ተሓቲሙ: 25.02.2017
Nach unserem kleinen Durchhänger in Argentinien, hatten wir ein bisschen Angst, dass wir in die oft erzählte Reisephase gekommen waren, in der man alles blöd findet, dem sogenannten Reisekoller. Aber da haben wir die Rechnung nicht mit Paraguay gemacht. Schon an der Grenze hüpften die ersten Chipa-Verkäufer (Chipa ist eine Art Käsebrot aus Maismehl in Ringform und die Nationalspeise in Paraguay) in den Bus, die im Null Komma Nichts ausverkauft waren, weil die ParaguayerInnen genauso wie die Menschen in Bolivien, Peru und Ecuador niemals „Nein“ zu einem „kleinen“ Snack sagen können. Der Grenzübertritt war auch problemlos nach 20 Minuten erledigt und wir merkten jetzt schon, dass alles wieder viel entspannter von statten ging. Und tatsächlich, die wichtigsten Worte in Paraguay sind „ tranquillo“ - „ruhig“ und „manana“ - was hier eigentlich nur so viel heißt wie „nicht heute“!
Unsere erste Station war die Hauptstadt Asunción, in der wir uns sofort wohl gefühlt haben, obwohl die Altstadt fast schon einer Geisterstadt gleicht. Der ehemals koloniale Prunk lässt sich überall erahnen, auch wenn die Gebäude überwiegend schon schwerstens von der Zeit gezeichnet sind und selbst die riesenhaften neueren Betonklötze, die alle 100 Meter in den Himmel ragen, sehen nicht so aus, als ob sie noch bewohnt wären. Zusätzlich stehen überall komplett ausgeschlachtete und verbeulte Rostlauben aus dem letzten Jahrhundert an den Straßenrändern. In der Siesta findet man kaum einen Menschen auf der Straße und so fühlt man sich irgendwie in eine postapokalyptische Ruinenstadt aus einem Hollywoodstreifen a la „I am legend“ versetzt, nur dass man vergeblich die Zombies sucht. Tina meinte, dass sich sie so in etwa Berlin 1945 vorstelle, was auch irgendwie passend war. Von den wenigen Museen, die unser Reiseführer vorschlug, existierte dann auch nur noch eines, das uns aber sehr gut gefiel, weil es zum Teil über die deutschen Einwanderer berichtete und haufenweise alte und lustige Dokumente und Zeitungsauschnitte des mennonitischen Dorfblattes in deutscher Sprache beinhaltete. Den wirklich schönen Regierungspalast konnten wir auch nur aus der Ferne bewundern, weil er weiträumig abgesperrt und von Militär und Polizei bewacht wurde. Den zahnlosen und schlimm schielenden Polizisten, den wir fragten, ob es irgendwann möglich sei, den Palast zu besichtigen, nuschelte in einer Mischung aus Spanisch und Guaraní (die zweite Amtssprache in Paraguay) etwas von „Manifesto“. Mehr verstanden wir aber leider nach dreimaligem Fragen nicht und wir hatten das Gefühl, dass uns der Polizist auch nicht wirklich verstand – vielleicht war er ja zu allem Unglück auch noch schwerhörig. Die Einstellungskriterien für die Polizei scheinen hierzulande zumindest nicht besonders anspruchsvoll zu sein. Nichtsdestotrotz hat die Stadt einen gewaltigen Charme, der uns auf unseren täglichen Spaziergängen bei 40 Grad Celsius zu begeistern wusste. Obwohl gerade Hauptsaison ist, hatten wir das Gefühl, die einzigen Touristen hier zu sein. Alles, was in unserem Reiseführer von November 2016, also eigentlich recht aktuell, angepriesen wird, gibt es momentan nicht oder ist wegen Renovierung geschlossen, sei es der Touristenzug oder die Flusskreuzfahrt, das Pantheon oder das Museum über die Zeit der Diktatur unter Stroessner. Aber wir ließen uns nicht entmutigen, Paraguay besteht ja nicht nur aus seiner Hauptstadt und mit dem gutem Karten- und Infomaterial aus der Touriinfo planten wir unsere Ziele für Paraguay, das ja eigentlich gar nicht auf unserer Reiseroute stand.
An unserem letzten Tag in der Hauptstadt machten wir eine kleine Bootsfahrt auf dem Rio Paraguay (wo gerade eine Segelschule mit Optis, 420ern, etc. ihre Bahnen zog, was Tina sehr erfreute, sucht sie doch schon seit Beginn der Reise vergeblich einen Segelclub) entlang der Skyline und bestaunten bei einem kühlen Drink das Treiben an der Uferpromenade, die Sonntags für den Autoverkehr gesperrt ist, damit die Einheimischen mit geliehenen Fahrräder, Kettcars und anderen lustigen Fahrzeugen über die Straße heizen können. Ob das Geschäft wirklich rentabel ist, wage ich zu bezweifeln, denn für eine Millionenstadt wie Asunción scheinen mir die ca. 4 Familien, die sich hier vergnügten doch etwas wenig zu sein. Dennoch hatten wir viel Freude an der 80er Jahre Italienurlaubatmosphäre.
Am folgenden Tag ging es mit dem Bus weiter in nördliche Richtung durch den „feuchten Chaco“ in die Stadt Concepción. Wir genossen die Fahrt durch eine unheimlich grüne Landschaft mit unzähligen Palmen und Rinderherden. In Concepción bezogen wir ein etwas schäbiges Hotelzimmer, das wir uns mit ein paar Insekten teilten und erkundeten das recht überschaubare Städtchen, das sich neben ein paar netten Kolonialhäuschen und einer imposanten Marienstatue besonders durch die unbefestigten roten Erdstraßen auszeichnet. Tina hatte immer wieder außerordentlich zu kämpfen, weil sie mit ihren Flipflops im roten Matsch steckenblieb und die sich so festsaugten, dass wir die Schuhe schon fast chirurgisch entfernen mussten, um sie nicht kaputt zu machen. Nach einer bemerkenswert guten Pizza beschlossen wir, früh ins Bett zu gehen, da am nächsten Morgen um ungefähr 8.00 Uhr (genaue Uhrzeitangaben bekommt man hier nie) der einzige Bus zur nächsten Station „Granja El Roble“ fahren sollte.
