Im Kojteich
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Kyōto - Free-Roam - Tag 3

Veröffentlicht: 31.03.2023

Frühes Stück

Heute teilen wir uns in kleine Grüppchen auf, jeder macht so sein Ding, spontane Absprachen. Ich suche uns ein ansprechendes Frühstückslokal in Ufernähe aus. Ich hatte nicht geahnt, wie gut das Lokal sein würde. In allen Aspekten, vom Flair über die Bedienung bis zum Essen.

⭐⭐⭐⭐⭐ - Jederzeit wieder!

Nach dem Frühstück gehen wir weiter. Ich führe uns am Flussufer entlang. Mir fällt auf, dass hier alle Flüsse und deren Ufer breit sind und viel Platz bieten. Hier weiß man scheinbar in Koexistenz mit der Natur zu leben.
Wir erblicken auf dem Fluß große Steine, ein Kind quert den Fluss. Dem Kind macht's offensichtlich Spaß. Ich könnte auch wie ein Kind freudig von einem Stein zum anderen über Fluss gehen. Ich könnte, wenn ich wollte. Ich entscheide mich aber dagegen.  Stattdessen laufe ich so schnell wie es geht drüber. Macht mehr Spaß. :)

Weiter geht's durch kleine Seitengassen. Selbst an den ungewöhnlichsten Orten und in Gassen finden wir Schreine vor. Und Tempel. "Schau, da ist ein Tempel!" wird für diesen Tag ein running gag werden, Tempel und Schreine gibt's in Kyōto an jeder zweiten Ecke. Genauso wie alte aber funktionierende Münztelefone.

Die (w|r)ichtigen Fragen

Wir gehen weiter umher, genießen das Wetter und quatschen. Die Gesprächsthemen sind bunt gemischt wie das Angebot der Food Market Passage um die Ecke, die wir ständig durchschreiten.
Ich werde auf das Thema Beziehung angesprochen. Ich höre mir die Geschichte der kürzlich verstorbenen Mutter und des abwesenden Vaters an. Und die Paralellen beim Ex. Hier hat jemand einen ganzen Köcher voller Red Flags angesammelt und schwinkt diese gut sichtbar umher. 🚩🚩🚩🚩🚩Der arme Kerl, der diese ignorieren wird. Aber auch sie tut mir ein Leid.

Ich traue mich, probiere etwas für mich neues.
"Was bietest du?", frage ich, nach dem Thema "Was suchst du?" durch zu Genüge durchgekaut ist.
Ich weiß, es ist eine unpopuläre und seltene Frage, mit gewaltigem "Vor den Kopf stoß"-Potential. Sagt ein Teil von mir. Der "mein inneres Kind vor Ablehnung oder Schmerz"-beschützende Teil, der etwas gerade zum ersten Mal macht und deshalb keine Erfahrung darin sammeln konnte. Der nicht weiß, was passieren wird. Ob's gut werden wird. Aber dann kommt eines meiner Mantren hoch:
"Werde ich es in 10 Jahren bereuen?"
Im Grunde antworte ich immer: "Nope! Fuck it! Einfach machen!"

Die Frage ist gefragt, eine gewisse Überraschung ist deutlich spürbar. Ich wollte wissen, wie jemand auf so eine direkte Frage reagiert. Sind sich Menschen ihrer Qualitäten bewusst? Mit wie viel Dankbarkeit gehen andere durch ihr Leben. Mit wie viel geben sich Leute in ihrem eigenen Leben zufrieden.
Du hast die Wahl. Entweder reparierst die Gießkanne deiner Persönlichkeit, oder du musst nach jeder Interaktion mit deiner Umwelt immer noch nachwischen, damit du auf Dauer keine trübenden Kalkflecken hinterlässt.
Ich denke unwillkürlich an meine Postkarte von Calvin & Hobbes zurück, die mich täglich im Eingangsbereich begrüßt.

Sie fängt an aufzuzählen. Die Liste ist mit ihren 31 Jahren kurz und nicht gerade beeindruckend, auch wenn beeindruckt zu werden nicht mein Ziel war. Eine kurze Liste könnte kein Thema ist, wenn es im Gleichgewicht mit "Was suchst du?" ist. Erscheint mir aber nicht so.

