Mit Geschichte(n) um die Welt
Mit Geschichte(n) um die Welt
vakantio.de/mitgeschichteumdiewelt

Von Akzenten und Melbourne, das Hamburg der Südhalbkugel

Veröffentlicht: 14.03.2024

Melbourne hat was von Hamburg: einen Hafen, Wasser, maritimes Flair; doch wirklich schöne Strände und Natur gibt es eher in einigen Fahrstunden Entfernung. Die Stadtgesellschaft (erscheint zumindest mir) offensichtlich alternativ(er), politisch eher links, vor allem in einigen Stadtteilen.

Es gibt hier immer Wind. Das Wetter ändert sich ständig, ist selten stabil. Es regnet oft, der Tag hat alle Jahreszeiten.

Es gibt einen westlichen Vorort, der heißt Altona, ein anderer zwar nicht Wilhelmsburg, dafür Williamstown.

Im Hafen, von der Stadt aus zu sehen, stehen Container, darunter rote mit der Aufschrift „Hamburg-Süd”.

Schiffe.

Möwen.

Es ist multikulturell und die Architektur, die ganze Stadtplanung erinnert an Europa, irgendwie gibt es insgesamt einen „europäischen Vibe“.

Woran liegt es?

So richtig kann ich es nicht greifen. Vielleicht, da Menschen hier so verrückte Sachen machen wie Fahrradfahren - zur Arbeit, zur Uni. Es gibt Radwege - und diese nutzen die Melbournians sogar.

Der öffentliche Nahverkehr ist (halbwegs) nachvollziehbar geplant, in regelmäßigen Abständen fallen Verbindungen aus oder sind verspätet, so wie eben auch in Hamburg.

Es gibt gemütliche Cafés und Buchläden, das Draußensitzen und das Meiden der Klimaanlage scheint normal(er).

Melbourne ist auf jeden Fall anders als Sydney, das mit dem Fahrradfahren, den Öffis, auch mit den Stränden, das Wetter. - Nicht nur einmal denke ich, dass Sydney und vor allem der dortige Hafen, das Wasser, die Kulisse also, doch noch einmal in einer anderen Liga spielt als Melbourne. Beide Städte, Melbourne und Sydney, gelten bei verschiedenen Rankings als eine der lebenswertesten Städte der Welt. Melbourne ist dabei etwas günstiger als Sydney, vor allem in Bezug auf Wohnraumpreise.

Stadtstrand von Melbourne

Melbourne war nach dem Zweiten Weltkrieg ein Hauptzielort der Emigration, vor allem auch aus dem östlichen Europa. Sie gilt als die Stadt mit dem Zuzug der meisten Holocaustüberlebenden außerhalb Israels.

Englisch mit deutschem Akzent, aber noch viel stärker polnischen, russischen, ganz allgemein osteuropäischen hört man hier immer noch öfter in bestimmten Stadtteilen. Einer der Bekanntesten dafür war (und ist) im südöstlichen Melbourne in St Kilda. Hier war v.a. der Anteil von Menschen aus dem östlichen Europa, so sagt man mir, vor 30, 40 Jahren besonders hoch.

Heute ist St. Kilda irgendwie hipp, alternativ; Bars, Cafés; damals galt dieser Ort als billig, oft als no-go-area. Wer hier nicht sein musste, blieb weg oder noch viel eher zog weg. So hat sich auch das Sprachen- oder besser Akzent-Gewirr mit (ost-)europäischem Zusatz heute zumeist verflüchtigt.

