Salam ya Amman
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(To)ug(h)ly talk

Veröffentlicht: 26.09.2019

Donnerstag, 26. September

6:45 am. Ich springe in den wieder mal eiskalten Swimmingpool und muss dann nach der Dusche im Schnelldurchlauf frühstücken. Wir besuchen heute um 9 Uhr eine größere Konferenz zum Thema „Community Development“ in der GJU in Madaba, davor steht noch eine Tandem-Präsentation an. Außerdem hat Lisa gestern schon angekündigt, davor noch ein ernstes Wörtchen mit uns reden zu wollen. „Tough talk“, hat sie es genannt. Was auch immer das heißen soll, wir stellen uns schon einmal darauf ein, dass es unangenehm wird.

Wegen des engen Zeitplans ist Treffpunkt um 7:50 Uhr in der Lobby, damit unser Shuttle-Bus pünktlich um 8 Uhr losfahren kann. Heute keine Sekunde später, wie uns mehr als deutlich gesagt wurde. Um 7:55 Uhr springe ich in den Bus, in dem schon alle anderen sitzen, und der keine Minute später mit quietschenden Reifen losfährt. Lisa hat sich gerade erhoben und mit ihrer Ansprache begonnen, als es Sarina auffällt: „Sanaa and Eman are not there!“ Wir haben sie tatsächlich im Hotel vergessen. Und es ist gerade einmal 8 Uhr. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als noch einmal zurückzufahren. Das kommt davon, wenn man immer nur gehetzt wird.

Wir schaffen es dann doch, kurz später mit der kompletten Gruppe in einem kleinen Vorlesungssaal in der GJU zu sitzen. Lisa schließt die Tür, und fängt an. Sie habe ein paar „issues“, die ihr in den letzten Tagen aufgefallen seien, und die sie ansprechen müsse. Als allererstes, noch ein paar Worte zum UNHCR-Besuch. Was für eine Überraschung. Nida, die UNHCR-Mitarbeiterin, habe sich nach dem Besuch noch einmal bei Lisa gemeldet und nachgefragt, wofür sie sich eigentlich so verbogen hätte, um uns diesen Besuch möglich zu machen. Während der Präsentation, die sie uns gegeben hat, hätte sie jemanden von uns sagen hören „I don’t want to listen to this bullshit.“ Lisa macht eine kurze Pause und legt dann los. Ihre Stimme bebt und wird mit jedem Wort lauter. Sie habe keine Worte mehr für eine solche Respektlosigkeit. Dass wir uns nicht zu benehmen wüssten. Dass sie und alle anderen Organisator*innen der Summer School alles geben würden, um uns eine gute Exkursion zu ermöglichen, und wir das in keinster Weise zu würdigen wüssten. Unser Fehlverhalten wäre ihr auch schon bei anderen institutionellen Besuchen aufgefallen. Unser Benehmen und unsere Kleidung wären oft nicht angebracht gewesen. Der UNHCR-Besuch wäre dann die Spitze des Eisbergs gewesen. Auch wenn sie die Frechheit selbst nicht gehört habe, verdächtige sie jemand von uns Deutschen. Namen nennt sie keine. Auch ich merke jetzt, wie in mir Emotionen hochkochen, und gleichzeitig mit Sarinas Arm schnellt meine Hand nach oben. Nein, sie wolle jetzt nichts hören, winkt Lisa uns mit giftigem Blick ab. Stattdessen poltert sie weiter, während mittlerweile auch Prof. Roßkopf zu uns stößt. Sie habe so einige Gerüchte mitbekommen, in den letzten Tagen. Und wir haben uns in keine Angelegenheiten einzumischen, die uns nichts angingen. Ich schaue zu Sophia. Wir wissen beide, dass dieser Hieb an sie geht. Es gab bei den libanesischen Studentinnen Unstimmigkeiten wegen Fördergeldern, die noch nicht auf deren Kontos eingegangen waren, und bei Fatima Verwirrung wegen Beträgen, die sie zahlen sollte, für Ausflüge, an denen sie nicht teilgenommen hat. Sophia hatte sich in beiden Fällen für die Mädels eingesetzt und sich auf deren Seite gestellt, was da schon sichtbar für Unmut geführt hatte. Sie wolle uns zwar nicht verbieten, unsere Meinung zu sagen, sagt Lisa dann noch, aber (und das ist jetzt meine eigene, sinngemäße Übersetzung), unseren Mund halten, wenn wir keine Ahnung hätten. Als sie ihre Vorstellung beendet hat, übergibt sie das Wort an Amaka und Noor, die jetzt ihre Präsentation halten sollen.