Ich frage mich, worin dieses Ungleichgewicht im Allgemeinem liegt. Während ich überlege, sehe ich sie auf ihrem Handy wischen.
Ich sehe sie ständig am Handy, das Instagram-Symbol immer präsent. Irgendein Messenger ist so gut wie immer präsent. Sehe mit streifenden Blicken immer das Checken ihrer eigenen Timeline, auf den Suchen nach der nächsten Anerkennung durch Likes und Kommentare. Es sind keine Selfies oder Fotos von ihr dabei, einfach nur zum Teil hingerotzte Schnappschüsse zwischen Bordsteinkante und Zebrastreifen. In meinen Augen wäre ein klein Ticken Narzissmus nicht schlecht. Nicht die Art von "Mein gemaltes Gesicht ist auf jedem Foto drauf"-Narzissmus. Sondern diese "Ich liebe mich ohne das Zentrum der Welt sein zu müssen"-Selbstliebe.
Kann ich mich von dem Dopaminding komplett freisprechen? Nope.
Ist es an mir, darüber urzuteilen? Nope. Es betrifft mich nicht.
Ich merke nur, dass es mich ein wenig traurig macht jemanden zu sehen, der auf der Suche nach Anerkennung und Angenommenwerden in einen Strudel der Botenstoffsteuerung gefangen ist. Ich danke mir mal wieder selbst dafür, dass ich Facebook bereits vor Jahren gelöscht habe und nun auch wieder Instagram einen Tritt in den Arsch gegeben habe.

Wir laufen durch einen Park. Bei einem Blick nach rechts entschließe ich hier einen Cut im Gespräch zu machen. Ich bin nicht hier, um Retter zu spielen. Ich merke mittlerweile recht gut, wo ich jemanden Hilfe und mich gerne anbieten kann und wo manche Menschen einfach nur sich in ihrem Leid suhlen wollen. Ich habe zu oft den Retter gespielt und mich selbst ignoriert, weil ich im Grunde selbst vor etwas gerettet werde wollte. Aber anderen zu helfen ist scheinbar immer attraktiver als sich helfen zu lassen. Mir kommen Hunde in den Sinn. Die meisten Besitzer wurden alles für ihre Tiere tun. Mehr als für sich. Mehr als gut wäre. Vor meinem inneren Auge sehe ich Fusshupen in Damenhandtaschen, während die Besitzer die zwei Etagen mit dem Aufzug nehmen.

Ich schiebe sie zur Kasse des Schrecklabyrinths und habe einfach im Hier und Jetzt Spaß. 

Mein Nachbar Tristan

Ich finde ihn vor. Langes, schütteres Haar, drahtig, auf dem Bett liegend. der Typ ist mir bereits aufgefallen, unten in der Lobby. Aufgefallen in einem "Was'n das für ein Typ?" Weg. Ich versuche ein wenig Konversation, habe direkt auf dem ersten Bauchgefühl gemerkt, wir beide resonieren nicht.  Er komme von der Ostküste der USA, ist 22 Jahre alt. Ich denke an meine erste Begegnung mit Charles. Auch USA, auch 22 Jahre, aber auf Anhieb sympathisch. Auch das ständige Maskentragen hilft nicht unbedingt beim Zusammenfinden.

Am Tag unseres Check-Outs in Kyoto werde ich ihn beim Betreten des Zimmers auf dem Bett vorliegen, am Handy spielend.
Mit Maske auf. Alleine. Bei ausgeschalteter Klimaanlage und geschlosenem Fenster. Der Gremlin in mir hebt schon den Finger, holt Luft und will wieder eine ziellose Diskusion mit mir selbst anzetteln, die ich bereits oft genug geführt habe. Einfach nur, um den Kopf am Laufen zu halten. Ich lehne dankend ab und gebe ihm als Entschädigung einen Matcha Latte aus. Heute mal Grande, den diese Maske werde ich noch eine Weile sehen.

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