Pünktlich um 7:40 standen wir also am folgenden Morgen an der richtigen Bushaltestelle, während es langsam zu regnen begann. Der Baum unter dem wir standen, hielt das meiste Wasser von uns ab und wir waren doch recht zuversichtlich, nicht allzu nass zu werden, denn der Bus sollte ja gleich kommen. Nach ca. 20 Minuten flüchteten wir uns dann doch unter ein kleines Bushäuschen um die Ecke, da der Regen mittlerweile aus Kübeln auf uns heruntergoss. Weitere 20 Minuten später war von einem Bus immer noch nichts zu sehen und die Straße hatte sich schon in einen reißenden Fluss verwandelt. Tina wurde schon etwas ungeduldig, was mich erfahrungsgemäß zum Handeln zwang, so fragte ich prophylaktisch einen der beiden Taxifahrer nach dem Preis mit dem Taxi nach „El Roble“ zu fahren. Der Ältere der beiden winkte sofort ab und den anderen konnte ich auch nicht recht verstehen – so holte ich Tina, die nicht nur besser Spanisch versteht, sondern auch sehr viel besser im Interpretieren diverser Dialekte und Mischsprachen ist. Nach einigem Hin und Her und Gesichtverziehens seitens des Taxifahrers, erbarmte er sich und fuhr uns mit seinem grandiosen Auto, an dem wirklich nichts mehr funktionierte, dafür aber im Fußraum mit Zeitungspapier ausgelegt war, um es sauber zu halten, nach El Roble. Besonders erwähnenswert waren die Türen, die sich nur mit Hilfe eines Schraubenziehers öffnen ließen. Wie der Fahrer bei dem heftigen Regen und dem abgebrochenen Scheibenwischer überhaupt irgendwas aus dem Fenster sah, ist mir immer noch schleierhaft. Aber er lieferte uns gesund und munter im Paradies bei Peter und seiner großen Familie ab, wo wir 4 traumhafte Tage verbringen sollten.
Nach dem Mauerfall ist Peter vor 25 Jahren mit Nichts außer seinen Klamotten am Leib nach Paraguay ausgewandert und fand hier nach vielen Entbehrungen sein Glück auf seinem traumhaften Grundstück El Roble, das er gemeinsam mit seiner paraguayanischen Frau, seinen drei Kindern und ein paar Angestellten bewirtschaftet. Wie fast alle hier in Paraguay lebt Peter von ganz unterschiedlichen Tätigkeiten. Er züchtet Fische, hat Milchkühe, vermietet Cabanas, betreibt ein Fischrestaurant und sein Anwesen dient vor allem an Wochenenden und in den Ferien als Erholungspark für paraguayanische Familien, die hier vom Naturswimmingpool über Sportangebote, wie Minigolf, Tischtennis und Volleyball bis zu vielen einheimischen Tieren wirklich viel geboten bekommen. Peter begrüßte uns sofort ganz herzlich mit einem tollen Frühstück und erklärte uns unter Lachen, dass wir noch lange auf den Bus warten hätten können. In Paraguay steht die Welt bei Regen nämlich still. Busse fahren nicht, die Schule fällt aus und Arbeiten im Freien kommt sowieso nicht in Frage … warum das Tina sofort ausgezeichnet gefiel und sich auch gut für Deutschland vorstellen kann, könnt ihr euch ja ausmalen. Nach dem Frühstück und einer Partie UNO mit Peters Tochter Amelie bezogen wir unsere schnuckelige Cabana, die wir mit einigen süßen Fröschen und Riesenkröten teilten, und hielten erstmal ein ausgiebiges Schläfchen, da im Regen sowieso an nichts anderes zu denken war. So plötzlich wie der Regen begann, so schnell war er nach einigen Stunden auch wieder weg und die Sonne lud uns am Mittag ein, El Roble zu erkunden. Uns gefielen natürlich die zahlreichen Tierchen am allerbesten. Peter ist ein großer Tierfreund und so nimmt er immer wieder verletzte oder misshandelte Tiere in Obhut, peppelt sie wieder auf und gibt ihnen ein neues Zuhause, wenn es nicht möglich ist, sie wieder auszuwildern. Amelie machte uns die folgenden Tage mit allen Tieren bekannt und erzählte uns die jeweiligen Geschichten zu Ihnen. So gibt es z.B. einen sprechenden Papagei, dem vom Vorbesitzer die Flügel gestutzt wurden und der von Peter eine große Schaukel bekommen hat, auf der er stundenlang hin und her schaukelt und damit mit sichtlicher Freude das Fliegen imitiert. Tapirdame Fifi liebte es, von uns den Rücken gekratzt zu bekommen und wenn man sie so richtig fest schrubbte, streckte das süße Kerlchen alle Viere von sich und quiekte vor Freude durch ihr kleines Rüsselchen. Amelies Liebling ist der unglaublich hübsche Ozelot Ozi, den Peter aus einem Haus in Concepción gerettet hat. Er lässt sich gerne streicheln und auf den Arm nehmen und ist ungefähr das Weichste, was meine Hände jemals berühren durften. Die beiden Brüllaffen Mona Lisa und Abro sind nicht nur gute Wecker im Morgengrauen und phantastische Death Metal Sänger, sondern auch unheimlich verspielt und lieben es mit netten Menschen zu kuscheln und sich streicheln zu lassen. Darüber hinaus gibt es auf El Roble noch zahlreiche Schildkröten, Fische, Schlangen, Papageien, Äffchen, Hühner und natürlich wilde Vögel, schillernde Rieseneidechsen und einen gewaltigen Waran, der das Gelände mehrmals am Tag durchquert. Am ersten Abend bekam Peter Besuch von einem Münchner und einem Deutschparaguayer, die am Rande von Concepción eine große Estancia bewirtschaften. Die beiden sichtlich angetrunkenen Männer kamen gerade vom Asado (traditionelles Grillen), das jedes Jahr zu Ehren des verstorbenen Vaters des Münchner auf der Estancia abgehalten wird und so begann für uns die Reises in das wahre Paraguay oder wie es später Entenwalter formulierte - nach Absurdistan. Bei unzähligen Bierdosen erzählten die Beiden Geschichten über Mord und Totschlag, Korruption, Abenteuer und Schicksale, die in der Umgebung stattfanden. Das ganze fanden wir zu diesem Zeitpunkt noch recht unterhaltsam, weil wir dachten, Geschichten werden in der Regel ja ein wenig ausgeschmückt, auch wenn die beiden Herren beim Erzählen immer wieder in eine etwas trübselige Stimmung verfielen. Als sie dann spät in der Nacht mit gefühlten zwei Promille auf ihre neu gekauften Quads steigen wollten, um die 30 Kilometer Erdstraße heimzufahren, fragten wir vorsichtig, ob das denn wirklich eine gute Idee sei, so alkoholisiert, wie sie waren. Da lachten sie nur und Peter fügte hinzu: „Was soll denn schon passieren? Mehr wie ne Kuh totfahren kannste hier ja nicht!“ So langsam wurde uns klar, warum man hier beim Kauf eines fahrbaren Untergrunds vom Händler lediglich einen feuchten Händedruck und eine Bibel mit auf den Weg bekommt. Ob die Beiden sicher nach Hause kamen, wissen wir bis heute nicht, denn zum versprochenen Asado auf ihrer Estancia am folgenden Tag, zu dem sie uns abholen wollten, warteten wir vergeblich. Wie Peter am nächsten Tag berichtete, wurde der Vater des Münchner von seiner erheblich jüngeren paraguayischen Geliebten vor 6 Jahren umgebracht. Wegen behördlichen Schlampereien konnte oder wollte man ihr das aber nicht nachweisen und so befindet sich seine Familie nun seit Jahren im Rechtsstreit mit der Dame, weil sie die millionenschwere Estancia für sich beansprucht und hier sogar gute Chancen hat, den Prozess zu gewinnen.
