiner Abreise nach Südtirol hatte ich so einige (ganz alltägliche) Ängste: Werde ich mich in der neuen Umgebung gut zurecht finden oder doch in einer Gletscherspalte verenden so wie Ötzi? Wie wird das sein, so ganz ohne meine Familie? Wird der Song „Allein Allein“ bald zu meinem Lieblingslied? Finden die Leute mich wohl möglich asozial, weil ich aus Köln komme? Und vor allem: Wie komme ich mit der fremden Sprache zu Recht? Es handelt sich beim Südtiroler Dialekt zwar immer noch um deutsch – spätestens wenn man die Einheimischen aber unter sich sprechen hört, muss man ein „im weitesten Sinne“ hinzufügen. Ich will im Folgenden auf vier typische Situationen aufmerksam machen, die tückisch sind:

1) Man denkt, man versteht alles.

2) Man versteht nicht wirklich, tut aber so, als wäre nichts

3) Man korrigiert im Geiste die Sprecher

4) Man wird nicht verstanden (inhaltlich) und redet deswegen lauter (akkustisch)

Beginnen wir mit Fall 1. Wer dachte, dass es nur im Englischen „falsche Freunde“ gibt, der irrt! Das fängt spätestens dann an, wenn man merkt, dass heuer kein Synonym für heute sein kann. Bis dann kann es aber zu starken Irritationen führen, was folgende Beispiel belegen soll: Ich schreibe einen Artikel zusammen mit meiner Kollegin Johanna. Es gut um die Jubiläumsfeier einer Klosterschule. Johanna schreibt: Heuer feiert das Herz-Jesu-Institut sein 160-jähriges Bestehen.

Ich: Ich dachte, das Fest sei erst am Samstag.

Johanna: Ist es doch auch.

Ich: Oh. Und wieso steht da heuer?

Johanna: Weils heuer isch.

Ich: Aha.

Situation 1 geht in Situation 2 über:

Ich (denke): Vielleicht ist das Fest am Dienstag und am Samstag. Oder so. Es macht keinen Sinn. Ich denke weiter nach. Vielleicht ist es ein Synonym für Samstag? Es macht immer noch keinen Sinn. Bevor ich auffliege, frage ich: Was bitte soll heuer sein? Johanna scheint schockiert: „Ja weißt du das denn nicht?“ Dann klärt sie mich auf, dass es sich nichts weiter als dieses Jahr bedeutet. Wow! Was für eine Rafinesse der deutschen Sprache ist mir denn da entgangen? Ich glaube es nicht, schaue im Duden nach. Erste Bedeutung : Lohn eines Seemanns. Ahja. Zweite Bedeutung: Heumacher. Pah! So ein Blödsinn, denke ich mir. Diese Südtiroler! Der Duden ist die Bibel eines (deutschsprachigen) Linguisten. Wenn´s dort nicht drin steht, gibt’s das Wort auch nicht. Ich scrolle weiter runter, nur so. An der dritten Stelle dann das böse Erwachen: heuer [Adverb] süddeutsch, österreichisch, schweizerisch: dieses Jahr. Ich gebe mich geschlagen. 

Zu einigen Verständnisschwierigkeiten kam es auch in der folgenden Konversation, die sich auf einer Buchvorstellung in St. Magdalena im Villnöss-Tal abspielte. Es handelt sich um eine Kombination aus Situation 1 und 3. Der Autor redet und redet, liest leider aber gar nichts aus seinem Buch vor. Schade eigentlich, denn das ist auf Hochdeutsch geschrieben – und wäre somit auch für mich verständlich. 

Autor: Hoila! Also, i grüß enk. Als wie schiern, dass enk oall gekimmt sejn.  Also, wisst enk… Auch so viele nette Gitschen hia.. blablabla.. Also, i hoab mir gedenkt… blablabla.