Um wenigstens ein bisschen einzutauchen, passt es daher, dass ich in einem israelischen Restaurant drei Frauen treffe, die alle polnischer Herkunft sind, doch zu sehr unterschiedlichen Zeiten Polen verlassen haben. Eine, mit jüdischen Wurzeln, in den 1980ern in der Zeit des Polnischen Kriegsrechts und dem Kampf der Solidarność. Sie sagt heute ganz offen, dass sie für die katholischen Polen zu jüdisch war, obwohl sie nicht religiös war und ist; für die jüdische community in Melbourne war sie zu polnisch und, vielleicht noch schlimmer, zu unreligiös. Heute setzt sie sich für den Austausch der beiden Gruppen ein, denn eigentlich sei der Unterschied kaum da, die gegenseitigen Ressentiments seien aber bis heute groß, sagt sie. Und letztendlich könne auch sie sich nicht in zwei Teile teilen. Sie sei eben beides. Eine Zweite kam wegen der Liebe in den 2010ern, bei der Dritten weiß ich es nicht so genau. Letztere ist offen und herzlich und eine absolute Businessfrau mit viel Umsatz, Persönliches erzählt sie eher nicht. Da sitzen wir in St. Kilda und reden über Erinnerungskultur(en), das Migrant:innen-Dasein und Zugehörigkeit(en). Sie sprechen Englisch-Polnisch oder Polnisch-Englisch und ich bin fasziniert. Mein Hirn arbeitet auf Hochtouren, meine Zunge kommt manchmal nicht so schnell hinterher. Je länger ich im englischsprachigen Ausland bin, desto schwerer fällt es mir Polnisch zu sprechen, gerade das Switchen von Englisch zu Polnisch ist beim Hörverstehen nicht schwer; Sprechen ist jedoch was anderes und vom englischen “th” zu polnischen Zischlauten ist es dann für mein Hirn und danach meiner Zunge doch etwas weiter.

Von Akzenten

Dabei fällt mir wieder auf, dass mich seit Jahren, mittlerweile Jahrzehnten, mein deutscher Akzent, egal welcher Sprache stört. Hier in Australien vor allem der in meinem Englisch. Ich habe versucht, ihn loszuwerden - und irgendwann aufgegeben. Habe dann gedacht, lerne ich einfach eine neue Sprache - und beginne mich dann wieder zu ärgern, irgendwann, wenn man die jeweilige Sprache dann halbwegs wirklich spricht.

Dieser deutsche Akzent...

Eigentlich ist es auch egal, sage ich. Hauptsache ich kann kommunizieren. Das bestätigen mir auch andere, wenn wir über dieses Thema mal sprechen.

Und es nagt doch ein bisschen an mir. Ich freue mich somit immer wieder, wenn ich in englischsprachigen Ländern zuerst gefragt werde, ob ich aus Schweden komme. So richtig Deutsch sei mein Akzent eben doch nicht, sagen mir Fremde, man tippt auf Skandinavien. „Lustig “, denke ich und freue mich irgendwie.

Ich glaube, dahinter steckt, dass ich es mag, wenn ich im positiven Sinne irgendwie im Dazwischen bleibe oder anders ausgedrückt: (meine) komplexe(n) Identitäten sichtbar werden. Oder und verständlich(er): Leute mich nicht sofort in eine Schublade stecken - und stecken können.

Komplexe Identitäten, Geschichten, Hintergründe, Mehrdeutigkeiten, Leute mit offensichtlich nicht nur einer Herkunft oder Sprache, dem bin ich auch hier auf der Spur, in Melbourne.

Da, wo ich Ende 2018 das erste Mal diese Idee hatte, von diesem Leben in Australien. Damals bin ich nach dem Holocaust Museum an den Strand, bei meinem jetzigen Besuch mache ich es folgerichtig andersherum. Erst Strand, dann Museum. Das Museum hat vor wenigen Wochen, im November 2023, seine neuen Pforten geöffnet. Drei kompakte, permanente und sehr unterschiedliche Ausstellungen erwarten nun Besuchende. Wie es dort aussieht, ob es mir gefallen hat, kommt im nächsten Beitrag!

Antworten

Australien
Reiseberichte Australien
#melbourne#stkilda#akzent#melbourneholocaustmuseum#australien#migration#memory#polen