Die restlichen Tage verbrachten wir bei schönstem Wetter abwechselnd mit Tiere beobachten, im Pool planschen, lesen, relaxen und genossen Vollpension mit super leckerem Essen von Peters Frau. Am letzten Tag kamen zwei deutsche Mädels aus Kiel nach El Roble, deren Verwandte vom Bodensee kommen und im gleichen Segelclub wie Tina Mitglieder sind … Ach wie klein die Welt doch ist. Die beiden hatten ein Mietauto und waren so nett, uns am folgenden Tag mit nach Concepción zu nehmen, wo unser Bus Richtung Süden nach Coronel Oviedo abfahren sollte. So blieb uns ein 2km Fußmarsch mit Gepäck erspart, um zum Collectivo zu kommen, das sehr unzuverlässig 1 Mal pro Tag fährt.
Dass uns die Paraguayer schon überall mit großen Augen anstarrten und fragten, was zum Geier wir den hier wollen, weil sie sich überhaupt nicht vorstellen können, warum sich ein Tourist hierher verirrt, waren wir ja schon gewöhnt. Aber im Dörfchen Yby Yaú, in dem wir umsteigen mussten, bekamen wir ein Gefühl dafür, wie sich Tiere im Zoo fühlen müssen. Mit Spanisch kamen wir auch nicht sehr weit, denn hier sprechen fast alle Einheimischen nur Guaraní. Aber nach guten zwei Stunden Wartezeit, einem Mittagessen mit Wienerschnitzel, das in Paraguay Grundnahrungsmittel zu sein scheint, konnten wir uns dann in den hoffnungslos überfüllten Bus quetschen in dem unsere Fahrplätze nicht nur besetzt waren, sondern mehrere Fahrgäste Anspruch auf die zwei Sitze erhoben. Vermutlich waren das die einzigen Zahlen, die unser Fahrkartenverkäufer kannte und auf jede Fahrkarte schrieb. Nachdem wir 20 Minuten lang stehend die Rumpelpiste überstanden hatten, konnten wir uns aber dreist zwei Plätzchen sichern und waren Gott froh, die nächsten 5 Stunden in sitzender Position zu verbringen.
Unsere nächste Station sollte in Coronel Oviedo „Entenwalter“ sein, mit dem wir schon von El Roble aus Kontakt aufgenommen haben. Wir stiegen am Treffpunkt Supermarkt aus dem Bus und fragten wie vereinbart im Hühnchenrestaurant an der Ecke den Besitzer „Mr. Scheiße“ (ein stadtbekannter Mann, der in jeder erdenklicher Sprache ein paar Sätze wiedergeben kann und von Walter den Namen bekam, weil ihm das Wort Scheiße besonders gut gefällt), ob er den „Entenwalter“ für uns anrufen könne. Mr. Scheiße war leider nicht da, aber sein netter Angestellter ließ uns mit seinem Handy telefonieren und zwei Minuten später kam Walter mit seiner gelb-schwarzen Superente „La Bella“ um die Ecke gerauscht, um uns in sein Entenreich abzuholen, wo wir erstmal ein tolles Zimmer beziehen durften und bei einigen Flaschen Bier unseren neuen Freund kennenlernen durften. Walter ist ein echter Allrounder und Profiabenteurer, der schon vor ca. 30 Jahren nach Paraguay auswanderte um hier vom Techniklehrer über Modellbauer, Automechaniker und Häuslebauer zum Tourenanbieter und Schriftsteller zu werden. Eigentlich gibt es nichts, was Walter noch nicht gemacht hat, auch wenn er mit seinen 66 Jahren noch immer die wildesten Ideen und Pläne verfolgt, die er noch gerne verwirklichen will. Neben seinen beruflichen Erfahrungen kann Walter aber auch über eine Vielzahl von Reisen mit seinen Allrad-Enten und alten Landrovern durch Paraguay, Venezuela, Bolivien und den anderen Ländern Südamerikas berichten, die er mit seiner wundervollen paraguyanischen Frau Domi und verschiedenen Freunden unternommen hat. Da Walter ein richtig guter Erzähler ist, kann man sich ausmalen, das wir schließlich bis spät in die Nacht und den folgenden Tagen an seinen Lippen hingen, um all den verrückten Geschichten zu lauschen, die er zu erzählen wusste. Am nächsten Tag besuchten wir ein kleines Geschäft, wo wir uns endlich mit Equipement für das Nationalgetränk Tereré (eiskalt) und Mate (brühwarm) eindeckten, das wir schon seit Asunción unbedingt probieren wollten. Eigentlich sieht man einen Paraguyaner niemals ohne Guampa und riesenhafter Thermoskanne, was uns anfangs etwas umständlich erschien, uns aber mittlerweile Pläne schmieden lässt, wie cool wir das in unser Arbeitsleben integrieren könnten. Mit Bombillas (eine Art Strohhalm aus Metall mit eingebautem Filter), Guampas (traditionellem Becher) mit persönlicher Gravur im Lederüberzug und Yerbas de Mate (Matekräuter) ausgestattet, kehrten wir erstmal überglücklich zurück und genossen den ganzen Mittag Tereré, der im Gegensatz zum Mate eiskalt aus der Guampa getrunken wird. Da Walters zwei Allradenten und Landrover momentan einen neuen Motor erwarten oder anderweitig repariert werden, mussten wir „La Bella“ für unseren Trip noch ein wenig umrüsten. Sie erhielt hinten einen Einzelsitz, damit unsere großen Rucksäcke Platz fanden und ich durfte ihre Räder wechseln, weil in letzter Zeit Walters Knie etwas Zicken machten. Nach einer Stunde schweißtreibender Arbeit bei gefühlten 40 Grad Celsius war „Die Schöne“ startklar und wir machten eine Testfahrt zu Dieter, einem Freund von Walter, der eine kleine Hühnchenzucht betreibt und jede Woche von Walter Knochen für seine Hunde bekommt. Hier durfte sich Tina gleich mal als Geburtshelferin für ein Küken betätigen, dass es nicht wirklich aus der Schale schaffte – Übersüß! Abends fixierten wir noch die Route für die kommenden Tage, lauschten noch einigen Geschichten und schauten Filme und Fotoshows, während Walter seine allabendliche Bierration und seinen heißgeliebten Rostlöser (Zuckerrohrschnaps) für die Knie genoss.
