Salam ya Amman
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Komm zurück, Hannah

Veröffentlicht: 26.09.2019

Immer noch Sonntag, 22. September

Während der Rest unserer Gruppe von unserem Shuttle-Bus in die Stadt gebracht wird, um vor unserem nächsten institutionellen Besuch ein Mittagessen einzunehmen, sitze ich mit Rebecca wieder mal in Adibs Auto. Er hat sich wieder mal freiwillig als Taxifahrer gemeldet, um uns zu unserer Vermieterin zu fahren und ihr die erste Anzahlung der Miete zu überreichen. Natürlich ist der UNHCR-Besuch Gesprächsthema, und uns fallen nach und nach immer mehr Dinge von unserer Tour dort ein, die wir in dem Moment, in dem sie uns aufgefallen sind, noch gar nicht ganz realisieren konnten. Ein UNHCR-Mitarbeiter, der während der Tour im Registration Center vor unseren Augen ein Kind auf seinen Arm nimmt, um zu zeigen, wie nahe sie hier an den Menschen sind. Ein anderer UNHCR-Mitarbeiter, der Geflüchtete zurückdrängt, damit wir mit unserer Gruppe genug Platz haben. Die Mitarbeiter der Helpline, die mit dem ganzen Team im Innenhof der UNHCR-Caféteria saßen, als wir von unserer Tour zurückkamen, was bedeutet, dass die Helpline in diesem Moment gar nicht mehr besetzt war. Fragen, die sämtliche Mitarbeiter dort nur mit leeren Wortphrasen beantwortet haben.

Nach erfolgreicher Geldübergabe nehmen wir an einem Imbiss ein Sandwich und einen Saft zu uns. Ich merke auf einmal, wie hungrig und unterzuckert ich bin. Es tut gut, zu sitzen und zu essen, und ich schaffe es, mich wieder ein wenig zu beruhigen. Just in time erreichen wir die nächste Organisation. HelpAge heißt sie, und kümmert sich mit dem Slogan „Leaving no one behind“ um ältere, isolierte Menschen, sowohl um Geflüchtete, als auch um Einheimisch. Stephanie, die Country Programme Managerin erklärt uns, wie wichtig sie es findet, ältere Männer und Frauen in das gesellschaftliche Leben zu integrieren, und ich kann ihr da nur zustimmen. „Our vision is a world in which all older people can lead dignified, healthy and secure lives.” Stephanie und HelpAge sind gerade wirklich gut für meinen Seelenfrieden. Mit Kaffee und Keksen kann ich danach entspannt den beiden Tandem-Präsentationen lauschen, die Adib mit Markus und Rebecca mit Bara’a nun hier in den Räumlichkeiten von HelpAge halten.

Nach den Präsentationen haben wir noch 20 Minuten Zeit bis unser Bus kommt, die Prof. Roßkopf noch zum Reflektieren über den vorherigen UNHCR-Besuch nutzen möchte. Er fragt uns noch einmal nach unserer ganz persönlichen Wahrnehmung. Ich starte und sage, dass Sophia mir mit ihrem Kommentar aus der Seele gesprochen hat. Dass ich mich während der ganzen Tour einfach nur geschämt habe. Dass ich in diesem Moment lieber tot gewesen wäre, als im Registration Center zwischen den Geflüchteten zu sein. Und dass ich mir gewünscht hätte, dass wir vorher darüber informiert worden wären, was uns erwartet. Dann hätte ich diese Tour nämlich sicherlich nicht mitgemacht. Bushra ergreift als nächste das Wort und sagt, dass sie aus eigener Erfahrung weiß, dass die Menschen, die wir dort im Wartebereich gesehen haben, teilweise Monate auf diesen Termin gewartet haben. Monate voller Ungewissheit, mentalem Stress, und ohne Obhut. Dass wir in diesem Moment, in dem sie schon vollkommen entkräftet sind, und der gleichzeitig über den Rest ihres Lebens entscheiden kann, mit unserer lustigen Reisegruppe neben ihnen stehen und über sie reden, kann mit Ethik oder Moral nichts mehr zu tun haben.