Ich bin entsetzt. Er spricht nicht nur ein seltsames Pseudofranzösisch, sondern dazu auch noch frauenfeindlich. Grundlegende Regeln der deutschen Grammatik sind ihm ebenfalls fremd: Gedenkt! Gekimmt! Das sagen Kinder vielleicht bis Anfang drei. Ich entschließe mich, dass es besser ist, die Sprachverstümmelung zu überhören und mich stattdessen auf den Inhalt zu konzentrieren, schließlich wollte ich mir einen netten Abend machen. Das mit den Gitschen geht mir aber dennoch nicht aus dem Kopf. Es erinnert mich stark an das englische bitch, und das kann ich nun wirklich nicht auf mir sitzen lassen. Andererseits: Vielleicht liege ich hier ja auch genauso falsch wie mit heuer. Also frage ich mich meinen Sitznachbarn:

Ich: Was sind Gitschen?

Sitznachbar: Frauen, junge Madel halt.

Ich: Das habe ich mir gedacht. Aber – ist es ein böses Wort?

Sitznachbar: Was meinschst du?

Ich: Naja, so prostitutionsmäßig halt.

Der Sitznachbar schaut mich verständnislos an. Ich erkläre das Gespräch im Geiste für beendet, wohl ebenso die Parallelen zwischen gitsch und bitch und beschließe, in Zukunft besser niemanden mehr danach zu fragen. 

Auch in Situation vier kommt es zu Problemen. Wobei hier eigentlich nichts verstanden wurde und somit auch nichts falsch zu verstehen ist: Für diesen Typ ist es kennzeichnend, dass die betreffende Person meistens eine typisch blaue Südtiroler Schürze und ein Filzhütchen trägt, etwas über dem Durchschnittsalter liegt und im worst case auch noch sehr schlecht hört. Als ich letztens für die Arbeit in ein Nachbardorf musste, den Weg aber nicht genau kannte, beschloss ich, bei einem Einheimischen zu fragen:

Ich: Entschuldigen Sie bitte, wissen Sie, wie ich nach Klausen komme?

Keine Reaktion.

Ich (lauter): Entschuldigen Sie bitte, wissen Sie, wie ich nach Klausen komme?

Alter Mann: Woas?

Ich beschließe, mich auf das Wesentliche zu beschränken.

Ich: KLAUSEN???!!!

Der alte Mann zeigt willkürlich in eine Richtung.

Ich habe nicht das Gefühl, dass er mich verstanden hat, laufe aber trotzdem in die von ihm empfohlene Richtung. Ich komme an einer Bushaltestelle an, an der zwei Damen sitzen. Die eine scheint zu bemerken, dass ich etwas desorientiert bin, und fragt mich auf italienisch, wohin ich denn müsse. Ich sage ihr, nach Klausen. Sie zeigt in die andere Richtung. Na also! Deutsch ist nicht gleich deutsch – was zu beweisen war!

Trotz den diversen Schwierigkeiten, die mir hier bisher begegnet sind, muss ich sagen: Ich mag den Südtiroler Dialekt ausgesprochen gern:

· Ich mag es, von jedem und allem geduzt zu werden, auch wenn man sich erst 30 Sekunden kennt. In Deutschland würde ich das als grob unhöflich empfinden, hier erweckt es irgendwie den Eindruck, dass man sich vertraut ist – das distanzierte Sie passt in dieser dörflichen Umgebung einfach nicht.

· Ich mag das Firti, dass der Busfahrer hier jedem beim Aussteigen hinterherruft, obwohl dieser Berufsstand eher für seine ausgesprochen schlechte Laune und Unfreundlichkeit bekannt ist.

· Ich mag die italienischen Einflüsse, die sich beispielsweise in der Gestik und im Wortschatz bemerkbar machen: Aus vielleicht wird ein magari , aus ach komm ein ma dai! Die Hände kommen oft beim Sprechen zum Einsatz

· Und zu guter letzt mag ich auch das Kölsch Alaaf, das mir hier ein Einheimischer hinterherruft, als er erfährt woher ich komme. Dass er das Wort Helau offenbar nicht kennt, erfreut mich umso mehr.

Отговор (1)

Alexander
Sehr witzig, rund und gelungen

Още отчети за пътувания