Am Morgen standen wir hoch motiviert um 7.00 auf der Matte und packten unsere Koffer, während es draußen wie aus Kübeln schüttete. Leider machte das ungeschriebene paraguayanische Gesetz auch nicht vor Entenausflügen halt, was bedeutete, dass wir noch einen langen Regentag bei Walter verweilen mussten, da es bei Regen unmöglich war, die geplanten Erdstraßen zu fahren. Wir schlugen die Zeit mit Lesen tot, wobei ich mich in ein Buch von einem Bekannten Walters einlas, das komplett chaotisch und wirr war, mir aber ein bisschen verdeutlicht hat, was deutsche Auswanderer in Paraguay suchen, bzw. was sie aus Deutschland vertrieben hat. Kurz gesagt scheint der Freiheitsbegriff eine große Motivation zu sein und auf der anderen Seite kommen deutsche Beamte und Politiker sowie die deutsche Bürokratie ganz schön schlecht weg. Der Hinweis Walters über den Autor : “Der is aber auch scho tot!“ wunderte mich nicht im Geringsten, den dieser Beisatz fällt bei ca. 90% der Protagonisten seiner Erzählungen.
Am folgenden Morgen strahlte wieder die Sonne, Walters Entrostungskur hatte auch gefruchtet und wir waren gespannt wie ein Flitzebogen auf die kommenden Abenteuer, die uns erwarteten. Nach dem wir La Bella an der Tankstelle gefüttert hatten und in Walters Stamm-Gomeria (spezielle Werkstätten, die sich auf Reifen spezialisiert haben und an jeder Ecke Paraguays zu finden sind) ihre Flügel aufgepumpt haben, flogen wir zur ersten Station, Independencia, unserer Entenreise. Independencia ist eine deutsche Kolonie, die nach dem ersten Weltkrieg von überwiegend badensischen Auswanderern gegründet wurde und noch heute viele deutschsprachige Auswanderer anzieht, da hier überwiegend Deutsch gesprochen wird und infrastrukturell alles auf Deutsche zugeschnitten ist. So gibt es z.B. eine deutsche Schule, einen deutschen Fitnessclub, deutsche Supermärkte mit deutschem Brot, deutscher Leberwurst und und und. Da Tina Lehrerin ist, machten wir kurz an der deutschen Schule halt, in der gerade die Gesamtlehrerkonferenz zu Ende ging. Die freundlichen LehrerInnen berichteten über das Schulkonzept und zeigten uns das schöne Schulgelände. Anschließend statteten wir den zwei ur-netten Bayern Caro und Georg einen Besuch auf ihrem wunderschönen Anwesen ab. Sie luden uns spontan zum traditionellen Tererétrinken ein, was hier in Paraguay eine Ehre ist, die wir selbstverständlich gerne annahmen. Die zwei wanderten vor 7 Jahre aus und ich möchte mal behaupten, dass sie wohl die bodenständigsten Auswanderer waren, die wir an diesem Tag kennenlernen durften. Durch ihre herzliche, interessierte und unkomplizierte Art fühlten wir uns total willkommen und wir hätten große Lust verspürt, uns ein paar Tage bei ihnen einzumieten. Georg führte uns in Begleitung seiner coolen Hundegang noch ein bisschen durch ihre Ländereien und zeigte uns seine kleine Kuhherde, inklusive des riesenhaften Stiers, die er als Rasenmäher angestellt hat. Darunter befanden sich auch ein paar der indisch angehauchten Kühe, die man mit ihren Buckeln, Hörner und Halslappen fast überall in Paraguay bestaunen kann. Von Caro bekamen wir noch den guten Tipp, nicht im Fluss Tebicuary zu baden, der eigentlich noch auf unserer Reiseliste mit Walter stand, da es in den vergangenen Tagen zu zahlreichen Angriffen durch Piranhas auf Badegäste gekommen war, die schwere Verletzungen erlitten hatten. Wenn ich mir überlege, wie scharf die Zähnchen der Piranhas waren, die wir im Amazonas zu Forschungszwecken gefischt haben, könnte es mir schon Angst und Bange werden, bei der Vorstellung beim Baden angeknabbert zu werden. Nachdem wir uns gebührend von Caro und Georg verabschiedet hatten, folgten wir erstmal unseren knurrenden Mägen und stärkten uns wieder einmal mit einem hervorragendes Milanesa de Carne (Wiener Schnitzel) und deckten uns anschließend im Supermarkt mit leckerem Vollkornbrot, Salami, Leberwurst und Emmentaler Käse ein, was es am nächsten Morgen zum Frühstück geben sollte.
