Uñt’ayata: 26.09.2018
‚Ich führe ein Leben im Überfluss. Alleine Wut habe ich heute schon wieder für drei.‘
Es kommen immer wieder Situationen, nicht vorhersehbar, aber normal in der Geburtshilfe sind. Wo eine vermeintlich physiologische Geburt sich wandelt in einen Notfall.
Eine Frau ist auf dem Weg ihr erstes Kind zu gebären, die Wehen sind kräftig, die Herztöne gut. Sie hat einen Blasensprung, das Fruchtwasser ist grün verfärbt, ein Stresszeichen des Kindes im Bauch. Ich kontrolliere die Herztöne erneut, sie sind zu niedrig. Positionswechsel, Anleiten zum Atmen, erneute Kontrolle- keine Besserung. Ich informiere die Schwester, sie bestätigt. Bis der informierte Arzt kommt vergehen die ersten Minuten..
Ich beginne mit der Vorbereitung für einen Kaiserschnitt. Die Herztöne sind noch immer zu gering. Einen Wehenhemmer würde ich der Frau gern geben, aber das gibt es hier leider nicht.
Der Arzt untersucht und möchte eine VE = Saugglockenentbindung durchführen. Ich sage ihm, dass Köpfchen ist noch nicht tief genug dafür, es wird nichts bringen. Wir müssen bitte eilig einen Kaiserschnitt machen. Es interessiert ihn nicht. Wieder wertvolle Minuten vergehen. Nach 15Minuten sieht er ein, dass es nicht geht. Das Kind wird noch mehr gestresst sein und ich bitte darum, jetzt sofort mit der Frau in den OP zu gehen. Sie sagen: gleich.
Ich wurde so wütend, lies ihn ebenfalls die Herztöne hören und wurde forsch und ging mit der Frau schonmal in den OP.
Ich wartete dort, es kam niemand. Ich rannte zurück und rief den Arzt.
Heute war der Bürgermeister zu Besuch und hielt eine Rede direkt vor unserem Gebäude. Und der Arzt stand tatsächlich dort und hörte lieber seinen Worten zu, anstatt der Frau zu helfen. Ich kochte innerlich. Ihr kennt mich, meinen Blutdruck wollt ihr in diesem Moment nicht wissen..
Ich erklärte ihnen wütend, dass wir in Deutschland schon vor 1h direkt gehandelt hätten und 10Minuten später das Kind entwickelt gewesen wäre. Und hier vergeht einfach zu viel Zeit, nur weil sie nicht schnell arbeiten können oder wollen. Das geht mir nicht in meinen Kopf.
Die Frau war so wundervoll tapfer, konnte etwas englisch und spürte ziemlich stark, dass ich die Einzige bin, die hier um sie und das Leben ihres Kindes kämpft.
Der Arzt belächelte mich im OP nur, als ich auf seine Frage, wie es mir denn geht und dass ich müde wirke, nur geantwortet habe, ich bereite mich darauf vor ein Kind in Empfang zu nehmen, was meine Hilfe benötigt. Und bin deshalb angespannt und konzentriert.
Es kam, wie es kommen wusste. 1 1/2h waren vergangen seit meiner Diagnose der schlechten Herztöne.
Das Kind hatte einen sehr langsamen Herzschlag, sonst keine Lebenszeichen.
Den Rest kennt ihr bereits schon..
20Minuten habe ich reanimiert. Dann der Schrei, Atemzüge, die Arme und Beine bewegten sich. Der kleine Junge war noch schwach, aber ein Kämpfer! Ich gab ihm einen Kuss auf die Stirn, und dankte ihm, dass er so stark war sich ins Leben zu kämpfen!
Der Arzt kam 1h nach der OP zum Kind und verstand nicht, warum ich so einen Stress gemacht habe, das Kind lebt doch.
Ich hätte wieder ausflippen können. Diesmal drehte ich mich weg. Zu sinnlos sind diese Diskussionen.
Ich brachte der Frau ihr Kind nach 2h Überwachung bei mir.
Und das gab mir so viel Kraft.
Sie umarmte mich gefühlt eine halbe Stunde, war überglücklich und dankte mir tausend Mal.
Danach ging es mir besser. Das ist mein Verdienst hier. Ich bin hier freiwillig, nicht, um Geld zu verdienen. Allein für die Dankbarkeit der Frauen, lohnt es sich hier zu sein!
Aber was ist mit solchen Situationen in 4 Wochen, wenn keine deutsche Hebamme die Dringlichkeit aufzeigt. Sicher, dann ist vielleicht eine Neue da, aber wie kann man nur die Einstellung der hier arbeitenden Ärzte und Schwestern ändern?
Ich schaffe es nicht. Und das frustriert mich.
Kritik äußern gibt es hier in Tansania nicht. Es gilt als äußerst Unhöflich. Ich bin da aber nunmal anders erzogen. Nur Kritik und die Einsicht, dass man als Mensch auch mal Fehler macht, bringt uns weiter und lehrt uns.
Aus diesem Grund, hielt ich an meiner Art fest und sprach am Dienstende nochmal mit dem Arzt. Ein belächelnder Blick, mehr hatte er nicht übrig für mich. Schade!
‚Du machst dich unbeliebt, wenn du dich nicht anpasst.‘
‚Ich denke, dass ist ein guter Preis.‘
Tief durchatmen.
Weitermachen.
Hoffen.