Als nächstes, Bara’a. Sie sagt, dass sie zwei Geflüchtete auf arabisch hat über uns reden hören. Einer davon hat gesagt, dass die UNHCR durch unseren Besuch jetzt bestimmt mehr Spendengelder bekommt, und die Organisation auf diese Art Profit aus ihnen als Geflüchteten schlägt. Dieser Kommentar lässt erahnen, welchen Schaden wir mit unserem Besuch dort angerichtet haben. Und dieser Mann war nur einer von hunderten Geflüchteten, die uns am Vormittag gesehen und ihre Meinung über uns gebildet haben. Jetzt spricht Fatima, die neben mir sitzt, bei dem morgigen UNHCR-Besuch nicht mit dabei war, aber von uns erzählt bekommen hat, was dort passiert ist. Fatima ist selbst als Geflüchtete aus Syrien gekommen und hat es geschafft, nun an der GJU in Jordanien zu studieren, was beeindruckend ist. Sie ist nach ihrer Flucht genau den gleichen Weg durch das Registration Center der UNHCR gegangen wie wir heute morgen. Allerdings als Geflüchtete, nicht als Gafferin. Mit stockenden, ehrlichen Worten erzählt sie, wie entwürdigend jeder einzelne Schritt dort war. Wie sie während ihrem Interview in einem der Container das Interview im Nachbarcontainer mithören konnte. Jedes einzelne Wort hat sie verstanden, von einer irakischen Frau, die unter lautem Weinen und offensichtlich traumatisiert erzählt hat, wie sie auf der Flucht missbraucht und verfolgt wurde. Dass ihr Peiniger immer noch hinter ihr her ist. Fatima hat alles, was sie dort gehört hat, niedergeschrieben. Wenn sie den Peiniger der Frau gekannt und ihn darüber informiert hätte, wäre es eine Leichtigkeit für ihn gewesen, sein Opfer aufzusuchen. Fatima steckt seit ihrer Registrierung in einer Identitätskrise. Ist sie nun nichts mehr als ein Flüchtling, was sie niemals sein wollte? Sie ist doch eigentlich nur ein Mensch, wie alle anderen auch. Aber sie hat offiziell einen Flüchtlingsstatus, der sie von den Einheimischen hier und damit auch in ihrer Behandlung und in ihren Rechten von Nicht-Flüchtlingen unterscheidet. Und den sie auf der anderen Seite auch braucht, um einen gewissen Schutz gewährleistet zu bekommen. Am Ende kann sie ihre Gefühlswelt, in der sie seit Tag der Registrierung steckt, selbst nicht beschreiben.

Und ich kann nun wirklich nicht mehr. Die Tränen laufen über meine Wangen und ich habe keine Kraft, sie aufzuhalten. Als Rebecca vor mir steht und mir ein Tempo in die Hand drückt, dreht sich auch Fatima zu mir um. „No. No Eva. Don’t cry.“ Ein Kopfschütteln ist die einzige Reaktion, zu der mein Körper noch in der Lage ist. Fatima drückt meinen Kopf an sich. Als sie mich loslässt sehe ich, dass auch ihre Augen glasig sind. Lisa und Prof. Roßkopf übernehmen jetzt das Wort und sind offensichtlich unberührt von den Emotionen, die in diesem Raum gerade hochgespült werden. Sie sind um etwas ganz anderes besorgt: die Beziehung zwischen der UNHCR und unserer Uni, die wir mit unser offenen Kritik gefährdet haben. In Jordanien sei es nicht üblich, direkte Kritik zu üben. Dass wir uns darüber bewusst machen sollten, wie viel Zeit und Energie es gekostet hat, bis der Besuch bei der UNHCR stattfinden konnte. Dass wir als Sozialarbeiter*innen bestimmte Situationen einfach aushalten und mit unerwartetem emotionalem Stress umgehen können müssen. Dass wir, wenn wir solche Besuche anzweifeln, die ganze Summer School in Frage stellen müssten. Sophia startet noch einen letzten Versuch und sagt, dass man, for heavens sake, um uns in all diesen Sachen zu trainieren, trotzdem nicht fahrlässig die Menschenwürde der vulnerabelsten Personen der Welt mit Füßen treten darf.

Ich habe das Gefühl, dass immer noch nichts davon ankommt. In Lisas Antwort darauf fällt schließlich folgender Satz: „We have to be realistic about when we can have humanity.“ Wow. Das wäre dann wohl der krönende Abschluss. Ich wünsche mir so sehr, dass Hannah jetzt noch hier wäre. Sie hätte diesen ganzen Wahnsinn niemals zugelassen.

Ich setze mich in unseren Shuttle-Bus, wortlos. Ich kann nichts mehr sagen. Bushra und Bara’a, die in Amman wohnen und nicht mit nach Madaba kommen, stecken noch einmal ihre Köpfe in den Bus, auf der Suche nach mir. „Habibti“, sagt Bushra, während sie mich umarmt, was so viel heißt wie „mein Schatz“. Bara’a gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Die Tränen laufen unbeirrt und still immer weiter. Ich klappe meinen Laptop auf und fange an zu schreiben. Während ich höre, wie die anderen hinter mir leise über alles reden, was passiert ist, beruhige ich mich, indem ich meinem Laptop meine Gedanken anvertraue.

Als wir in Madaba ankommen, bin ich wieder ansprechbar. Ich merke allerdings, dass mein Herz immer noch schneller schlägt. Ich fühle mich, als wäre ich einen Marathon gelaufen und muss mich dennoch irgendwie abreagieren. Nach einem Telefonat mit Ammar bin ich schon ein wenig ruhiger und beschließe dann, noch eine Runde schwimmen zu gehen. Bewegung hilft. Meine Wäsche müsste auch mal noch gemacht werden. Ich nehme mir zwei Stunden Zeit dafür und lasse mich währenddessen von ruhiger Musik berieseln. Ich spreche noch einmal mit Ammar und schaffe es dann, gegen halb 3 mit ruhigerem Pulsschlag einzuschlafen.

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