Der nächste Besuch in Independencia sollte bei Miguel (Michael) Benz sein. Walter meinte vorab, dass man erst behaupten könne, Paraguay zu kennen, wenn man Miguel kennengelernt hat und so waren wir natürlich außerordentlich gespannt, wem wir hier begegnen würden. An einem kleinen, ziemlich eingewachsenen Grundstück mit einer einfachen Einsiedlerhütte (die allerdings eine imposante Bibliothek beinhaltet), begrüßten uns Miguel und seine Hunde und Hühner . Der Ersteindruck war etwas schockierend, denn Miguel hatte nur noch eine handvoll kohlrabenschwarz verfaulter und krummer Stummel im Mund und sein Zahnfleisch sah auch nicht viel gesünder aus. Zum Einstieg erzählte er aber eine lustige Geschichte über eine Dame, die ihn gefragt hat, ob er nicht mal zum Zahnarzt wolle und damit war das Thema vom Tisch und wir konnten uns ganz auf den wunderbaren Menschen hinter den fehlenden Zähnen konzentrieren. Miguel war früher mal ein Franziskaner Bruder, der aber irgendwann seine Schwäche für das weibliche Geschlecht entdeckte und entschied, den Franziskaner Orden zu verlassen. Bis dahin arbeitete er in der Entwicklungshilfe. Uns war schon nach einigen Minuten klar, warum Miguel die gute Seele von Independencia ist, zu dem alle kommen, wenn sie ein offenes Ohr brauchen. Er hat ein so gewinnendes, humorvolles und freundliches Wesen und eine gewaltige Aura, die auch uns sofort in ihren Bann gezogen hat. Als er erfuhr, dass Tina Religionslehrerin ist und ich einen Pfarrer zum Bruder habe, überschlug er sich fast vor Freude, dass wir zwei „religiös interessierte junge Menschen“ seien und konnte sich kaum zurückhalten, von seinen Gedanken, seinem Glauben und seinen momentanen Lieblingsbüchern zu erzählen und er genoss sichtlich die Möglichkeit dies auch in Anwesenheit von Walter zu tun, der ja eher als atheistisch zu bezeichnen ist. Lustig waren die Erzählungen über die Zeugen Jehovas, die es immer wieder wagen, an Miguels Zaun zu klopfen, um ihn zu Gott zu bekehren, wobei sie sich regelmäßig die Zähne an ihm ausbeißen. So hat er sie schon des Öfteren mit der Frage begrüßt, ob sie sich denn im Klaren seien, dass sie einen Eimer voll Wasser zum Brunnen trügen, um ihnen anschließend mit seinem theologischen Wissensschatz ihre verquerte Interpretation der Bibel aufzuzeigen. Leider mussten wir schon bald wieder aufbrechen, weil noch weitere Besuche in Villarica anstanden, auch wenn wir Miguel wirklich noch gerne näher kennengelernt hätten. Auf dem Weg erzählte uns Walter noch ein wenig zu Miguels Geschichte. Wir wunderten uns, von was er denn lebte, denn als ehemaliger Franziskaner, stellten wir uns das schwierig vor. Walter meinte, er habe wohl vor einigen Jahren, einen Brief an den Papst geschrieben, ob es denn von der Kirche keine Unterstützung gäbe für Menschen, die ihr halbes Leben damit verbracht haben, für die Kirche und die armen Menschen Entwicklungshilfe zu leisten. Seither bekommt Miguel eine kleine Rente und darüber hinaus unterstützen ihn wohl immer wieder ältere Damen, die selbst eine ordentliche Rente aus Deutschland erhalten. Die Frage, wie Miguel sich denn mit seinen Zähnen ernährt, die meiner Meinung nach schrecklich weh tun müssen, wurde ähnlich beantwortet, denn bis vor kurzem gab es wohl noch eine Herzensdame, die ihn nicht nur finanziell unterstützte, sondern ihm auch sein Essen vorkaute. Bei aller Tragik mussten wir dennoch lachen, denn Miguel ist wirklich ein unglaublich liebenswertes Unikat.
Die nächste Station Villarica, in der Walter 7 Jahre als Lehrer tätig war, war nach einer halben Stunde erreicht. Nachdem uns Walter in aller Schnelle den alten Bahnhof, zwei Kirchen und sein altes Anwesen gezeigt hat, legten wir einen kurzen Stopp bei einem ehemaligen paraguayanischen Kollegen und seiner Frau ein, die uns in ihrem Garten zum Tereré einluden und sich irrsinnig über den Besuch freuten. Walter war der einzige Freund, der unseren Gastgeber in seiner 7 jährigen Haft regelmäßig im Gefängnis besuchte und ihm dafür immer noch sichtlich dankbar ist. Die Geschichte hinter dieser Strafe ist genauso schrecklich wie traurig und ließ uns wieder einmal dankbar darüber sein, dass wir in einem einigermaßen funktionierendem Rechtsstaat leben, in dem man nicht ins Gefängnis kommt, wenn man seinem Gewissen folgt und das Richtige tun möchte.