Die Wut in mir wächst in Sekundenbruchteilen ins Unermessliche. Ich möchte aus dem Raum gehen und schreien. Ganz, ganz laut. Das einzige, was mich jetzt davon abhält, ist die Präsentation von Amaka und Noor, der ich Respekt zollen will. Weiß ich doch, wie viel Energie sie dafür in den letzten Tagen aufgebracht haben. Ich kann jedoch keinem einzigen Wort folgen, das die beiden jetzt von sich geben. Ich kann die Ungerechtigkeit, die hier gerade passiert ist, wirklich nicht ertragen und versuche, ruhig zu atmen, um nicht zu hyperventilieren. Wie kann Lisa uns all diese Sachen an den Kopf werfen, in einer Lautstärke und einem Tonfall, der abfälliger nicht hätte sein können, und uns dann nicht einmal die Möglichkeit geben, auch nur ein Wort dazu zu sagen. Nach all den letzten Tagen, in denen wir mit unseren Emotionen und Gefühlen, die uns alle mit unerwarteter Wucht umgehauen haben, komplett alleine gelassen wurden. In denen wir uns missverstanden gefühlt, und uns selbst therapiert haben. In der wir als Gruppe zusammengewachsen sind, während uns von organisatorischer Seite kein Raum zum Reflektieren und Verarbeiten aller Geschehnisse gegeben wurde. Ich habe den „Bullshit“-Satz bei der UNHCR nicht gehört, und ich saß direkt neben Nida. Vielleicht ist er wirklich gefallen, vielleicht aber auch nicht. Ehrlich gesagt würde ich es im Fall der Fälle nicht einmal jemandem übel nehmen, auch wenn die Wortwahl natürlich fragwürdig ist. Dem Sinne nach ist diese Aussage nämlich sehr nachvollziehbar - was wir uns dort angehört haben, war wirklich starker Tobak. Wie auch immer es war: die Anschuldigung in den Raum zu werfen, dass es jemand aus der deutschen Gruppe gewesen sein muss, ohne dass Lisa selbst den Satz gehört hat, ist wirklich das allerletzte. Und das hat nichts mit Solidarität gegenüber meinen Landsleuten zu tun. Egal, wie sehr sie selbst in diesem Moment von ihren Emotionen eingenommen war – eine solche Anschuldigung ist mit nichts zu rechtfertigen. Das gilt auch für alle anderen Punkte, die sie uns vorwirft – angebliches Fehlverhalten bei anderen Organisationen, oder Nicht-Einhalten des Dresscodes. Wieso hat sie das dann nicht direkt gesagt, und macht uns jetzt eine Szene daraus, wo alles schon zu spät ist? Und was hat das alles hier noch mit sozialer Arbeit zu tun?

Nach der Präsentation bittet uns Prof. Roßkopf, nun zur Konferenz zu gehen. Ich verlasse den Vorlesungsraum und versuche, mich zu beruhigen. Erfolglos. Mir schießen vor Wut die Tränen in die Augen. Rebecca schiebt uns nun erst einmal raus an die frische Luft, aber es hilft nichts. Ich kann mich gerade unmöglich in eine Konferenz setzen und irgendeinem Vortrag zuhören. Mein Puls will einfach nicht langsamer schlagen. Während sich die anderen in die Liste der Konferenz eintragen, sage ich zu Sophia, dass ich mich abmelden werde, weil ich mich hier unter Berieselung der Vorträge nicht beruhigen kann. Sie kommt mit mir zu Prof. Roßkopf und bittet ihn um Erlaubnis, an die frische Luft zu gehen, weil es mir gerade nicht gut geht. „Können Sie das danach klären?“, sagt er. „Wir haben jetzt die Konferenz.“ Ich weiß nicht mehr, ob ich nur innerlich, oder auch äußerlich den Kopf schüttele. „Es geht ihr wirklich nicht gut“, betont Sophia. „Nein! Jetzt ist die Konferenz!“, sagt Prof. Roßkopf bestimmt, und dreht sich um. In welcher empathielosen Welt sind wir hier nur gelandet.

Ich setze mich in die letzte Reihe an die Wand, lasse noch ein paar Wuttränen meine Wange herunterkullern und krame meinen Laptop heraus, während sich die Mädels mit Wasser und Tempos um mich kümmern. Ich merke aber mittlerweile, dass hier jeder Widerstand zwecklos ist. Wozu sollen wir unsere Stimme erheben, wenn sie keiner hören will. Ich werde meinen Gefühlen morgen bei der Abschlussevaluation schriftlich Ausdruck verleihen. Mehr nicht. Alles andere ist vergebene Liebesmüh.

Ich versuche nun, das positive an dem Konferenztag zu sehen: Kaffee und Kekse, außerdem mein Laptop, mit dem ich mich beschäftige, bis der Akku leer ist. Sobald ich nichts mehr zu tun habe, merke ich, dass die Wut wieder in mir hochsteigt. Was mir dann allerdings bewusst wird: wir haben eine ganz wundervolle Summer School Gruppe, in der alle immer füreinander da sind. Das wird mir jetzt ganz besonders klar, und ich bin mir darüber bewusst, dass das nicht selbstverständlich ist. 

Guys: I love you!


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