Und dann sollte es noch zu einem letzten Besuch zu einem alten Familienfreund Walters etwas außerhalb von Villarica gehen. Auf der Zufahrt durch eine alte Estancia merkte Walter noch kurz an, dass wir uns nicht wundern sollen, aber unser nächster Gastgeber sei etwas deutsch-deutsch eingestellt und bei seiner Ziehmutter, die nebenan wohnt, hänge vermutlich noch ein Bild von Hitler im Wohnzimmer – aber er sei ein prima Kerl. Wir hatten in den Tagen zuvor schon immer wieder mal vorsichtig das Thema Nazis in Paraguay angesprochen, denn man kann ja überall lesen, dass nach dem zweiten Weltkrieg viele Nazis nach Südamerika und insbesondere nach Paraguay ausgewandert sind. Dr. Mengele, der Arzt, der für tausende vergaste Menschen in Ausschwitz und seine menschenverachtenden Zwillingsforschungen bekannt wurde, praktizierte angeblich in den deutschen Kolonien und wird heute noch von den Einheimischen als netter und kompetenter Arzt, beschrieben, der vielen Paraguayanern und auch Indigenen medizinisch geholfen hat. Walter reagierte zum Thema eher ausweichend bzw. genervt, weil er der Meinung ist, dass die Menschen im dritten Reich ja gar keine Wahl hatten, sich dem Naziregime zu entziehen und man es den Nachfahren nicht mehr zum Vorwurf machen könne. So weit so gut, ganz wohl war uns nach der Ankündigung Walters nicht und als wir vor dem ersten Tor unseres Gastgebers standen und mit einer Hakenkreuzpalme begrüßt wurden, rutschte unser Herz noch tiefer in die Hose. Am zweiten Tor begrüßten uns 4 bellende Hunde und ein weiteres Schild mit einem Reichsadler, über dem der Titel „Reichsschutzgebiet“ thronte. Der ca. 2 Meter große Hausherr gebot Einlass und begrüßte uns mit dem Satz: „So lange ihr Deutsch sprecht, machen die Hunde nichts!“ Die nächsten Stunde saß ich wie auf glühenden Kohlen vor meinem Pomelosaft und versuchte mit dieser absurden Situation klarzukommen. Absurd war vor allem, dass unser Gastgeber wirklich nett war, nicht über Politik sprach und es toll fand, dass wir auf unserer Reise so viele schöne und unterschiedliche Kulturen kennenlernen dürfen. Wenn nicht ständig sein Feuerzeug mit riesigem Hakenkreuzdruck vor mir gelegen hätte, hätte ich auch glatt vergessen können, was ich am Eingang sah. Der Hausherr wusste zwar, wie in Paraguay üblich, fast ausschließlich morbide Geschichten über üble Selbstmorde und Ähnlichem zu erzählen, scheint hier in der Region aber als Menschen- und Tierfreund, Witwentröster und Helfer in der Not bekannt zu sein. Auch Walter hält eine Menge von ihm, weil er immer für ihn und seine Familie da war. Ich und Tina waren aber doch sehr froh, als wir das Anwesen wieder verlassen durften – nicht weil wir schlecht behandelt worden wären (das Gegenteil war der Fall) oder das Gefühl hatten, dass an diesem Ort Rassismus und Hass gelebt werden, sondern weil ich es einfach nicht verstehen kann, wie man heutzutage immer noch einen so verklärt romantischen Blick auf die schreckliche Nazivergangenheit haben kann und damit all die Opfer verhöhnt, die im Holocaust und im Krieg ihr Leben lassen mussten. Um eine gruselige Erfahrung und Gesprächsstoff für die nächsten Wochen reicher, suchten wir uns ein Hotelzimmer Villarica und ließen uns eine hervorragende Pizza schmecken, bevor wir todmüde in unser Bettchen fielen.
Der nächste Tag stand ganz im Zeichen von La Bella. Nach einem leckeren Frühstück am Straßenrand mit Vollkornbrot, Leberwurst, Mate und Co, verließen wir nach einigen Kilometern die befestigte Straße und sollten den Rest des Tages nur noch auf den roten Sandstraßen durch die wunderbar grüne Landschaft fahren. Immer wieder kamen Flüsse, die wir auf zum Teil recht abenteuerlichen Holzbrücken überquerten, die nur mit zwei Holzplanken bedeckt waren, die man mit den Reifen treffen sollte, wenn man nicht feststecken will. Nur, dass die Holzplanken für „normale“ Autos, d.h. in Paraguay vorwiegend fette Pickups und nicht für Entenräder ausgelegt waren. Wie die riesigen Sattelschlepper, denen wir immer wieder begegnet sind, hier sicher drüber kommen, ist mir immer allerdings auch schleierhaft, denn die Holzunterkonstruktion ist meistens sehr abenteuerlich zusammmengeschustert. Wir wollten natürlich auch ein Foto von der Froschperspektive, wie wir mit La Bella über die Brücke fahren und so stieg ich an einer geeigneten Brücke aus und begab mich an der Seite ein Stück nach unten. Bei meinem letzten Schritt hatte ich leider die Rechnung nicht mit dem roten Schlamm am steilen Ufer gemacht und ich rutschte mächtig aus, landete auf dem Hosenboden, während meine Kamera im hohen Bogen Richtung Fluss flog und 10 cm vor dem Wasser im dicken Matsch eintauchte. Die Kamera konnte ich schnell retten, aber für mich selber sah ich ohne meine Hände keine Chance den glatteisähnlichen Abhang ohne weitere Abstürze zu bewältigen. Also versuchte ich mich durch lautes Rufen verständlich zu machen und wurde schließlich von einer schimpfenden Tina gerettet, die mir nicht wirklich glauben wollte, dass ich das Unglück nicht verhindern hätte können. Nachdem ich von oben bis unten voller Matsch war, parkten wir unser Entchen etwas abseits im Fluss, während ich nochmals in den Fluß stieg um mich gründlich zu waschen. Wie ich es schaffte, einigermaßen sauber wieder den Abhang hinauf zu kommen ist mir immer noch ein Rätsel, aber spätestens an dieser Stelle glaubte mir Tina, dass ich möglicherweise wirklich keine Chance hatte, den Sturz abzuwenden. Nachdem wir noch meine Kamera und meine Dampfe so gut wie möglich vom Schlamm befreit hatten, entschieden wir, dass die Zeit reif für ein kühles Bier war, was wir gleich mit einem Fotoshooting mit Walter und La Bella verbanden. Und weiter ging’s über Stock und Stein mit der Ente. Nach einigen Kilometern durfte sich als erstes Tina am Steuer von La Bella ausprobieren. Die ungewohnte Revolverschaltung und die Sandstraße strapazierte Tinas Nerven aber ungemein und so gab sie nach einigen Minuten das Steuer an mich ab. Einsteigen – Anschnallen und ab ging die Post. Mir liegt anscheinend das Entefahren im Blut (möglicherweise liegt es daran, dass Papas erstes Auto eine Ente war) und so schoss ich im Sausewind über die zerfurchte und schlaglöchrige Piste. Nur fliegen ist schöner, als Ente fahren! Walter meinte auch, dass ich ein Naturtalent sei und das Auto ausgezeichnet zu mir passe und riet Tina, mir in Deutschland eine zu kaufen.
Anmerkung von Tina: Ich muss an dieser Stelle zugeben, dass ich anfangs nicht wirklich viel Vertrauen in unsere gelbe Ente hatte, hatte ich mich doch mit der Erwartung an Walter gewandt, eine Tour mit seiner 4x4 Ente zu machen. Diese war aber gerade nicht einsatzfähig, weswegen uns Walter mit seiner stinknormalen 2CV-Ente entführte, die aber immerhin etwas breitere Watscheln hatte, als die normalen dünnen Entenreifelchen. Bei der Tourplanung war dann immer wieder von Erdstraßen die Rede, und ich fragte mich, wie das Entchen das aushalten sollte, erschien mir daran alles doch sehr zerbrechlich. Am zweiten Tag wurde ich aber von Walter belehrt, dass der Citroen 2CV genau für solche Offroadstraßen entwickelt wurde, nämlich um möglichst spritsparend über die französischen Felder und Bergsträßchen flitzen zu können, und nicht wie ich ursprünglich annahm, um in Paris immer einen Parkplatz zu bekommen 😊 AHA, also wieder was gelernt!! Mein Vertrauen in das Entchen wuchs und da Walter und seine „La Bella“ praktisch wie Hirn und Herz miteinander verbunden sind, flogen wir super geschmeidig über die roten Sandstraßen. Ich konnte das Entchen, das im Übrigen genau mein Baujahr hat, allerdings nicht so gut händeln … das extrem übertourige Fahren und diese komische Kochlöffelschaltung waren nicht so mein Ding, da durfte Tömmi dann glänzen! Allerdings muss ich sagen, dass mir das auf dem Rücksitz stehen und oben aus der Cabrio-Ente Schauen außerordentlich viel Spaß machte. Der Spruch „Nur Fliegen ist schöner“ hat nicht nur beim Segeln, sondern auch beim Entefahren sehr viel Wahrheitsgehalt. Schön ist das Entefahren allein wegen der Tatsache, dass so eine Ente halt ein extrem cooles Auto ist. Schöner am Entefahren ist allerdings das oben beschriebene Gefühl, direkt mit der Straße verbunden zu sein. Das Allerschönste am Entefahren sind aber die Reaktionen der andren Menschen: Nahezu alle, vor allem aber die Kinder, freuen sich wahnsinnig, wenn sie die alte lustige Kiste erblicken und winken einem zu, grinsen einen an und geben einem ein Daumen-hoch-Zeichen!
Gegen Nachmittag erreichten wir die Ausläufer des ehemaligen atlantischen Regenwaldes und fuhren dann in eine sehr eintönige Landschaft, die soweit das Auge reichte, nur aus Sojafeldern bestand. Unser Tagesziel sollte San Rafael sein, ein „geschützter“ Nationalpark, der die letzten verbliebenen 70000 Hektar Regenwald beherbergt und über den wir schon bei Walter einen kleinen Dokumentarfilm angeschaut haben. Nun wurde uns die Tragik des Ganzen erst richtig bewusst, als wir die unendlichen Sojafelder sahen, die ehemals allesamt Regenwald waren, der in den letzten 40 Jahren abgeholzt und gerodet wurde. Wenn man sich vorstellt, wie viele Pflanzen und Tiere hier ausgerottet und ihr Lebensraum vernichtet wurde für Edelholz und Soja, dass vornehmlich nach Europa und die USA geschippert wird, könnte es einem wirklich schlecht werden. Profitiert haben davon natürlich nur die großen Unternehmen, Unilever und Monsanto und daneben ein paar reiche Großgrundbesitzer, denen die Ländereien gehören und die ordentlich Profite einstreichen. Die einheimischen Bauern (Campesinos) haben oft kein eigenes Land und sind entsprechend bettelarm. San Rafael wird von einer Schweizer Auswandererfamilie betreut, die vor 40 Jahren selbst ein riesiges Grundstück im Regenwald gekauft haben und einen Teil davon gerodet haben, um Soja anzupflanzen. Als ihnen nach einigen Jahren bewusst wurde, dass der Regenwald durch die Rodungen im ganzen Gebiet ernsthaft gefährdet war, setzte bei ihnen ein Umdenken ein und sie setzten sich fortan für den Schutz des letzten Teiles des Waldes ein.
Als wir nach einigem Herumirren im Labyrinth der Sojafelder endlich den Weg nach San Rafael gefunden haben, war es bereits Abend. Wir wurden herzlichst von Christine und Hans begrüßt und Walter durfte sogar mit Hans eine Runde im Ultraleichtflugzeug über San Rafael drehen. Hans macht regelmäßig Kontrollflüge über dem Regenwald, um illegale Abholzungen und Wildereien den zuständigen Behörden und Umweltorganisationen melden zu können. Leider ist das Ganze ein Tropfen auf den heißen Stein, denn die paraguayanischen Behörden reagieren auf die Meldungen nicht wirklich und so schwindet der Regenwald heute immer noch Stück für Stück. Desweiteren müssen Christine und Hans sehr vorsichtig sein, was sie weitergeben, denn in der ganzen Region werden auch Drogen angebaut und die Verantwortlichen sind nicht wirklich zimperlich, wenn sie von jemandem verpetzt werden. Die Wilderer arbeiten im Wald meistens mit Jaghunden. Diese abzuschießen, sei oft das Einzige, wie man den Wilderern Schaden zufügen kann, allerdings wurden als Rache auch schon Hunde von Christine und Hans erschossen und Drohungen gegen ihre Familie ausgesprochen. Es ist wirklich bewundernswert, wie die Beiden schon seit Jahren für den Wald kämpfen, auch wenn sie schon so viele Rückschläge erleiden mussten und sie bei jeder Neuwahl in Paraguay von Neuem beginnen müssen, die politischen Entscheidungsträger von ihrer Sache zu überzeugen. Nachdem wir unser schönes Zimmer bezogen und die nähere Umgebung erkundeten hatten, gab es für uns ein super leckeres Abendessen mit echten Schweizer Röschtis.
Am nächsten Morgen standen wir zeitig auf, genossen ein tolles Frühstück mit feinsten Schweizer Käsesorten und brachen schließlich auf, um einen ca. vierstündigen Rundwanderweg durch den Rgenwald zu laufen. Die spektakuläreren Tiere wie Affen und Nasenbären wollten sich uns zwar nicht zeigen, aber dafür durften wir zahlreiche Vögel, Spinnen und eine tolle Pflanzenwelt beobachten, unter anderem die seltenen Riesenfarne. Nach dem leckeren Mittagessen gingen wir noch eine Runde im wunderschönen Badesee des Schweizer Anwesens schwimmen, bevor wir uns von unseren herzlichen Gastgebern verabschiedeten und mit La Bella zur letzten Station, dem Parque Manantial in Hohenau aufbrachen.
Parque Manantial ist ein hübsches Hotel mit einer kleinen Poollandschaft und einer großen Parkanlage, in der von Kühen bis Tapiren einige Tierchen leben. Nachdem wir unser schönes Zimmer bezogen haben, machten wir uns natürlich sofort zu den Tapiren auf, die uns genauso süß wie Fifi mit ihren lustigen Rüsseln begrüßten. Eine Wiese nebenan, wohnten die hasenartigen Agutis und noch ein Stück weiter gab es indische Gymnastikkühe, die ihm Stehen mit ihrem hinteren Bein, ihren Kopf kratzen konnten, absolut phantastisch! Zum Abendessen trafen wir uns mit dem deutschstämmigen Besitzer des Parks Ruben, der unglaublich nett war und uns bis spät in die Nacht einen Aristókrates (Zuckerrohrschnaps aus Paraguay und besagter Rostlöser Walters) nach dem anderen einschenkte. Nebenher erzählte er uns seine Lebensgeschichte und wie er mit kaum Schulbildung und ohne Berufsausbildung nur durch harte Arbeit sein Reich aufgebaut hat. Eigentlich sollten vor einigen Monaten sein Sohn und dessen Ehefrau den Park übernehmen, damit Ruben und seine tapfere Frau nach den unzähligen arbeitsreichen Jahren einmal eine Reise unternehmen können. Leider gab es Zoff zwischen Eltern und Kinder und der Sohn schmiss alles hin. Ruben steckt nun in dem riesen Dilemma entweder sein Lebenswerk weiterzuführen und damit sich und seiner Frau weitere arbeitsreiche Jahre zu bescheren oder das Anwesen zu verkaufen und damit zwar Zeit und Lebensqualität für sich und seine Frau zu gewinnen aber gleichzeitig seine sich hart erarbeitete Heimat zu verlieren. Der sichtlich verzweifelte Mann tat uns schrecklich leid, denn wir fühlten ganz genau, dass er sich eigentlich weder für das Eine noch für das Andere entscheiden kann, ohne zu zerbrechen. Wir hatten allerdings trotzdem einen wunderschönen letzten Abend mit dem herzlichen Ruben und natürlich Walter, denn am folgenden Tag, lieferte Walter uns im nächsten Ort Trinidad in einer Hospedaje bei Carsten und Maria ab, wo wir unseren liebgewonnen neuen Freund verabschiedeten und ihn mit La Bella auf den Heimweg entsandten.
Wie eigentlich bisher überall in Paraguay genossen wir bei Carsten und seiner Familie eine besondere Gastfreundschaft. Maria bekochte uns zweimal am Tag mit leckerem Essen und wir waren jederzeit in ihrem Wohnzimmer willkommen, wo wir wiederum viel über das Leben in Paraguay erfuhren. Tina erklärt mich ja regelmäßig für verrückt, wenn ich mich über gefährliche Tiere in einem Land informiere und glaubt mir kein Wort, wenn ich darüber erzählen möchte. Der pfiffige Sohn Hendrik zeigte uns aber gleich am ersten Abend, eine süße flauschige Raupe, die er am Mittag im Garten gefunden hatte, über die ich auch schon gelesen hatte. Sie verursacht bei der kleinsten Berührung unsägliche Schmerzen, die einen ganzen Tag anhalten und bei einer Allergie sogar tödlich ist. Tina war durchaus etwas geschockt, denn sie wäre vermutlich die Erste, die die Raupe gestreichelt hätte. Nachdem wir hierauf äußerst interessiert reagiert haben, kam Hendrik mit einem ganzen Sammelsurium an eingelegten Giftschlangen, die er und seine Eltern im Garten gefunden haben, darunter auch eine 5 Minuten Schlange, deren Gift sehr schnell und meist auch tödlich wirkt. Meine Reputation als Tierexperte war wieder hergestellt und ich hoffe Tina nimmt mich diesbezüglich in Zukunft wieder ernster. Nach dem Abendessen gingen wir noch zur abendlichen Licht und Tonshow in die Jesuitenreduktion von Trinidad, eine Ruinenstadt aus dem Jahr 1706, die vom Jesuitenorden gegründet wurde, um zum Einen die indigene Bevölkerung zu missionieren, aber zum Anderen auch um sie vor den spanischen Eroberern und deren Ausbeutung zu schützen. Die Jesuiten genießen bis heute einen ausgezeichneten Ruf in der Bevölkerung, denn sie halfen den Menschen wirklich im Alltag mit Bildung, mit dem Schutz ihrer Kultur und trugen maßgeblich zur Verschriftlichung und damit zum Erhalt der Sprache Guaraní bei. In den Jesuitendörfer konnten die Menschen unter dem Schutz der Jesuiten leben, ihren Geschäften nachgehen und Landwirtschaft betreiben. Da die Jesuiten schnell großen wirtschaftlichen Erfolg verzeichneten und dies von der spanischen Krone geneidet wurde, sprach der spanische König 1706 eine Verbannung der Jesuiten aus und sie wurden auch in Paraguay entmachtet und verhaftet und mussten das Land verlassen. Heute kann man noch immer viele Jesuitenreduktionen (Siedlungen) in Paraguay bestaunen, zwei der schönsten in Trinidad und im wenige Kilometer entfernten Jesus, das wir am folgenden Tag besuchten. Da es die Tage immer wieder aus Kübeln regnete und wir nach den abenteuerlichen Tagen mit Walter auch etwas Ruhe brauchten, verbrachten wir die meiste Zeit in unserer Unterkunft, lasen und kuschelten mit den übersüßen Hunden und Katzen unserer Gastfamilie. In Trinidad durften wir auch Absurdistan nochmals live erleben, denn hier fahren schon Zehnjährige riesenhafte Pickups, deren Räder oft doppelt so hoch sind, wie die Kinder. Da es in Paraguay keine Fahrschulen oder Ähnliches gibt, sondern man sich den Führerschein nur kaufen muss, ist das hier also auch vollkommen legal :-)
Der Besuch des bekannten Karnevals von Encarnación fiel dann aber auch wortwörtlich ins Wasser, was aber nicht so schlimm war, weil es sehr kompliziert gewesen wäre, an Karten zu kommen.
Die letzte Station in Paraguay sollte dann auch die Grenzstadt Encarnación sein, wo wir nochmals 3 Tage am wunderschönen Sandstrand des Rio Paraná verbrachten und uns den Sonnenbrand des Todes holten. Ja, auch nach bisher 9 Monaten Sommer, sollte man die Sonne nicht unterschätzen. Ein weiteres Highlight war ein wundervolles Abendessen in einem richtig guten Restaurant, bei dem wir unseren fünften Jahrestag nachfeierten. Wie schnell die Zeit doch vergeht – und schon waren auch wieder knapp 4 Wochen aufregendes Paraguay zu Ende!